TATblatt; Quellen: radiophil, MPV
"Radio Helsinki" sendete seit 1995 jeden Sonntag Abend fünf Stunden
auf der Frequenz von Antenne Steiermark. Mit diesem Zugeständnis hatte
sich die Antenne den Verzicht der freien RadiomacherInnen auf eine Beschwerde
gegen die Nichtberücksichtigung bei der Lizenzvergabe erkauft und
konnte damit als erstes privates Radio in Österreich auf Sendung gehen.
Die im "Medienprojektverein MPV", der aus den Radioinitiativen der PiratInnenzeit
hervorgegangen war, organisierten MacherInnen von "Radio Helsinki" verfolgten
mit ihrem Programm beharrlich die hehren Ziele freier Radios wie Redefreiheit,
Kreativität, offener Zugang, Transparenz und Unabhängigkeit von
Parteien und wirtschaftlichen Interessen. Quoten interessierten sie dabei
wenig.
Im März dieses Jahres sollte dann alles anders kommen. Durch die Aufnahme von zum Großteil nicht am Radio Beteiligten gelang es drei Personen, den Vereinsvorstand zu übernehmen und die Statuten ihren Interessen anzupassen. So wurde der Vereinsvorstand von sechs auf drei Mitglieder reduziert, ihre Funktionsperiode auf fünf Jahre ausgedehnt. Das Vereinsziel "freies Radio" wurde auf "Radio" verkürzt. Die Macht- und Entscheidungsstrukturen im einst freundschaftlich geführten Verein änderten sich grundlegend.
An der Ausschreibung der Regionalradiolizenzen beteiligten sich sowohl die neuen MPV-Mächtigen mit einem kommerzialisierten Projekt als auch die "Helsinki"-Leute mit einem Konzept für freies Radio. Als Folge der Spaltung gingen beide leer aus.
Zum Eklat kam es bei der wöchentlichen Redaktionssitzung am Abend des 17. November. Der neue Dreiervorstand forderte den Großteil der langjährigen journalistischen MitarbeiterInnen auf, binnen fünfzehn Minuten die Räumlichkeiten zu verlassen, weil sie keine Vereinsmitglieder wären. Als sich diese weigerten, wurde die Polizei geholt. Nachdem die Polizisten aber erklärten, für die Beseitigung unliebsamer MitarbeiterInnen nicht zuständig zu sein, entfernte der Programmverantwortliche eine Person eigenhändig aus den Räumlichkeiten.
Eine Stunde später verließen auch die restlichen alten RadiomacherInnen den Raum. Unter derartigen Bedingungen war freies und kreatives Radiomachen für sie nicht mehr vorstellbar. Daran änderte auch die mittlerweile wiederholt vorgebrachte Versicherung der neuen MPV-Mächtigen, dass die Türen nach wie vor offen stünden, nichts.
An der Eingangstüre wurde unterdessen das Schloss ausgetauscht. Drei Redaktöre, die ein Protestfax unterzeichnet hatten, wurden per eingeschriebenem Brief für abgesetzt erklärt.
Die neuen MPV-Verantwortlichen begründen diese Maßnahmen damit, dass die Offenheit des Radios "in jüngster Zeit von Personen mit teilweise staatsfeindlichem Gedankengut [...] mißbraucht" wurde. "Der Verein sah sich vor diesem Hintergrund sowohl zum Schutz des Vertragspartners 'Antenne Steiermark' als auch zum eigenen Schutz gezwungen, die Zusammenarbeit mit vereinsfremden Personen, die unter dem Deckmantel des Begriffs 'freies Radio' radikale Ideologien mit teilweise absurden Verschwörungstheorien bis hin zu staatszersetzenden Tendenzen verbreiten bzw. zu verbreiten versuchen mit sofortiger Wirkung zu beenden.", so MPV.
Das Ziel, wirklich freies Radio in Graz zu schaffen, wird von den ausgesperrten
RadiomacherInnen nun mit dem neuen Verein "radiophil" verfolgt. In der
nächsten Runde der Radiolizenzvergabe - nach einer im Gesetz vorgesehenen
Bedarfsprüfung - wollen sie wieder mit dabei sein. Sie rechnen damit,
spätestens 1999 auf Sendung gehen zu können. Ein Anfang 1998
stattfindendes "Radioplenum", an dem teilzunehmen alle Interessierten eingeladen
und aufgefordert sind, soll den Weg dazu ebnen.
1. Halbjahr 1998: Einrichtung eines Produktionsstudios; Aufnahme
von Sendeaustausch mit anderen Freien Radios in Österreich (Wien,
Linz, Kärnten, Burgenland etc.) und darüber hinaus;
Bedarfserhebung seitens der Bundesregierung - Bedarfsanmeldung von
radiophil;
bis Ende 1998: Aufbau einer Vorbereitungsorganisation für ein Freies Radio (Plattform Freies Radio für Graz); Ausbildung von Personen, Weitergabe von Know-how und Erfahrung; Erarbeitung eines Finanzplanes; Weiterführung der politischen Arbeit (Lobbying); Konzeptweiterentwicklung (aufbauend auf bereits vorhandene Konzepte);
1999: Verhandlungen um die Lizenzerteilung;
Ende 1999: Sendestart auf einer eigenen 24-Stunden-Frequenz
Telefon/Fax: (0316) 81 17 57
E-mail: helsinki@gewi.kfunigraz.ac.at oder hofos@gewi.kfunigraz.ac.at
aus: TATblatt Nr. +88 (21/97) vom 12. Dezember 1997
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