TATblatt


Die Landproblematik in Guatemala

"Der Erste, der ein Stück Land eingezäunt hatte und es sich einfallen ließ zu sagen:'Dies ist mein', und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der wahre Gründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wie viel Not und Elend und wie viele Schrecken hätte derjenige dem Menschengeschlecht erspart, der die Pfähle herausgerissen oder den Graben zugeschüttet und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: 'Hütet euch, auf diesen Betrüger zu hören, ihr seit verloren, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören und die Erde niemandem.'" J. J. ROUSSEAU (Diskurs über die Ungleichheit)

Einer von der Guatemala Initiative
Im Gegensatz zu der bei uns vorherrschenden Idee des privaten Besitzes an Grund und Boden, haben sich in anderen Gesellschaften, so auch bei den indigenen Mittel- und Südamerikas, Kollektivformen erhalten. Die europäischen Eroberer annektierten jedoch ohne Rücksicht auf bestehende Strukturen alles Land und zwangen den unterworfenen Regionen ihre "göttlich legitimierte" Feudalherrschaft auf.

Glücklicherweise wurde der Gedanke eines kollektiven Landbesitzes innerhalb der einfachen Bevölkerung bewahrt und wurde später als Möglichkeit des Widerstandes im Rahmen der Kooperativenbewegungen in den 60er und 70er Jahren wiederbelebt, wobei ich diese nicht generell als optimal hinstellen möchte. Es gäbe genug Kritikpunkte, die allerdings den Rahmen dieses Artikels sprengen würden. Dadurch, daß der/die Einzelne sein/ihr Land nicht wie einen etwaigen Privatbesitz verkaufen kann, kann der Besitzakkumulation durch GroßgrundbesitzerInnen der damit verbundenen Verschuldungsgefahr und Abhängigkeit entgegengewirkt werden, was im allgemeinen ein Schutzfaktor für Klein- und KleinstbäuerInnen ist.

Ich möchte mich jetzt mehr der Situation in Guatemala zuwenden und die Comunidad El Sauce als typisches Beispiel der derzeitigen Landproblematik präsentieren.

Am 29. 12. 1996 wurde der 36 Jahre dauernde Krieg in Guatemala endgültig beendet. In den siebenjährigen Verhandlungen davor wurden eine Vielzahl von Teilabkommen unterzeichnet, welche die Rechte der Bevölkerung sichern und den Weg zu einem dauerhaften, auch sozialen Frieden ebnen sollten. Eines der zentralen Probleme Guatemalas, die extrem ungleiche Landverteilung wird darin aber leider nur am Rande angeschnitten. In dem am 6. Mai 1996 unterschriebenen Abkommen über sozio-ökonomische Aspekte und zur Agrarsituation werden zwar Zugangsmöglichkeiten zu Land aufgelistet, ein neuer Kataster gefordert und der Vorrang für organisierte CampesinAs festgelegt, allerdings ohne verbindliche Zeit- oder Flächenangaben, was das Ganze etwas schwammig macht. Nach wie vor besitzen 2,6% der Bevölkerung 65% des kultivierbaren Bodens. 88% müssen sich mit nur 16% des Landes zufrieden geben. Als erwähnenswert ist anzuführen, daß im Vertrag über die Identität und die Rechte der indigenen Gesellschaften das Gemeindeland und kollektiver Landbesitz anerkannt worden sind, vorher mußte es einen Rechtsträger (in der Praxis oft die Kirche) geben.

Die einzigen Regierungen die versucht hatten, eine Landreform zu verwirklichen, waren jene unter Arevaló und Arbenz zwischen 1945 und 1954. Diese wagten brachliegendes und mehr oder weniger unversteuertes Land der United Fruit Company zu enteignen (es wurde auch eine, wenn auch geringe Entschädigung bezahlt). Konsequenz daraus war eine massive Diffamierungskampagne, in welcher die guatemaltekische Regierung als kommunistisch verteufelt wurde. Diese erreichte ihren Höhepunkt 1954 mit einem Militärputsch des Oberst Castillo Armas, der von Honduras aus mit CIA-Logistik und US-Luftwaffenunterstützung den Traum von Freiheit und Selbstbestimmung zunichte machte.

In der Folge wechselten sich die US-hörigen Militärdiktatoren in Zwei- bis Vierjahresrhythmen ab, alle Reformen wurden sofort rückgängig gemacht. Vertreibungen, Zwangsumsiedlungen und Landraub durch Militär, Großgrundbesitzer oder andere "poderosos" führten den ohnehin schlechten Kataster ad absurdum, für viele Landstriche gibt es mehrere gültige Ansprüche (die heute registrierten Landtitel ergeben die fast dreifache Größe Guatemalas). Recht hatte und hat auch heute noch, wer mehr Geld und Macht hat. Die Geschichte der Comunidad El Sauce, in der ich fast zweieinhalb Monate als Acompanante (Internationaler Begleiter) gelebt habe, ist exemplarisch für diese Situation.

Am 30. Oktober 1996 haben 7 landlosen Familien von dem katholischen Orden "Hermanos de la Salle" die Finca El Sauce zur Verfügung gestellt bekommen. Das Land, welches früher im Besitz der Banco Credito Hipotekaria war, war jahrelang brach gelegen und in dieser Zeit von dem Großgrundbesitzer Luis Alfredo Ponce Cuz beschlagnahmt, sprich gerodet und zur Viehzucht benutzt worden. Obwohl der Kauf und Besitz von El Sauce auch von der guatemaltekischen Landvermessungsbehörde INTA bestätigt wurde und Luis Ponce, sowohl von Seiten der Kirche, als auch von der Dorfgemeinschaft selbst, mehrmals gebeten wurde, seine Rinder zu entfernen und das Land freizugeben, tat er nichts dergleichen. Im Gegenteil, er drohte seinerseits den DorfbewohnerInnen, daß er "Schritte" setzen würde, wenn sie nicht verschwänden. Der Friedensrichter von El Estor (der zuständigen Bezirkshauptstadt) unterstützte ihn noch fest dabei, schließlich gab es schon vorher Bespiele der guten Zusammenarbeit zwischen der Familie Ponce und den lokalen Behörden. Denn nicht nur Luis Ponce besitzt viel Land und Geld, auch sein Bruder Gilberto Adrian Ponce Cuz ist einer der größten Landbesitzer im Bezirk, dessen Sohn Augusto Romeo Ponce ist noch dazu Abgeordneter des Bundesstaates Izabal im Nationalkongreß für die PAN (Partido del Avance Nacional [welch Hohn]), der Mehrheitspartei, die im Moment auch den Präsidenten stellt. Nachdem sich die EinwohnerInnen aber nicht einschüchtern ließen, griff Luis Ponce zur Selbstjustiz: Am 24. Jänner 1997 um fünf Uhr morgens überfiel er mit ca. 60 Bewaffneten die Comunidad, tötete eigenhändig Dona Rosa Chub Pec, verletzte auch ihren Sohn Juan Rax Chub schwer, ließ Hütten, Ernte und Habseligkeiten niederbrennen und den Großteil der Haustiere niedermetzeln. Die schockierten und verängstigten Menschen wurden in die Bergwälder vertrieben. Auch der Leichnam Dona Rosas wurde mit Benzin übergossen und verbrannt. Als einige der Männer den verletzten Juan nach El Estor brachten, das bedeutet mehr als acht Stunden Fußmarsch, mußten sie erkennen, daß sie von staatlicher Seite keine Hilfe erwarten durften. Weder Polizei noch Richter scherten sich einen Dreck um den Überfall, wenn in Guatemala eine einfache Campesina von einem Reichen erschossen wird kräht kein Hahn danach.

Erst der Pfarrer von El Estor, Padre Daniel Vogt, verständigte die MINUGUA (UNO in Guatemala), Christian Solidarity (CSI) und Amnesty International. Und auch die LandarbeiterInnen-Bewegung CONIC wurde aktiv. Allerdings konnte erst am 12. Februar ein Haftbefehl gegen Luis Ponce und sieben weitere Personen beim Generalstaatsanwalt in der Hauptstadt erwirkt werden. Sein Sekretär meinte noch, das dies keine gute Idee sei, solche Leute zeigt mensch nicht an.

Es erübrigt sich eigentlich fast zu sagen, daß der Haftbefehl bis jetzt nicht exekutiert worden ist. Letztendlich legte L. P. Berufung beim Verfassungsgerichtshof ein, was den Haftbefehl für nicht absehbare Zeit stillegt.

Ich kam am 14. 2. 97 als internationaler Begleiter nach El Sauce, nachdem die Dorfgemeinschaft den Wunsch nach Acompanantes (=BegleiterInnen) geäußert hatte. Ich möchte jetzt kurz etwas abschweifen und das Projekt Acompanamiento erklären, Seine Wurzeln hat es im Vertrag vom 8. 10. 92 zwischen Regierung und den VertreterInnen der in Mexico lebenden Flüchtlingen. Diese hatten sich ausgebeten, daß internationale Beobachter ihre Rückkehr und Wiederansiedelung begleiten. So entstanden in verschiedenen Ländern Gruppen die Acos nach Guatemala schickten und schicken. Freilich arbeiten wir heute nicht mehr nur mit den eingetragenen Flüchtlingen, sondern auch mit intern Vertriebenen, Basis- und Volksorganisationen und anderen, die unter anhaltenden Menschenrechtsverletzungen leiden.

Zurück nach El Sauce: Während meines Aufenthaltes bauten wir die zerstörten Hütten wieder auf und begannen mit dem Bestellen der neuen Felder. Die Menschen leben von der Subsistenzlandwirtschaft. Ich lernte den Lebensalltag von campesinAs kennen und erwarb die grundlegenden Fertigkeiten zum Überleben im Nebelwald. Im Gegenzug konnte ich ihnen in politischen und rechtlichen Problemen beistehen, und als gelernter Krankenpfleger fand ich auch genug Arbeit in diesem Bereich, denn das Dorf liegt mehr oder weniger abgeschieden von jeglicher Versorgung. Die Schattenseite war, daß wir immer wieder verbal bedroht und von Handlangern Luis Ponces beobachtet wurden, erst kurz nach meiner Abreise tauchten wieder Bewaffnete in den Dörfern El Sauce, Chiguoyo und Tzulpec, welche nach VertreterInnen der Dörfer und mir suchten, auf. Es ist wahrscheinlich nur der massiven Intervention nationaler und internationaler Organisationen zu verdanken, daß es zu keinen Gewalttaten mehr kam. Im Moment hat sich die Zahl der Familien in El Sauce schon auf 25 erhöht, was auch mehr Schutz bedeutet. Der Fall von El Sauce ist leider kein Einzelfall in Guatemala, schon gar nicht im übrigen Mittel- und Südamerika. Diverse LandarbeiterInnen- und BäuerInnen- Bewegungen können traurige Lieder davon singen. Wie die Regierung mit diesen Organisationen umgeht zeigen die letzten Nachrichten die uns CONIC (Coordinadora Nacional Indigana y Campesina)gesendet hat. Am 1. Oktober begannen in Guatemala Ciudad Verhandlungen zwischen RegierungsvertreterInnen und CNOC (dem Dachverband vorher genannter Organsiationen). Vor und während der Verhandlungen wurde das Büro von CONIC von der Polizei bespitzelt, auch drang ein Bewaffneter ein und suchte nach den führenden LeiterInnen. Am 2. 10. wurde die Privatwohnung von Juan Tiney Ixbalan (Gründungsmitglied von CONIC) durchsucht und seine Familie eingeschüchtert -offensichtlich ein Machtbeweis der Herrschenden, um die Grenzen abzustecken. Der Kampf um Frieden und Gerechtigkeit ist in Guatemala (wie auch im Rest der Welt) noch lange nicht vorbei, trotz Unterzeichnug eines Vertragspapieres. Es wird vermutlich noch viel Kraft und Blut der einfachen Bevölkerung und Basisbewegungen notwendig sein um die politischen und ökonomischen Verhältnisse zu ändern. Wie sich die URNG (Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca [ehem. Guerilla]) als politische Partei bewähren wird, kann erst die Zukunft zeigen.

Aber auch der internationalen Solidaritätsbewegung kommt eine wichtige Aufgabe zu. Nicht nur, weil die Gegenwart von Internationalen ein wenig Schutz bietet, sondern auch, weil im Endeffekt nur eine breite international vernetzte Bewegung einen grundlegenden Widerstand gegen den vormaschierenden Neoliberalismus bieten kann.

Leider gibt es kurzfristig schlechte Neuigkeiten aus El Sauce. Obwohl der Haftbefehl gegen Luis Ponce wieder gültig ist, unternehmen die lokalen Behörden nichts. Im Gegenteil er hat das Dorf wieder mit Bewaffneten "besucht" und massiv bedroht, außerdem hat er mit Hilfe der Behörden Anzeigenserien gegen DorfbewohnerInnen gestartet und möchte offensichtlich eine neuerliche gewaltsame Vertreibung vorbereiten. Am 26. 1. hat die Dorfgemeinschaft zusammen mit dem Pfarrer von El Estor und anderen Organisationen und Menschen eine Demonstration geplant. Wie es im Moment aussieht, ist eine gewaltsame Reaktion der Behörden und privater Sicherheitskräfte nicht auszuschließen. Wir planen Urgent actions zu dem Thema.

Für alle, die an mehr Infos über Guatemala oder an einem Einsatz als FlüchtlingsbegleiterIn interessiert sind (wir suchen laufend neue Acos, außerdem dürfen wir Zivildiener nach Guatemala schicken): Guatemala-Initiative, Mondscheingasse 11, Postfach 140, 1070 Wien. Tel/Fax: 01-5246703, e-mail: guateini@ping.at



aus: TATblatt Nr. +89 (1a/98) vom 15. Jänner 1998
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