TATblatt


liberalismus

mai, wer zahlt bestimmt

das "multilateral agreement on investment" sorgt für aufregung

Weitestgehende liberalisierung von investitionstätigkeiten und die eliminierung aller rahmenbedingungen, welche internationale investitionsflüsse stören könnten - darauf zielt ein im rahmen der OECD ausgehandeltes multilaterales abkommen ab, das bereits im april unterzeichnet werden soll. Nahezu die gesamte ökonomie der unterzeichnerInnenländer wird von den bestimmungen des abkommens erfasst. Gesetze, die den liberalisierungsbestimmungen des abkommens widersprechen, müssen aufgehoben werden. Arbeitsrechts-, sozial- und umweltstandards bleiben auf der strecke.

TATblatt; OECD, BMwA, ÖIE, VIRUS u.a.
Der österreichische OECD-botschafter Jankowitsch spricht von schlechter öffentlichkeitsarbeit, NGO-vertreterInnen und gewerkschaftlerInnen hingegen von bewusster geheimhaltung. Jedenfalls wurden die seit dem frühling 1995 auf OECD-ebene geführten verhandlungen über das multilaterale abkommen über investitionen - "MAI" - nur durch zufall bekannt.

Wie die vertreterInnen von arbeiterInnen-, sozial- und umweltanliegen waren auch alle nicht-OECD-staaten von den verhandlungen ausgeschlossen. Der von einigen nicht-OECD-staaten erwartete protest gegen den mit dem abkommen erwirkten verlust nationalstaatlicher autonomie sollte das abkommen nicht verwässern. Deshalb wurde entgegen früherer vorhaben nicht im rahmen der welthandelsorganisation WTO verhandelt, sondern nur im kreise der 29 reichsten staaten, den mitgliedsländern der OECD. Die finanzschwächeren nicht-OECD-länder müssen dem abkommen ohnehin früher oder später beitreten, um von investitionen und vermutlich auch weltbankkrediten nicht abgeschnitten zu werden. Die interessen der finanzschwachen länder werden vom MAI aber ganz besonders konterkariert. Denn investierende unternehmen dürfen an keinerlei bedingungen - wie etwa verpflichtungen zur abnahme von grundstoffen und vorprodukten von ansässigen zulieferfirmen, der einhaltung bestimmter import- oder exportquoten etc. - gebunden werden. Da dem kapitalverkehr keine grenzen gesetzt werden dürfen, können gewinne frei aus dem land transferiert werden.
 

freiheit

Prinzipiell kann von seiten der investorInnen u.a. gegen alle staatlichen regulierungsmaßnahmen vor einem schiedsgericht geklagt werden, so etwa auch gegen umweltauflagen, arbeitsrechtliche bestimmungen oder maßnahmen für die einstellung behinderter menschen, sobald sich diese gewinnmindernd auswirken.

Die unterzeichnerInnenstaaten verpflichten sich, die entscheidungen des schiedsgerichts anzuerkennen, das heißt beanstandete gesetze, verordnungen oder dergleichen abzuschaffen und schadenersatzforderungen zu erfüllen. Mehr oder weniger demokratische rechtsetzungsverfahren der jeweiligen staaten werden damit ausgehebelt, die staatlichen wirtschaftspolitiken auf 20 jahre festgeschrieben und gegen politische veränderungen immunisiert. Denn: eine aufkündigung der MAI-mitgliedschaft ist frühestens nach fünf jahren möglich, und auch dann gelten die bestimmungen noch weitere 15 jahre. Allfällige absetzungen von diktatorInnen, verbunden mit menschengerechter wirtschaftlicher umorientierung, hätten unweigerlich milliardenschwere schadenersatzforderungen, somit den wirtschaftlichen ruin und schließlich das scheitern jeglicher demokratischer experimente zur folge.

Staaten, interessensgruppen oder gar einzelne betroffene menschen haben hingegen keine möglichkeit, unternehmen auf die einhaltung der wenigen noch geltenden bestimmungen zu klagen. Die an die unternehmen gerichteten empfehlungen der OECD, bestimmte verhaltensrichtlinien - wie das recht der beschäftigten auf gewerkschaftliche repräsentation, die schaffung von arbeitsbedingungen, die nicht schlechter als bei vergleichbaren firmen im gastland sind, oder eine nichtdiskriminierende personalpolitik etc. - sind unverbindlich und nicht einklagbar. Ebensowenig einklagbar ist die umsetzung anderer internationaler abkommen, in denen nicht-kapital-interessen zumindest ansatzweise niederschlag gefunden haben, die aber mit weitaus weniger verbindlichkeit ausgestattet sind, und so mit inkrafttreten des MAI zwangsläufig vollends zu makulatur werden, wie rio-deklaration, agenda 21, UN-richtlinien für konsumentInnenschutz, habitat-aktionsplan etc.
 
Welche ziele mit den "streitbeilegungsmechanismen" des MAI verfolgt werden, illustrieren zwei beispiele aus dem NAFTA-raum:

So wurde kanada auf grundlage der NAFTA-bestimmungen, die dem MAI als vorbild dienen, auf 251 millionen US-dollar schadenersatz geklagt. Das kanadische parlament hatte zuvor den hochgiftigen, von der US-firma Ethyl in kanada - und nur in kanada! - verkauften treibstoffzusatz MMT verboten. Dieses gesetz und sogar die davor gelaufene rechtliche debatte stellten nach auffassung der firma Ethyl eine teilenteignung im sinne der NAFTA-bestimmungen dar.

Mexiko wurde von der US-firma Metaclad auf 90 millionen US-dollar schadenersatz geklagt, nachdem der geplante bau einer sondermülldeponie nach einer umweltverträglichkeitsprüfung untersagt worden war.

Die vertreterInnen der US-industrie begrüßten die möglichkeit, staaten zu klagen, da dies einen erzieherischen effekt auf die parlamente habe und so die politische diskussion angesichts der absehbaren millionenklagen in ihrem sinne beeinflusst werde.
 

gleichheit

Im wesentlichen stellt das MAI eine verschärfung der zwischen den USA, kanada und mexiko geltenden NAFTA-bestimmungen und den versuch dar, deren gültigkeit auf den gesamten planeten auszudehnen.

Anwendung findet das MAI auf jede form von investitionen, die in dem abkommen äußerst weit definiert sind. Auch geistiges eigentum zählt als investition, ebenso wie unternehmensbeteiligungen, eigentum an grund und boden u.v.a. Damit wird nahezu die gesamte ökonomie eines landes von den MAI-bestimmungen erfasst.

Die unterzeichnerInnenländer verpflichten sich, investorInnen aus anderen unterzeichnerInnenländern nicht schlechter als irgendein anderes - in- oder ausländisches - unternehmen zu behandeln.

Wenn beispielsweise österreich irgendeinem unternehmen, aus welchen gründen auch immer, bestimmte begünstigungen zuerkannt hat - beispielsweise förderungen, steuerbegünstigungen, arbeitsrechtliche erleichterungen, ausnahmen bei umweltauflagen etc. - so müssen diese in zukunft allen vergleichbaren investorInnen aus den unterzeichnerInnenländern gewährt werden.

Stand-still-klauseln verbieten den unterzeichnerInnenländern, künftig gesetze zu erlassen, die den bestimmungen des MAI widersprechen. Roll-back-bestimmungen zwingen dazu, entsprechende bestehende gesetze rückgängig zu machen. Ausnahmen müssen vor vertragsabschluss in den anhang a zum MAI aufgenommen werden. Was nicht ausdrücklich ausgenommen ist, unterliegt automatisch dem MAI. Die ausnahmen dienen lediglich dazu, zu verhindern, dass wegen diesbezüglicher streitigkeiten das gesamte vertragswerk scheitert, sollen aber binnen weniger jahre sukzessive abgeschafft werden.

Untersagt ist im MAI insbesondere jegliche form der direkten oder indirekten enteignung, womit jede staatliche maßnahme gemeint ist, die profitmöglichkeiten negativ beeinflussen könnte - sei es durch bestimmte auflagen, verbote oder auch nur kritische worte (siehe Ethyl-klage). Jeder profitentgang begründet schadenersatzforderungen an den staat.

Schadenersatz steht den investorInnen auch zu, wenn ihnen im zuge von "revolutionen, notständen oder vergleichbaren ereignisse", so auch durch protestbewegungen, boykottaktionen oder streiks, gewinne entgehen. Die unterzeichnerInnenstaaten sind daher gut beraten, derartige bewegungen künftig im keim zu ersticken.
 

geschwisterlichkeit

Nach ansicht des österreichischen MAI-verhandlers Manfred Schekolin vom wirtschaftsministerium sind die verhandlungen soweit fortgeschritten, dass das abkommen bereits im april 1998 unterzeichnet und nach ratifizierung durch die gesetzgeber im herbst in kraft treten kann. Der OECD-botschafter Jankowitsch glaubt hingegen nicht mehr daran, dass die verhandlungen noch in diesem jahr abgeschlossen werden können.

Bei der letzten verhandlungsrunde am 16. und 17. februar kündigte der verhandler der USA an, dem abkommen in der jetzigen fassung nicht zustimmen zu werden, da es sanktionen gegen unternehmen, die in staaten wie kuba, libyen oder iran investieren, verbietet. Gegen diesbezügliche ausnahmen verwehren sich aber vor allem die europäischen verhandlerInnen, insbesondere jener aus frankreich. Dieser macht die zustimmung zum abkommen überdies von einer ausnahmebestimmung für "kulturelle eigenheiten" abhängig, um weiterhin die förderung des französischen films zum schutz vor der konkurrenz aus hollywood zu ermöglichen.

Die nächste und möglicherweise abschließende verhandlungsrunde findet vom 16. bis zum 20. märz 1998 statt.
 

widerstand

Wenn auch der umstand, dass das kapital die nationalstaatliche gesetzgebung nach seinen bedürfnissen steuert und vor allem in den ländern der peripherie die für sie besten verwertungsbedingungen erpresst und durchsetzt, nicht unbedingt etwas neues darstellt, so hat die weitgehende verrechtlichung dieses zustands im rahmen des MAI doch eine neue qualität, die es wert ist, ihr widerstand entgegenzusetzen. Dieser formiert sich derzeit nicht zufällig besonders in den USA, kanada und mexico - die kennen wohl am besten die tragweite derartiger abkommen. Doch auch in österreich regt sich was.

So veranstalteten die "vereinigten internationalistischen, revolutionären umweltschützerInnen" der gruppe "VIRUS" am 20. februar eine protestaktion auf der wiener mariahilferstraße.
Für den 19. und 20. märz sind österreichweite aktionstage geplant. Eine vorbereitungssitzung der gruppe VIRUS findet dazu am donnerstag, den 26. februar, um 18.30 uhr im WUK-umweltbüro (wien 9, währingerstraße 59) statt. Weitere infos dazu gibt's direkt bei VIRUS (telefon: 01-402 69 55, mo. und fr. 10-13 uhr, di. ab 19 uhr, do. 15-18 uhr). Nach möglichkeit sollen dezentrale aktionen durch möglichst viele verschiedene gruppen stattfinden. Es sind alle dazu aufgefordert, sich was zu überlegen und das dann auch umzusetzen.

In innsbruck plant die gruppe "MAI-frei-innsbruck" aktionen. Am 20. und 21. märz veranstaltet sie ein österreichweites treffen "für ein MAI-freies österreich". Anmeldungen sind bis zum 10. märz erbeten. Infos dazu gibt's am innsbrucker institut für politikwissenschaft bei professorin Claudia Werlhof (tel. 0512-507-7060 oder -7061, fax: 0512-507-2800 postadresse: MAI-frei-innsbruck, c/o institut für politikwissenschaft, z.h. Prof.Dr.C.Werlhof, uni innsbruck, innrain 36, 6020 innsbruck) oder per e-mail: Christoph.Klocker@uibk.ac.at.
 

MAI-infos online (auszug)

pro:
www.oecd.org/daf/cmis/mai/maindex.htm

(hier gibt's u.a. die aktuelleste fassung des vertragstextes)
 
contra:
www.mai.flora.org
(u.a. übersicht über aktivitäten, internationale links)

www2.hu-berlin.de/studis/refrat/MAI
(hier gibt's vor allem eine deutsche übersetzung der wichtigsten punkte des vertragstextes)

in der black*box:
/B*B Anarchy/M.A.I.-Infos
(hier gibt's neben zahlreichen artikeln den vertragstext auf englisch und auf deutsch zum runterladen)


aus: TATblatt Nr. +92 (4/98) vom 26. Februar 1998
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