Sport
Nagano - die andere Berichterstattung
Daß in Nagano nicht nur ungeteilter Olympia-Geist aufkommen will,
ist auch in unseren Breitengraden bekannt. Daß es aber auch einen
Olympia-Widerstand gibt, davon hat kaum eineR je etwas gehört.Die
Anti-Olympia-Aktivitäten fußen nicht nur auf ökologischen
Überlegungen, sondern auch auf Anti-Rassismus und Anti-Nationalismus.
Folgender Text ist ein Auszug aus einem Interview mit Monica Nakamura
vom Anti-Olympischen-BürgerInnen-Netzwerk in Nagano, das einE LeserIn
für das TATblatt aus der Mailbox gefischt hat.
Zusendung einer Leserin
Am 7. Februar gab es eine Demonstration gegen die Olympischen Spiele.
Wie war die?
Der Slogan der Demonstration lautete "Wir brauchen die Olympischen
Spiele nicht!". Wir wollten zeigen, daß die Behauptung der Behörden,
es gäbe keine Ablehnung der Olympischen Spiele in Nagano, eine Lüge
ist. Etwa 150 Personen nahmen teil. Wir zogen ca. 2 km durch die Hauptstraßen
von Nagano; einige Geschäftsleute und PassantInnen applaudierten uns,
was ein Zeichen dafür ist, daß es Leute gibt, die die Spiele
in Nagano nicht befürworten.
Die Hauptaussagen unseres Protestes waren: wir brauchen keine Olympischen
Spiele, die die Umwelt zerstören, die die Öffentlichkeit mit
Schulden belasten, die "Wegwerf-GastarbeiterInnen" produzieren, die Kinderrechte
mißachten, die behinderte Menschen diskriminieren, ...
Bewahrheiteten sich eure Befürchtungen bezüglich Umweltschäden
durch die Olympischen Spiele?
Die Naturzerstörung ist größer als wir erwartet hatten,
doch wird sie völlig verdeckt durch das japanische Olympische Komitee
NAOC und die Medien.
Die Behörden haben bisher auch keinerlei Pläne für eine
Sanierung.
Die Zerstörung in Hakuba Village ist ein typisches Beispiel: schon
vor den Olympischen Spielen gab es dort sechs Schipisten, doch wurden zusätzlich
zwei riesige Sprungschanzen gebaut, die das Ökosystem dieses Gebietes
drastisch verändert haben. In den oberen Regionen des Hime-Flusses
wurden die Langlauf-Pisten und die Olympia-Straße gebaut, die 1995
und 1996 für große Überschwemmungskatastrophen sorgten.
Wie ist es mit den Konflikten zwischen den Sponsoren und der lokalen
Wirtschaft? Es gab Berichte darüber, daß Coca-Cola versucht
hätte, ein Verbot des berühmten Nagano-Apfelsaftes auf dem Olympia-Gelände
zu erreichen.
Bezüglich Konflikte zwischen Sponsoren und lokaler Geschäftswelt
gibt es einige Beispiele. Im Falle des Apfelsaftes war es ein Streit mit
dem Coca-Cola-Abfüllunternehmen.
In Nagano gibt es eine Spezialität namens "Oyaki". "Oyaki" ist
ein auf traditionelle Weise gedämpftes Weckerl, das mit unterschiedlichen
Dingen, etwa Gemüse, gefüllt wird. Es gibt verschiedenste Arten
von "Oyaki", doch es wurde verboten, auch nur irgendeine Art davon zu verkaufen,
da es einem Produkt von "Yamazaki-Brot", einem offiziellen Olympia-Ausstatter,
ähnlich sei.
"Tonjiru", eine Suppe mit viel Gemüse und Fleisch, war wegen eines
Konflikts mit McDonalds ebenso verboten. "Tonjiru" sollte eigentlich gratis
an die SportlerInnen und Olympia-RepräsentantInnen ausgegeben werden
...
Es gab Berichte über tausende von illegalen EinwanderInnen, die
auf dem Baugelände arbeiten würden. Wie wurden diese Leute behandelt?
Welche Menschenrechtsverstöße hat es gegeben?
Einige unserer Mitglieder beschäftigen sich mit Menschenrechtsverletzungen
an illegalen GastarbeiterInnen, die beim Bau der Olympischen Anlagen, Straßen,
Autobahnen und der Bahn eingesetzt wurden. KeineR weiß, wieviele
es waren, aber wir vermuten tausende oder gar zehntausende. Nach einer
Information eines philippinischen Händlers, der viele philippinische
ArbeiterInnen kennt, wurden viele von ihnen bisher noch nicht einmal bezahlt.
Im großen und ganzen sind alle Arten von Vertragsverletzungen,
die in Japan auch sonst gegenüber illegalen ImmigrantInnen an der
Tagesordnung sind, passiert: fristlose Entlassungen, Nichtbezahlung von
Löhnen, unbezahlte Überstunden, mangelnde Ausbildung in Schutz
und Gesundheit am Arbeitsplatz ebenso, wie diskriminierendes Verhalten.
Die größte durch die Olympischen Spiele verursachte Rechtsverletzung
ist die "Operation Weißer Schnee" der Naganoer Präfektural-Polizei.
Sie sagen, es sei eine Säuberungskampagne, die aber kein Abschieben
von illegalen ArbeiterInnen bedeute. Wir haben allerdings ausreichende
Beweise, die bestätigen, daß das nicht wahr ist. 1997 wurden
um die 400 illegale MigrantInnen festgenommen und deportiert. Wir protestieren
gegen diese opportunistische AusländerInnenpolitik unserer Regierung!
Wieviel bekamen diese ArbeiterInnen bezahlt?
Üblicherweise lagen die Löhne bei ungefähr 12 000 Yen
(ungefähr 1.200 öS, nicht ganz 100 Euro) täglich. Jedoch
waren sie ständig bedroht, ihren Job zu verlieren, daher kannst du
ihre Situation nicht nur aufgrund der Löhne beurteilen. Letztendlich
sind sie immer "verfügbare Arbeitskraft" und darüberhinaus werden,
wie bereits früher erwähnt, die Löhne oft nicht ausbezahlt.
Wer hat diese ArbeiterInnen engagiert?
Das japanische Baugewerbe besteht aus einem Subunternehmen-System.
Jene, die illegale ArbeiterInnen anstellen, sind natürlich ganz unten
angesiedelt. Es sind Klein- und Mittelbetriebe, die die illegalen ArbeiterInnen
meist durch MaklerInnen vermittelt bekommen. Sowohl die Beschäftigung
als auch die Vermittlung von SchwarzarbeiterInnen ist in Japan zwar verboten,
aber in der Bauindustrie mehr als üblich. Die Top-Generalunternehmen
können auf diese Art zwar unter Verwendung von SchwarzarbeiterInnen
bauen, das Strafrisiko tragen aber die kleinen Subunternehmen.
Welche Art von Gruppe ist das Anti-Olymische-BürgerInnen-Netzwerk?
Das Netzwerk wurde 1989 gegründet, als die Frau des Netzwerk-Vorsitzenden
mit dem Slogan "Keine Olympischen Spiele" für das BürgermeisterInnen-Amt
in Nagano kandidierte. Der Begründer ist Masao Ezawa, ein Umweltaktivist,
der seither der Vorsitzende ist. Es ist eine BürgerInnen-Initiative,
daher sind die Mitglieder ganz unterschiedlich, von UniversitätsprofessorInnen
bis zu Hausmenschen.
aus: TATblatt Nr. +92 (4/98) vom 26. Februar 1998
(c)TATblatt
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken, alternativen
und ähnlichen Medien ohne weiteres gestattet (Belegexemplar erbeten)!
In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung
der Medieninhaberin (siehe Impressum)
[zum TATblatt-Inhaltsverzeichnis]