von einem TATblatt-Leser
Am Mittwoch dem 25.2.98 legte eine Gruppe von ÄrztInnen, EthikerInnen
und JuristInnen ein Manifest mit dem Titel Menschenwürdiges Sterben
dem Nationalratspräsidenten Heinz Fischer vor. Am folgenden Tag berichtete
der Kurier durchaus wohlwollend darüber. Die Gruppe der "Euthanasie"-BefürworterInnen
will, daß der Nationalrat ein Gesetz erläßt, das nicht
nur die Unterlassung von therapeutischen Maßnahmen, sondern auch
die aktive Tötung auf Verlangen erlaubt.
Die Initiative ist nicht nur als Versuch zu werten, die "Euthanasie" voranzutreiben, sie ist auch von dem Wunsch getragen, das zu legalisieren, was Fakt ist. Es wird erklärt, daß in österreichischen Spitälern die "aktive Sterbehilfe" ohnehin passiert, und die permanente Rechtsunsicherheit der ÄrztInnen beseitigt werden muß.
Die VerfasserInnen des Manifests weisen freilich jede Nähe ihrer Schrift zur Praxis und Ideologie der NS-"Euthanasie" weit von sich. Das beschreibt nicht nur ihre historische Unkenntnis, sondern es wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die Geisteswelt der VerfasserInnen, wenn sie von einem Mißbrauch der Euthanasie durch die Nazis sprechen.
Sie sehen heute eine "Überbewertung der Medizin und Technik". Diese verdränge "zunehmend die Würde des Menschen und sein Recht auf Selbstbestimmung". Unter diese Selbstbestimmung fassen sie auch das Getötetwerden durch eineN ÄrztIn, sofern der Zustand der Kranken "unerträglich, irreversibel und todbringend ist".
Damit reihen sie sich problemlos unter die befürwortenden ProponentInnen
der internationalen "Euthanasie"-Diskussion. Deren Argumente werden im
Folgenden kurz skizziert.
Sollte einE KrankeR den Wunsch äußern, lieber zu sterben, so stürzen sie sich triumphierend darauf, und wollen nicht sehen, in welchem gesellschaftlichen Umfeld dieser Wunsch entsteht, in dem Alte und Kranke allein gelassen werden, wo sie sich als Last fühlen müssen, ohne Chance an ihrer Situation selbst etwas ändern zu können. Viele alte Menschen haben manifeste Depressionen und die Suizidrate ist ihnen ungleich höher als bei anderen Altersgruppen. Pflegeheime stehen drohend vor ihnen. Daß die Lebenssituation in diesen Versorgungs- und Verwahrungsanstalten durch institutionelle Zwänge, durch Rücksichtslosigkeit gegenüber individuellen Bedürfnissen und dem politischen Unwillen, mehr Pflegepersonal zu finanzieren, eine unwürdige ist, hat sich schon längst herumgesprochen. Die "Euthanasie"-BefürworterInnen ignorieren jedoch hartnäckig die Forderungen der Interessensvertretungen alter und behinderter Menschen nach einem selbstbestimmten Leben. Statt dessen propagieren sie im Umkehrschluß das selbstbestimmte Sterben. Die unwürdigen Umweltbedingungen werden in Menschen hineinprojeziert, um sie dann für die Tötung freigeben zu können.
Lebensqualität ist eines der Zauberwörter. Eigentlich orientiert sich Lebensqualität an subjektiven Vorstellungen der Betreffenden. Dort aber, wo der Begriff ein Kriterium im Entscheidungsprozeß über den Abbruch einer Therapie oder das aktive Töten ist, wird er mittels statistisch genormten Berrechnungsmodi, die keinen subjektiven und individuellen Vorstellungen Raum lassen, objektiviert. Lebensqualität ist somit nicht mehr etwas, das vom Individuum selbst definiert und gestaltet, sondern von Fremden ermittelt wird. Sie wird zurechtgestutzt auf eine rechnerische Größe, um sie in einer Kosten-Nutzen-Analyse verwenden zu können. Wenn die Kosten einer Therapie die zu erwartende Lebensqualität übersteigen, wird sie hinfällig. Der Tod der PatientIn ist damit errechnet.
Auffallend ist auch, daß die Begriffskonstruktion Lebensqualität eine starke Akzentsetzung auf die geistigen Fähigkeiten des Menschen aufweist. Es ist somit auch ein Instrument der Selektion geistig behinderter Menschen, denen eine geringere Lebensqualität zugeschrieben wird.
Die "Euthanasie" hat immer auch eine eugenische Komponente, die durch eine Unsäglichkeit des australischen Vorkämpfers für das ärztliche Morden, Peter Singer, drastisch zum Ausdruck kommt, wenn er beklagt, daß von den GegnerInnen der Euthanasie "selbst das Leben des hoffnungslosesten und unheilbar hirngeschädigten menschlichen Wesens über das Leben eines Schimpansen (ge)stellt" wird.
In der ganzen "Euthanasie"-Diskussion wird der behinderte Mensch lediglich als finanzielle, psychische und soziale Last gesehen. Es wird unterstellt, daß er sich selbst nichts als eine Qual sei - und auch der Allgemeinheit. Behinderung wird als Übel definiert. Eltern sind nach dieser Doktrin von diesem Übel zu befreien, d.h. ein behindertes Neugeborenes soll keine medizinische Hilfe zum Überleben erhalten, oder auch - in der extremeren Variante - wenn diese Hilfe nicht notwendig ist, umgebracht werden. Die Tötung des Kindes soll auch die Eltern motivieren, ein weiteres Kind zu zeugen, das dann vielleicht der Norm entsprechend auf die Welt kommt.(1) Durch diese Argumentation sehen sich behinderte Menschen ständig damit konfrontiert, daß ihnen die Existenzberechtigung abgesprochen wird.
Wenn in die Debatte die Formel vom selbstbestimmten Sterben eingeworfen wird, so ist das purer Zynismus. Die "Euthanasie" ist keine Serviceleistung, sondern ein mörderisches Mittel der Selektion. Jene, denen kein Nutzen mehr abgerungen werden kann, werden aussortiert. Auf die dabei erreichte Kostenersparnis wird schamlos hingewiesen. Das Leben von Menschen, die der Assistenz und Pflege bedürfen, wird gegen angebliche und tatsächliche finanzielle Belastungen aufgewogen. Einzelinteressen und individuelle Handlungen werden nach ihrer objektiven Nützlichkeit untersucht, diese Nützlichkeit wird gegen ein unterstelltes Allgemeininteresse aufgewogen. Utilitarismus oder praktische/angewandte Ethik nennt sich dieser Prozeß, an dessen Ende ein Todesurteil stehen kann.
Sollte es zu einer gesetzlichen Legalisierung des ärztlichen Tötens
kommen, so wird es aller Voraussicht nach eine in der ganzen EU vereinheitlichte
und gültige Regelung sein. Daher lohnt es, sich die Gegebenheiten
in anderen EU-Staaten anzusehen, um die Bedingungen zu begreifen, aus denen
ein solches Gesetz entstehen könnte. Exemplarisch soll das hier anhand
dreier Beispiele geschehen.
Zwei Jahre später wurde ein "Euthanasie"-Gesetz erlassen. Dieses
erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. Einwilligung der Patientin)
die Tötung durch die ÄrztIn und macht sie meldepflichtig. Dieses
Gesetz wäre schon schlimm genug. Es gibt aber auch eine Menge begründeter
Befürchtungen, daß die Voraussetzungen oft nicht gegeben sind
und die Meldepflicht nicht eingehalten wird.
Die Bundesärztekammer hat in ihrem 1997 erlassenen standesrechtlichen Kodex Richtlinien zur ärztlichen Sterbebegleitung und Grenzen zumutbarer Behandlung die Behandlungsbegrenzung, wie sie es nennen, und die daraus resultierende Tötung zur therapeutischen Maßnahme erklärt. Das Behandlungsende kann also genauso wie eine Behandlung ärztlich verordnet werden. Damit wurde die "Euthanasie" faktisch legalisiert, ohne daß sie gesetzlich erlaubt wäre, da das Beenden einer Therapie keine strafbare Unterlassung mehr ist, sondern zur medizinisch indizierten Maßnahme umgedeutet wurde.(3)
Nicht nur bei Sterbenden darf eine weitere Behandlung als unzumutbar definiert werden, sondern auch bei unheilbar Kranken, die, wie ausdrücklich festgehalten wird, "vor der Finalphase menschlichen Lebens stehen". Unheilbare Krankheiten gibt es im klinischen Sinne viele: einige Krebsarten, Multiple Sklerose etc. Der Zeitpunkt der Behandlungsbegrenzung ist nicht fixiert, er könnte also bis zur Diagnose vorverlegt werden.
Unheilbar Kranke werden in den Richtlinien noch in drei Gruppen unterteilt, deren Definition aber sehr schwammig bleibt. So gibt es eine große Bandbreite an Interpretationsmöglichkeiten. Es sind "PatientInnen mit infauster (=aussichtsloser; Anm.) Prognose und rasch fortschreitendem Krankheitsprozeß", Menschen im Wachkoma(4) und "Neugeborene mit schwersten kongenitalen (=angeborenen; Anm.) Fehlbildungen", deren Leben nur mit technischen Hilfsmitteln erhalten werden kann.
Bei diesen drei Gruppen müssen für die Tötung durch den Therapieabbruch zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Einwilligung der PatientIn muß vorliegen, und eine sogenannte Basisversorgung muß geleistet werden. Diese umfaßt Zuwendung, Körperpflege, Schmerzlinderung, Flüssigkeitszufuhr, Freihalten der Atemwege und natürliche Ernährung. Die medizinische Fachliteratur schließt nicht nur die Nährinfusion, sondern auch die Sondenkost über den Magen von der natürlichen Ernährung aus. D.h. die PatientIn darf, wenn sie nicht essen kann, durch Verhungernlassen getötet werden. Bei den Sterbenden wird nicht auf die Einwilligung und die Basisversorgung hingewiesen. Der Tod kann hier also auch durch Ersticken- und Verdurstenlassen provoziert werden.
Regelung bezüglich der Erklärung des Willens der Betreffenden: Für Neugeborene wird diese wohl von den Eltern gegeben. Bei einwilligungsunfähigen Personen ist die ÄrztIn aufgefordert, ihren mutmaßlichen Willen (sic!) festzustellen. Dabei sollen religiöse Überzeugung und allgemeine Lebenseinstellung der Betreffenden in Betracht gezogen werden, "als auch Gründe, die die Lebenserwartung und die Risiken bleibender Behinderung sowie Schmerzen betreffen". Ist der mutmaßliche Wille nicht feststellbar, so kann über Gericht eine Person bestellt werden, die die Einwilligung zur Tötung geben darf.
Es wurde hier versucht zu zeigen, daß die "Euthanasie" keine Zukunftsvision
ist. Sie ist bereits betriebene Praxis. Sie steht in einer langen Kontinuität
(vgl. ökonomische und eugenische Argumentationsmuster), die im deutschen
Faschismus ihren Höhepunkt erreicht hat, aber bis ins Ende des 19.
Jh. zu verfolgen ist. Ist die Tür einmal geöffnet und die Tötung
nur weniger legitimiert, kann die Argumentation unbegrenzt erweitert werden.
Das ärztliche Morden wird nicht nur von ein paar Leuten mit Allmachtsphantasien,
sondern von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen. Diesen gilt
es zu brechen. Für ein selbstbestimmtes Leben!
O. Tolmein "Der vermessene Mensch" in: ders. "Wann ist der Mensch ein Mensch?"
U. Sierck "Die neue 'Euthanasie'-Diskussion" in: ders. u. D. Danquart
"Der Pannwitzblick"
2.) Die Lebensqualität wird in GB mit der Rosser-Matrix ermittelt. Die Idealnote 1 erhält ein Leben ohne Schmerzen und Behinderung. Ein Leben im Rollstuhl mit starken Schmerzen wird mit dem Tod gleichgesetzt. Beides wird mit Null benotet. Bettlägrige PatientInnen liegen mit minus 1,486 darunter. Dies läßt leicht erkennen, wie hier das Leben relativiert wird. [zurück]
3.) Auf diese Weise sparte mensch sich die mühevollen demokratiepolitischen Instanzen und störende öffentliche Debatten, die es bei einer gesetzlichen Regelung gegeben hätte. Die Richtlinien wurden von einem nicht-gewählten siebenköpfigen Gremium unter Ausschluß der Öffentlichkeit beschlossen. [zurück]
4.) Wachkoma (apallisches Syndrom) ist eine spez. Art der Bewußtlosigkeit, die ev. sehr lang dauern kann. Manche Menschen wachen überhaupt nicht mehr auf, andere erholen sich sehr gut. [zurück]
aus: TATblatt Nr. +93 (5/98) vom 12. März 1998
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