von zweien von YA BASTA
Uns erwartet ein "heißer" Konferenzfrühling, der unter der Ägide von WTO, Internationaler Währungsfonds / Weltbank, G-7, OECD, EU und anderen regionalen Integrations- und Freihandelsverträgen eine neue weltweite Deregulierungs- und Privatisierungsoffensive einleitet. Als Beispiele seien hier das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI), das Wirtschaftsabkommen zwischen EU und Mexiko und die Europäische Währungsunion genannt. Die 1. Konferenz von Peoples Global Action against "Free Trade" and WTO (PGA) hat deutlich gemacht, daß nur eine globale Allianz des Widerstands immer mehr Menschen ermutigen und mobilisieren kann, die alltägliche Praxis zu verändern, sich von den Marktgesetzen und von der Sucht nach privatem Profit zu befreien, damit wirksam gegen die Allgewalt der Transnationalen Konzerne und ihre HelferInnen in staatlichen Bürokratien sowie neuen und alten supranationalen Regulationsinstanzen vorgegangen werden kann.
"Die WTO, der IWF, die Weltbank und andere Institutionen, die die Globalisierung
und Liberalisierung vorantreiben, wollen uns glauben machen, daß
globale Konkurrenz segensreiche Auswirkungen für alle besitzt. Angesicht
der breiten Palette von Forderungen, die in unseren vielfältigen Kämpfen
erhoben werden, antworten sie auf eine immer gleiche Art und Weise: 'Fahrt
fort, eure menschlichen Bedürfnisse den Bedürfnissen des globalen
Marktes unterzuordnen.' Die Konkurrenz zwischen Ländern, Industriezweigen,
Regionen und Städten spielt jedoch nur die Menschen gegeneinander
aus. Wir haben genug gesehen von dieser inhumanen Philosophie. Wir sagen:
'Es reicht!' Wir sind es, die die Folgen erleiden müssen. Wir verweigern
uns den Prinzipien der Konkurrenz und der Wettbewerbsfähigkeit als
vermeintliche Lösungen für die Probleme der Menschheit. Statt
dessen unterstützen wir die Prinzipien gegenseitiger Solidarität
im Rahmen von Würde, Gleichheit, Gerechtigkeit und Freiheit." So heißt
es im Entwurf der politischen Selbstverständniserklärung, die
von den 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus aller Welt über drei
Tage hinweg entworfen und diskutiert wurde und die als offenes Dokument
weltweit verteilt und dann unterzeichnet werden soll. Ziel ist der Aufbau
eines wirksamen internationalen Koordinierungsnetzes auf Grundlage einer
konfrontativen Strategie und mit dem entschiedenen Willen, neue autonome,
demokratische und an lokalen Interessen der Menschen orientierte wirtschaftliche
und soziale Alternativen zu gestalten. Damit die zerstörerische Logik
kapitalistischer Durchdringung, Ausbeutung, Enteignung und die dadurch
verursachten unsäglichen Leiden beendet werden. "Wir sind uns der
Verpflichtung und der Notwendigkeit bewußt, eine neue Welt zu schaffen",
heißt es im letzten Abschnitt des Manifests. In den vielen geographischen
und thematischen Diskussions- und Arbeitsgruppen sowie in vielen informellen
Gesprächen wurden sich wohl die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer
des äußerst gelungenen Treffens bewußt, wie "produktiv"
und hilfreich es sein kann, wirklich voneinander zu lernen, sich zuzuhören
und ganz neue Erkenntnisse bzw. Blickfelder zu gewinnen. Wie? Durch gemeinsame
Reflexion, die gemeinsame Aktion und das gemeinsame Feiern und Zusammensein.
Nichts symbolisiert besser die "Produktivität" dieses Dreiklangs als
die bewegende, kämpferische, bunte und rhythmenreiche Demonstration
am 25. Februar, die ohne Polizeibegleitung für Stunden den Verkehr
in Genf lähmte und so ausdrucksstark den politischen Willen der PGA-Konferenz
hinausposaunte. Die Bereitschaftpolitizei war dann am WTO-Gebäude
um so mehr präsent. Dort ging sie gewaltsam gegen einige DemoteilnehmerInnen
vor, damit diese nicht der WTO eine Resolution überbringen konnten.
Dennoch stiegen die Leute über die Absperrungen, kletterten unbemerkt
auf die 3 Meter hohen Steinsäulen der Eingangstore und entfalteten
dort unter den Blicken der hilflos umherlaufenden Polizei sowie dem Beifall
der Demonstration ein Transparent der osteuropäischen Delegationen.
Die emotionsgeladenen Reden der abschließenden Kundgebung rundeten
diesen stimmungsvollen Tag ab. Welche mit dabei waren, denen wurde klar,
daß all diese Menschen nicht mehr aufzuhalten sind und nicht eher
aufhören zu kämpfen, als Unrechtssysteme wie z.B. die WTO ausgetilgt
sind.
"The WTO kills people - kill the WTO!" schrien alle so energisch, daß
es an den Fenstern der Globalisierungs-StrategInnen zurückschallte.
Mit dem gleichen Slogan kündigten Delegierte der "National Alliance
of Peoples Movements for Just and Sustainable Development" (Indien) an,
daß sich am 18. Mai, dem Tag des Beginns der 2. Ministererialkonferenz
der WTO in Genf, über eine Million Menschen aus Protest gegen Vertreibung,
soziale und ökologische Zerstörung, Ausbeutung und Repression
auf den Straßen Indiens zusammenfinden werden. Für den gleichen
Tag kündigt das Weltforum der Ernte- und FischarbeiterInnen Aktionen
in 35 Ländern an. Gleichzeitig werden die TextilarbeiterInnen Bangladeschs
an diesem Tag in einen landesweiten Streik treten, um gegen die WTO zu
demonstrieren. Das offizielle WTO-Treffen, das eine neue Runde von Verhandlungen
und weit über die Uruguay-Runde hinausgehende Handelsliberalisierungen
einleiten soll, wird nicht in Ruhe gelassen werden. Es sind die vielfältigen
Aktionen am Konferenzort selbst, die von einem breiten städtischen
Bündnis getragen werden. Zum Beispiel wird zu den 60 derzeit besetzten
Häusern in Genf am 18. Mai noch eins dazukommen, denn mit internationaler
Beteiligung soll ein Haus besetzt werden, daß dann u.a. als Koordinierungbüro
für die PGA dienen soll. Es wird alles versucht, um es den WTO-Delegierten
so schwierig wie möglich zu machen, sich fortzubewegen bzw. miteinander
zu kommunizieren. Schwerpunkt bleibt dennoch die dezentral auf dem Globus
stattfindenen Aktionen. Ein auf dieser PGA-Konferenz bestimmtes Presseteam
wird den internationalen Medienvertretern ein exaktes Bild aller weltweit
stattfindenden Protest- und Widerstandsaktionen vermitteln. Die Genfer
Konferenz von PGA, die von einer Reihe von Roundtable-Gesprächen und
Koordinationstreffen begleitet wurde, stand im Zeichen der kontinentübergreifenden
Verknüpfungen. So wollen VertreterInnen aus der Ukraine vom 8. bis
11. Mai in Kiew gegen die Jahrestagung der "Europäischen Bank für
Entwicklungs- und Wiederaufbau" (EPRD) vorgehen und suchen dazu mit ihnen
solidarische Menschen und Gruppen, die gleichzeitig vor der Bankzentrale
in London sowie in den anderen europäischen Vertretungen Präsenz
zeigen. Koordiniert wurde auch eine internationale Kampagne gegen das Multilaterale
Investitionsabkommen (MAI) sowie gegen die Ölmultis. Ein Vertreter
der argentinischen Erziehungsgewerkschaft CETERA rief dazu auf, am 2. April,
dem Jahrestag des Beginns eines rotierenden Hungerstreiks der argentinischen
Lehrerinnen und Lehrer gegen die von der Weltbank auferlegten Budgetkürzungen
und Privatisierungen im Erziehungssektor des Landes, Zeichen der Solidarität
zu setzen. Weltweit mobilisiert die BäuerInnen-Koordination "Via Campesina"
am 17. April zu Aktionen für Ernähungssicherung, die Rechte der
KleinbäuerInnen und genetische Vielfalt sowie gegen "Freihandel" und
Agrarmultis. Die 70 VertreterInnen aus Süd- und Mittelamerika beschlossen
die gemeinsame Mobilisierung gegen den amerikanischen Freihandelsgipfel
vom 15. bis 18. April in Santiago de Chile. Die TeilnehmerInnen aus dem
afrikanischen Kontinent - eine ganze Reihe von VertreterInnen konnten wegen
Visaproblemen nicht anwesend sein - betonten die Forderung nach einer Balance
zwischen technischer Entwicklung und kultureller Identität sowie einer
endgültigen Abschaffung des Jochs der Auslandsverschuldung und viele
Organisationen haben ihre Unterstützung bei der Entschuldungskampagne
"Erlaßjahr 2000" zugesichert.
Globalisierung hat Namen und Adressen. Diese gilt es aufzudecken und
öffentlich zu machen. Das von EurobürokratInnen, Nationalbanken
und industriellen Lobbygruppen geschmiedete EU-Projekt ist das Projekt
der Globalisierung für Europa. Der Vorschlag der spanischen "Anti-Maastricht-Bewegung",
sich am 1. Mai dezentral in alle Demos zum "Tag der Arbeit" einzumischen,
um die am selben Tag im Wirtschafts- und Sozialrat der EU (ECOFIN) hinter
verschlossenen Türen und im kleinen Kreis der Elite stattfindende
Entscheidung über die Zugehörigkeit zum Euro zu denunzieren,
ist als gesamteuropäische Aktionsperspektive ebenso interessant wie
der EU-Alternativgipfel vom 9. bis 12. Juni in Cardiff. Die Idee ist, europaweit
- nach französischem Vorbild - simultan an mehreren Orten Arbeitsämter,
Handelsministerien, Börsen und Medienzentren zu besetzen bzw. zu blockieren.
Mitglieder französischer Arbeitloseninitiativen fahren am 5. März
ohne Ticket mit dem Zug in Richtung Deutschland los, um mit den Leuten
dort gemeinsam gegen die Arbeitslosigkeit zu protestieren und um zusammen
als gemeinsames Zeichen der Solidarität an den großen Sozialdemos
in Brüssel sowie in Paris, Rennes und in anderen Französischen
Städten am 7. März teilzunehmen. Eine Fahrradkarawane mit internationaler
Beteiligung will vom 2. bis zum 16. Mai die Strecke von der zukünftigen
"Eurobankstadt" Frankfurt zum WTO-Sitz in Genf zurücklegen, um die
Verknüpfung von EU-Projekt und weltweiter Deregulierung deutlich zu
machen. Es existiert ein Aktionskalender der internationalen "A SEED-Gruppen",
der die verschiedenen Kampagnen gegen die EU-Konferenzriege in diesem Frühjahr
und deren politischen Inhalte unter dem Titel "Hot Spring" zusammenfaßt
und bündelt. Es geht darum, scheinbar "normale" Arbeitsprozesse zu
stören und sie in Frage zu stellen: ISDN-Leitungen von Zeitungen unterbrechen
oder Großmärkte blockieren. Am 16. Mai werden weltweit in mehreren
Städten "Global Street Partys" nach dem Vorbild von "Reclame the Streets"
in London stattfinden, um gegen den Autowahn, die zunehmende Umweltzerstörung
und für die Rückgewinnung sozialer Räume einzutreten sowie
gleichzeitig die Anti-WTO-Kampagne zu thematisieren.
Die Aktionskonferenz war ein wichtiger Schritt, aber trotzdem nur der Anfang von einer länder- und regionenübergreifenden Koordinierung des Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung. In den regionalen Koordinationstreffen Lateinamerikas sowie der USA bzw. Kanadas wurden regionale Folgekonferenzen der Peoples Global Action (PGA) beschlossen. Dringend ist auch die Absicht, die eigenen politischen Inhalte in eine Sprache zu bringen, die auch den Selbstorganisationsansätzen der Marginalisierten und Ausgeschlossenen der Überflußgesellschaften zugänglich ist. Hilfreich dazu wird das PGA-Bulletin sein, das jeden Monat neu über die Widerstände weltweit informieren soll und regional in den jeweiligen Sprachen verbreitet wird. Erstellt wird es von einem Komitee, daß aus Organisationen aller Kontinente besteht und auf der Konferenz in Genf gewählt wurde. Dieses Komitee wird die wichtige Aufgabe haben, das Netzwerk von Peoples Global Action bis zur nächsten Konferenz zu koordinieren, die Informationsarbeit abzudecken und die nächste Konferenz vorzubereiten. Das emotionsgeladene Treffen in Genf zeigte ganz klar: es ist etwas in Bewegung. Die Menschen, die sich dort versammelten, verfolgen eine konfrontative Strategie, keine "reformistische". Das bedeutet eine frontale Haltung gegen die internationalen Institutionen und Transnationalen Konzerne einzunehmen und nicht mit üblicher "NGO-Strategie" Papierberge und Laberrunden zu produzieren. Ziviler Ungehorsam und lokale Alternativen stehen deshalb stellvertretend für den Grundkonsens der PGA. Zum ersten Mal hat sich ein "formeller" Rahmen gebildet für eine weltweite Koordination, um sich gemeinsam gegen die unmenschlichen Machtverhältnisse zur Wehr zu setzen. Entstanden aus dem Zusammenhang mit den beiden interkontinentalen Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus - die durch die EZLN vorgeschlagen wurden - heißt das, einen gemeinsamen Feind durch viele diverse Kämpfe zu attackieren und einen gegenseitigen, gleichberechtigten Austausch als Grundlage zu haben. Die erste Konferenz von PGA war dafür eine gelungene Aktion, trotz einiger Schwächen. Jetzt kommt es darauf an, wirklich zusammenzuwirken. Oder wie ein Delegierter aus Indien auf die Frage eines Journalisten antwortete, ob es weiterhin solche Treffen geben werde: "Wir werden solange weitermachen, bis die WTO tot ist." Dieses Zitat nahm die linke Tageszeitung "Le Courrier" (Genf) auf, die täglich und schon Monate vorher über PGA berichtete, um das Resultat der Konferenz zu formulieren und es soll auch für uns der treffende Abschluß sein.
aus: TATblatt Nr. +94 (6/98) vom 26. März 1998
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