TATblatt


Nationaler Aktionsplan für Beschäftigung

Der große NEPP!

Es soll die "Europäisierung der Beschäftigungspolitik" gewesen sein, auf die sich die RegierungsvertreterInnen der 15 EU-Staaten vergangenen November in Luxemburg geeinigt haben. Arbeitslosigkeit sei nunmehr ein issue der Europäischen Union, frohlockten auch GewerkschafterInnen quer über den (westlichen Teil des) Kontinent(s). Der österreichische Anteil an der 'Europäisierung' liegt nun (den Widerspruch zwischen Namen und Anspruch schlicht übergehend) in Form eines "Nationalen Aktionsplans für Beschäftigung" (NAP) vor.

TATblatt
"Insgesamt erscheint es (...) nicht unrealistisch, bis zum Jahr 2000 davon auszugehen, dass durch die angesprochene Konstellation von konjunktureller Erholung und intensivierter Politikintervention die Beschäftigung um etwa 100.000 zunehmen wird und sich die Arbeitslosenquote auf einen Wert von Nahe 3,5% reduzieren dürfte." Insgesamt recht viele Konjunktiva angesichts des Umstandes, daß das Ergebnis nichts weiter ist als eine gewisse realistische Chance, von etwas ausgehen zu dürfen. Der in der gewählten Formulierung nicht nur leise mitschwingende Zweifel könnte seine Wurzel bereits in den Grundannahmen haben, die dem NAP zugrunde liegen. Dem Schlagwort der "Europäisierung" folgend werden darin individuelle Problemlagen per EU-Vergleich relativiert:

"Die Arbeitslosenquote liegt nur in einem Mitgliedsland der EU auf einem niedrigeren Niveau, die Beschäftigungsquoten wiederum gehören zu den höchsten in der Gemeinschaft. Auch der Anteil der Langzeitarbeitslosen an allen Arbeitslosen und das Ausmaß an Jugendarbeitslosigkeit sind sehr niedrig." Das derart fortgeschriebene sozialpolitische Paradigma der "Insel der Seligen" hält leider einer genaueren Überprüfung nicht stand. Statistisch unvermeidbar ist, daß die Zuwachsraten der Arbeitslosenquote über jenen der Länder mit höherer Arbeitslosigkeit liegt; daß Österreich also in Sachen Arbeitslosigkeit quasi "aufholt". Die Beschäftigungsquote rückt erst dank Einrechnung südeuropäischer Länder mit sehr hoher Arbeitslosigkeit ins "europäische Mittelfeld", ist also im Vergleich, etwa zu Frankreich, England oder der BRD sehr niedrig. So gesehen ist es geradezu eine Drohung, wenn die Regierung verspricht, die "außergewöhnlich gut(e)" Arbeitsmarktlage in Österreich "bei der Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien (...) zu berücksichtigen.
 

Wacklige Säulen

EU-Usancen entsprechend steht die österreichische Beschäftigungspolitik nicht auf einer festen Basis, sondern "naturgemäß" auf "Säulen: Vermittelbarkeit, Unternehmertum, Anpassungsfähigkeit und Chancengleichheit". An Hand der beim Luxemburger Beschäftigungsgipfel erarbeiteten "Leitlinien" werden Ziele formuliert und Kontrollindikatoren festgelegt. Diesen folgt die Auflistung der geplanten Maßnahmen. Bisweilen fallen Ziele und Indikatoren zusammen. Oder, um es genau auszudrücken: klar definierte Zielindikatoren gibt es ausschließlich in jenem Kapitel, in dem es um Erleichterungen für UnternehmerInnen geht.
 

Säule der Ziellosigkeit

Wohl nicht ganz zufällig ist diese Form der Verwässerung einer Zielüberprüfbarkeit durchgängig im ersten Säulenkapitel "Verbesserung der Vermittelbarkeit" zu finden. Eine allgemeine Zielsetzung als kapitelübergreifenden Maßstab ersetzt die Evaluierungskriterien für die in Unterkapiteln geplanten Maßnahmen zur Umsetzung des Ziels.

Allgemeines Ziel ist

Auf diese Art und Weise erspart sich die Regierung die Umsetzung zielführender Einzelmaßnahmen (etwa die Schaffung gesetzlicher Bestimmung zur Förderung von Frauen in Betrieben; die Verlängerung der Behaltefrist nach Ende der Karenzzeit etc.), sofern nur am Ende die Gesamtrechnung stimmt. Einzelziele werden eben nicht evaluiert.

Damit ist aber auch offen, wie genau das Ziel erreicht werden soll: Der rein statistisch festmachbare Übertritt zur Langzeitarbeitslosigkeit könnte zB. auch durch Einschränkung des Zugangs zur Notstandshilfe verhindert werden. Der Verlust der Berechtigung zum Leistungsbezug führt zur Eliminierung aus der Statistik. Dementsprechende Vorschläge kamen dann auch vergangene Woche von ÖVP-Obmann Schüssel und Klubobmann Khol...

Für die Regierung besonders angenehm ist der Verzicht auf Überprüfbarskeitkriterien jeweils dort, wo konkrete Maßnahmen versprochen werden. So sieht der Plan in einer Zwischenüberschrift die Schaffung von Arbeitsplätzen im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich vor. Im Text zur Überschrift wimmelt es aber dann von Schlüsselbegriffen wie "kostendeckend" und "Startfinanzierung" (welche im Plan ungefragt den Ländern und Gemeinden übertragen wird; ganz abgesehen davon, daß gerade im Sozialbereich eine "Startfinanzierung" als Vorwegnahme des Projektendes anzusehen ist). Im abschließenden Zielsetzungs-Indikatoren-Mix kommt der Sozialbereich gar nicht mehr vor. Dafür werden "geschlechtsspezifische Zielquoten" versprochen (ganz so, als ob es sich bei den in den genannten Bereichen Beschäftigten nicht zu 85% um Frauen handelte). Unter dem Titel
 

"Säule II. Entwicklung des Unternehmergeistes"

hat sich die Bundesregierung wohl vorgenommen, die Folgen mehrerer Jahrhunderte an Vertreibung der Intelligenz aus Österreich wieder wettzumachen. UnternehmerInnen sollen z.B. in Zukunft in Genuß sogenannter "one-step-shops" kommen: Alle notwendigen Verwaltungsschritte können an einer Stelle erledigt werden. Beispielswirkung für andere Verwaltungsgebiete sind nicht zu erwarten: Eine derart weitgehende Verwaltungsvereinfachung stünde schließlich dem Ziel, neue Arbeitsplätze zu schaffen, entgegen (das würde Arbeitsplätze reduzieren). Unter dem Zwischentitel "Schaffung neuer Arbeitsplätze" findet sich ein besonderes Schmankerl: "Nutzung der Chancen der Bio- und Gentechnologie".

Nur angemerkt sei, daß der NAP just in jener Woche beschlossen wurde, in dem das Parlament dem Gentechnik-Volksbegehren den endgültigen Todesstoß versetzte...
 

Säule III. Förderung der Anpassungsfähigkeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern...

...ist ein Euphemismus [eine beschönigende Umschreibung] für Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Angestrebt werden etwa die "Entkoppelung von Betriebszeiten und Arbeitszeiten", die "Anpassung der Arbeitszeit an Produktionsschwankungen" oder "Arbeitszeitmodelle zur Beschäftigungsverlagerungen in Saisonbranchen". An eine generelle Arbeitszeitverkürzung hingegen wird "nicht gedacht". Dafür soll's "verstärkte Beratung der (...) Belegschaftsvertreter" geben. Im Übrigen ist auch an eine Ausweitung der Möglichkeit, Menschen auf Werkvertrag zu beschäftigen, gedacht.
 

Säule IV. Chancengleichheit

...zeichnet sich insbesondere durch Anführung von Maßnahmen aus, die bereits vor längerer Zeit beschlossen wurden. Verräterisch sind etwa jene Passagen, die den Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen im kommenden Jahr versprechen. Diese Maßnahme wurde längst beschlossen - und als unzureichend erkannt. Auffallend auch, daß in diesem Kapitel, anders als in jenem Unterkapitel zum Sozialbereich, von keinerlei geschlechtsspezifischer Zielquote die Rede ist (es könnte ja sonst irgendwelche Auswirkungen haben). Dafür sind darin fallweise große I's anzutreffen.

In sich haben es schließlich die "sonstigen Maßnahmenfelder". Unter dem Zwischentitel "Infrastruktur" ist gleich als erste Maßnahme die "Deblockierung von geplanten Bauvorhaben" genannt. Wenig später ist von der "Vervollständigung des hochrangigen Bundesstraßennetzes" die Rede. Arbeitsplätze schaffen dürfte auch die "Konzentration von Kompetenzen zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft bei einer Behörde".

Fazit: Der Nationale Aktionsplan für Beschäftigung ist nichts anderes als die Fortschreibung der bisherigen Politik. Die Story von den 100.000 neuen Arbeitsplätzen relativiert sich angesichts der 80.000 ohnehin von WirtschaftsforscherInnen prognostizierten. Inhalt und Form der neuen Arbeitsplätze sind zweitrangig.

War wohl auch nicht anders zu erwarten gewesen...
 


aus: TATblatt Nr. +97 (9/98) vom 7. Mai 1998
(c)TATblatt
Alle Rechte vorbehalten
Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken, alternativen und ähnlichen Medien ohne weiteres gestattet (Belegexemplar erbeten)!
In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin (siehe Impressum)


[zum TATblatt-Inhaltsverzeichnis]