Timur und sein Trupp: Interim 463 März 1998 [ zurück ]
Entstanden ist die Aktionsidee von Erwerbslosenaktionstagen zunächst aus der militanten Wucht der Proteste in Frankreich. Da waren auch wir erstmal freudig überrascht. Die Ausgeschlossenen lassen sich dort wohl nicht so still und billig abservieren wie das bislang in hiesigen Breitengraden der Fall ist. Doch fast ganz im Sinne einer in Deutschland nicht unüblichen "präventiven Konterrevolution" wurde die Idee von Arbeitslosenprotesten hier zunächst einmal zu einer Erfindung der Massenmedien. Weil denen wohl aktuell gerade kein anderes "Thema" einfällt, wurde dann auch der erste Aktionstag Anfang Februar entsprechend im Vorfeld gehypt. Und bevor noch irgend jemand auf irgend einen autonomen Begriff von der aktuellen gesellschaftspolitischen Situation hier gekommen ist, wurde auch schon jeder Anflug einer neun Idee im Zusammenhang des ersten Erwerbslosentages - ganz ähnlich wie die Studentenproteste - in großer Zustimmung und überallgemeinen Wohlwollen - schlicht ersäuft.
Doch Arbeitslosigkeit ist erstens kein "Thema" und zweitens gerade in diesen kapitalistischen Freibeuterverhältnissen zutiefst bedrohlich. Da macht uns zwar die "Öffentlichkeits"- Unterhaltung der Massenmedien die Birne weich, aber auch das hilft nicht weiter. So haben auch wir uns im März erstmals an der Arbeitslosendemonstration vor dem Landesarbeitsamt in der Friedrichstraße beteiligt.
Nachdem der offizielle DGB wegen dem bißchen Bewegung vom letzten Mal - daß übrigens dem Genossen Wolfgang zwischenzeitlich wg. Landfriedensbruch schon ein paar Wochen Knast eingebracht hat - kalte Füße bekommen hat, und sich mit einer extra Hauskundgebung in der City pflichtschuldigst entsolidarisiert hat, sprangen für die Friedrichstraße diesmal die gewerkschaftlichen Arbeitslosigkeitsgruppen und eine tragische Figur eines Ost-Arbeitslosenverbandes als Anmelder ein.
An dieser Stelle sollen die Sektiererbemerkungen kurz gehalten werden, da es zu den Gewerkschaften in der gegebenen Form soviel nicht mehr zu sagen gibt. "Der DGB tut dem Kapital nicht weh!" ist als Aussage zwar noch immer richtig, besitzt aber nicht mehr die geringste Brisanz. Einerseits ist es aktuell die Aufgabe des DGB den Konkurs des fordistischen Hochlohnarbeitsgehäuses möglichst "sozialverträglich" zu Ende zu verwalten. Und das bedeutet zugleich, die Niederlage aller dagegen gerichteten Proteste zu organisieren, die darüber hinausweisen. Andrerseits existieren aber dort ein paar marginalisierte Arbeitslosengruppen, die sich vielleicht mit Hilfe der allmonatlichen Protesttage wenigstens selbst eine mittelfristige Perspektive von etwas, was wir als Arbeitslosenmanagement im Sinne von NGO bezeichnen wollen, zu verschaffen. Auf jeden Fall steht zu vermuten, daß seitens der Gewerkschaftsscenerie im Interesse eines SPD-Wahlsieges zumindest bis zur September-Bundestagswahl die Absicht besteht, das "Thema Arbeitslosigkeit" am köcheln zu halten. Wahre Worte, die dennoch drohen über die Trostlosigkeit der ganzen aktuellen politischen Situation hinwegzuschwadronieren, denen eben auch die traditionelle Arbeiterbewegungslinke selbst unterliegt.
Das Wetter war diesmal vor dem Landesarbeitsamt in der Friedrichstraße nicht gut, und es sind, wenn man einmal die vielen Bullen abrechnet, wenig Leute gekommen. Warum soll man auch zu einem Demonstrationsort und Anlaß gehen, der so angelegt ist, das eigentlich so gut wie alle die noch vernünftig denken können, von dort aus eigentlich so schnell als möglich wieder weg wollen?
Vor dem Arbeitsamt war eine Lautsprecheranlage aufgebaut, die zwar von zu vielen Gewerkschaftsfahnen umrahmt waren, auf der aber nach und nach alle Leute reden konnten, die das "für sich wollten". (Antiimp-Formulierung der 80er). Einzelne Beiträge waren da zwar nicht schlecht, doch in einer Gesamtschau betrachtet ,waren sie ein wirres Gemisch aus den verschiedensten Forderungen nach dies und das, sowie verquirlt mit Appellen an Politiker, Arbeitsamtsbeamte, Kirchen, an die Öffentlichkeit und zu allem Überfluß auch noch an einen selber. Auch wenn wir einige der vielen aufgestellten Forderungen nicht unsympathisch fanden - "Mehr Kohle für alle Arbeitslose, keine Meldeschikanen mehr" usw., - allein sie verhallten irgendwie nach nirgendwo hin. Es scheint wo aktuell so zu sein, daß die Philosophen der Welt verschiedene Forderungen aufstellen, die dann erstmal auch niemanden mehr stören. Eben: Arbeitslosigkeit als "Thema" ist einfach eine völlig entsubjektivierte Veranstaltung, wo es zwar viele Forderungen aber keine Assoziation gibt. Ein Redner der zwar richtigerweise, aber mit etwas zu komplizierten Argumenten SPD-Schröder schlecht redete, wurde von einem nicht unbeträchtlichen Teil der Anwesenden ausgebuht.
Überhaupt drohte die Stimmung bei zu vielen Anwesenden bei dieser Kundgebung latent in ein reaktionäres Fahrwasser à la: "Wir sind das Volk!" oder noch schlimmer: "Wir wollen Arbeit!" umzukippen. Nichts gegen eine Wut auf die beschissenen Verhältnisse, und den bedrohlichen Ausschluß, den diese bewirken; aber damit Politik machen à la anwesendes 'Proletarisches Komitee' auf seinem Flugi: "Unsere Wut auf die Straße ..." Nee, schönen Dank auch, scheiß' was auf so eine "Wut"! Die Obsession danach, vielleicht doch irgendwie und irgendwo noch einem Platz auf der Galeere zu ergattern, ist bei vielen in diesem Land wirklich bis in den tiefsten Winkel der Psychostruktur eingebrannt. Bedrohlich. Gründe also mit "denen" nichts zu tun haben zu wollen, gibt's eigentlich zu hauf. Hinzu kommt der Umstand, daß wenn man sich einmal die an dieser Kundgebung teilnehmenden Leute (ohne die Bullen!) anguckt, einem sehr deutlich wird, daß vielen die Armut (wenn auch noch nicht der Hunger) ins Gesicht und auf die Kleidung geschrieben steht. An diesem Ort noch nicht einmal mehr, wie in den 80ern, wenigstens mit grünen Aufsteigern politisch verstrickt, sind wir wohl ganz schön arm dran. Anders noch als auf den Treffpunkten der Autonomen wird für uns an diesem Ort zwischen den Leuten keine 'Jugend' 'Power' und 'Sexualität' mehr verteilt. Und wenn wir selbst in den Spiegel gucken, sieht's auch nicht besser aus. Mist!
(Beste Parole auf der Kundgebung) Ist also für uns die Zeit gekommen, nicht wieder hinzugehen, um dann endlich in diesen Verhältnissen wenn auch nicht allein, so aber doch wie von oben erwünscht, isoliert "den Löffel abzugeben"? Sicher ist da nur, daß General Schöngnom auch dir dann augenzwinkernd auf die Schultern klopfen wird. Doch was bleibt? Gerade wo uns selbst auch schon anfängt, das Wasser in die Nähe des Halses zu steigen, kommen wir wohl um eine neue Anstrengung nicht herum.
Was wir brauchen, das müssen wir uns wohl wieder selber nehmen. (Richtige Sponti-Weisheit der 70er) Doch dafür brauchen wir einen ganz neuen Begriff für eine ganz neue Welt; eine Welt in der es keine Arbeit sondern nur noch ein glückliches und reiches Tätig-Sein geben wird. Ohne Ausrufezeichen. Auf dem Weg zur Störgröße.
Timur und sein Trupp
Interim 463 März 1998