Timur und sein Trupp: Interim 337/1995 [ zurück ]
Was ist eigentlich aus der ehemaligen Oppositions-Scene der DDR geworden, nachdem dieser spätstalinistische Staat aus der Weltgeschichte abgetreten ist. Für dieses Milieu hat sich irgendwann einmal im öffentlichen Diskurs der zwielichtige Begriff des "Bürgerrechtlers" breit gemacht. Eine Beschäftigung lohnt sich deshalb, weil es sich doch bei der DDR-Opposition um eine Ansammlung von Nonkonformisten zu handeln schien, die sich in vielfältigen Formen dem Totalitätsanspruch des anderen deutschen Staates entzogen oder entgegengestellt haben. Und soetwas beansprucht zunächst allemal mehr Sympathie als beispielsweise das immer noch existierende STASI-Bullen-Milieu in der PDS.
Natürlich ist es immer schwer zu sagen, wer genau zu einer "Scene" dazu gehört und wer nicht, bzw. was eine Scene überhaupt ausmacht und charakterisiert. Wahrscheinlich besteht soetwas wohl immer in einer Mischung aus Jugend-Subkultur, künstlerischer Boheme und ein paar verstreuten Intelligenzlern. In der DDR ist diese Opposition in besonderer Weise dem Einfluß der protestantischen Kirche als eine Art "staatlich geduldeter Freiraum" ausgesetzt gewesen. Hinzu kam eine umfassende, manchmal plump-brutale, staatliche Repression, die Leute oft "gleich" und "politisch" gemacht hat, die nichts miteinander zu tun haben (wollen) und eigentlich auch gar nicht "politisch" waren. Zudem gilt: Nicht mal eine Oppositions-Scene kann völlig frei von Moden einer oft kurzlebigen Neugier oder gar von Opportunismus in den verschiedensten Schattierungen sein.
kann gesagt werden, daß die ehemalige DDR-Oppositionsscene so gut wie vollständig aufgehört hat zu existierten. Sie ist nach der "Wende" einfach auseinandergefallen und zwischenzeitlich in alle Winde verstreut. Viele aus der Scene ließen sich von den Parteien kaufen oder sind anderweitig in den Institutionen des bürgerlichen Staates, als Parlamentsabgeordnete, Schreiberlinge, Minister usw. untergekrochen. Keine der im Bundestag vertretenen Parteien verzichtet darauf, sich seinen "Bürgerrechtler" zu halten.
Das was wir ansonsten heute öffentlich als "Bürgerrechtler" zugemutet bekommen, bietet uns, insgesamt betrachtet, ein mehr als klägliches Bild: Der grüne Bundestagsabgeordnete Poppe dilletiert als Kriegsfanatiker in Sachen Bosnien; die moralinsaure Bärbel Bohley geistert als antisemitisch angehauchte Gysi-Jägerin durch die Gazetten der bürgerlichen Presse; der infantile Jens Reich präsentiert sich mit ökofaschistischen Vorstellungen, und ein W. Templin und eine F. Klier probieren sich gleich directemang als strunzdumme "Neue Rechte". Mittlerweile tritt uns das Denken von "Bürgerrechtlern" in Form eines ekligen Gebräu als ressentimentgeladenes dichotomisches Täter-Opfer-Sauber-Unschulds Gesabbels entgegen. Munitioniert von der durch die herrschende Macht schlau betriebene, und im ehemaligen Osteuropa exklusiven, Outing- Erpressungs- und Abschußbehörde GAUCK, lallen "Bürgerrechtler" in der all monatlich laufenden STASI-Soap-Opfer-Opera ein gesellschaftstheoretische Katastrophe nach der anderen vor sich hin. Ohne Not wird der vor `89 erworbene moralische Widerspenstigen-Kredit für ein Linsengericht verlabert. Vielleicht entbehrt das individuelle Schicksal einiger "Bürgerrechtler" nicht in jeden Fall einer gewissen persönlichen Tragik: Niemand kann behaupten, daß es eine schöne Situation für die Betroffenen ist, in dieser kapitalistischen Wolfsgesellschaft politisch fast bedeutungslos irgendwo in eine stille Ecke verschoben zu sein, und zuweilen als dummer August oder Augustine vor eine Kamera der PAY-TV`s gelockt zu werden. Aber wie immer man es zu wenden versucht: Kein Weg führt an der Erkenntnis vorbei, daß es in der Geschichte dieses Landes schon immer gefährlich war, wenn politisch Frustrierte versuchen "Politik zu machen"; und sich selber dabei auch noch als "sauber" und "unschuldig" halluzinieren; ganz so als wüßte niemand, daß nörgelnde Jammerlappen nicht immer auch schon ganz ausgekochte Lügner waren.
Es wäre unseren "Bürgerrechtlern" gegenüber zuviel der Ehre, würde man sie als "Konterrevolutionäre" bezeichnen. Das stimmt auch deshalb nicht, weil in der gesellschaftlichen Realität der DDR - frei nach Rudi Dutschke - zwar vieles verstaatlicht und fast alles real war, nur eben nicht der Sozialismus und die Revolution. Und es ist nur logisch, daß dort, wo keine "Revolutionäre" Platz gefaßt haben, es auch keine "Konterrevolutionäre" geben konnte. Die SED-Stalinisten haben in vierzig langen Jahren wirklich gründliche deutsche Wertarbeit darin geleistet, die kritischen Geister und lachenden Linksintellektuellen solange wahlweise in die Knäste zu sperren oder gleich ganz weg zu jagen, bis nur noch ein schäbiges Häuflein von Idioten, Narren (im schlechten Sinne), Medienpuppen und Wichtigtuern unter dem Sammelbegriff "Bürgerrechtler" als gesellschaftliche Opposition übrig geblieben sind. Allmählich wird offenkundig, daß eine Reihe dieser "Bürgerrechtler" eine Symbiose von Stalinismus und autoritären protestantisch-fundamentalistischen Mentalitäten in der Prägung ihrer Biographie eingegangen sind, die nur noch als dubios bezeichnet werden kann. Das sie sich dabei als "Antikommunisten" verstehen mögen, mag man ihnen ja noch abnehmen; schließlich ist dieses Etikett in diesen Landen schon immer billig zu haben gewesen. Aber das von den "Bürgerrechtlern" gleichfalls in Anspruch genommene Label "antistalinistisch" verkennt den Zusammenhang zu ihrem eigenen Werdegang in der DDR-Gesellschaft: Seit geraumer Zeit können wir in Rußland die Transformation einer nationalbolschewistischen Intelligenz in einen neuen, gemeinschaftstümmelnden, moralistisch aufgepumpten Rechtsradikalismus beobachten. In den von "Bürgerrechtlern" benutzten Argumentationsfiguren gehen sie einen ähnlichen Weg. Und das ist alles ein ganz großer Mist. Insofern sind auch diese "Bürgerrechtler" ein weiteres schlechtes Vermächtnis der toten DDR in die Berliner Republik.
Timur und sein Trupp
Interim 337/1995