Timur und sein Trupp: Interim 340/ Sommer 1995 [ zurück ]
Ende Juni `95 besorgte die Kohl-Kinkel-Bande und eine Mehrheit des Bonner Parlaments die Entscheidung für einen Kriegseinsatz der Bundeswehr im ehemaligen Jugoslawien. Zentrale Begründung für diesen historisch bedeutsamen Entschluß war der von der Bundesregierung hinter den NATO-Kulissen herbeigedrängelte Anspruch auf "Bündnisfähigkeit" und nicht der Einsatz gegen "ehtnische Säuberungen". Warum auch? Mit soetwas verfügt man ja in diesen Breitengraden, angefangen von Hoyerswerda, Mannheim-Schönau bis nach Rostock über eine Reihe von praktisch-politischen Erfahrungen.
Mit der Entscheidung zum Militäreinsatz haben Kriegsminister Rühe und Stahlrollstulfahrer Schäuble ein weiteres vorläufiges Ziel erreicht: Der Jugoslawien-Kriegseinsatz der Bundeswehr ist nicht nur Ausdruck für ein außen-, sondern auch für ein innenpolitisches Gesellschaftspogramm. Bislang mutet aber dieses Programm in seiner aktuellen Praxis noch diffus und unscheinbar an: Wir sind noch nicht Zeugen von nationalistischen Wogen oder gar einer allgemeinen Generalmobilmachung geworden. Und sieht man vielleicht von der großen Tecno-Love-Parade Anfang Juli in Berlin ab, so durchziehen auch keine militaristischen Klänge das Land. Es ist ein Mißverständnis zu glauben, daß die als "modern" bezeichneten Technologie-Kriege der Gegenwart soetwas wie eine Massenbegeisterung von unten noch benötigen würden. Das Bundeswehrkontigent nach Jugoslawien besteht fast ausschließlich aus hochbezahlten Freiwilligen, die da "unten" erstmal nichts anderes zu tun scheinen, als "ihren Job"; alles begleitet von einer einlullenden "Popaganda des Professionellen". Wer da als Soldat aus "Gewissen" nicht mitmachen mag, der braucht`s auch nicht; eine von Bundeswehrführung aus den gigantischen Verweigerungszahlen während des Golfkrieges schlau gezogene Konsequenz.
Auch wenn wir selbst keine Pazifisten oder gar Isolationisten sind, so sind wir doch unmißverständlich gegen den Kriegseinsatz der Bundeswehr in Julagoswien. Natürlich ist dabei die Einsicht, daß Krieg immer das allerschlechteste Mittel zur Lösung gesellschaftspolitischer Konflikte ist, ein banaler Gemeinplatz, - der aber doch wahr ist und bleibt. Von wo aus gelangt man aber zu einer "politischen Position" zu dem ganzen Geschehen ?
Ein Medien-Blick auf die Situation in Julagoswien selber ergibt eher eine zunehmende Ratlosigkeit. Je mehr man dort hin schaut, desto fremder schaut es zurück und überall tun sich eine Vielzahl von Zwickmühlen auf. Sicher ist nur, daß an der Form, in der uns seit vier Jahren seitens der Medien immer wieder einzelne Tote aus Sarajewo aufgedrängelt werden, absolut nichts stimmt. Was aber stimmt dann ?
Es ist richtig, davon auszugehen, daß sich in Julagoswien verschiedene, ethnisch maskierte Nomenklatura-Banden, wahlweise mit reaktionär-faschistischen-neostalinistisch-natinonalistischen Programmen, gegenseitig bekämpfen. In einer polit-ökonomischen Betrachtungsweise kann dabei durchaus von einem Verzweiflungsnationalismus von Weltmarktverlierern gesprochen werden. Aber was sagt soetwas schon? Natürlich reicht die politische Potenz dieser mafia-ähnlichen Banden nicht zur Stiftung eines hablbwegs konsistenten Binnenmarktes; aber allemal können damit refeudalisierte und patriarchal-radikalisierte Herrschaftstrukturen aufrecht erhalten werden. Gegenüber diesen Barbarisierungstendenzen ist es eine große Illusion zu glauben, daß Flüchtlinge, Deserteure und Kriegsopfer in irgend einer Weise oppositionell-politisch organisierungsfähig wären. Jeder und jede, die in den beklagenswerten Status eines Opfers gerät, versucht nur noch abzuhauen, wenn sie`s dann noch kann und braucht ansonsten Hilfe. Wie man`s auch dreht und wendet: Mit Ausnahme der vielen Opfer, für die eine humanitäre Parteinahme selbstverständlich zu sein hätte, gibt`s in Julagoswien keine "Guten" Somit ist es schwierig, ja beinahe unmöglich, Partei für eine wie auch immer geartete politische Position oder Macht dort zu ergreifen.
Demgegenüber ist es in diesem Land evident, daß mit Hilfe eines beständigen, antisemitisch aufgeladenen Anti-Serbien-Diskurses, der allseits geteilten Theorie über die neue Rolle einer Großmacht BRD in Europa, die politische Militärpraxis nachrutscht. Ohne erkennbare ökonomische Ordnungsidee in Jugoslawien feiert so am Ende des 20. Jahrhunderts das Primat der Politik in diesem Land in der Form des Militärischen seine erneute Auferstehung. Wo käme man auch hin, hier eine bewußte Politik für einen privilegierten Umgang mit Deserteuren, Kriegsopfern und Flüchtlingen aus Jugoslawien zu praktizieren. Das ist alles viel zu kompliziert; so "lächerlich" wie die UNO-Blauhelmeinsätze in Jugoslawien hier verächtlich gemacht werden. Man hat hier in der Tat niemals vergessen, daß in diesem Jahrhundert deutsche Militäreinsätze niemals "lächerlich" waren. Da wurde nie viel Aufhebens um "humanitären Klimbim" gemacht. Nicht mehr drum herumreden, eingreifen, so richtig durchgreifen ist nun die Devise. Und so läßt sich in leichter Abwandlung einer alten, gegen Rassismus gerichteten, Parole nun sagen: Die Bundeswehr "Schaut nicht mehr weg, sondern greift ein!" - in Jugoslawien. Wer soll sich davon noch überrascht zeigen ?
Und trotzdem ist das Ausbleiben einer wie auch immer gearteten gesellschaftliche Gegenreaktion in der BRD gegen den ersten Kriegseinsatz dieses Landes nach fünfzig Jahren, dieses unheimliche dröhnende Schweigen, außerordentlich beunruhigend: Hat es in Berlin eine Massendemonstration von wenigstens 10 000 Leuten gegen den Krieg gegeben? Wurden im Mehringhof Vollversammlungen mit hunderten von Teilnehmern zu der Frage abgehalten, was nun praktisch gegen die Bundeswehr und sonstige militärische Infrastruktur in der Stadt zu tun ist? Sind die Interim-Ausgaben der letzten Wochen übergequollen von Anti-Kriegs-Diskussionsbeiträgen? Nichts von alledem, nichts.
Die Frage, was der Bundeswehrkriegseinsatz "hier" bedeutet, wird nirgendwo in dieser Gesellschaft gestellt, geschweige denn diskutiert. Es hat überhaupt keinen Zweck diesen Zustand irgend jemand vorzuwerfen. Und doch soll die Frage in die anonyme Runde gestellt werden, ob denn irgend jemand im Ernst daran glaubt, daß das alles völlig egal für "hier" ist, wenn die Bundeswehr irgendwo anders ihre nunmehr von der Kohl-Kinkel-Bande erteilte "licence to kill" zur Praxis macht? Die Gefahr besteht darin, daß kein Mensch weiß, ob und wie lange, der in jeder Hinsicht zynische und abgeklärt erscheinende "Irgendwo `n Job wie jeder andere"- Zustand hier in der BRD noch so bleiben wird. Es gehören weder viel Phantasie noch große analytische Fähigkeiten dazu, davon auszugehen, daß der Bundeswehrkriegseinsatz in Jugoslawien zu einem weiteren, und unter Umständen eskalierenden, Brutalisierungsschub der Verhältnisse hier führen wird. Die Staatsfeierlichkeiten um die ersten aus Jugoslawien heimkehrenden Plastikmüllsäcke mit den Überresten von Privateigentümern deutscher Personalausweise werden weniger zu einer riesigen Jubelparty, als vielmehr zu einem von oben entschlossen verkündeten "Jetzt erst Recht" mit allen damit verbundenen innenpolitischen Konsequenzen führen. Dann steht vielleicht "Eingreifen" nicht mehr nur irgendwo in Weit-weg-Jugoslawien an. Natürlich wäre jeder massenhafte Protest - von Widerstand erstmal ganz zu schweigen - gegen den Bundeswehrkriegseinsatz im Sinne einer aktuellen Gegenmachtpolitik völlig bedeutungslos. Und doch scheint er uns eine durchaus auch moralisch bestimmte Vorbedingung dafür zu sein, hier gegen diese Verhältnisse überhaupt noch weiter Partei ergreifen zu können. Wir befürchten, daß sich das kollektive Schweigen nicht nur der gesamten Gesellschaft, sondern auch von denen, die von außen betrachtet, als "die Autonomen" bezeichnet werden, nicht nur eine dramatische Verschiebung des zuvor als selbstverständlich angenommenen politischen Koordinatenkreuzes anzeigt, sondern sich irgendwann auch einmal bitter rächen wird.
Timur und sein Trupp
Interim 340/ Sommer 1995