Timur und sein Trupp: unveröffentlicht Ende 1995 [ zurück ]
Vorneweg erstmal ein dickes Lob: Lange ist`s her, daß uns zu Interim-Texten soviel eingefallen ist wie zu der in den letzten drei Nummern der Interim veröffentlichten Serie über die Jahre der Zeitschrift Radikal von 1980-84: Ihr Inhalt besticht durch seinen locker präzisen Zugriff auf den schillernden Gegenstand. Man hat beim lesen gleich das Gefühl, daß sich da Leute aus der Rückschau von einem Jahrzehnt an einer Fülle von Beispielen einen scharfen Blick sowohl für eine Reihe von politischen Fragen, aber vor allem auch deren jeweiligen Grenzen bewahrt haben. Endlich wird einmal der Bruch von "Sozialistische Zeitung für West-Berlin" hin zur "Zeitung für unkontrollierte Bewegungen" transparent illustriert. Ja, so ähnlich (falsch) könnte es damals gewesen sein, denkt man sich bei der Lektüre dieses Textes, ohne gleich dabei denken zu müssen, daß das heute etwa nur "peinlich" wäre. Peinlich ist doch nur das kontinuierliche Beschweigen des eigenen verbrochenen Un-Sinns, nicht die nachträgliche Reflexion.
Interessant sind die Beschreibungen über die politische Zusammensetzung der damaligen Radi-Redaktion. Auch die philosophisch-theoretischen Einflüsse, die einmal in dieser Zeitung ihren Platz gehabt haben, werden deutlich. Schön ist hier der Hinweis auf die "Interventionen" der klugen Theoriefürsten der Zeitschrift "Autonomie-Neue Folge" Die haben zwar die "Klasse" gern, aber als akademisch geübte Doktores gelingt es ihnen gerade nicht, einen organischen Bezug dazu, lebensbiographisch einzulösen. Besonders gefallen hat uns auch die Passage, daß die alte Radi nicht nur allein gegen den herrschenden, sondern auch gegen den verlogenen linken Sinn gerichtet war. Nur brilliant ist die Beschreibung der Positionsbestimmung zwischen einem damals kulturell dominierenden, existententiell aufgeladenen "antimperialistischen Gefasel" und einer sich vorsichtig entwickelnden skeptischen Betrachtung von "nationalen Befreiungsbewegungen". Auch die ganze Ambivalenz der Haltung zu Osteuropa wird plastisch beschrieben. Und an der Frage der Militanz zwischen damals und heute wird eindringlich deutlich, daß soetwas immer auch eine Frage zwischen Form und Inhalt unter den jeweils gegebenen Verhältnissen ist. Alles in allem: Bei Gelegenheit werden die Autoren unseren Küßen nicht entwischen!
Die destruktive Kritik bezieht sich auf die Kapitelüberschriften, die allesamt meteorologische Metaphern sind: Ist es anfänglich der "Sturm" der für allseitige Beunruhigung sorgt, so hört der plötzlich auf, und "der Wind", frei nach Willy Brand, "dreht sich", um sich dann nicht zu winden, sondern zu "legen" (Tagesschau, ab 20 Uhr). Welche Rolle spielt das Wetter in der Politik und überhaupt: Es wird nichts zu dem Ozonloch gesagt. Der spannendere Einwand ist der, daß sich bei der Verwendung von Wetter-Metaphern zur Beschreibung menschliches Handelns der Eindruck aufdrängt, daß uns die Schreiber die Unausweichlichkeit eines einmal gefundenen Naturgesetzes suggerieren wollen; Gesetze, welche frei und unbeeinflußbar von dem menschlichen Willen beständig fortexistieren: "Konkret erfahren wir das jedes mal anders, strukturell ist es die Erfahrung jeder Bewegung" oder: "Wir leiden unter der Gewißheit, das es ewig so weiter geht" Stellt nicht gerade genau dies "ewig so weiter geht" - nach Benjamin - die Katastrophe dar, wogegen sich doch auch das Projekt Radikal einmal gerichtet hat? Ist Freiheit etwa nur noch als Einsicht in außerhalb von Menschen existierende Gesetze, begriffen als eine göttliche Instanz, möglich? Zuweilen verkleidet sich diese Suggestion der Unausweichlichkeit in dem Text mit einem "du". Du nimmst mit diesem sehr sympathischen Wort, vor allem unter Einschluß der anderen, eine Focussierung des Wahrheitsanspruch ausschließlich auf dich selbst vor. Und ruckzuck hast du dann, eine Aneignung von "Geschichte" als Privateigentum vorgenommen was du dann ganz im Sinne von: "Ich war dabei, und du wirst niemals mehr dabei sein können" tust. Nix da, Dudu!
Diese Methode mag auf den ersten Blick frech erscheinen, sie läßt sich aber in ihrem Kern leider nicht "kühn" sondern nur "konservativ" nennen. Dazu paßt dann auch der "non, je ne regrette rien" - Heroismus. Dieser Zugriff berührt den zentralen Nerv des gesamten Textes. Nicht minder heroisch sei dazu festgestellt: Und stünden wir gegen eine fallende Wand; ein derartiger Zugriff auf "Geschichte" widerspricht unserer Vorstellung von widerspenstig zirkulierender Autonomie.
Immer wieder finden sich im Text Verallgemeinerungen, die implizieren, das daß was von der alten Radi gemacht wurde mittlerweile überall Realität geworden sei: Gleichsam als seien in der Geschichte der Menschheit nicht auch Rückschritte denkbar, ist das die Selbstbescheinigung dafür, daß man selber Teil einer gesellschaftlichen Avantgarde war, die sich historisch durchgesetzt hat. Was will uns Dorfrichter Adam damit sagen? Dagegen lassen sich schon alleine auf der empirischen Ebene eine Reihe von Einwänden erheben. So erscheint uns die Behauptung, daß mittlerweile alles in den herrschenden Medien gesagt wird bzw. werden kann, völliger Unsinn zu sein. Seit wann können Autonome in der Bild-Zeitung alles sagen? Vielleicht ist ja diese dubiose "alles kann gesagt werden- Aussage nur die Verlängerung von der autarken-Alternativ-Illusion aus den 80er Jahren, der herrschenden Wirklichkeit eine "andere Wirklichkeit" entgegenzusetzen zu können, "und nicht mehr den Streit um die Wahrheit zu suchen". Und das ganz so, als könne die eigene Realität völlig unberührt von der herrschenden Wirklichkeit gedacht werden, als sei sie nicht gebrochen oder davon deformiert. Der von jeglicher Suche und Anstrengung auf Wahrheit gesäuberte Begriff von Gesellschaft muß dann folgerichtig die aktuell bunte Medien-Gelärm-Produktivkraftentfaltung als Ausdruck der konkreten Waren Freiheit als wahre Freiheit mißverstehen.
Es gäbe sehr viel mehr zu diesem inspirierenden Traktat zu sagen, allein der Platz auf dieser Narrenseite geht zu Ende. Es vermittelt uns eine Ahnung davon, um wievieles schlechter die Radikal nach 1984 geworden ist Und doch wird die Politik immer nur heute, niemals gestern, auch nicht auf den Wetterstationen und schon gar nicht "in der Geschichte" gemacht. Ein Wind, der sich zur Ruhe gelegt hat, ist in der Politik immer nur der Moment vor dem nächsten Sturm. Ob es den nicht-stalinistischen Teilen der Soligruppen gelingen kann, diese Erkenntnis für den Kampf um die Freiheit der Radikal-Gefangenen fruchtbar zu machen?
Timur und sein Trupp
unveröffentlicht Ende 1995