Timur und sein Trupp: Interim 544/2002 [ zurück ]
Mitte Januar wurde in einem Hörsaal der Hamburger Universität durch die KONKRET- Redaktion eine Art mehrstündiger Veranstaltungsmarathon unter dem wenig leidenschaftlichen Titel "Deutschland führt Krieg" durchgezogen. Daran nahmen ca. 500 Leute teil, die sich im Verlauf der rund 9 Stunden andauernden Vorträge darum bemühten den Ausführungen der zumeist älteren Referenten zu folgen. Diese okkupierten jedenfalls für den Gesamtverlauf dieser Veranstaltung bestimmt über 80% der gesamten Redezeit. Jedenfalls korrespondierte das Schweigen der einen mit der nimmermüden Redseligkeit der anderen. Was gibt es nun neben der deprimierend schlechten Form."inhaltliches" zu berichten ?
Zunächst einmal war es nicht unsympathisch, das sich im Verlauf dieser Veranstaltung mit Ausnahme eines wirklich unwesentlichen Dschungel Welt- Redakteurs alle Referenten mit dem ein oder anderen Argument gegen den aktuellen Anti-Terror-Krieg aussprachen. So ganz haben diese alten Herren sowohl unsere Bundesregierung mit ihrer menschenfreundlichen "Friedenspolitik" als Gegner als auch ihre eigene 68er-Sozialisation noch nicht aus den Augen verloren. Allerdings brauchen die diesbezüglichen Argumente an dieser Stelle deshalb nicht referiert werden, weil sie ohnehin an bekanntem Orte in gewohntem Umfang nachgelesen werden können. Darüber hinaus ist es einfach wahr, was Georg Füllberth in einem schönen aufklärerischen Vortrag dort erzählte, das nämlich "die Außenpolitik an der Politik das Banale" sei. Nichts kann dabei so richtig ausgeschlossen werden, d.h. fast alles kann und könnte irgendwie so ähnlich stimmen, jeder und jede weiß dazu noch irgend etwas dazu zu sagen, so daß irgendwo immer alle auch Recht haben - am Stammtisch. Satt dessen möchten wir zur Kennzeichnung des Versammlungscharakters die interessanten Bemerkungen eines etwas bekannteren Pop-Linken referieren. Ihn erinnere der Inhalt der meisten Referate sowie die ganze Anordnung dieser Versammlung an seine schöne Zeit als einfacher Abgeordneter auf den Deligiertenkonferenzen des maoistischen KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschland) in den 70er Jahren. Dort sei das Hauptreferat des Ersten Sekretärs der Höhepunkt der ganzen Angelegenheit gewesen. Und der habe damals mit einer Collage aus Artikeln der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und vielen Zitaten des großen Vorsitzenden Mao-Tse-Tung "zur Weltlage" gesprochen. Diese sei lange Zeit so geschickt kombiniert gewesen, daß sie eigentlich immer allen sofort eingeleuchtet habe, jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt als die Volksrepublik Vietnam die Volksrepublik China militärisch angegriffen habe. Da hätten dann auch die Mao-Zitate nicht mehr so recht funktioniert und so sei seine Parteimitgliedschaft dem Ende entgegen gegangen. Das aber wenigstens für den Ersten Collage-KBW-Sekretär jene damaligen Übungen so ganz für die Katz nicht waren, wird daran deutlich, daß dieser heute an führender Stelle im Bundesaußenministerium - im engen Zusammenhang mit der aktuellen "Weltlage" - an der globalen Durchsetzung der Menschenrechte mitwirken darf .
Die Hauptreferenten gehören einer Generation der 50 und mehr Jahre alten Männer an, die man mit vollem Recht als Ahnherren der vor etwas über einem Jahrzehnt auf den Weg gebrachten antideutschen Szenerie bezeichnen kann. Es war jedenfalls interessant zu beobachten, daß ihnen für Momente bei ihren langen Vorträgen ein gewisses Entsetzen anzumerken war: Und zwar über die argumentative Beliebigkeit und Skrupellosigkeit, mit der die ihnen nachfolgende Antideutschen-Generation aktuell einer dreist-fröhlichen Kriegsbegeisterung frönt. Doch so richtig die Aussage eines Referenten war, daß für jene antideutschen Kriegsfanatiker Begriffe wie Antimilitarismus oder Antifaschismus heute nicht mehr die geringste Bedeutung besitzen, so enthüllend war auch seine ihm jenseits aller angestrengten Theoriekontrolle vermutlich aus dem Mund gerutschte Formulierung "Eine Schande ist das!" Denn "Schande" kann bekanntlich nur machen, wer wie z. B. für Helmut Kohl die Nazis ganz im Unterschied zur RAF - zur Familie gehört. Möglicherweise verweist dieser Generationskonflikt in der antideutschen Szenerie - ganz analog zum ebenfalls 10 Jahre anhaltenden Spuk maoistisch-renitenter ML-Parteien in den 70er Jahren - auf einen gewissen Umschlagspunkt dieser politischen Szenerie. Mit dieser Veranstaltung wurde von den Organisatoren sicherlich auch der strategische Sinn intendiert, der nach dem 11. September ausgebrochenen Kriegsbegeisterung eines Teiles der antideutschen Szenerie auch deshalb öffentlich entgegen zu treten, um so etwas wie alte publizistische Hackordnung wieder herzustellen. Ob sich aber diese Absicht tatsächlich realisieren wird, scheint uns durch den Verlauf dieser bereits als eigentümlich beschriebenen Veranstaltung offen zu sein. In gewisser Weise spielen die jüngeren Adepten mit ihrer gut gelaunten Kriegsbegeisterung den alten Antideutschen nur die grausam häßliche Melodie von deren eigener Diskursmethode aus der Vergangenheit vor, in der letztere auch selten gezögert haben mit erkennbar falschen Argumenten "Debatten" zu provozieren. Der Verlauf dieser Versammlung ließ jedenfalls den Eindruck aufkommen, daß die alten Antideutschen ihren eigentlichen Nachfolgern nichts mehr zu bieten haben. So wirkte ihr vom Podium gegen den Krieg und seine antideutschen Befürworter herab geschleudertes Zeter und Mordio liebenswürdig und hilflos zugleich. Denn natürlich stellten sich die antideutschen Zielgenau-Streubomben-Bombardierer mitnichten dieser Auseinandersetzung. Niemand von ihnen unternahm auf dieser Versammlung den Versuch, ihr jüngstes Kriegs- und Yankee-Zivilsationsbegeisterungs-Coming-out mit "Politisch Links" zu vermitteln, geschweige denn zu verteidigen. Statt dessen lauerten sie gemeinsam mit vielleicht einem Drittel des Publikums, das am aktuellen kriegerischen Töten der Yankees in Afghanistan Blut geleckt hat, beständig auf etwas, was sie heute wohl glauben als "Antisemitismus - Haltet den Dieb!" denunzieren zu müssen. Das ist schon unangenehm genug. Nebenbei verweist dieses zuweilen hysterisierte lauern auf etwas was als "Antisemitismus" denunziert werden kann, darauf, wie wenig aufgearbeitet der Judenmord in diesem Land tatsächlich ist. Um so einfacher ist es da natürlich, den Widerspruch dagegen auf ein bloßes Ticket des "antideutsch" maskierten Distinktionsgewinns herunter zu bringen.
Vielleicht ist ja die antideutsche Szenerie gerade dabei, sich selbst aufzufressen. Wenn auch dadurch ihr ekliges antideutsches Gebräu, das einen Selbstwiderspruch einer nicht nur machtpolitisch sondern auch kulturell in diesem Land marginalisierten Linken kalt nach elitär-rechts aufgelöst hat, allmählich seine Wirkungskraft einbüßt, dann muß das frei nach Mao-Tse-Tung als "gut und nicht schlecht" bezeichnet werden.
Die KONKRET-Veranstaltung war sowohl für Anti-Kriegsaktivitäten aller Art als auch selbstredend für jede Ahnung sozialer Befreiung weitgehend belanglos. Das ist zum einen auf die aktuell von den Yankees global überzeugend dominierte Anti-Terror-Kriegssache zurückzuführen, in der die BRD keine unmittelbar entscheidende Rolle zu spielen hat. Zum anderen liegt das aber auch daran, daß sich die Organisatoren bestimmte Fragen ohnehin nicht stellen. Ganz in diesem Sinne kann das weitgehende Schweigen von vielen Frauen bei dieser Versammlung als Indiz dafür gewertet werden, daß es für sie in diesen außenpolitisch dominierten Inhalten nichts zu gewinnen gibt, weswegen sie dann auch den Mund halten. Dabei hätte doch mindestens jede Anti-Kriegs-Opposition in diesem Land auf den von Hohlkammerkanzler Schröder gegebenen entscheidenden Hinweis zu reflektieren, das wir in Afghanistan "unsere Art zu leben" verteidigen sollen (Welt vom 16.10.2001). Sofern man denn mit dieser "Art zu leben" hier einverstanden ist, - und schweigen dazu wie auf dieser Veranstaltung muß als Zustimmung gedeutet werden - werden alle Anti-Kriegs-Proteste in der Luft hängen.
Timur und sein Trupp
Interim Nr. 544 / Februar 2002