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Entwicklungen und Perspektiven der türkischen Linken Teil 4

Entwicklung und Perspektiven der türkischen Linken (Teil 5)

In diesem vorletzten Kapitel wird die Linke Bewegung der Türkei in der zweiten Hälfte der 80er Jahre bis heute behandelt. Auf die (linken) kurdischen Organisationen wird nicht eingegangen.

Die Machtergreifung der Militärs im September 1980 bildete einen Wendepunkt für die türkische Linke. Bis in die zweite Hälfte der 80er Jahre wurden Hunderttausende Aktivisten und Sympathisanten der Linken hinter Schloß und Riegel gebracht. Die Repression war so scharf, daß es nicht mehr zu einer Politisierung der Massen kam wie in den 60er und 70er Jahren. Die Wiederbelebung der Arbeiterbewegung und die Mobilisierung der Studenten begann erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre. Anfang 1986 kam es zu den ersten Arbeiterprotesten nach dem Militärputsch von 1980. Ein Jahr später (1987) folgten die ersten Studentenproteste. Durch den Druck der Arbeiter und der Studenten begann auch ein Wiederaufblühen der linken Publikationstätigkeit. Die Zeitschriften Yarin, Yeni Çözüm, Çagdas Yol, Gelenek, Toplumsal Kurtuluq gehörten zu den ersten legal herausgegebenen linken Publikationen. Die im Ausland (Mittlerer Osten) von PKK, THKP/Acilciler, Partizan Yolu, TKP/B und SVP gegründete "Revolutionäre Einheit’ (Devrimci Birlik), gab 1987/88 die Wochenzeitschrift Halk Gerçegi (Volks-Wahrheit) heraus (insgesamt sechs Ausgaben).
Ende der 80er Jahre kam es zur Gründung der ersten linken Vereinigungen, wodurch die revolutionären Organisationen aufatmen konnten. Innerhalb kurzer Zeit erhöhten sie ihren Widerstand gegen das herrschende System. Organisationen wie Devrimci Sol, TKP/Kivilcim, TKP/B, TIKB, TKP/ML, TKEP/Leninist, 16 Haziran machten auf der politischen Arena (wieder) von sich reden.
Die Antwort des Staates auf diese Entwicklung ließ nicht lange auf sich warten. Er verschärfte seine Angriffe. Während das Reuegesetz erlassenwurde, um die radikal-linken Organisationen besser zu bekämpfen, wurden parallel dazu die Artikel 141 und 142 des türkischen Strafgesetzbuches aufgehoben. Theoretisch eröffnete sich der Weg für die Legalisierung von kommunistischen Organisationen. Dies setzte jedoch voraus, zu dem Krieg in Kurdistan zu schweigen und gegen den bewaffneten Kampf zu sein. Damit begannen die zwei Haupttendenzen der 90er Jahre.
Zwei Linien der türkischen Linken stehen sich nun heute gegenüber: die liberale und die revolutionäre Linie.

Die liberale Linke

Die neue Politik (Taktik) des Staates fand Ende der 80er Jahre zunächst bei der Gruppe Aydinlik/Dogu Perinçek Resonanz. Es wurde die Sozialistische Partei (Sosyalist Parti; SP) gegründet. Doch, da die SP von der Zeitschrift Aydinlik und von der Person Dogu Perinçek geführt wurde, hatte sie von Anfang an keine Chance auf Unterstützung des Volkes. Die Gruppe Aydinlik war in der Vergangenheit bekannt für ihre Nähe zum herrschenden kemalistischen Regime. Als jedoch in der Anfangsphase die kurdische Bewegung (PKK) die SP begrüßte und sogar Hoffnungen auf sie setzte, schwieg der größte Teil der türkischen Linken zu der Vergangenheit von Aydinlik. Dies führte dazu, daß die Gruppe Aydinlik kurzfristig an Prestige gewann und sich wieder in der linken politischen Arena befand. Die SP gab zu dieser Zeit die Zeitschrift 2000’e Dogru (Gegen 2000) heraus. Durch das neue Image, daß die SP gewann, hoffte sie die Zeitung Aydinlik als Tageszeitung herauszugeben. Doch als Tageszeitung konnte Aydinlik nicht lange existieren. Nach dem Verbotsverfahren gegen die SP wurde Anfang 1990 die Arbeiterpartei (Isçi Partisi; IP) gegründet, die unter demselben Namen heute noch ihre Politik fortsetzt.
Während der Staat mit seinen Taktiken des Spezialkrieges den Druck auf revolutionäre Organisationen erhöhte und bei Erstürmung von Häusern und auf der Straße zu extralegalen Hinrichtungen von Mitgliedern von revolutionären Organisationen durchführte, öffnete er auch weiter den Weg für Organisationen, die in die Legalität wollten.
Nach der SP waren nun auch ehemalige Mitglieder der Kommunistischen Partei der Türkei (Türkiye Komünist Parisi; TKP), Arbeiterpartei der Türkei (Türkiye Isçi Partisi; TIP) und Sozialistische Arbeiterpartei der Türkei (Türkiye Sosyalist Isçi Partisi; TSIP) bereit, sich dem Regime zu beugen. Sie gründeten 1990 die Sozialistische Einheitspartei (Sosyalist Birlik Partisi; SBP). Nachdem sich auch die TKEP und Kurtulus (Befreiung) dieser Gruppe anschloß, benannte sich die SBP in die Partei der sozialistischen Einheit (Birlesik Sosyalist Parti; BSP) um. Nachdem der Rechtsdruck auch unter den ehemaligen Mitgliedern einer der größten radikalen türkischen Linken Organisationen, Devrimci Yol (Revolutionärer Weg), immer deutlicher wurde, äußerten sie den Wunsch, sich mit der BSP zu vereinigen. Es wurde schließlich die Partei für Freiheit und Demokratie (Özgürlük ve Dayanisma Partisi; ÖDP) gegründet. Die ÖDP ist stark darauf konzentriert, von der Krise der Sozialdemokratie zu profitieren und sich als eine eine neue sozialdemokratische Kraft zu profilieren.
Eine weitere wichtige Gruppe, die ihren Weg in der Legalität sah, war die Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei (Türkiye Devrimci Komunist Partisi; TDKP), die vorher unter dem Namen "Halkin Kurtulusu" bekannt war. Die TDKP bzw. Halkin Kurtulusu war ehemals die Verfechterin des Sozialismus albanischer Prägung (1) , die nach dem Untergang des Sozialismus in Albanien in eine tiefe Krise stürzte. Die Verteidiger der radikal-revolutionären Linie wurden mit der Zeit von der Partei ausgeschlossen (erstes Anzeichen für Legalisierungsmaßnahmen!), so daß ein Rechtsdruck in der Parteilinie immer deutlicher wurde. Ihre einzige Rettung aus der tiefen Krise sah die TDKP in ihrer Legalisierung. Die Oppositionellen in der Organisation wurden entweder ausgeschlossen oder traten aus. Zunächst brachte diese Gruppe die Tageszeitung Evrensel heraus. Ehemalige Partei-Militante wurden zu Evrensel-Mitarbeitern, und später zu EMEK-Partei Mitarbeitern. Auch wenn sich die TDKP offiziell nicht aufgelöst hat, so existiert sie praktisch nicht mehr. Nach der Entwicklung der TDKP zu Emegin Partisi, hat sie jeden Kontakt zu revolutionären Organisationen abgebrochen. Die Emegin Partisi ist eine Partei, die bei ihren Forderungen genau wie die ÖDP oder IP reformistische Politik nicht überschreitet.
Eine weitere legal gegründete linke Partei in dieser Periode war die Sozialistische Regierungs-Partei (Sosyalist Iktidar Partisi; SIP). Diese Partei behauptete, daß sich die "demokratische Revolution" in der Türkei vollzogen hätte, und verteidigte, daß die sozialistische Revolution auf der Tagesordnung sei. Die SIP gründete sich aus kleinen Gruppen, wie aus der Zeitschrift Gelenek.
Nachdem die brutalen Übergriffe des Staates wie das Verschwindenlassen revolutionärer Personen zunahmen, konnte die SIP einen gewissen Erfolg verzeichnen, da einige Mitglieder von radikal-linken Organisationen zur SIP überliefen.
Es gibt eigentlich keinen Grund, weshalb das türkische Regime die Vertreter der parlamentarischen Linie der türkischen Linken fürchten muß. Sie bilden keine ernsthafte Gefahr für das System, weshalb sie auch von Zeit zu Zeit die Unterstützung von bürgerlichen türkischen Medien genießen. Man muß wissen, daß ein Regime wie das türkische nicht alles auf eine Karte setzt. Das türkische Regime will mehr als ein As im Ärmel haben.
Als Sozialisten/Kommunisten dürfen wir natürlich die Tatsache nicht aus den Augen verlieren, daß ohne eine Periode der Legalität, keine revolutionäre Partei die werktätigen Massen erreichen und sie organisieren kann, das System nicht ändern können. Doch in der Türkei bestehen die Bedingungen für eine parlamentarisch Linke Haltung seit 1980 nicht mehr. Die Türkei darf nicht mit den bürgerlichen Demokratien im Westen verglichen werden. Das Regime ist nicht im geringsten bereit, "linke" Lösungen ansatzweise zu akzeptieren. Deshalb ist unter den herrschenden Umständen jede parlamentarische Linke ohne Bedeutung für die Mobilisierung der Massen.

Die revolutionäre Linke

Der Einfluß der Vernichtungspolitik des Staates auf die revolutionären Organisationen zeigte sich Anfang der 90er Jahre (1991/1992). Die revolutionären Organisationen gingen in der zweiten Hälfte der 80er Jahre (1986/87) - nach den großen Arbeiter- und Studentenprotesten - davon aus, daß die Arbeiterklasse der Türkei schnell an Bewußtsein gewinnen und ihren Kampf genau wie nach den Militärputschen von 1960 und 1971 stetig entwickeln würde. Doch diese Proteste führten nicht zu einem solchen Ergebnis wie 1960 und 1971. Durch den Putsch von 1980 war der Faschismus im Staatsapparat so fest verwurzelt, so daß er nicht mit gewöhnlichen Massenprotesten zu brechen war. Im Gegensatz zu früheren Putschen konnten die revolutionären Bewegungen die potentiellen Kräfte nicht mobilisieren und den Faschismus besiegen. Durch seine Vernichtungspolitik und Repression schaffte der Staat es, die nicht vorbereiteten Massen von ihren Organisationen zu trennen. Die brutalen Übergriffe des Staates, die Illegalität, Gefängnisstrafe, Verhaftung und Verurteilung auf die türkische Linke sollte nach dem Putsch mit all seinen äußerst schockierenden Auswirkungen langfristige Folgen haben.
Die Organisationen konnten mit ihren alten Kampfmethoden keine Antworten auf die neu entstandene Situation geben. Neue Bedingungen machten neue Kampfformen und die entsprechenden Organisationsformen notwendig. Doch der Fehler der Linken zu dieser Zeit lag darin; daß sie es nicht schafften; sofort eine entsprechende Gegentaktik zu entwickeln und anzuwenden. Dies bedeutete selbst den Verlust der wenigen zurückgebliebenen und erfahrenen Kader, was schließlich dazu führte, daß die revolutionären Organisationen zunächst sich in einer Ausweglosigkeit befanden und dann in eine tiefe Krise stürzten.
Die Verteidiger der maoistischen Linie, die TKP/ML spaltete sich 1993/94 in TKP/ML und TKP(ML). Interne Kämpfe führten auch zur Abspaltung von Devrimci Sol (Revolutionäre Linke). Eine Führungsgruppe nahm den Generalsekretär der Partei fest. Es gab zahlreiche Provokationen. Die internen Streitigkeiten liefen oft blutig ab. Zahlreiche Kader fielen in den Kämpfen oder entfernten sich von der Organisation. Die Organisation nennt sich nach der Abspaltung des Oppositionsflügels unter dem ehemaligen 2. Vorsitzenden seit 1994 DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi; Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front).
Als in der zweiten Hälfte der 80er Jahre der Reformismus in der TDKP deutlich wurde, entwickelte sich eine Gegenbewegung, aus der später die EKIM hervorging. Anfang 1990 hat sich eine unbedeutende Gruppe von EKIM getrennt und sammelte sich um die Zeitschrift Devrim (Revolution).
Seit Anfang der 90er Jahre versuchte die als radikal-revolutionär geltende TKIH (Türkiye Köyli Isçi Hareketi; Bauern- und Arbeiterbewegung der Türkei) sich mit der TKP/ML (Hareketi) zu vereinigen. Während sich die Vereinigung langsam vollzog und daraus die MLKP (Marksist-Leninist-Komünist-Partisi; Marxistische Leninistische Komunistische Partei), richtete sich ein Flügel von TKP/ML (Hareketi) gegen die Einheit und gründeten die KP/IÖ (Komünist Partisi-Insa Örgütü; Kommunistische Partei-Aufbauorganisation), die die alte Linie der TKP/ML (Hareketi) verteidigte. Auch diese Spaltung führte zu blutigen internen Kämpfen zwischen der MLKP und der KP/IÖ. Da die MLKP dem Wunsch von vielen links-revolutionären Menschen nachkam, die Einheit innerhalb der Linken zu verwirklichen, hat sie seit ihrer Gründung erheblich an Prestige gewonnen. Heute ist sie eine bedeutende Kraft innerhalb der revolutionären Bewegung der Türkei geworden.
In der gleichen Zeit versuchten auch einige "ermüdete Kämpfer" die TKP/Kivilcim zu spalten und ihre eigene Organisation zu gründen. Doch sie waren so kraftlos, daß sie - obwohl inzwischen fast drei Jahre vergangen ist - nicht in der Lage waren, eine neue Organisation zu gründen. Sie haben jede revolutionäre Geist aufgegeben und sich dem herrschenden System gebeugt.
Während in den wichtigsten revolutionären Organisation diese Krisen vollzogen, sind zwei ehemalige revolutionäre Organisation, Partizan Yolu und THKP/C (Acilciler) völlig von der politischen Arena verschwunden, nachdem die Generalsekretäre und wichtige Kader die Organisationen verließen.
Nach einer schweren Krise hat sich auch die TKP(B) sich gespalten in die TKP(Birlik) und in die DKP (Devrimci Komünist Partisi),. Nachdem der DKP-Generalsekretär die Organisation verließ, hat sich die Organisation aufgelöst. Später hat sich die TKP(B) in TDP (Türkiye Devrim Partisi) umbenannt, und versucht trotz erheblicher Kraftverluste ihren Kampf fortzuführen.
Heute versuchen die folgenden revolutionäre Organisation der Türkei, ihren Kampf - nach der "Lösung" ihrer internen Probleme - für den Sozialismus und Kommunismus fortzuführen: DHKP-C, MLKP, TIKB (2) , TKP/ML, TKP(ML), TKP(Kivilcim), TDP, TKEP/Leninist und EKIM. Auch wenn es an zahlreichen Punkten Uneinigkeit herrscht, doch gibt es in jeder dieser Gruppen revolutionäre Menschen, die bereitwillig ihren Platz im Revolutionären Kampf einnehmen.
Nach dem Todesfasten (1996) in türkischen Kerkern, an dem 12 Revolutionäre fielen, kann man bei allen diesen Organisationen ein Aufatmen feststellen.

(1) Als die Beziehungen zwischen der Kommunistischen Partei Chinas und den albanischen Kommunisten gespannt wurden, stellte sich "Halkin Kurtulusu" auf die Seite der Albaner.
(2) TIKB-Türkische Revolutionäre Kommunistische Union (Turkiye Ihtilalci Komünistler Birligi)

Entwicklungen und Perspektiven der türkischen Linken Teil 6


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