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Entwicklungen und Perspektiven der türkischen Linken
Teil 1
Wenn die türkische Linke eine Zukunft haben will, wenn sie tatsächlich
den Kampf gegen den Faschismus fortsetzen will, darf sie die Fehler der
Vergangenheit nicht wiederholen. Nur wenn sie die richtige Lehren aus
(der) ihrer Geschichte zieht und das Spiel des Feindes in Vergangenheit
und Zukunft richtig erkennt, wird sie auch eine Zukunft haben.
Deshalb beginnen wir mit diesem Artikel eine Reihe über die "Entwicklung
und Perspektiven der türkischen Linken" in unserer Zeitschrift, die wir
in den nächsten Ausgaben fortsetzen werden. In diesem ersten Teil befassen
wir uns mit den Anfängen der revolutionären Bewegung der Türkei
(1. Periode).
In der revolutionären (marxistisch -leninistischen) Bewegung der Türkei
seit Entstehung der türkischen Republik lassen sich grob drei
Hauptperioden abgrenzen.
Erste Periode: 1920-1957
Zweite Periode: 1960-1980
Dritte Periode: ab 1990
Die erste Periode
(1920-1957)
Die erste Periode beginnt mit der Gründung der Kommunistischen Partei der
Türkei (TKP) im Jahre 1920 und endete in den 50er Jahren mit den Angriffen
(Verhaftungswelle) auf die TKP (1951) und Vatan Parti (Heimatpartei)(1957).
Die wichtigste Entwicklung dieser Periode ist die Oktoberrevolution. Die
Oktoberrevolution, die die Welt erschütterte, fand auch in der Türkei einen
tiefen Widerhall. Inspiriert durch die große Oktoberrevolution, bildeten
sich viele kommunistische Gruppen. Die wichtigsten Organisationen waren
folgende:
Die Sozialistische Arbeiter- und Bauern-Partei der Türkei (TICSP), die
in Istanbul gegründet wurde,
Die "Istirakiyun- Partei" (Sozial-istische Partei) in Ankara,
Die "Yeni Dünya"- Gruppe (Neue Welt) in Eskisehir,
die von Mustafa Suphi im Kaukasus gegründete und hauptsächlich von
türkischen Kriegsgefangenen bestehende Organisation,
Türkische Kommunistische Gruppen in Deutschland.
Trotz der losen Kommunikationsmangel- bedingt durch den Krieg- konnten sich
alle Gruppen auf dem Kongreß von Baku (Aserbeidschan) vereinigen, um ein
gemeinsame Partei zu bilden. Die Grundsteine der TKP (Kommunistische Partei
der Türkei) unter der Führung Mustafa Suphis wurde mit dem 1. Parteikongreß
der TKP am 10. September 1920 gelegt. Mustafa Suphi spielte als
revolutionärer Organisator die Hauptrolle auf diesem Kongreß. Der Kongreß
beschloß, die Parteizentrale nach Anatolien zu verlegen, wo der
Befreiungskrieg geführt wurde, und an der Seite der anderen nationalen
Kräfte am bewaffneten Kampf gegen den Imperialismus sich zu beteiligen.
Kurze Zeit nach dem Kongreß von Baku, begaben sich Mustafa Suphi und seine
Genossen nach Anatolien.
Um sich aktiv am Befreiungskampf zu beteiligen, bemühten sich die
Kommunisten entsprechende Absprachen mit der Regierung in Ankara zu
vereinbaren, um so ein einheitliches Vorgehen gegen die Besatzer zu
gewährleisten.
Aus diesem Grund folgte das Zentralkomitee einer Einladung Atatürks nach
Ankara. Auf dem Weg dorthin wurde die gesamte Führung der TKP
(15 Mitglieder des Zetralkomitees) unter der Führung von Mustafa Suphi
in Trapzon (Nordosten der Tükei) nach der Überquerung der Grenze am
29.01.1921 von den Kemalisten umgebracht. Das bedeutete einen schweren
Schlag für die revolutionäre Bewegung des Proletariats in der Türkei.
Trotz der Ermordung der Kommunistenführer unterstützete die Partei die
Regierung in Ankara. Sie nahmen in verschiedenen Regionen am
"Befreiungskrieg" und versuchten, ihre Ansichten unter den Massen zu
verbreiten.
Bei der Gründung der ersten Widerstands- und Befreiungsgruppen in Anatolien
hatten die Kommunisten eine bedeutende Rolle gespielt. Sie verfügten über
eine gut organisierte militärische Einheit, die "Grüne Armee" (Yesilordu).
Sie wurde im Mai 1920 gegründet, die die sowjetische Rote Armee als
Verbündete im Kampf gegen die allierten Besatzer ansah. Mit ihren
revolutionär-demokratischen Forderungen gewann sie unter der Bevölkerung
und deren Kampfeinheiten schnell an Einfluß. Da diese Bewegung von einer
breiten Basis getragen wurde, konnte man noch von einem nationalen
Befreiungskampf sprechen. Trotz der vielen Widersprüche der beteiligten
Klassen und Schichten im nationalen Befreiungskampft, einte sie der Wille,
die Unabhängigkeit der Türkei zu wahren.
Im September 1919 tagte der gesamtanatolische Kongreß in Sivas, auf dem ein
Repräsentativausschuß mit Mustafa Kemal an der Spitze gewählt wurde. Bald
baute das Repräsentativkomitee eine Armee auf, die auf dem alten osmaischen
Heer basierte, das reformiert und modernisiert wurde. Gleichzeitig löste
es die Partisanenabteilungen der "Grünen Armee" auf und integrierte sie
unter einheitlicher Leitung und Kommando in den "Nationalen
Streitkräften".
Die erste "Große Nationalversammlung" bestand fast ausschließlich aus
Vertretern der herrschenden Klassen, zwischen denen Mustafa Kemal, nachdem
die linksorientierten Abgeordneten liquidiert worden waren, einen
Interessenausgleich herzustellen verstand.
Die Sowjetunion unter Führung Lenins unterstützte den Befreiungskrieg gegen
die imperialistischen Okkupanten an die Kemalisten, andererseits warnte sie
das Proletariat der Türkei vor der heuchlerischen Haltung der Kemalisten.
Trotz der Warnung schätzten viele Kommunisten der Türkei die Lage falsch
ein und bezahlten dies mit ihrem Leben.
Je näher der Sieg rückte, desto mehr versuchten die Kemalisten mit Hilfe
der neu entstehenden Bourgeoisie und der Landbesitzer zur Ausschaltung der
Guerilla-Führer und zur Zerschlagung der sozialistischen
Organisationen.
Nachdem die Kemalisten ihre Macht gesichert hatten, ermordeten sie auch die
Führer der Guerillaeinheiten (Karayilan, Demirci, Efe), weil sie für die
Kemalisten eine Gefahr darstellten und ihre Waffen auch gegen
Großgrundbesitzer und Zinswucherer gerichtet hatten. Nach der Gründung der
regulären Armee wurden fast alle fortschrittlichen Kräfte vernichtet.
Das machte sich innerhalb der TKP durch Provokationen und Richtungskämpfe
deutlich. Die Kemalisten, die den Befreiungskampf geführt hatten wurden
vom Volk als Revolutionäre betrachtet.
Ein weiterer wichtiger Grund dafür ist auch in der langsamen Entwicklung
der Industrie zu suchen.
Atatürks "Reformen", die keinen Fortschritt bedeuten
Die "Revolution" und "Reformen" Mustafa Kemals, die oft auch von den Linken
als "fortschrittlich" angesehen wurden, haben in Wirklichkeit mit
reformistischen oder gar revolutionären Bewegungen, die dem Volk dienen,
nichts gemeinsam. Die "Hutrevolution", die "Buchstabenrevolution", die
Bestimmung des Sonntags als offiziellen Feiertag und einige "Reformen"
über die Rechte der Frauen waren in Wirklichkeit keine Reformen im postiven
Sinne. Mit diesen "Reformen" sollten die Knechte ihren Herren, dem Westen,
sich besser anpassen. Die "Reformen" haben für das Volk nichts Wesentliches
gebracht. Durch die "Hutrevolution" wurden in großen Mengen Hüte aus Europa
importiert, durch die "Buchstabenrevolution" an Stelle der arabischen
Buchstaben lateinische Buchstaben übernommen. Der offizielle Feiertag wurde
der Sonntag. Zu den wichtigsten "Reformen" zählt auch die Übernahme des
faschistischen Strafgesetzbuches Italiens. So wird verständlich, daß diese
Veränderungen in keiner Weise einen fortschrittlichen Character beinhalten.
Es gab objektive und subjektive Gründe wieso die TKP nicht erfolgreich war.
Als objektiv können wir den niedrigen Stand der Industrialisierung und die
daraus folgende zahlenmäßige Schwäche der Arbeiterklasse betrachten. In den
20er Jahren gab es in den Betrieben nicht mehr als 50.000 Arbeiter. Da es
sich um ein unterentwickelten Kapitalismus handelte, gab es bei diesen
Arbeitern auch kein besonderes Klassenbewußtsein.
Nach der Gründung der TR gab es auch einen direkten Zusammenhang zwischen
der Unterdrückung der Arbeiterbewegung und Linken und der nationalen
Bewegung der Kurden. Seit 1925 erlebte die TR mehrere kurdische Aufstände.
Alle diese Aufstände wurden in brutale Weise unterdrückt.
Da sie in den Anfängen der "Revolution" Freundschaft zur Sowjetunion
verfolgten und die Politik des feudalen Überbaus verfolgten, konnten sie in
den Augen des Volkes lange Zeit als Revolutionäre erscheinen.
Der Grundfehler der damaligen Linken Bewegung war, daß sie stets auf
"Reformen" der Kemalisten hofften und darauf setzten; deshalb konnte sie
keine vom Kemalismus unabhängige revolutionäre Bewegung entwickeln. Die
Kommunistische Partei schwankte zwischen Reformen und Revolution.
Die Behauptung des neugegründeten kemalistischen Staates "unser Volk
besteht nicht aus verschiedenen sozialen Klassen, deren Interessen im
Widerspruch zueinander stehen. Wir bilden eine Gemeinschaft ohne Klassen
und ohne Privilegien (sinifsiz imtiyazsiz bir kitle), sollte der
Verschleierung der Klassengegensätze dienen. Die Klassen begannen sich
erst zu formieren.
Das arbeiterfeindliche und Kurdenfeindliche Gesicht der Kemalisten
Die Kemalisten zeigten ihr arbeiterfeindliches Gesicht schon während des
"Befreiungskrieges". Bei jeder Auseinandersetzung mit den Kapitalisten
sahen sich die Arbeiter der bewaffneten Macht des Staatsapparates
gegenübergestellt. Die Streiks der Arbeiter der Straßenbahnbetriebe, der
Eisenbahn und der Hafenanlagen sind die wichtigsten dieser Periode. Unter
diesen Streiks der Arbeiter der Eisenbahnlinie Aydin-Nusayibin im August
1927 der lehrreichste. Der Streik der 3.000 Bootsleute im Jahre 1927, der
Straßenbahnarbeiter 1928 und zahlreiche andere Streiks sind Beispiele aus
den Kämpfen zur damaligen Zeit.
Trotz der Schwäche der Arbeiterklasse vor der Gründung der TR gab es in
den Großstädten zahlreiche Arbeiterorganisationen. Die Reaktion der
kemalistischen Diktatur war, am Anfang vorsichtig, darauf gerichtet, die
Arbeiterbewegung und die kommunistische Bewegung total zu vernichten. Es
wurden offizielle Arbeiterorganisationen gegründet mit dem Ziel, daß diese
den Kommunisten den Rücken kehren. Gleichzeitig wurde die Arbeiterbewegung
bei jeder Gelegenheit hart und blutig unterdrückt.
Der Aufstand der Kurden im Jahre 1925 gab der Inönü-Regierung den Vorwand,
alle demokratischen Rechte von politischen und gewerkschaftlichen
Organisationen aufzuheben. Die im Parlament verabschiedeten Gesetze zur
"Unterdrückung reaktionärer Elemente" wurden auch auf die Linke angewandt.
Schließlich mußte auch die TKP in die Illegalität gehen.
Die nationale Unterdrückung der kurdischen Nation und der anderen
nationalen Minderheiten wurde von der kemalistischen Diktatur bis zu
Progromen ausgeweitet. Die Aufstände der kurdischen Nation wurden jedesmal
durch die Ermordung von zehntausenden, ohne Rücksicht auf Frauen und
Kinder, unterdrückt. 1925 wurde das Notstandsgesetz verabschiedet, das
Kriegsrecht verhängt und "Unabhängigkeitsgerichte" gegründet. Der
faschistische Terror der kemalistischen Diktatur erreichte seinen
Höhepunkt.
Ausgerechnet die türkischen Kommunisten unterstützten die Politik der
Regierung (Kemalisten) und verurteilten die kurdischen Aufstände mit den
selben Worten der Kemalisten als "einen Versuch der türkischen Reaktion
im heimlichen Einverständnis mit dem britischen Imperialismus." Diese, den
Kemalisten geleistete Hilfestellung brachte den türkischen Linken keine
Vorteile.
Es war ein Fehler, daß die Kommunisten die Erhebungen der Kurden in den
20er und 30er Jahren nicht unterstützten. Die von der TKP vertretene
These, die Kurden würden im Interesse des (britischen) Imperialismus
handeln, hätten sie spätestens bei den Aufständen in den 30er Jahren
spüren sollen. Der Dersim-Aufstand ist der tragische Ausdruck der
chauvinistischen Politik des kemalistischen türkischen Staates gewesen.
Unter solchen Bedingungen wäre der korrekte proletarisch-revolutionäre
Standpunkt gewesenes, sich als Kommunist offen auf die Seite der Kurden zu
stellen und mit ihnen gemeinsam den Kampf gegen die zwangsweise
Assimilierung und gegen den kemalistischen Staat aufzunehmen.
Ein wichtiger Kritikpunkt gegenüber der Kommunisten der Türkei in Bezug
auf die erste Periode ist, daß sie nicht scharf genug gegen das
kemalistische Regime Widerstand geleistet haben.
Entwicklungen, die zur Beendigung der ersten Periode führten:
In den 50er Jahren geschahen große Ereignisse auf der Welt. Der "Kalte
Krieg", der 40 Jahre andauern sollte, begann kurz nach dem Ende des II.
Weltkrieges.. Seit dem II: Weltkrieg befand sich der Sozialismus im
Aufwind. Der "Kalte Krieg" sollte diese Entwicklung stoppen, den
Kapitalismus als das bessere Gesellschaftssystem darstellen. Der "Kalte
Krieg" begann mit den Parolen "die freie Welt zu entwickeln".
Diese wichtigen Ereignisse hatten sich in der Türkei mit dem Übergang vom
Einparteien- ins Mehrparteiensystem bemerkbar gemacht. Die "Demokratische
Partei" (DP) kam mit der Parole "mehr Freiheit" an die Macht.
Als 1950 die DP an die Macht kam, begann eine neue Periode, in der die
natürlichen reichtümer des Landes den imperialistischen Monopolen angeboten
wurden und die gesamttürkei zum Standort von US-Militärbasen wurde.
n den 50er Jahren begann sich in der Türkei auch der Kapitalismus zu
entwickeln.Themen wie Privatisierung und Laizismusfrage, die bis zu dem
Zeitpunkt als Tabuthemen galten, wurden in Frage gestellt. Aus der Türkei
sollte ein "Klein-Amerika" gemacht werden. In dieser Zeit versetzte das
politische und wirtschaftliche Durcheinander in der Türkei der
revolutionären Bewegung der Türkei einen Rückschlag. Die
"Freiheits"-Parolen der DP hat die damalige Kommunisten im gewissen Grade
inspiriert. Man legte Erwartungen auf die Parolen. Die Antwort von Menderes
auf die Erwartungen der Linken war die berühmte Kommunistenverfolgung von
1951" (1951 Komünist tertikati). Während sich ein Teil der Partei in einer
neuen Vorbereitungsphase befand, wurden wichtige Kader der Partei
verhaftet. Die übriggebliebenen organisiserten die "Vatan-Partisi". 1957
wurden auch viele Mitglieder und Anhänger dieser Partei verhaftet.
In einem Massenprozeß gegen die Kommunisten, der von der Menderes-Regierung
inszeniert worden war, verurteilte das Militärgericht mehr als 100
Mitglieder der TKP zu hohen Freiheitsstrafen.
Es begannen nun die Jahre des parlamentarischen Faschismus. So endete die
Periode, die 1920 begann.
Die Arbeiterklasse war zu Zeiten des Befreiungskampfes den Bauern
zahlenmäßig weit unterlegen und insgesamt auch schlecht organisiert. Daher
war sie nicht in der Lage, eine entscheidende Rolle im Kampf zu übernehmen.
Das war ein Grund dafür, daß die türkische Bourgeoisie, die
Großgrundbesitzer und Bürokraten sowie Offiziere den Befreiungskampf
relativ schnell unter ihre Vorherrschaft bringen konnten.
Atatürk als Vertreter der nationalen Bourgeoisie hatte sich nicht nur gegen
verschiedene konservative Kräfte durchsetzt- um seine Vorherrschaft
abzusichern- er blickte auch in der anwachsenden Arbeiterbewegung eine
Gefahr.
Die Ideen der Oktoberrevolution wurden vor allem von türkischen
Kriegsgefangenen, die an der Oktoberrevolution teilgenommen hatten und
sich nun dem türkischen Befreiungskampf anschlossen.
Am 10. September 1920 fand in Baku der Gründungskongreß der
Kommunistischen Partei der türkei (Türkiye Komünist Partisi / TKP) statt,
auf dem Mustafa Suphi zum Vorsitzenden und Ethem Nejat zum Generalsekretär
gewählt wurden.
Als Gegenreaktion Atatürks erfolgte die Gründung einer sog. "legalen"
Kommunistischen Partei, der jedoch nur eine kurze Lebensdauer beschieden
war, da deren Abhängigkeit von der Regierung zu offensichtlich war.
Nach dem Mehrparteiensystem im Jahre ........ nahm die Form des Wettrennens
zwischen der CHP und der Demokratischen Partei (DP) bei der gewährung von
zugeständnisssen an die reaktionären Kräfte im Innenren und an den
Imperialismus an.
Die imperialisten, insbesondere die USA, setzten auf die DP. Die CHP galt
für sie als Reserve in der hinterhand.
Die Herrschenden setzen diesmal auf die USA. Es wurde eine Scheindemokratie
installiert, die sich nach links strikt abschloß, nach rechts jedoch weit
öffnete.
Entwicklungen und Perspektiven der türkischen Linken Teil 2
widerstand@koma.free.de
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