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Entwicklungen und Perspektiven der türkischen Linken Teil 1
Die zweite Periode ist die zwischen 1960 und 1980.
Wir wollen in diesem Teil jedoch nur auf den 1.Teil der 2. Periode
-bis 1971/1972- eingehen.
Die Voraussetzungen für die Entstehung der 2. Periode
Im Jahre 1946 traten einige Politiker wie Celal Bayar und Adnan Menderes
aus der CHP (Republikanische Volkspartei) aus und gründeten im gleichen
Jahr die "Demokratische Partei" (DP), die als Vertreterin der
Großgrundbesitzer und der Industriebourgeoisie auftrat. Mit Parolen gegen
die Arbeitslosigkeit, mit Versprechungen, Streik- und Gewerkschaftsrechte,
Pressefreiheit und freie Religionsausübung zu gewährleisten, trug sie bei
den Wahlen im Jahre 1950 den Sieg davon. Die DP errang 408 der insgesamt
486 Sitze in der "Großen Nationalversammlung".
Was mit den Parolen "mehr Freiheit" und "mehr Rechte" gemeint war, kam in
Kürze ans Licht. Ihre Wahlversprechen hielten sie nicht, sondern
verschärften die Repression gegen Arbeiter- und Studentenorganisationen,
gegen die politische Opposition. Die "DP" ging sogar soweit, Forderungen
für das Verbot der CHP zu stellen. Zunächst wurde eine zivile Front
gegründet, die Heimat-Front. Im Rundfunk wurden täglich die Namen der
Teilnehmer an der Heimat-Front gesendet. Die CHP-Güter wurden
beschlagnahmt. Mit der Wirtschaft ging in weniger als 10 Jahren bergab.
Sogar die Gewerkschaft die Türk-Is, die unter Bedingungen des Kalten
Krieges mit Unterstützung der US-Gewerkschaft gegründet wurde, wurde mit
Verboten konfrontiert. Das Land ging in Richtung einer zivilen Diktatur.
Nach zehn Jahren Regierungszeit erinnerte die DP an die Zeiten der CHP.
Arbeiter- und Studentendemonstrationen griffen auf Großstädte über, an
denen sich fast die gesamte Opposition beteiligte.
Die Politik der 10 Jahre der DP-Herrschaft in der Türkei diente der
Verteidigung der Interessen der Ausbeuterklasse, die sie vertrat.
Während ihre Politik im Inneren der Verteidigung der Interessen der
Ausbeuterklasse diente, bestand ihre Außenpolitik in bedingungsloser
Unterwerfung unter den US-Imperialismus.
Zweite Periode (1960-1980)
Die Jahre nach 1960 bilden das "2. Stadium" für die Revolutionäre Bewegung
der Türkei. Mit den Parolen "freie Welt" begann in den 50er Jahren der
Imperialismus den Kalten Krieg und versuchte so den revolutionären
Bewegungen große Schläge zu versetzen. Mitte der 60er Jahre erzielte der
Imperialismus die ersten Resultate. Während in den westeuropäischen Staaten
die Entwicklung der Kommunistischen Bewegungen zum Stillstand kam, fanden
in der "Dritten Welt" große Entwicklungen statt. Die chinesische Revolution
war bereits verwirklicht. Dahinter die Kubanische Revolution. Ende 1960
stand bereits ein Sieg des Vietkongs fest. Überall in der Welt erreichten
Nationale Befreiungskämpfe ihren Höhepunkt.
In Europa begannen in den 60er Jahren Arbeiter- und Studentenbewegungen.
Genau unter diesen Bedingungen findet die zweite Periode der revolutionären
Bewegung der Türkei statt. Auch in der Türkei standen die Studenten in
vorderster Front.
In den 60er Jahren geschahen auch in der Türkei große Ereignisse. Nach
dem Militärputsch vom Mai 1960 entwickelte sich in der politischen Arena
unerwartete Dinge:
Das Jahr 1960 stellt in der Türkei eine Öffnung nach links dar. In den
60er Jahren wurden die demokratischen Kräfte in der Türkei aktiver.
Dahinter steckt auch die schnelle Entwicklung des Kapitalismus seit den
50er Jahren. Die Landflucht, die seit den 50er Jahren anhielt, führte in
den Metropolen zum Klassenbewußtsein. Das politische Resultat zeigte sich
erst in den 60er Jahren.
Die revolutionäre Bewegung der Türkei hat unter diesen Bedingungen
schnelle, unerwartete Entwicklungen erlebt. Gleichzeitig begann eine
"Strategiediskussion" unter den Linken; was als Zeichen für die Veränderung
der Zeit war.
Der Putsch am 27.Mai 1960
Die "DP" hatte für die im Herbst 1960 anstehenden Neuwahlen eine Niederlage
zu erwarten. Bevor die politischen Aktionen in eine revolutionäre Stimmung
umschlugen, entschied sich die Armeeführung am 27. Mai 1960 zu handeln. So
wollte man verhindern, daß die sozialen und politischen Forderungen und
Zielsetzungen der Opposition die Armee spalten. Die Putschisten
repräsentierten ein weites politisches Spektrum. Das Spektrum reichte von
rechtsextremistischen bis zu linken kemalistischen Offizieren. Obwohl
dieser Putsch- im Gegensatz zu den späteren Putschen- nicht von der CIA
unterstützt wurde, hatte die USA keinen Grund, gegen den Putsch zu
intervenieren. Die CIA wußte, daß die Mehrzahl der putschenden Offiziere
der NATO und den USA positiv gegenüberstanden.
Die sozialistische Ideologie, die lange Jahre hindurch unterdrückt gewesen
war, fand nach der Verfassung von 1961 die Möglichkeit,
ans Tageslicht zu kommen. Die neue Verfassung garantierte bestimmte
begrenzte Rechte für die Arbeiterklasse auf dem Gebiet der politischen und
gewerkschaftlichen Organisierung. Die herrschenden Klassen waren gezwungen,
dem Volk einige demokratische Rechte zuzugestehen, z.B. das Recht auf
Arbeit und Arbeitsurlaub, Mindestlöhne, Versammlungs- und
Koalitionsfreiheit und das Streikrecht, einige Rechte an den Universitäten,
die Erlaubnis der Übersetzung sozialistischer Literatur usw. Die
(beschränkten) demokratischen Rechte in der Verfassung von 1961 änderte
jedoch nichts Wesentliches an der faschistischen Diktatur.
Die Revolutionäre initiierten eine starke antiimperialistische Bewegung,
in dem sie die begrenzten Möglichkeiten des Systems richtig nutzten. Auch
das Gewicht der Arbeiterklasse wurde im Kräfteverhältnis immer deutlicher
sichtbar.
Gründung der TÜRK-IS / DISK / TIP / MDD-Bewegung
Von den Vorstößen der Jugend- und Studentenbewegung beeindruckt, machten
die Linke den Fehler, ihre Aufmerksamkeit nicht hauptsächlich auf die
Fragen der Arbeiterklasse zu richten.
Nachdem die herrschenden Klassen fortschrittliche Gewerkschaften in den
40er Jahren zerschlagen hatten, wurde die Gewerkschaftsbewegung in der
Türkei ursprünglich von den USA aus der Taufe gehoben. Über 500
Arbeiterführer wurden in den USA ausgebildet. Leute, von denen sicher ist,
daß sie CIA-Agenten waren. Sie waren Stiefväter der "amerikanischen gelben
Gewerkschaften" in der Türkei. Innerhalb der "Türk-Is" (Konföderation der
Arbeitergewerkschaften) entwickelte sich eine nach links offene
Gewerkschaftsbewegung. 1967 wurde der Gewerkschaftsverband DISK
(Progressiver Gewerkschaftsverband) gegründet.
Die Spaltungen in der türkischen Linken
Das Ende der 60er Jahre war durch zahlreiche Spaltungen in der türkischen
Linken gekennzeichnet. Es entstanden über ein halbes dutzend
sozialistischer Gruppen und Organisationen. Auf einmal stand sie dem
ungeheuren Problem gegenüber, wie man den Kampf führen sollte. Wegen des
geringen theoretischen Niveaus entstanden neue Krisen. Bei der Spaltung der
türkischen Linken spielte natürlich auch die Spaltung der internationalen
Arbeiterbewegung eine wichtige Rolle: Chinesisch-sowjetischer Konflikt,
der Einmarsch in die Tschechoslowakei, die Entwicklung der
Guerilla-Bewegung in Lateinamerika, der Vietnamkrieg usw. waren nur einige
der Elemente, die die Aufmerksamkeit der türkischen Linken erregten.
In dieser Zeit standen sich zwei Linien in der türkischen Linken gegenüber:
die parlamentarische Linie, vertreten durch die TIP (Arbeiterpartei der
Türkei), und die proletarisch-revolutionäre Linie, vertreten durch die
MDD-Bewegung Nationaldemokratische Revolution) von alten TKP-Mitgliedern.
1967 begannen einige alte Kader der TKP die Wochenzeitung "Türk Solu"
(Türkische Linke) herauszugeben, die sich als die Stimme aller nationalen
und demokratischen Kräfte in der Türkei verstanden hatte. Die Hauptparole
der MDD hieß: "Vollständige und unabhängige und wirklich demokratische
Türkei". Sie vertraten die Meinung, die Türkei hätte noch feudale Aspekte
und befand sich unter der Oberhoheit des US-Imperialismus. deshalb müsse
die erste Stufe der Revolution die Eliminierung dieser Kräfte zum Ziel
haben und nicht den Sozialismus. Für das Ziel sollte eine gemeinsame Front
aller nationalen Schichten und Klassen gebildet werden. "Die Schicht der
Intellektuellen in Armee und Zivilleben" sollte eine wichtige (führende)
Rolle in dieser Revolution spielen. Eine aus ihnen gebildete Junta sollte
die Macht übernehmen.
Die TIP vertrat die Ansicht, daß die Arbeiterklasse durch Wahlen an die
Macht gelangen und den Sozialismus aufbauen würde. Die politische Linie
der TIP wurde als "rechtsopportunistisch" bezeichnet. Sie betrachteten das
Mehrparteiensystem in der Türkei als bürgerlich-parlamentaristische
Demokratie und glaubten, daß sie auf parlamentarischem Wege an die Macht
gelangen und in der Türkei den Sozialismus aufbauen könnten.
TIP wurde von Gewerkschaftern und linken Intellektuellen gegründet, die
nicht eigentlich über eine politische Vergangenheit, Erfahrung oder
Tradition verfügten. Aus Gründen der "Legalität" hielt TIP Distanz zur
TKP.
Die MDD-Bewegung kritisierte die TIP sehr scharf und warf ihr Opportunismus
vor. Besonders junge Mitglieder der TIP begannen mit ihrer Partei zu
brechen. Da die TIP ihre Arbeit immer mehr auf parlamentarische Arbeit
beschränkte, begann sie eine negative Haltung gegenüber die militanten
Aktionen der Jugend einzunehmen.
Während die MDD-Bewegung Aktionen von Jugendlichen, etwa die Besetzung von
Universitäten und antiamerikanische Aktionen ermutigte, meinte die TIP, es
könne durch solche Aktionen zum Faschismus kommen.
Die (oberflächliche) marxistische Orthodoxie der MDD hatte bei vielen
Jugendlichen den Anschein erweckt, daß es sich bei ihr um die einzig
wirkliche marxistische Strömung handele. Im Gegensatz zur MDD-Bewegung,
verfügte die Führung der TIP nicht einmal ein Minimum an marxistischen
Kenntnissen.
Es entstand in dieser Zeit (1965) die revolutionäre Jugendorganisation
"Dev-Genc", die einige tausend Aktivisten um sich versammelt hatte,
die eine wesentlichen Teil der studentischen Jugend mobilisieren konnte.
Sie organisierten neben Universitätsbesetzungen auch Aktionen gegen die
US-Flotte, unterstützen Arbeiterstreiks, kämpften gegen Übergriffe von
Zivilfaschisten und führten einen ideologischen Kampf gegen die Führung
der TIP.
Die Revolutionäre nach 1960 entwickelten sich im Strom der Massen und waren
von der Verwirklichung der Revolution innerhalb kurzer Zeit überzeugt.
Dies führte oft dazu, daß sich die alten Kader mit den neuen nicht
verstehen konnten. In den 70er Jahren entstand die 2. Generation der
revolutionären Bewegung und formierte ihre eigene Kader.
Mit der Studenten- und Arbeiterbewegung entstand eine gefährliche
Entwicklung für die herrschenden Klassen. Die Antwort des Imperialismus und
seiner Kollaborateure bestand in illegalem faschistischen Terror. Ende der
60er Jahre begannen die reaktionärsten Kreise der herrschenden Klassen
(mit Unterstützung der AP-Regierung (Nachfolgeparte der DP) in mehr als
dreißig Provinzen Lager für faschistische Kommandotrupps aufzubauen. In
diesen Ausbildungslagern wurden die Faschisten militärisch trainiert und
auf die Linke gehetzt, um die türkische Linke zu terrorisieren und jede
fortschrittliche Aktion zu beenden. Die zivilen Faschisten begannen,
fortschrittliche Studenten, Arbeiter, Gewerkschafter, Intellektuelle
umzubringen. Da die faschistischen Mörder vom Staat nicht ernsthaft
verfolgt wurden, wurde die revolutionäre Jugend gezwungen, in die Position
der Selbstverteidigung zu gehen.
Durch die politischen Attentate wollten die herrschenden Kreise "zwei
Fliegen mit einer Klappe schlagen". Einerseits inszenierten sie vor der
Öffentlichkeit "den Konflikt zwischen der extremen Rechten und der
extremen Linken", und schafften so Bedingungen für einen faschistischen
Putsch (1972); andererseits lenkten sie die Aufmerksamkeit vom Hauptziel
(Kampf gegen den US-Imperialismus) ab, und zwangen die Linken, ihre Kräfte
gegen den faschistischen Terror zu konzentrieren. Die Herrschenden
schafften dadurch auch Bedingungen, die Spaltungen in den Reihen der Linken
zu begünstigen.
Am 12. März 1972 wurde die Macht mit Unterstützung der CIA von der Armee
übernommen. Eine wilde Jagd auf alle Demokraten und Revolutionäre begann.
Der faschistische Terror durch MIT (Geheimdienst), Konter-Guerilla, Armee
und Zivilfaschisten wurde intensiviert.
Auch wenn der 12. März-Putsch zum Verlust zahlreicher Kader führte, so
konnte sie sich in kurzer Zeit wieder neu formieren.
Während der Regierungszeit der ersten und zweiten Regierung der "Nationalen
Front" (1974-1977), die unter der Führung von Demirel standen, waren die
MHP und andere faschistische Terrororganisationen in der Lage, unter dem
Schutz der AP in Schlüsselpositionen des Staatsappartes vorzudringen und
sie zu besetzen.
Die Anfänge der 70er Jahre wurden zum Höhepunkt in der Geschichte der
türkischen Linken. Diese Zeit war auch ein Wendepunkt in der Geschichte der
revolutionären Bewegung der Türkei. Die Widerstandstaktiken gegen die
Faschisten in den Bezirken kam mit alten Methoden nicht voran. Ende der
sechziger Jahre verwandelte sich das revolutionäre Potential der
Jugendbewegung in eine politische Bewegung, die die Guerilla-Organisationen
der 70er Jahre hervorbringen sollte.
Der 12. September-Putsch und die Aufnahme des bewaffneten Kampfes waren
Zeichen für das Ende der 2. Periode der revolutionären Bewegung der Türkei.
In der nächsten Ausgabe folgt der zweite Teil der 2.Periode (1972-1980).
Entwicklungen und Perspektiven der türkischen Linken Teil 3
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