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Entwicklungen und Perspektiven der türkischen Linken Teil 2

Die türkische Linke und ihre Perspektiven (die 70er Jahre)
Teil 3
Die Zeit zwischen 1968 und 1971 war die kämpferischste Periode der Arbeiterklasse in ihrer Geschichte in der Türkei. Unter dem Einfluß der sich ständig vergrößernden Studentenbewegung mit ihren Universitäts- besetzungen führten die Arbeiter in diesen Jahren offizielle und wilde Streiks sowie Fabrikbesetzungen durch. Während der Universitäts- und Fabrikbesetzungen kam es fast immer zu heftigen Zusammenstößen mit der Polizei. Parallel zu dieser Mobilisierung der Arbeiter und Studenten kam es auch auf dem Lande zu Landbesetzungen durch arme Bauern.
Für die USA stand mit der Türkei die Eckbastion ihres gesamten Ostmittelmeerstrategie auf dem Spiel. Die antiamerikanische Protestwelle wuchs von Tag zu Tag an. Die Flotten der USA konnten nicht mehr ungestört türkische Häfen anlaufen. Angesichts der immer stärker werdenden Opposition gegen die Interessen der Herrschenden und der zunehmenden Probleme auf ökonomischem Gebiet, entzogen das Militär und die Schlüsselgruppen des Bürgertums sowie auch die USA dem Regierungschef Süleyman Demirel ihre Unterstützung. Sie wünschten eine starke Regierung. Am 12. März 1971 forderte die Armeeführung, um dem "wirtschaftlichen Chaos und der Anarchie im Lande" ein Ende zu machen, die Regierung Demirel zum Rücktritt auf, was schon wenige Stunden später erfolgte. Der Putsch zielte, den Interessen der Herrschenden und der Imperialisten entsprechend, nicht auf die Bekämpfung der "Anarchie", sondern auf die Zerschlagung der linken Kräfte.
Nachdem die Führer der militanten Linken rasch verhaftet und einige unter ihnen hingerichtet wurden, verlagerte das Regime ihre systematische Unterdrückung auf alle Personen, die verschiedenen Linkstendenzen verdäch- tigt waren. Während die bedeutenden linken Organisationen Dev Genç, DISK und die Lehrergewerkschaft TÖS bereits unmittelbar nach der Verhängung des Ausnahmezustandes verboten wurden, wurde die TIP (Arbeiterpartei der Türkei), die im Juli 1977 für die Rechte des kurdischen Volkes eingetreten war, wegen "Verstoßes gegen die Unteilbarkeit der Nation" verboten. Die Erfahrung der staatlichen Repression der jungen Leute in diesen Jahren sollte zum neuen revolutionären Bewußtsein der siebziger Jahre führen.
Außerdem setzte der Militärputsch und seine Folgen den Illusionen des Kemalismus ein Ende. Denn nicht wenige linke Strömungen, wenn auch in unterschiedlichem Maße, hatten positive Erwartungen in die "revolutionären Kemalisten" gesetzt. "Diese innerhalb weniger Monate ablaufenden Entwick- lungen bewiesen nicht nur, daß der Kemalismus über keinerlei revolutionäres Programm verfügte - sie zeigten auch die Unvereinbarkeit von putschisti- schen Methoden mit revolutionären Zielen. Der Mythos vom revolutionären Potential des Kemalismus und seiner "Schicht der Intellektuellen in Armee und Zivilleben" wurde in den Augen der sozialistischen Kader nunmehr zu Grabe getragen". Deshalb können wir den Putsch der Militärs vom 12. März 1971 auch als einen Wendepunkt für die türkische Linke bezeichnen.
1973 wurde das Kriegsrecht aufgehoben und im Oktober 1973 wurden Parlamets- wahlen abgehalten, die unerwartet von der CHP gewonnen wurde. Nach harten Verhandlungen einigten sich die CHP und MSP Anfang 1974 auf eine Regierungs- koalition. Die CHP hatte die von ihr im Wahlkampf versprochene Generalamnes- tie für politische Gefangene in die Tat umgesetzt. Im Herbst 1974 kam es in der Regierungskoalition zu Auseinandersetzungen, die mit dem Verlassen des Regierungsbündnisses der MSP endete.
In der Türkei gab es seit Beginn der 70er Jahre eine Art Guerillabewegung, die sich Lateinamerika (Che Guevara) als Vorbild nahm, die glaubte, mit der Waffe in der Hand eine revolutionäre Entwicklung erzwingen zu können. Die beiden wichtigsten Gruppen der türkischen Linken in dieser Zeit waren die "Volksbefreiungsarmee der Türkei" (THKO) und der "Volksbefreiungspartei und Front der Türkei" (THKP-C). Es gab nur geringe Differenzen in der revolutionären Linie der beiden Gruppen. Während die THKO eher unter dem Einfluß der kubanischen Revolution zu stehen schien, behauptete die THKP-C, einer etwas revidierten maoistischen Linie zu folgen. Diese beide Gruppen sind aus unterschiedlichen Gründen gescheitert.
Auch wenn die Kämpfe der Guerilla 1971/72 auf die revolutionäre Bewegung der Türkei großen Eindruck machten, waren sie nur von bescheidener Bedeutung.
Der Kern ihrer Kader bestand aus einigen hundert Kämpfern, die mehrheitlich Studenten waren. Sie konnten sich nur zwischen September 1970 bis März 1972 halten. Trotz des unbedeutenden Umfangs der Guerilla-Aktivitäten konnte sie von späteren Generationen große Sympathien verbuchen und wurde als der Höhepunkt des Klassenkampfes in der Geschichte der modernen Türkei angese- hen. Auch wenn die Zahl jungen Revolutionäre eine kleine Gruppe bildeten, haben sie auf die folgenden Generationen einen tiefen Eindruck hinter- lassen und hatten beträchlichen Einfluß in den 70er Jahren.
1. und 2. Nationalistische Front-Regierungen
Nach dem Bruch der Koalitionsregierung CHP/MSP gelang es der AP im April 1975, trotz bestehender Differenzen und Konflikte, mit Unterstützung der Unternehmerverbände und ausländischer Monopole unter Demirel eine Koalitionsregierung der "Nationalistischen Front" (Milli Cephe - MC) zu gründen. Der "Kauf" einiger parteiloser Abgeordneter ermöglichte die Einigung mit der islamischen "Nationalen Heilspartei" (Milli Selamet Partisi - MSP), der "Republikanischen Vertrauenspartei" (Cumhuriyetci Güven Partisi - CGP) und der faschistischen "Partei der Nationalen Bewegung" (Milli Hareket Partisi - MHP). Im Juli 1977 wurde die "2. Nationalistischen Front-Regierung" unter Beteiligung der MHP, der AP und der MSP, gegründet. Demirel wurde erneut zum Ministerpräsidenten. In der neuen Regierung bekamen die MHP´ler noch größere Möglichkeiten, innerhalb des Staatsapparates sich einzunisten.
Die MC-Koalitionsregierung vertrat die Interessen des einheimischen und ausländischen Monopolkapitals und deren neofaschistische, islamische und fanatische Orientierungen gegenüber der immer stärker werdenden Arbeiterklasse und progressiven Kräften, zu denen aus der Sicht der Herrschenden nunmehr auch die CHP (Republikanische Volkspartei) gehörte. Obwohl innerhalb der Koalitionsregierung Widersprüche auftraten, waren sie sich in ihrem Vorgehen gegen die Arbeiterklasse und die mit ihr verbundenen fortschrittlichen Kräfte einig. Um eine gewerkschaftliche Einheitsbewegung der Arbeiterklasse zu verhindern, wurde die Gewerkschafts-Politik der USA-freundlichen Türk-Is-Führung unterstützt.
Tausende von Arbeitern, Studenten, Schülern und Lehrern wurden von den Terrortruppen und der Polizei verhaftet und zum Teil schwer gefoltert oder ermordet. Ministerpräsident Demirel und andere Parteiführer unternahmen nichts, um die sich krisenhaft verschlechternde ökonomische und politische Situation zu bewältigen, und erklärten öffentlich, daß diese "patriotische Jungen", zusammen mit Militär und Polizei den Staat vor der kommunistischen Gefahr schützen und verteidigen sollten.
Unter diesen schwierigen Bedingungen begann der Aufstieg der sozialistischen und Arbeiterbewegung, der seinen Höhepunkt 1977 erlebte. Die progressive Gewerkschaft DISK begann in den 70er Jahren sich organisa- torisch auch in Anatolien aufzubauen. In einigen der neuen großen Industrie- zentren Anatoliens konnte sie jedoch nicht dieselben Fortschritte machen wie im Westen. So gelang es ihr beispielsweise im Nordwesten nicht, wo es zeit- weilig zu großen Mobilisierungen von Zehntausenden von Arbeitern kam, Arbeiter zu rekrutieren. Auch wenn die DISK im Stahlwerk von Iskenderun, in dem tausende Arbeiter beschäftigt waren, anfänglich gewisse Erfolge verzeichnen konnte, so mußte sie später schlimme Rückschläge einstecken, als faschistische Banden übergriffen. Die Rückschläge ware u.a. auf die Unerfahrenheit der örtlichen linken Kader zurückzuführen, die angesichts der faschistischen Übergriffe keine Gegenorganisierung leisten konnten. Trotz einiger Niederlagen der DISK wurde von 1968 bis zum Militärputsch von 1980 die Rolle der Mobilisierung der Arbeiterklasse von von ihr wahr- genommen.
Die studentische Jugend führte auch einen heftigen Kampf gegen die Faschisten. Die Staatsangestellten, technische Bedienstete gründeten Massenorganisationen, die beträchlichen Einfluß auf das gesellschaftliche und politische Leben hatten.
1978 waren rund 1 Million Arbeiter, Angestellte und Studenten in den Massenorganisationen organisiert, welche unter der Kontrolle verschiedener sozialistischer Gruppen, Parteien und Strömungen standen. Hinzu kamen auch interessante Massenorganisationen wie der "Polizei-Solidaritäts-Verband" mit 40 Branchen und 15.000 Mitgliedern, der sich selbst als demokratische Massenorganisation deklarierte.
Mitte 1975 kam es zur Wiederbelebung der Arbeiter- und Studentenbewegung. Der Aufstieg der drei Haupttendenzen der 70er Jahre begann: der Maoisten, der pro-Moskau-Strömung und der unabhängigen Linken.

die pro-sowjetische Strömung
In den 70er Jahren brachte die TKP (Kommunistische Partei der Türkei) zusammen mit anderen, weniger einflußreichen pro-sowjetischen Strömunge n wie der TIP und der TSIP (Türkische Sozialistische Arbeiterpartei) ihr volles Gewicht auf die Waagschale der politischen Entwicklung. Während die TKP in den 60er Jahren ein "externes Büro" ohne Unterstützerbasis in der Türkei war, nahm der Einfluß dieser Strömung in den 70er Jahren auf die studentische Jugend, kleinbürgerliche Intellektuelle und auf die DISK-Bürokratie zu.
Nach 1974 kamen auch die Massen der Arbeiter und Bauern in die politische Arena. Von nun an war die revolutionäre Bewegung in der Lage zehntausende, manchmal sogar hunderttausende von Menschen zu mobilisieren. Es wurde die TSIP als erste legale (linke) Partei dieses Zeitraums gegründet. Es begann wieder ein Wiederaufblühen der linken Publikationen, auch die gewerkschaft- lichen Aktivitäten entwickelten sich rasch.

Die Maoisten
Die zweite Hauptströmung in der türkischen Linken der 70er Jahre waren diejenigen, die maoistisch orientiert waren. Die bedeutendste maoistische Partei war die pro-chinesische TIKP (Türkische Arbeiter- und Bauernpartei), die 1974 gegründet wurde, und die die vom Militärregime verbotene Tageszei- tung "Aydinlik" herausgab. Die TIKP vertrat die offizielle Version, daß linke und rechte Extremisten gleich viel Schuld am Terrorismus hätten. Sie vertraten die Meinung, daß die bürgerliche Demokratie, für deren Stärkung sie eintrat, von der Sowjetunion und der TKP stärker gefährdet sei als von der faschistischen MHP und den CIA-gesteuerten Kräften der Konterguerilla. Sie trat für die NATO und EG ein, da diese Organisationen gegen die Sowjet- union gerichtet waren. Sie hatte jedoch keinen großen Rückhalt in der Bevölkerung.
Die meisten anderen neuentstandenen maoistischen Strömungen kamen aus der Guerillabewegung. Auch diese bezeichneten die sowjetische Linie mit ihrer "Politik der friedlichen Koexistenz" als Verrat am Sozialismus und als "revisionistisch". Chinas "revolutionäre Unversöhnlichkeit" und "Bauern- revolution" zog die meisten Kader an.
Nach dem 12. März-Putsch machte die THKO (Volsbefreiungsarmee der Türkei) mehrere Veränderungen durch. Diese Gruppierungen, die sich "Halkin Kurtulusu" (Volksbefreiung), "Halkin Birligi" (Volkseinheit) und "Halkin Yolu" (Volksweg) nannten, wuchsen innerhalb von kurzer Zeit zu großen Organisationen heran. Die Gesamtauflage ihrer Wochenzeitungen betrug über 100.000. Sie verfügten über großen Einfluß an Universitäten, bei Slumbewoh- nern sowie in einigen ländlichen Gebieten. Sie hatten jedoch kaum Einfluß auf das Industrieproletariat.
Alle diese Organisationen betrachteten sich als die Nachflgeorganisation der THKO, die nach 1972 mehrere Veränderungen durchmachte. Sie entwickelte sich in zwei Hauptfraktionen. Die größere Strömung "Halkin Kurtulusu" übernahm die Peking-Linie (dem Namen der Zeitschrift, die sie herausgab). Die Minderheit nannte sich "Emegin Birligi", die eher der TKP-Linie nahhe- kam. Die Rivalität zwischen "Halkin Kurtulusu" und "Emegin Birligi" war so groß, daß es zwischen beiden Gruppen zu bewaffneten Zusammenstößen kam. Als die KP-Albaniens auf ihrem 7. Kongreß 1976 die chinesiche Außenpolitik erstmals kritisierte, wandelten sich diese Organisationen gegen Ende der 70er Jahre zu Anhängern der Politik Enver Hoxhas.
Es gab eine weitere maoistische Bewegung, die seit Anfang 1970 bestand und sturr die Linie des bewaffneten Kampfes folgte. Diese "Kaypakkaya" Gruppe, die sich TKP/ML - TIKKO (Türkische Kommunistische Partei / Marxisten Leninisten - Türkische Arbeiterpartei / Bauernbefreiungsarmee) nannte, entwickelte sich im Laufe der 70er Jahre zu einer Massenorganisation.

Die unabhängige Linke
Die dritte Strömung der türkischen Linken war die sogenannte "unabhängige" Linke, deren Führung aus der Guerillabewegung (THKP-C-Gruppe´)kam, und die im Laufe der 70er Jahre unterschiedliche Veränderungen durchlief. Sie spalteten sich in viele Gruppen. Alle sahen sich als Vertreter der Linie Mahir Çayans. Sie verankerten sich aus Studenten und kleinbürgerlichen Intellektuellen. In kurzer Zeit aber wurden sie auch in den Metropolen und rückständigen Regionen Anatoliens zu Massenorganisationen. Die wichtigsten dieser Gruppen nannten sich "Dev Yol" (Revolutionärer Weg), "Dev Sol" (Revolutionäre Linke) und "Kurtulus" (Befreiung). Die größte Gruppe war "Dev Yol". Die Erinnerung an die Niederlage der Guerillabewegung war sehr lebendig. Daher hielt die Führungskader lange Zeit die Bedingungen für einen Guerillakrieg nicht reif genug. So kam es zu der ersten Spaltung, aus der "Dev-Sol" hervorging, die sofort zur bewaffneten Propaganda überging. "Dev-Sol" entwicklete sich rasch zu einer Massenorganisation, die in den Slums der Großstädte, in Dörfern Anatoliens und an den Universitäten Massenorganisationen bildete. Die Gesamtauflage ihrer zweiwöchentlich erscheinenden Zeitung erreichte 100.000. Trotz ihrer Stärke blieb sie jedoch eine kleinbürgerliche Jugendbewegung, fern von der Arbeiterklasse. Vor allem theoretisch konnte diese Bewegung keinerlei Fortschritte verzeichnen.
Auch die dritte Gruppe der "unabhängigen Linken" "Kurtulus", verfügte über eine Führung, die aus der Tradition des Guerillakampfes kam, aber die Guerillevergangenheit kritisierte. Sie vertraten eine orthodoxere marxistische Haltung und studierten insbesondere Stalin. Im Gegensatz zu anderen Strömungen nahm sie die Theorie ernst. Auch sie verfügte über dieselbe gesellschaftliche Basis. Wegen ihrer Kritik an der Guerillabewe- gung und ihres relativ höheren theoretischen Niveaus blieb sie eine kleine Splittergruppe.

Die kurdische Linke
In den späten 60er Jahren gab es die ersten Versuche junger kurdischer Rebolutionäre, die damals in türkischen Metropolen studierten, sich zu organisieren. Sie waren vor allem in der "Revolutionäre Kulturvereinigungen des Ostens" (DDKO) organisiert. Die meisten türkischen Linken begegneten in den 70er Jahren dem Kurdenproblem mit nationalistischen Vorurteilen. Obwohl es keine Tradition aus den vergangenen Generationen gab, wurde der Marxismus mit Begeisterung aufgenommen. Fast alle politischen Organisatio- nen betrachteten sich als sozialistisch. Im Gegensatz zu den türkischen Linken betrachteten sie mehrheitlich den Sowjetkommunismus als Führerin der sozialistischen Weltbewegung.
Die Zerstrittenheit der Linken führte dazu, daß es nicht zu einem organisierten Widerstand gegen die bevorstehende Junta kam. Die meisten Gruppen wurden unter der Kriegsrechtsdiktatur der Militärjunta vom September 1980 zerschlagen. Mehr als 300.00 Links-revolutionäre "retteten" sich nach dem Staatsstreich ins Ausland.

Entwicklungen und Perspektiven der türkischen Linken Teil 4


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