Dieses Dokument ist Teil des Buches Wie geschmiert - Rüstungsproduktion und Waffenhandel im Raum Hamburg, 1998
Kapitel 3.3
Als erstes Land der Welt bestellte Nigeria bei B + V ein auf dem MEKO-Konzept basierendes Kriegsschiff, eine Fregatte des grossen Typs MEKO 360. Der Liefervertrag wurde am 3. November 1977 unterzeichnet.
Da Nigeria weder entsprechend ausgebildetes Personal zum Bedienen und Warten eines technisch derart anspruchsvollen Kriegsschiffs besass noch über die erforderliche Marinelogistik, Wartungs- und Reparatureinrichtungen verfügte, konnte B + V noch eine Reihe bedeutender Folgeaufträge verbuchen. Sie betrafen:1
Entwicklung einer sog. Planned Maintenance Documentation und Lieferung von Depot-Ersatzteilen für die gelieferte Fregatte Aradu,
Aufbau einer neuen Marinewerft für 1.500 Beschäftigte in Lagos (Victoria Island/Wilmot Point) ab 1984, in diesem Zusammenhang auch Ausbildung von Werftfacharbeitern,
Modernisierung der Marinebasis Apapa (ca. 1985-88),
Schulung von Personal für die Fregatte "Aradu" im Naval Training Center in Hamburg (Ende der 80er Jahre),
Instandsetzung der bereits stark reparaturbedürftigen "Aradu" in der Marinewerft Wilmot Point (1991-93).
Der Wert des Fregattenauftrags wurde mit 314 Mio. DM angegeben. Über die Finanzierungsmodalitäten wurde in den Medien nicht berichtet. Die Tatsache allerdings, dass Vertreter der Deutschen Bank AG Hamburg (Hans-Kurt Scherer, Christoph Könneker), der Dresdner Bank (Wolfgang Trillmich) und der Swiss Bank Corporation, London (L.F. Ackermann) von B + V zum Stapellauf des Kriegsschiffes eingeladen wurden 2 sind, ist ein fast sicherer Beleg dafür, dass diese Bankhäuser massgeblich an der Abwicklung des Geschäfts beteiligt waren.
Der Auftrag zum Aufbau der Marinewerft Wilmot Point und zur Modernisierung der Marinebasis Apapa hatte einen Lieferwert von rund 250 Mio DM. Aufgrund dieses Geschäfts stieg der Anteil der Sparte "Consulting" am gesamten Auftragseingang von B + V sprunghaft von 1 Prozent (1983) auf 22 Prozent (1984) an.3
Nigerias Militärregime entwickelte sich in den 70er Jahren dank der hohen Einnahmen aus dem Ölexport zum wichtigsten schwarzafrikanischen Kunden der europäischen Rüstungsindustrie. Von der Aufrüstung der nigerianischen Seestreitkräfte profitierten britische, französische, italienische, vor allem aber deutsche Werften.4 Abeking & Rasmussen lieferte vier grosse Patrouillenboote, Lürssen drei Raketenschnellboote und -> HDW Hamburg zwei Landungsschiffe. Die bei weitem grösste Einzelbeschaffung stellte die MEK0-360-Fregatte von B + V dar.
Die Genehmigung des Fregatten-Geschäfts mit Nigeria durch die Schmidt/ Genscher-Regierung schuf einen von der Industrie höchst erwünschten Präzedenzfall: Zum ersten Mal wurde - allen erklärten politischen Grundsätzen zum Trotz - die Lieferung eines grösseren Kriegsschiffs an ein Nicht-NATO-Land erlaubt. Aussenpolitisch hat hier zweifellos das Interesse eine Rolle gespielt, sich mit dem wichtigsten und ölreichsten Land Westafrikas gut zu stellen.5
Das Beste aus der Sicht der Industrie war, dass es trotz der grossen Bedeutung zu keiner öffentlichen Diskussion über die Genehmigung des Geschäfts kam; im Deutschen Bundestag wurde darüber erstaunlicherweise überhaupt nicht gesprochen. Man nahm es hin, als das Wirtschaftsministerium zur Genehmigung erläuterte: "Bei Schiffs-Exporten ist die Bundesregierung grosszügig. Fregatten werden schliesslich nicht zu Strassenkämpfen missbraucht"6 - ganz so, als ob ein Verbot von Waffenexporten nur aus der Gefahr möglicher Strassenkämpfe abgeleitet werden könnte. Dass - abgesehen davon - Kriegsschiffe sehr wohl in bürgerkriegsartige Konflikte eingreifen können, hat gerade die nigerianische Marine kürzlich demonstriert: Anfang Juni 1997 beschoss ein ungenanntes nigerianisches Kriegsschiff Ziele in Freetown, der Hauptstadt von Sierra Leone, und tötete dabei 42 Menschen.
Es scheint, dass Bonn ausserdem auf der politischen Ebene ein Hindernis aus dem Weg räumte, das den Nigeria-Auftrag und das sich anschliessende Super-Geschäft von B + V mit Argentinien hätte gefährden können. Nach den Bestimmungen der Westeuropäischen Union, die 1954 zur Begrenzung deutschen Weltmachtstrebens festgelegt worden waren, war der Bundesrepublik der Bau von Kampfschiffen mit einer Wasserverdrängung von mehr als 3.000 Tonnen verboten. Am 21. Juli 1980 hob der Rat der WEU auf Antrag von deutscher Seite die Tonnagebeschränkungen für den deutschen Kriegsschiffbau auf, ohne dass die meisten Beobachter hierfür einen konkreten Anlass erkennen konnten.7 Es sei dabei nicht so sehr um militärische Interessen der Bundesmarine gegangen, erkärte Marine-Inspekteur Bethge, sondern darum, "den diskriminierenden Effekt bei der Beschränkung der deutschen Industrie wegzubekommen".8 Das Hauptziel der deutschen Initiative, an der im Vorfeld das Verteidigungsministerium, das Wirtschaftsministerium und das Auswärtige Amt beteiligt waren, bestand eindeutig darin, der deutschen Kriegsschiffsindustrie neue Felder im Exportmarkt zu erschliessen.9 Da B + V selbst die Einsatzverdrängung der Fregatten für Nigeria und Argentinien mit 3.600 t angab10, was auch der Typbezeichnung MEKO 360 entsprach, lag der Schluss auf der Hand, dass die Aufhebung der WEU-Beschränkungen zugunsten der Fregattenexporte der Hamburger Werft erfolgte. Die Bundesregierung und auch der Hamburger Senat bestritten aber auf Nachfragen von Parlamentariern einen Zusammenhang.11 Nach ihrer Aussage entsprachen die Fregatten MEKO 360 "mit einer Typverdrängung (nicht Einsatzverdrängung) von weniger als 3000 Tonnen" den bis 1980 geltenden WEU-Bestimmungen.
Die Zweifel an der Korrektheit dieser Darstellung sind allerdings bis heute nicht ausgeräumt. Zum einen könnte die Berufung auf die Grössenkategorie "Typverdrängung" ein terminologischer Kunstgriff gewesen sein. Die Typverdrängung eines Kriegsschiffs ist stets kleiner als die Einsatzverdrängung, da bei ersterer die auf dem Kriegsschiff befindlichen Brennstoffe und Speisewasservorräte nicht mitgerechnet werden. Hierzu ist zu bemerken, dass das massgebliche Protokoll Nr. III (Anlage III) zum WEU-Vertrag von 1954 eine Festlegung auf den Parameter "Typverdrängung" nicht enthält. Im übrigen könnte sich die Bundesregierung den Umstand zunutze gemacht haben, dass es für Aussenstehende unmöglich ist, die tatsächliche Grösse eines Kriegsschiffs festzustellen - mit anderen Worten: die Darstellung der Regierung war nicht nachprüfbar. Deutschland hat, daran sei hier kurz erinnert, aus der Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reichs grosse Erfahrungen beim Schummeln mit Grössenangaben von Kriegsschiffen.
Fregatte "Aradu"
Kiellegung 1.12.1978
Stapellauf 25.1.1980
See-Erprobung Mai bis August 1981 (wobei bereits 10.000 Seemeilen zurückgelegt wurden)12
Übergabe 4.9.1981
Ankunft in Lagos 21.12.1981
Indienststellung: 20.2.1982
Verdrängung: 3630 t, Länge: 119 m, Höchstgeschwindigkeit: 30 Knoten, Besatzung: 230 Mann
Hersteller der Waffensysteme
aus Italien: OTO Melara (Otomat-Raketen,
127-mm-Hauptgeschütz), Breda Meccanica (vier
40-mm-Zwillingsgeschütze, Täuschsystem), Selenia
(Flugabwehr-Raketensystem Albatros), Whitehead (Torpedos)
aus
Grossbritannien: Westland (Bordhelikopter Lynx)
Weitere Zulieferfirmen
aus Deutschland: MTU (Dieselmaschinen), AEG-Telefunken
(elektr. Anlagen), Siemens (Dieselgeneratoren u.a.),
Philips/Radarleit (Kommunikationstechnik), Hagenuk
(Kommunikationstechnik), Rohde & Schwarz (Kommunikationstechnik),
Anschütz (Navigationssysteme), Krupp Atlas (Sonar, nachträglich
eingebaut), -> Noske-Käser (Klimatechnik), -> VSG
Verfahrenstechnik für Schiffsbetrieb GmbH (Kühleinheiten
für Waffen- und Elektronik-Container, Munitionsräume u.a.),
-> Fritz Barthel Armaturen (Ventile u.a.), -> Sulzer Weise GmbH
(Pumpen), -> Alfons Haar Maschinenbau (Nachtankanlage für
Bordhelikopter)
aus Grossbritannien: Rolls Royce
(Gasturbinen), Vosper Thornycroft und David Brown (Antriebstechnik),
Plessey (Radar, Torpedorohre), Racal-Decca (Radaranlagen u.a.),
Marconi (Kommunikationstechnik), Kelvin Hughes (Echolot);
aus
den Niederlanden: Hollandse Signaalapparaten (Radar, Sonar,
Digital Action Information System);
aus der Schweiz: MAAG
(Getriebe für Maschinen);
aus Schweden: KaMeWa
(Propeller)
Anlässlich des Stapellaufs taufte die Frau des nigerianischen Senatspräsidenten Wayas die Fregatte mit extra eingeflogenem Palmwein auf den Namen "Republic".13 Wenig später, noch 1980, ordneten sie die Umbenennung in "Aradu" (Donner) an.
Die 1984 von B + V übernommenen Arbeiten beim Bau der Marinebasis Wilmot Point waren 1987 soweit fortgeschritten, dass ein erster Teil der Werftanlagen mit dem Ausbildungszentrum offiziell eingeweiht werden konnte.14 Bereits seit 1985 waren vier Instruktoren von B + V bei der Schulung von Werftpersonal tätig. Im Rückblick auf das Jahr 1987 berichtete B + V über den Stand des Projekts Wilmot Point: "Wir haben inzwischen die gesamte Einrichtung geliefert, die zu einer Marinewerft gehört"; aber der Grossteil der gelieferten Anlagen wartete im Hafen von Lagos bzw. Victoria Island in rund 300 Containern noch darauf, installiert zu werden.15 Eine Schiffbau- und Stahlbauhalle, ein hochmoderner Maschinen-Prüfstand, Elektro- und Elektronikwerkstätten, ein Labor zur Werkstoffprüfung, Krananlagen usw. - auf nichts wollte das Militär verzichten. Am 28. August 1990 schliesslich weihte Nigerias Staatschef, General Babangida, die Gesamtanlage von Wilmot Point ein.16
Die Modernisierung des im Hafen von Lagos gelegenen Stützpunktes Apapa - dies war das zweite militärische Infrastrukturprojekt, an dem B + V massgeblich mitwirkte - wurde 1988 abgeschlossen.17
Nigeria ist ein hochgradig militarisiertes Land. Seit dem Biafra-Krieg 1967-70, der über eine Million Tote forderte, verfügt das Land über die grösste Armee Schwarzafrikas. Immer wieder hat das Militär die innenpolitische Macht an sich gerissen (1966, 1975, 1983 und zuletzt 1993). Nach aussen verfolgt Nigeria, so schreibt der Afrika-Experte Peter Körner, "aufgrund seiner militärischen Stärke Regionalmachtambitionen, die insbesondere bei den frankophonen Staaten West- und Zentralafrikas (sowie bei Frankreich) auf Misstrauen stossen".18 Ein gefährlicher Grenzkonflikt um ein erdölreiches Küstengebiet schwelt seit einiger Zeit zwischen Nigeria und Kamerun.
Nach ihrer Indienststellung als Flaggschiff der nigerianischen Flotte ist die "Aradu" wiederholt bei Übungen und Imponierbesuchen in anderen afrikanischen Ländern zu sehen gewesen. Im Februar 1987 führte sie einen nigerianischen Flottenverband an, der mit zwei deutschen Kriegsschiffen vor der westafrikanischen Küste eine seltsame "Marineübung" abhielt. Von deutscher Seite war die 1980 bei B + V auf Kiel gelegte Fregatte "Köln" sowie der Zerstörer "Rommel" beteiligt. Der Name der Übung, über die nur die nigerianische Presse berichtete19, war "Operation danke" - wer dabei wem wofür dankte, blieb offen.
Einen realen Nutzen hat das High-Tech-Kriegsschiff "Aradu" für die nigerianische Bevölkerung nicht gehabt. Im Gegenteil: Es ist zu einer ständigen Belastung des inzwischen geschrumpften Staatshaushalts geworden. Allein die regulären, jährlich für seine Instandhaltung erforderlichen Kosten wurden 1989 von einem nigerianischen Admiral mit 50 bis 100 Mio. Naira (damals etwa 16 bis 32 Mio. DM) angegeben.20 Unfallbedingte Schäden führten zu zusätzlichen Kosten. Bei einer Fahrt auf dem Kongo-Fluss lief das Schiff im Juli 1987 auf Grund; bei zwei anderen Gelegenheiten kam es in demselben Jahr zu Kollisionen.21 Von der intensiven, von 1991 bis 1993 dauernden Überholung der "Aradu" profitierte am Ende nur B + V. Schon bei den ersten Probefahrten nach der Instandsetzung lief das Schiff erneut auf Grund. In der 1995 erschienenen Ausgabe von "Jane's Fighting Ships" wurde berichtet, die Waffensysteme seien nicht einsatzfähig, und das Schiff liege die meiste Zeit im Hafen. In der Ausgabe von 1996 folgte dann die Nachricht, die "Aradu" sei 1995 ausser Dienst gestellt worden; ihr Zustand wurde mit den Worten "beyond economical repair" als schrottreif charakterisiert.22 Gerade einmal 13 Jahre waren seit der Indienststellung vergangen.
Die Mittel, die das nigerianische Militär für Prestigekäufe verpulvert hat, wären in anderen Bereichen wesentlich besser angelegt gewesen. Ein grosser Teil der Bevölkerung lebt in existenzieller Not; die Analphabetenrate ist sehr hoch. Lagos droht in einem Sumpf aus sozialer Verelendung, Jugendbandenkriminalität und Korruption zu versinken; im Bereich der öffentlichen Versorgung (Abfallbeseitigung, Trinkwasser- und Stromversorgung) herrschen grosse Missstände.23 Es ist kein Wunder, dass viele Nigerianer dem Land zu entfliehen suchen.
Anmerkungen: