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Rechts auf dem Marktfrühschoppen

Für viele Menschen ist der Marburger Marktfrühschoppen nichts weiter als „das kürzeste Volksfest Deutschlands“ (OP), bei dem Verbindungsstudenten und BürgerInnen zusammen feiern. Doch das Fest zieht auch eine andere Gruppe an, die sich immer mehr am und um den Marktfrühschoppen betätigt. Seit 1998 steigern sich die Aktivitäten der rechten Szene an diesem Termin. Am 3. März 2000 berichtete der Marburger Express, dass rechte Gruppen in einer Presseerklärung vom 22. Februar frühzeitig zur Unterstützung des Marktfrühschoppens aufgerufen hatten. Damit ist eine neue Qualität der faschistischen Aktivitäten sowie der politischen Ausrichtung und Bedeutung des Marktfrühschoppens erreicht.

 
1998 meldete ein Mann aus dem Landkreis Marburg-Biedenkopf eine Demonstration an, die sich gegen die Protestaktionen von linker Seite gegen den Marktfrühschoppen richtete. Verantwortlich dafür zeichnete die Gruppe Nationaler Widerstand Hessen. Unter anderen wurde als Redner der Hamburger Thomas Wulff angekündigt, ein führender Kopf der militanten Neonaziszene. Für die Zeit nach der Kundgebung boten sich Mitglieder des Nationalen Widerstands als freiwillige Ordner für den Marktfrühschoppen an. Schließlich fanden sich dann lediglich einige Flugblätter in der Marburger Innenstadt, auf denen das Weiterbestehen des Marktfrühschoppens gefordert wurde. 1999 meldete ein sogenanntes Volkstreues Komitee für gute Rat-Schläge einen Informationsstand in der Marburger Oberstadt an. Letztlich verteilten dort Manuel Mann (NPD-Mitglied) aus Rossdorf, der Marburger Martin Dembowsky (Ex-Funktionär der Republikaner, mittlerweile Kandidat der NPD) sowie zwei weitere, einschlägig bekannte Personen aus dem rechten Lager Flugblätter. Unter dem Motto „Schluß mit dem roten Straßenterror in Marburg“ wandten sie sich gegen staatliche Repression und eine angebliche Verfolgung durch AntifaschistInnen. Weiter drückten sie ihre Sympathie mit dem alljährlichen deutschtümelnden Besäufnis auf dem Markplatz aus und forderten „Marktfrühschoppen bleibt! Jetzt erst recht!“. Unterstützt wurde das Flugblatt vom Nationalen Widerstand Hessen sowie dem Lübecker Bündnis Rechts.

Neben den erwähnten Faschisten trieb sich auch der inzwischen zu lokaler »Berühmtheit« (siehe OP vom 8.2./9.2. und 22.2.2000) gelangte Jürgen Gansel auf dem Marktplatz herum. NPD-Aktivist Gansel flog im Februar 2000 aus der Marburger Burschenschaft Normannia-Leipzig. Am 4. Dezember 1999 war aus deren Haus in der Barfüßertorstraße 14 auf einen Hausmeister mit einem Luftgewehr geschossen worden und die herbeigerufene Polizei soll von Gansel mit dem »Hitlergruß« und »Sieg-Heil«-Rufen empfangen worden sein. Darüber hinaus gehörte ihm das Luftgewehr.

Dieses Jahr verschickten FaschistInnen bereits im Februar eine Pressemitteilung, in der sie die Unterstützung des Marktfrühschoppens ankündigten. Diese Mitteilung wurde auch gleich vom Nationalen Infotelefon Lübeck (NIT) innerhalb der neofaschistischen Szene verbreitet.

Den „NIT“s kommt eine zentrale Funktion im bundesweiten Informationsaustausch für die faschistische Szene zu. Über die Telefone findet vor allem eine Mobilisierung für Demonstrationen, Aktionen, Rechts-Rock-Konzerte etc. statt.

Bundesweite Mobilisierung

Das Mittelhessische Aktionsbüro mit Postfach in Marburg mobilisiert die Nazi-Szene unter dem Motto „Marktfrühschoppen bleibt! – Jetzt erst recht!“ bundesweit nach Marburg. Großspurig werden „Unterstützungskonzepte, mit friedlichen Mitteln“ angekündigt, die „mit regionalen Aktionsgruppen ausgearbeitet“ würden, um AntifaschistInnen zu zeigen, dass sie „in der Marburger Innenstadt unerwünscht“ seien.

Außerdem wollen sie Strukturen und Personen öffentlich machen, die sich gegen den Marktfrühschoppen einsetzen. Diese sogenannte »Anti-Antifa«-Arbeit bedeutet, dass über vermeintliche GegnerInnen Informationen gesammelt und veröffentlicht werden, um sie so einzuschüchtern. Immer wieder tauchen ganze Listen mit persönlichen Daten von »politischen Gegnern« auf. Die verwendete Sprache lässt eindeutige Schlüsse über die Ziele der VerfasserInnen zu. In der 1993 von Neonazis verbreiteten Broschüre Einblick wird dazu aufgerufen, den politischen FeindInnen „unruhige Nächte“ zu bereiten und sie „endgültig auszuschalten“. In letzter Konsequenz bedeutet die »Anti-Antifa«-Arbeit die Anwendung von Gewalt gegen AntifaschistInnen, wie sich an vielen Beispielen belegen lässt.

So schoss im Februar 1997 der Berliner Neonazi Kay Diesner mit einem Gewehr auf einen linken Buchhändler und zerfetzte ihm den Arm. Wenige Tage später erschoss Diesner bei einer Kontrolle einen Polizisten und verletzte einen weiteren schwer. Im Rahmen der »Anti-Antifa« kursierte die Adresse des Buchladens bereits zwei Jahre zuvor. Diesner setzte die Rechercheergebnisse der »Anti-Antifa« schließlich in die Tat um.

Im Oktober 1999 wurde der schwedische antifaschistische Gewerkschafter Björn Söderberg von drei Neonazis ermordet. Söderberg war aufgrund seines antifaschistischen Engagements den Nazis aufgefallen. Gerade mit dem Leben kamen der schwedische Journalist Peter Karlsson und sein 8-jähriger Sohn davon, als unter ihrem Auto eine Bombe explodierte. Karlsson hatte über faschistische Aktivitäten berichtet und war deswegen in das Visier der Nazis geraten. Diese Beispiele belegen die Gefährlichkeit der NeofaschistInnen und machen die Bedrohung deutlich, die von der »Anti-Antifa«-Arbeit ausgehen.

Das Mittelhessische Aktionsbüro (MA) sammelt nach eigenen Angaben unter seinem Dach das Mittelhessische Aktionsbündnis und das Volkstreue Komitee, in denen sich „viele Freie Nationalisten und viele Freie Aktionsgruppen“ organisiert haben.

Das MA sowie die genannten Gruppen sind dem sogenannten Nationalen Widerstand und den Freien Kameradschaften zuzurechnen. Diese sind unabhängig von rechten Parteien bundesweit organisiert und verfolgen eindeutig eine nationalsozialistische Politik. Dabei setzen sie auch auf Gewalt gegen Menschen, um ihre rassistische, sexistische und großdeutsche Politik durchzusetzen und um gegen Menschen vorzugehen, die nicht ihrem »arischen Weltbild« entsprechen oder ihre politische Überzeugung teilen.

Eine der Pressemitteilungen wurde auch an den Allgemeinen Studierenden-Ausschuss (AStA) der Universität Marburg verschickt – aufgegeben in Marburg und auf der Rückseite mit einem Aufkleber der neofaschistischen Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.v. (HNG) versehen. Und spätestens damit machen sie überdeutlich, welche „friedlichen“ Mittel sie zur Unterstützung des Marktfrühschoppens im Sinn haben: Diese »Hilfsorganisation« kümmert sich z.B. auch um den faschistischen Mörder Kay Diesner, noch lebende NS-Kriegsverbrecher wie Erich Priebke oder den Chef der in den USA ansässigen NSDAP-Auslands- und Aufbauorganisation Gerhard Lauck.

Sogar der Verfassungsschutz bezeichnet die HNG als „neonazistische“ Organisation, die „als Bindeglied zwischen verschiedenen rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Gruppierungen“ fungiert. Die Arbeit diene vor allem dazu, „inhaftierte Gesinnungsgenossen weiterhin an die rechtsextremistische Szene zu binden.“

Die politische Ausrichtung und Bedeutung des „kürzesten Volksfestes Deutschlands“ wird deutlich, wenn es nun offen von NationalsozialistInnen unterstützt und sein Weiterbestehen von ihnen als wichtig erachtet wird. Die völkische und deutschtümelnde Brauchtumspflege auf dem Marktplatz hat viele ideologische Elemente, auf die sich auch faschistische Kräfte beziehen. Hieran wird deutlich, warum Kräfte aus der rechten Ecke den Frühschoppen unterstützen und verteidigen. Die Studentenverbindungen sowie die UnterstützerInnen des Marktfrühschoppens täten gut daran, sich über ihre Funktion als WegbereiterInnen für reaktionäre Ideologien klar zu werden.

Das Schweigen der Männer

Bisher hat sich noch keine Marburger Verbindung gegen die Anwesenheit von NeofaschistInnenen auf dem Marktfrühschoppen ausgesprochen. Auch der Marktfrühschoppenorganisator T. P. (Alter Herr der Burschenschaft Arminia) und Oberbürgermeister Dietrich Möller (CDU), ein kompromissloser Verteidiger des Marktfrühschoppens, schweigen bisher dazu.

 

 

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... in der Deutschen Burschenschaft (DB), dem Dachverband von gegenwärtig etwa 100 Burschenschaften aus der gesamten BRD und Österreich.