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Tue Oct 15 20:20:24 1996
 

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Stadtpolitik im Jugendbereich. [3]

Wurzen-Broschüre.

Jugendselbsthilfezentrum/Stadtjugendpfleger.

Das Jugendselbsthilfezentrum »Konflikte, Drogen, Sucht« (JSHZ) wird im Oktober 1991 auf Privatinitiative gegründet. Im Dezember 1992 wird das Gründungsmitglied Dieter Reise als Jugendsozialarbeiter der Stadt Wurzen eingestellt. Damit bietet sich Reise als Mittler zwischen Stadt, JSHZ und den Jugendlichen an. Die Stadt läßt ihm zunächst relativ freie Hand in seinem Ressort. Seine Arbeit beginnt mit einer detailierten Situationsanalyse für Wurzen. Er erachtet die unter Selbstregie der Jugendlichen neu entstandene Villa Kuntabunt, der einzig existierende Freiraum Jugendlicher, für sehr wichtig und regt die Bildung von Interessenvertretungen an. In der Folge entsteht der Kreisjugendring, der Stadtjugendring und das Schülerparlament. Reise und das JSHZ setzen in ihrer Arbeit auf die Ansätze des Streetworking. Die Resonanz der Jugendlichen auf die Arbeit ist erstaunlich groß. Doch bereits nach kurzer Zeit kristallisiert sich immer deutlicher heraus, daß sein Klientel hauptsächlich aus dem Villa-Kuntabunt-Spektrum und aus normalen Jugendlichen besteht und somit ihm der Zugang zur rechten Szene mißtrauisch verwehrt wird.
Jugendselbsthilfezentrum
Im August 1994 findet die Besetzung der Dresdner Straße
durch alternative Jugendliche statt. An diesem Punkt verkehrt sich die eher positive Position der Stadt zur Jugendarbeit des Stadtjugendpflegers und des JSHZ ins vollkommen Negative. Als der Bürgermeister Pausch wenig später in einem Vier-Augen-Gespräch mit dem Stadtjugendpfleger eine Liste aller Namen der BesetzerInnen fordert, obwohl der Stadtjugendpfleger nachdrücklich auf den dadurch entstehenden Vertrauensbruch zwischen ihm und den BesetzerInnen hinweist, kommt es zum offenen Eklat. Folge ist eine Abmahnung durch Pausch und die Verlegung von Reises Beratungsräumen aus dem JSHZ in die Stadtverwaltung. Einen Monat später reicht der Stadtjugendpfleger seine Kündigung bei der Stadtverwaltung ein. Als neue Stadtjugendpflegerin wird die bis dahin auf ABM-Basis angestellte Streetworkerin Dagmar Schneider eingestellt. Sie kümmert sich ausschließlich um die Faschokids aus der Baracke.
(23) In der Begründung heißt es u.a: „Der Verein (...) hat bis zum heutigen Zeitpunkt keine Jugendarbeit im Sinne der Stadt als Träger übernommen. (Der Stadtjugendpfleger) hat als Angestellter der Stadtverwaltung Jugendprobleme seinem Dienstvorgesetzten einschließlich Bürgermeister verschwiegen.“ Das spielt auf die Verweigerung des Stadtjugendpflegers an, die Liste der Namen der HausbesetzerInnen dem Bürgermeister auszuhändigen.

(24) Nicht nur, daß Opfer zu TäterInnen gemacht werden - von den eigentlichen Tätern will Pausch nichts wissen: „Mir ist nicht bekannt, daß es bei uns Rechtsradikale gibt.“ (Leipziger MoPo vom 30.8.1995)

Als das JSHZ im Januar 1995 seine Räumlichkeiten verliert, lehnt die Stadtverwaltung jede Hilfe ab. Der Landrat Gey
bietet mietfreie Räumlichkeiten an. Auch die Kosten für die auslaufenden ABM-Stellen würde er übernehmen, da sich der Bürgermeister Pausch mit seiner Beschlußvorlage (23) vom 3. April 1995 durchsetzt, das JSHZ nicht weiter zu unterstützen. Daran ändern auch eine Unterschriftensammlung und persönliche Gespräche des Landrates mit dem Bürgermeister nichts. Alle Rettungsversuche scheitern am Bürgermeister, der auf seinen kommunalen Selbstverwaltungsrechten beharrt. Mitte 1995 wird das JSHZ aufgelöst.

Dresdner Straße.

In der Nacht vom 24. zum 25. August 1994 besetzen alternative Jugendliche ein Haus in der Dresdner Straße, um auf die für sie prekäre Wohnungssituation aufmerksam zu machen. Pausch ist zu Gesprächen über ein Ersatzobjekt bereit, verwahrt sich aber gegen Hausbesetzungen. In der Nacht vom 27. zum 28. August 1994 wird das Haus von ungefähr 40 Faschos angegriffen. Danach ändert Pausch seine Meinung. Der Angriff habe gezeigt, daß von solchen Wohnprojekten eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit ausgehe. (24)
Die Jugendlichen werden über das Jugendamt aufgefordert, das Haus zu verlassen. Dieter Reise, der von den BesetzerInnen als Vermittler beauftragt wurde, fordert die Stadt auf, sich an der Bildung einer Arbeitsgruppe »Alternatives Wohnen« zu beteiligen, um nach Möglichkeiten für bezahlbares Wohnen für die Jugendlichen zu suchen. An dieser Arbeitsgruppe sollen neben den BesetzerInnen einE VertreterIn des Stadtjugendring
es, der Bürgermeister, Barbara Schneider (Leiterin des Amtes für Jugend und Soziales) und Dieter Reise teilnehmen. Nachdem von Seiten der Stadt auf die Forderungen eingegangen wird, verlassen die BesetzerInnen das Haus in der Dresdner Straße freiwillig.

Das immer noch leerstehende, ehemals besetzte Haus in der Dresdner Straße.

Inzwischen ist Gras drüber gewachsen. Der ehemalige Standort der BB-Baracke.
Dahinter das Landratsamt.

Berggasse.

Ergebnis der AG »Alternatives Wohnen« sind Mietverträge für ein Haus in der Berggasse, welches die Jugendlichen selbst instandsetzen müssen. Wenige Tage, nachdem die Faschos die BB-Baracke erhalten haben, überfallen rund 40 von ihnen in der Nacht vom 21. zum 22. Januar 1995 das Haus. Zur Zeit des Überfalls wohnen fünf Menschen dort, es befinden sich allerdings ca. zehn Personen im Haus. Die Faschos, die in das Haus eindringen, verletzen diejenigen schwer, die nicht mehr flüchten können. Nach dem Überfall ist das Haus unbewohnbar; es entsteht ein Sachschaden von 103.000 DM.
Das Haus in der Berggasse
wird zugemauert, und der Bürgermeister verkündet, daß es jetzt in Wurzen endgültig kein alternatives Wohnprojekt mehr geben werde. Der für Wurzen zuständige Mitarbeiter des Jugendamtes Grimma, Herr Stör, sagt: „Die Linken gehören doch alle in den Knast“. Dagegen will der Kreisdezernent für Jugend und Soziales, Ernst Schock, sich dafür einsetzen, daß die Lage nicht weiter eskaliert. Dazu will er sich mit beiden Seiten an einen Tisch setzen. Erst wenn es dann zu keinen Ergebnissen käme, würde er härter durchgreifen. Den obdachlos gewordenen Jugendlichen wird keinerlei Hilfe gewährt.
Die Faschos liefern mit ihren zwei Angriffen der Stadtverwaltung das Argument der Gefährdung öffentlicher Sicherheit und Ordnung, die dieses dazu benutzt, um alternative Projekte zu liquidieren und rechte aus dem Boden zu stampfen.

BB-Baracke.

Am 16. Oktober 1994 greift eine mindestens 60-köpfige Gruppe Faschos Container an, in denen portugiesische Bauarbeiter wohnen. Am 24. Oktober 1994 findet ein Treffen zwischen VertreterInnen der Polizeidirektion, des Jugendamtes Grimma, den portugiesischen Bauarbeitern und den Faschos statt. „Wenn wir miteinander reden, schweigen die Fäuste“ sagt unter Zustimmung der Faschos Herr Stör. Marcus Müller erklärt, ein ständiger Druck durch Staat, Linke und die fehlenden Freizeitmöglichkeiten in Wurzen laste auf den Faschos. Pausch stimmt dem zu und greift Müllers Vorschlag eines Haus für die rechten Jugendlichen auf. Die Rechten sollen lediglich einen Vertreter bestimmen, denn, so Pausch, „einem muß ich ja den Schlüssel geben können.“ (25) Der Überfall auf die portugiesischen Bauarbeiter ist kein Thema bei diesem Treffen.
(25) MTZ vom 26.10.1994

(26) BB steht dabei für Bretterbude (LVZ 27.3.1995)

(27) Die für die Villa eingeplanten 500.000 DM waren plötzlich verschwunden. Doch für die maximal einjährige Übergangslösung BB-Baracke stand genauso plötzlich genügend Geld zur Verfügung.

(28) Nach dem Überfall auf die Berggasse werden aus Wut darüber einige Scheiben der BB-Baracke eingeworfen. Im Juni 1995 setzen sich Antifas, die Plakate kleben, gegen Faschos an der BB-Baracke zur Wehr, wobei leichter Sachschaden entsteht.

(29) Angeblich habe es an diesem Abend eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Punks und Faschos an der Baracke gegeben.

Dem Gespräch geht ein Zusammentreffen von Landrat Dr. Gey
, Jugendamt, Polizei und dem Bürgermeister Pausch zu den Konsequenzen des Überfalls für die städtische Jugendpolitik voraus. Da Pausch keinen Handlungsbedarf sieht und sich auf die kommunale Selbstverwaltung beruft, bietet der Landrat Dr. Gey nach Beratung im Arbeitskreis Kriminalitätsprävention des Landratsamtes Grimma dem Bürgermeister die Baracke am Landratsamt zur kostenlosen Nutzung an. Er stellt jedoch die Bedingung, daß die Stadt dafür zwei ausgebildete JugendsozialarbeiterInnen einstellt. Damit versucht Gey Einfluß auf die Stadtpolitik zu nehmen, da die von Wurzen ausgehenden Probleme auch seinen Arbeitsbereich betreffen. Pausch stimmt dem Vorschlag zwar widerwillig zu, besetzt die zwei Stellen jedoch mit für ihn kostenlosen ABM-Kräften, die als technische Hilfskräfte fungieren und Handreichungen für die Faschos ausüben. Die BB-Baracke (26) wird entsprechend Geys Forderung, bis Weihnachten das Objekt hergerichtet zu haben, am 19. Januar 1995 geöffnet. Für die Baracke, die lediglich ein provisorisches Winterquartier darstellt, werden 123.000 DM an Fördermitteln ausgegeben. (27) Die BB-Baracke entwickelt sich in Folge zum Lieblingskind des Bürgermeisters. So besuchen er und andere MitarbeiterInnen der Stadtverwaltung sie mehrmals, nehmen an Veranstaltungen in der Baracke teil und setzen sich dafür ein, daß die Baracke nach zwei Antifa-Aktionen sofort wieder hergerichtet wird. (28)
Die Existenz der BB-Baracke, in die nur Faschos reinkommen, dient dem Bürgermeister als Argument, alle Forderungen nach weiteren Jugendtreffpunkten abzuschmettern. Die BB-Baracke ist wichtigster Treffpunkt des organisierten Jungsturm
s sowie der rechten SympathisantInnen. Ältere Faschos lassen sich ab und zu in der Baracke blicken, treffen sich ansonsten aber in Privatwohnungen und Kneipen. Zur Imagepflege veranstalten die Faschos im März 1995 ein Frühlings- und Kinderfest. Dazu äußert Ronny Schräpler: „Es war eine spontane Idee. Wir wollten beweisen, daß wir anders sind als unser Ruf.“ Der schlechte Ruf, den Ronny meint, bezieht sich nicht etwa darauf, daß er am 21. Januar 1995 von der Baracke aus in die Disco Joy ging, um die dortigen Faschos zum Übergriff auf die Berggasse anzustacheln, (29) und sich selbst am Überfall beteiligte, vielmehr geht es um die Beschwerden der AnwohnerInnen des Neubaublocks, in dem sich die Faschos nach 2000 Uhr treffen, wenn die Baracke geschlossen ist.
Der Nutzungsvertrag für die Baracke läuft am 31. September 1995 aus. Die Baracke muß jedoch wegen eines Brandes Anfang September, der auf einen Kurzschluß zurückgeht, schon einige Tage zuvor schließen.

Faschohaus Käthe-Kollwitz-Straße.

Im Oktober 1995 besetzen Faschos des sogenannten harten Kerns ein Haus in der Wurzner Käthe-Kollwitz-Straße. In diesem versammeln sich später zu verschiedenen Anlässen bis zu 300 Faschos und es wird als eine Art NPD-Zentrale genutzt. Vom Sächsischen Innenministerium wird im April 1996 eingeschätzt, daß Wurzen ein rechtsextremistisches Zentrum Sachsens ist und daß das Haus in der Käthe-Kollwitz-Straße ein herausragender Treffpunkt der rechtsextremistischen Szene ist. Im Juli 1996 bezeichnet der Verfassungsschutz Wurzen gar als das „wohl wichtigste Zentrum“ neofaschistischer Aktivitäten in der BRD, welches unter dem maßgeblichen Einfluß der NPD entstanden sei. (30)
(30) Wir teilen diese Einschätzung zwar nur punktuell, jedoch ist dies vor dem Hintergrund interessant, daß die Stadt das Bestehen einer rechten Szene und die Gefahr, die vom besetzten Haus ausgeht, permanent leugnet.

(31) MTZ vom 2.4.1996

(32) MTZ vom 6.4.1996

Die Stadtverwaltung hat mit dem Haus keine Probleme. Einerseits würden ihr keinerlei Erkenntnisse über das Haus als solches oder den Vorgängen in ihm vorliegen, andererseits hätte sie keine Kompetenzen, etwas gegen das Haus zu unternehmen. Lediglich ordnungsrechtliche Bedenken meldet die Stadtverwaltung ab und zu an.
Anfang April 1996 wird erstmalig in der Regionalpresse über das Haus berichtet. „Es handelt sich hierbei nicht um einen offiziellen Jugendclub. Dort treffen sich Jugendliche, die irgendwo die gleichen Interessen haben (...) aber Genaues wissen wir nicht“, sagt die Leiterin des Jugendamtes in Grimma
, Silvia Michels. (31) Ursache für den Bericht ist offensichtlich ein für den folgenden Tag angekündigter Beitrag des ZDF-Magazins Kennzeichen D. Das Fernsehteam stellt bei den Dreharbeiten fest, daß im Haus „verschiedene NPD-Materialien, z.B. Parteiprogramme, Aufkleber wie ‘Freiheit für Deckert’ oder die Reichsfahne“ ausliegen. Das Team wird, 20 Minuten nachdem es im Haus war, von einer Gruppe gestellt und bedroht. (32)
Die Stätte des verbotenen Alk-Ausschankes.
Zwei Wochen später fordert der Bürgermeister den Eigentümer des Hauses, Walter Büttner
aus dem Badischen Gochsheim, per Brief auf, seiner Ordnungspflicht nachzukommen, wie den nicht genehmigten Alkoholausschank anzumelden und baurechtliche, brandschutztechnische und hygienische Mängel abzustellen. Pausch über Bild (18.4. 1996) zu Büttner: „Schaffen sie doch die erforderlichen Voraussetzungen.“ In diesem Zusammenhang kündigt der Dezernent für Ordnung und Sicherheit beim Landratsamt, Klaus-Torsten Kirstenpfad, Ende April eine Überprüfung des Hauses aus bau- und gewerberechtlichen Gründen an. In der Stadtratssitzung am 8. Mai 1996 erklärt Pausch, daß das Haus nicht bewohnt sei, es keinen Miet- oder Pachtvertag gäbe, daß aber die Nutzung des Hauses vom Besitzer geduldet wird. Da keine Strafanzeige oder Räumungsklage gestellt wurde, wären - so Polizei und Bürgermeister übereinstimmend - weitere rechtliche Maßnahmen nicht möglich. Die Staatsanwaltschaft habe eine Hausdurchsuchung bislang nicht gestattet. Auf die Frage, ob die Jugendlichen auch woanders unterkommen könnten, sagt Pausch, „wenn sich die Jugendlichen entsprechend in der Stadtverwaltung melden, werden wir auch Möglichkeiten schaffen“. Laut Pausch gäbe es trotz Nachfragen bei Staatsschutz und Kriminalpolizei keinen Hinweis auf die Existenz verbotener rechtsradikaler Gruppierungen in Wurzen. Am 10. Mai 1996 durchsuchen die Polizei nach einer Begehung durch das Landratsamt Grimma das Haus in der Käthe-Kollwitz-Staße. Die weitere Nutzung wird aus baurechtlichen Gründen und wegen Brandgefahr untersagt. Daß kaum Waffen und keine verbotenen Propagandamaterialien gefunden werden, ist der Tatsache geschuldet, daß die gesamte Stadt schon eine Woche zuvor von der Razzia wußte. Der Besitzer wurde im Vorfeld durch die Staatsanwaltschaft schriftlich informiert, daß in seinem Haus eine Razzia stattfinden wird. Trotz des Nutzungsverbots können sich die Faschos auch nach der Razzia ungehindert im Haus treffen. Erst am 3. August 1996 findet klammheimlich eine Räumung des Hauses statt. Die Erdgeschoßfenster werden dabei zugemauert. Parallel dazu kündigt die Stadt an, ein neues Jugendzentrum zu schaffen... (33)
(33) MTZ vom 4.8.1996

(34) Überfall auf die Italiener am 29. April 1995

(35) Ein Jugendlicher der Villa erleidet dort am 22. Januar 1995 einen Kopfstreifschuß.

(36) Die BetreiberInnen des Nordlicht behaupten zwar, daß sie keine Faschos reinlassen würden, jedoch werden am späten Abend die Einlaßkontrollen gelockert.

(37) Im Schweizergarten arbeitet die städtische Stadtjugendpflegerin Dagmar Schneider. Eine weitere dort angestellte Sozialarbeiterin bedauerte die Räumung des besetzten Faschohauses in der Käthe-Kollwitz-Straße, da die Jugendlichen nun auf der Straße stehen würden...

Solange es dieses nicht gibt, werden die Faschos sich jeden Abend auf dem Markt treffen, ein wenig randalieren, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. 40 bis 60 Faschos, die sich auch mit der herbeigerufenen Polizei anlegen, dürften ein »guter Grund« sein, bald ein weiteres Jugendzentrum für Faschos in Wurzen zu eröffnen.

Andere Freizeiteinrichtungen.

Wurzens Freizeiteinrichtungen, auf die Bürgermeister Pausch bei Kritik immer verweist, sind hauptsächlich noch aus DDR-Zeiten, wie z.B. die Stadtbibliothek, das Ringelnatzhaus und das Kulturhaus Schweizergarten. Das einzige Kino schloß bereits wenige Jahre nach 1989. Das 1995 fertiggestellte Schwimmbad »Drei Brücken« ist neben dem Kolpinghaus (s.u.) die einzige neu geschaffene Einrichtung für Kinder und Jugendliche. Es kostete über 200 Millionen DM. Die »Bunten« erhielten auf Anweisung vom Bürgermeister Pausch in den ersten Wochen Zutrittsverbot.
Zu den spärlichen Möglichkeiten kommen lediglich die privaten Discotheken Nordlicht
und Joy. Beide entwickelten sich zu Nazidiscos. Das Joy war 1995 mehrmals Ort von Überfällen auf AusländerInnen (34) und auf linke Jugendliche. (35)
In einem Faschofanzine wird für den Sommer 1995 ein Konzert der Gruppen Oiphorie und Störenfried im Joy
angekündigt. Die Stadt verbietet aufgrund befürchteter Auseinandersetzungen zwischen Antifas und Faschos das Konzert und verfügt die Schließung des Joy für dieses Wochenende. Im Juli 1996 werden vor dem Nordlicht zwei Spanier brutal zusammengeschlagen. (36)
Als aufgrund der rechtsextremen Übergriffe der Druck auf die Stadt von außen immer größer wird, beschließt sie 1995, daß es in Wurzen nur ein Jugendhaus, „offen für alle“, geben soll. Es wird ein Haus in der Alten Nischwitzer Straße ausgesucht. Das Projekt wird an Freie Träger ausgeschrieben. Es melden sich die Arbeiterwohlfahrt, der Samariterbund und das Kolpingwerk. Es bekommt derjenige Träger den Zuschlag, der noch kein Konzept vorweisen kann, keine Kenntnisse über die spezielle Situation in Wurzen hat und für ein gemeinsames Haus plädiert: das Kolping Bildungswerk. Es erhält 1995 von der Stadt als einziger Verein im Jugendbereich Fördermittel (250.000 DM), ohne daß ein realisierbares Konzept für die Jugendarbeit vorliegt. Dafür ist das Kolping Bildungswerk im Osten bekannt als Träger umstrittener Jugendarbeit mit Rechten. Einer der Höhepunkte Kolpinger Integrationsversuche ist die Anstellung des ehemaligen Wiking-Jugend-Führers in Sachsen, Frank Kaden
, in Dresden. Wie zu erwarten war, entwickelte sich das Kolpinghaus zu einem Treffpunkt jüngerer Faschos. Im Spaß wird auch schon mal mit einer scharfen Waffe auf das gegenüberliegende Europäische Bildungszentrum geschossen, der Kopf einer Lehrerin wird dabei um wenige Zentimeter verfehlt.

Wurzens Freizeiteinrichtung: Im Kolpinghaus (im Bild) lernen die Faschos schießen.
An der Pestalozzi-Grundschule (ohne Bild) werden die Wiking Jugend
Flugblätter verteilt.
Der Schweizergarten, der der Stadt gehört, war bis 1995 meist geschlossen. Kreis- und Stadtjugendring
sowie andere Jugend- und Kulturvereine hatten die Möglichkeit, ihn sporadisch für Veranstaltungen zu nutzen. Ähnlich wie das Kolpinghaus ist dort heute ein Anlaufpunkt für jüngere Faschos. Obwohl Gaudreiecke keine Seltenheit sind, sehen die anwesenden »SozialarbeiterInnen« (37) den Erfolg ihrer Arbeit darin, daß sie ab und an gegen Störkraftkassetten intervenieren.
Nachdem im Juli 1996 ein Fernsehteam der Deutschen Welle von Faschos bei Dreharbeiten in der Käthe-Kollwitz-Straße
angegriffen wurde, findet im August im Leipziger Regierungspräsidium ein Treffen von EntscheidungsträgerInnen statt, die als erste spürbare Maßnahme beschließen, die Sperrstunde für Wurzner Jugendtreffs von 20 auf 21 Uhr anzuheben.

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