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Stadtpolitik im Jugendbereich. [3] | Wurzen-Broschüre. |
Jugendselbsthilfezentrum |
(23) In der Begründung heißt es u.a: Der Verein (...) hat bis zum
heutigen Zeitpunkt keine Jugendarbeit im Sinne der Stadt als Träger
übernommen. (Der Stadtjugendpfleger) hat als Angestellter der
Stadtverwaltung Jugendprobleme seinem Dienstvorgesetzten einschließlich
Bürgermeister verschwiegen. Das spielt auf die Verweigerung des
Stadtjugendpflegers an, die Liste der Namen der HausbesetzerInnen dem
Bürgermeister auszuhändigen.
(24) Nicht nur, daß Opfer zu TäterInnen gemacht werden - von den eigentlichen Tätern will Pausch nichts wissen: Mir ist nicht bekannt, daß es bei uns Rechtsradikale gibt. (Leipziger MoPo vom 30.8.1995) |
Inzwischen ist Gras drüber gewachsen. Der ehemalige Standort der BB-Baracke.
(31) MTZ vom 2.4.1996 (32) MTZ vom 6.4.1996
Dresdner Straße.
Die Jugendlichen werden über das Jugendamt aufgefordert, das Haus zu
verlassen. Dieter Reise, der von den BesetzerInnen als Vermittler beauftragt
wurde, fordert die Stadt auf, sich an der Bildung einer Arbeitsgruppe
»Alternatives Wohnen« zu beteiligen, um nach
Möglichkeiten für bezahlbares Wohnen für die Jugendlichen zu
suchen. An dieser Arbeitsgruppe sollen neben den BesetzerInnen einE VertreterIn
des Stadtjugendringes, der Bürgermeister, Barbara Schneider (Leiterin des
Amtes für Jugend und Soziales) und Dieter Reise teilnehmen. Nachdem von
Seiten der Stadt auf die Forderungen eingegangen wird, verlassen die
BesetzerInnen das Haus in der Dresdner Straße freiwillig.
Das immer noch leerstehende, ehemals besetzte Haus in der Dresdner Straße.
Dahinter das Landratsamt.Berggasse.
Das Haus in der Berggasse wird zugemauert, und der Bürgermeister
verkündet, daß es jetzt in Wurzen endgültig kein alternatives
Wohnprojekt mehr geben werde. Der für Wurzen zuständige Mitarbeiter
des Jugendamtes Grimma, Herr Stör, sagt: Die Linken gehören
doch alle in den Knast. Dagegen will der Kreisdezernent für Jugend
und Soziales, Ernst Schock, sich dafür einsetzen, daß die Lage nicht
weiter eskaliert. Dazu will er sich mit beiden Seiten an einen Tisch setzen.
Erst wenn es dann zu keinen Ergebnissen käme, würde er härter
durchgreifen. Den obdachlos gewordenen Jugendlichen wird keinerlei Hilfe
gewährt.
Die Faschos liefern mit ihren zwei Angriffen der Stadtverwaltung das Argument
der Gefährdung öffentlicher Sicherheit und Ordnung, die dieses dazu
benutzt, um alternative Projekte zu liquidieren und rechte aus dem Boden zu
stampfen.BB-Baracke.
, Jugendamt,
Polizei und dem Bürgermeister Pausch zu den Konsequenzen des
Überfalls für die städtische Jugendpolitik voraus. Da Pausch
keinen Handlungsbedarf sieht und sich auf die kommunale Selbstverwaltung
beruft, bietet der Landrat Dr. Gey nach Beratung im Arbeitskreis
Kriminalitätsprävention des Landratsamtes Grimma dem
Bürgermeister die Baracke am Landratsamt zur kostenlosen Nutzung an. Er
stellt jedoch die Bedingung, daß die Stadt dafür zwei ausgebildete
JugendsozialarbeiterInnen einstellt. Damit versucht Gey Einfluß auf die
Stadtpolitik zu nehmen, da die von Wurzen ausgehenden Probleme auch seinen
Arbeitsbereich betreffen. Pausch stimmt dem Vorschlag zwar widerwillig zu,
besetzt die zwei Stellen jedoch mit für ihn kostenlosen ABM-Kräften,
die als technische Hilfskräfte fungieren und Handreichungen für die
Faschos ausüben. Die BB-Baracke (26) wird entsprechend Geys
Forderung, bis Weihnachten das Objekt hergerichtet zu haben, am 19. Januar 1995
geöffnet. Für die Baracke, die lediglich ein provisorisches
Winterquartier darstellt, werden 123.000 DM an Fördermitteln ausgegeben.
(27) Die BB-Baracke entwickelt sich in Folge zum Lieblingskind des
Bürgermeisters. So besuchen er und andere MitarbeiterInnen der
Stadtverwaltung sie mehrmals, nehmen an Veranstaltungen in der Baracke teil und
setzen sich dafür ein, daß die Baracke nach zwei Antifa-Aktionen
sofort wieder hergerichtet wird. (28)
Die Existenz der BB-Baracke, in die nur Faschos reinkommen, dient dem
Bürgermeister als Argument, alle Forderungen nach weiteren
Jugendtreffpunkten abzuschmettern. Die BB-Baracke ist wichtigster Treffpunkt
des organisierten Jungsturms sowie der rechten SympathisantInnen. Ältere
Faschos lassen sich ab und zu in der Baracke blicken, treffen sich ansonsten
aber in Privatwohnungen und Kneipen. Zur Imagepflege veranstalten die Faschos
im März 1995 ein Frühlings- und Kinderfest. Dazu äußert
Ronny Schräpler: Es war eine spontane Idee. Wir wollten beweisen,
daß wir anders sind als unser Ruf. Der schlechte Ruf, den Ronny
meint, bezieht sich nicht etwa darauf, daß er am 21. Januar 1995 von der
Baracke aus in die Disco Joy ging, um die dortigen Faschos zum Übergriff
auf die Berggasse anzustacheln, (29) und sich selbst am Überfall beteiligte,
vielmehr geht es um die Beschwerden der AnwohnerInnen des Neubaublocks, in dem
sich die Faschos nach 2000 Uhr treffen, wenn die Baracke geschlossen ist.
Der Nutzungsvertrag für die Baracke läuft am 31. September 1995 aus.
Die Baracke muß jedoch wegen eines Brandes Anfang September, der auf
einen Kurzschluß zurückgeht, schon einige Tage zuvor
schließen.Faschohaus Käthe-Kollwitz-Straße.
Die Stadtverwaltung hat mit dem Haus keine Probleme. Einerseits würden ihr
keinerlei Erkenntnisse über das Haus als solches oder den Vorgängen
in ihm vorliegen, andererseits hätte sie keine Kompetenzen, etwas gegen
das Haus zu unternehmen. Lediglich ordnungsrechtliche Bedenken meldet die
Stadtverwaltung ab und zu an.
(30) Wir teilen diese Einschätzung zwar nur punktuell,
jedoch ist dies vor dem Hintergrund interessant, daß die Stadt das
Bestehen einer rechten Szene und die Gefahr, die vom besetzten Haus ausgeht,
permanent leugnet.
Anfang April 1996 wird erstmalig in der Regionalpresse über das Haus
berichtet. Es handelt sich hierbei nicht um einen offiziellen Jugendclub.
Dort treffen sich Jugendliche, die irgendwo die gleichen Interessen haben (...)
aber Genaues wissen wir nicht, sagt die Leiterin des Jugendamtes in
Grimma, Silvia Michels. (31) Ursache für den Bericht ist
offensichtlich ein für den folgenden Tag angekündigter Beitrag des
ZDF-Magazins Kennzeichen D. Das Fernsehteam stellt bei den Dreharbeiten fest,
daß im Haus verschiedene NPD-Materialien, z.B. Parteiprogramme,
Aufkleber wie Freiheit für Deckert oder die Reichsfahne
ausliegen. Das Team wird, 20 Minuten nachdem es im Haus war, von einer Gruppe
gestellt und bedroht. (32)
Zwei Wochen später fordert der Bürgermeister den Eigentümer des
Hauses, Walter Büttner aus dem Badischen Gochsheim, per Brief auf,
seiner Ordnungspflicht nachzukommen, wie den nicht genehmigten Alkoholausschank
anzumelden und baurechtliche, brandschutztechnische und hygienische Mängel
abzustellen. Pausch über Bild (18.4. 1996) zu Büttner: Schaffen
sie doch die erforderlichen Voraussetzungen. In diesem Zusammenhang
kündigt der Dezernent für Ordnung und Sicherheit beim Landratsamt,
Klaus-Torsten Kirstenpfad, Ende April eine Überprüfung des Hauses aus
bau- und gewerberechtlichen Gründen an. In der Stadtratssitzung am 8. Mai
1996 erklärt Pausch, daß das Haus nicht bewohnt sei, es keinen Miet-
oder Pachtvertag gäbe, daß aber die Nutzung des Hauses vom Besitzer
geduldet wird. Da keine Strafanzeige oder Räumungsklage gestellt wurde,
wären - so Polizei und Bürgermeister übereinstimmend - weitere
rechtliche Maßnahmen nicht möglich. Die Staatsanwaltschaft habe eine
Hausdurchsuchung bislang nicht gestattet. Auf die Frage, ob die Jugendlichen
auch woanders unterkommen könnten, sagt Pausch, wenn sich die
Jugendlichen entsprechend in der Stadtverwaltung melden, werden wir auch
Möglichkeiten schaffen. Laut Pausch gäbe es trotz Nachfragen
bei Staatsschutz und Kriminalpolizei keinen Hinweis auf die Existenz verbotener
rechtsradikaler Gruppierungen in Wurzen. Am 10. Mai 1996 durchsuchen die
Polizei nach einer Begehung durch das Landratsamt Grimma das Haus in der
Käthe-Kollwitz-Staße. Die weitere Nutzung wird aus baurechtlichen
Gründen und wegen Brandgefahr untersagt. Daß kaum Waffen und keine
verbotenen Propagandamaterialien gefunden werden, ist der Tatsache geschuldet,
daß die gesamte Stadt schon eine Woche zuvor von der Razzia wußte.
Der Besitzer wurde im Vorfeld durch die Staatsanwaltschaft schriftlich
informiert, daß in seinem Haus eine Razzia stattfinden wird. Trotz des
Nutzungsverbots können sich die Faschos auch nach der Razzia ungehindert
im Haus treffen. Erst am 3. August 1996 findet klammheimlich eine Räumung
des Hauses statt. Die Erdgeschoßfenster werden dabei zugemauert. Parallel
dazu kündigt die Stadt an, ein neues Jugendzentrum zu schaffen... (33)
Die Stätte des verbotenen Alk-Ausschankes.
Andere Freizeiteinrichtungen.
Zu den spärlichen Möglichkeiten kommen lediglich die privaten
Discotheken Nordlicht und Joy. Beide entwickelten sich zu Nazidiscos.
Das Joy war 1995 mehrmals Ort von Überfällen auf AusländerInnen
(34) und auf linke Jugendliche. (35)
In einem Faschofanzine wird für den Sommer 1995 ein Konzert der Gruppen
Oiphorie und Störenfried im Joy angekündigt. Die Stadt
verbietet aufgrund befürchteter Auseinandersetzungen zwischen Antifas und
Faschos das Konzert und verfügt die Schließung des Joy für
dieses Wochenende. Im Juli 1996 werden vor dem Nordlicht zwei Spanier brutal
zusammengeschlagen. (36)
Als aufgrund der rechtsextremen Übergriffe der Druck auf die Stadt von
außen immer größer wird, beschließt sie 1995, daß
es in Wurzen nur ein Jugendhaus, offen für alle, geben soll.
Es wird ein Haus in der Alten Nischwitzer Straße ausgesucht. Das Projekt
wird an Freie Träger ausgeschrieben. Es melden sich die Arbeiterwohlfahrt,
der Samariterbund und das Kolpingwerk. Es bekommt derjenige Träger den
Zuschlag, der noch kein Konzept vorweisen kann, keine Kenntnisse über die
spezielle Situation in Wurzen hat und für ein gemeinsames Haus
plädiert: das Kolping Bildungswerk. Es erhält 1995 von der
Stadt als einziger Verein im Jugendbereich Fördermittel (250.000 DM), ohne
daß ein realisierbares Konzept für die Jugendarbeit vorliegt.
Dafür ist das Kolping Bildungswerk im Osten bekannt als Träger
umstrittener Jugendarbeit mit Rechten. Einer der Höhepunkte Kolpinger
Integrationsversuche ist die Anstellung des ehemaligen
Wiking-Jugend-Führers in Sachsen, Frank Kaden, in Dresden. Wie zu
erwarten war, entwickelte sich das Kolpinghaus zu einem Treffpunkt
jüngerer Faschos. Im Spaß wird auch schon mal mit einer scharfen
Waffe auf das gegenüberliegende Europäische Bildungszentrum
geschossen, der Kopf einer Lehrerin wird dabei um wenige Zentimeter verfehlt.
Der Schweizergarten, der der Stadt gehört, war bis 1995 meist
geschlossen. Kreis- und Stadtjugendring sowie andere Jugend- und Kulturvereine
hatten die Möglichkeit, ihn sporadisch für Veranstaltungen zu nutzen.
Ähnlich wie das Kolpinghaus ist dort heute ein Anlaufpunkt für
jüngere Faschos. Obwohl Gaudreiecke keine Seltenheit sind, sehen die
anwesenden »SozialarbeiterInnen« (37) den Erfolg
ihrer Arbeit darin, daß sie ab und an gegen Störkraftkassetten
intervenieren.
Wurzens Freizeiteinrichtung: Im Kolpinghaus (im Bild) lernen die Faschos schießen.
An der Pestalozzi-Grundschule (ohne Bild) werden die Wiking Jugend Flugblätter verteilt.
Nachdem im Juli 1996 ein Fernsehteam der Deutschen Welle von Faschos bei
Dreharbeiten in der Käthe-Kollwitz-Straße angegriffen wurde, findet
im August im Leipziger Regierungspräsidium ein Treffen von
EntscheidungsträgerInnen statt, die als erste spürbare Maßnahme
beschließen, die Sperrstunde für Wurzner Jugendtreffs von 20 auf 21
Uhr anzuheben.
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