nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Tue Mar 29 22:35:25 2005
 

Inhalt
Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

Interview mit zwei Wurzener Antifaschisten. [1]

Wurzen-Broschüre.

FRAGEN
ÜBER
FRAGEN

Wie ist die Situation für Linke oder für Leute, die erkennbar keine Faschos sind, in Wurzen? Welche Gefahr geht von den Faschos aus, wie sind sie bewaffnet, gibt es auch Angriffe auf Wohnungen?
Ja, z.B. in Roitzsch, da ist eine Wohnung nur frei geworden, weil die von Faschos platt gemacht wurde. Der Typ ist gleich weggezogen.

Und wie lief das ab?

Die sind nachts, weil es gleich unten war, durch Türen und Fenster reingekommen, haben ihn zusammengelegt, die Wohnung verwüstet und sind wieder abgehauen. So massiv passiert das eigentlich selten, weil sogenannte Linke meistens nicht Paterre wohnen. Aus Sicherheitsgründen.

Wenn du jetzt umziehen würdest, würdest du also auch niemals ins Erdgeschoß ziehen?

Das ist richtig. Bei mir in der Nähe ist eine Wohnung im Erdgeschoß frei und da zieht niemand ein, obwohl viele von uns in der Ecke wohnen und einige auch eine Wohnung suchen.

Wie ist die Bedrohung auf der Straße, wenn du durch Wurzen gehst?

Durch Wurzen gehe ich schon lange nicht mehr. Tagsüber eventuell noch mit dem Fahrrad, sonst alles nur mit dem Auto. Da habe ich mein CS-Gas neben mir liegen, eine große Flasche, und denke mir, da kannst du schon mal drei damit auf Abstand halten. Was willst du sonst machen. Die laufen, halte ich für verrückt und die werden öfters in Schlägereien verwickelt. Letztens ist einer, nachdem er in einem Laden durchs Regal geflogen ist, sogar noch verhaftet worden. Er hätte den Stunk angefangen.

Seit wann traust du dich nicht mehr auf die Straße?

Es gab mal eine Zeit nach der Wende, als die ganzen Flüchtlinge angegriffen wurden, da war es ziemlich heftig. Damals blieb mir nichts anderes übrig, als zu laufen, obwohl das nicht so toll war. Und jetzt, seit zwei Jahren, ist es wieder schlimm geworden. Die Leute, die laufen, werden richtig massiv zusammengeschlagen.

Wie sind die Faschos dabei bewaffnet?

Das übliche. Für die Gerichshainer ist es typisch, daß die alle eine Schreckschußknarre dabei haben, wo du dann nicht weißt, ob der Lauf aufgebohrt ist. Und für die Wurzner ist eher Schlagring und Baseballschläger typisch. Denen macht mehr sowas handfestes Spaß. Waffen werden bedenkenlos eingesetzt.

Wie geht ihr mit dieser Bedrohungssituation um?

Bei mir weiß ich, daß sie nicht in der Lage sind, in meine Wohnung hochzukommen. Die machen dann Sachen von unten. Da kommen zwei und werfen was hoch. Da ist es relativ einfach, zu sagen: Ich stelle mir das Luftgewehr hin und wenn ich sie höre, gibt es mal eine drüber. Die waren auch schon mal länger vor dem Haus. Was sie wollten, konnte ich im Dunkeln nicht genau erkennen. Als ich sie mit ein paar dummen Sprüchen verjagt habe, kamen massive Drohungen: „Dich kriegen wir auch noch!“ Aber jetzt direkt damit umgehen... An der Tür steht die Axt, neben dem Bett der Knüppel und am Fenster das Luftgewehr. Polizei ist kein Schutz. Die kommen bei einem Brandanschlag nach einem Monat, um mit der Spurensicherung beginnen zu können.
Bei mir ist es etwas anders. Ich bin in der Wurzner Punk-Szene nicht so groß geworden. Handgreiflich wurde bei mir noch keiner, auch solche Leute wie S. (voller Name bekannt)
nicht. Als ich auf der Straße mit einem PDS-Sticker lief, haben zwar mal vier Faschos auf Mopeds umgedreht und wollten den Sticker abreißen, haben auch gedroht. Ich habe einfach den Sticker abgemacht und gesagt: „Nimm und werde glücklich damit !“ und bin gegangen. Aber da ist schon unheimliche Angst dabei. Ich habe zwar so krasse Erfahrungen noch nicht gemacht, aber trotzdem an meiner Haustür zwei Eisenstangen liegen.

Gehen die Angriffe von Gruppen oder auch von Einzelnen aus, von Jüngeren oder von Älteren?

Einer alleine zieht meistens den Schwanz ein und verschwindet. Die keimst du voll, da sagen die nicht mal was dazu, obwohl das mal ein faires Ding wäre - mehr oder weniger. Aber dann, wenn sie zu zehnt kommen: „Der war es. Der hat das und das gesagt.“ Der Jungsturm von vor zwei, drei Jahren ist ja nun auch ein bißchen älter, aber offensichtlich nicht klüger geworden. Mittlerweile gibt es drei Altersstufen. Den Jungsturm von 14 bis 17, dann die Gruppe, die um die 20 ist, und die Älteren, wie Müller und Konsorten. Die ganz Kleinen werden von denen, die um die 20 sind, mitgezogen. Das ist die angreifende Gruppe.
Was die Gewalt betrifft, sind das die Gefährlichen, die früher Jungsturm waren. Die ganz Kleinen treten dann mal mit rein, so spaßeshalber, als Mutprobe. An der Schule ist es zur Zeit ganz kraß, auch an der Penne. Wenn da die Zwölfte raus ist, gibt es dort von uns niemanden mehr.
Das war vor einem Jahr noch anders. Da standen die Faschos und haben gewartet, bis Hofpause war. Es gab eine Zeit, da hat sich niemand von den Schülern rausgetraut. Da sind wir dann drei-, viermal aufgekreuzt. Die Schüler hatten bei uns um Hilfe gesucht. Als die Faschos uns von weitem gesehen haben, sind die wieder abgedampft. Das fanden natürlich viele lustig.
Die letzten Male, als ich mitgekriegt habe, daß ältere Faschos bei einem Übergriff mitgemacht haben, war beim besetzten Haus Dresdner Straße und bei dem Haus in der Berggasse
. Die richtigen Kader haben aber selbst beim Überfall auf das besetzte Haus gefehlt. Da waren solche wie Köhler und Ramminger vorne dran.
Die Kader halten sich zurück, die sieht man gar nicht so oft auf der Straße und in den Kneipen, weil die nicht so viel mit den anderen Faschos abhängen.
Mir fällt auf, daß Androsch und Schubert
ziemlich aktiv sind. Rocco Müller hingegen ist fast nur zu Hause, der hat aber zur Zeit auch Bewährung.

Merkt man eine Veränderung, wenn Faschos aus dem Knast kommen?

So viele haben echt nicht gesessen. Das war nie zu merken. Mal zwei, drei vielleicht, die wegen U-Haft weg waren. Und Gerichshainer sind mal kurzzeitig verschwunden, da merkst du aber nicht viel.

Gibt es ansonsten eine »Saison«, wo mehr passiert?

(1) Badesteinbrüche bei Wurzen.
Bei der Breite von Leuten fällt das nicht ins Gewicht, wenn mal paar im Urlaub sind. Herbst ist immer eine heiße Zeit, im Herbst ist immer Revolution, das wißt ihr ja selber. Im Sommer überlegst du mittlerweile, wohin du baden fährst. Letztes Jahr haben die z.B. wochenlang am Haselbruch gezeltet. Im Wolfsberg bei Lüptitz tauchen die auch von Zeit zu Zeit auf. (1) In die Kaolingrube brauchst du überhaupt nicht mehr zu gehen.

Hängt die Gefährdung stark vom Äußeren ab, gerade bei den jüngeren Faschos, die euch nicht von früher her kennen?

(2) Jugendclub, der ausschließlich von Faschos genutz wird.
Ich habe mir mal mit drei Leuten den Spaß erlaubt, in den Bennewitzer Jugendclub (2) zu gehen. Ich wußte, abends sind nur zehn da, jüngere, die zucken schon nicht rum. Da waren welche dabei, die fanden das lustig, daß wir kamen und haben uns Bier angeboten. Die quatschten mich gleich mit meinem Namen an, und ich kannte die nicht im geringsten. Es ist für die Faschos unheimlich viel leichter, uns paar Hanseln zu kennen, als für uns, von jedem von denen den Namen zu wissen.

Wie groß würdest du die Szene schätzen?

Mit Mitläufern auf gar keinen Fall unter 200, mit den umliegenden Dörfern: Wurzen, Bennewitz, Mutzschen, Tammheim und Gerichshain.
(3) Gemeint ist die Demonstration vom 6. April 1996. Die 800 Berliner Autonome sind das Werk der in Wurzen perfekt funktionierenden Gerüchteküche.
In den Nestern sind die typischen Dorffaschos. Die gibt es überall.
Man hat es gesehen, am Tag dieser letzten Demo, als 800 Autonome aus Berlin
angekündigt waren.(3) Da hat man sie so richtig mit Bussen von den Dörfern kommen sehen, wie sie mit Rucksack und allem drum und dran in das Haus in der Käthe-Kollwitz-Straße eingezogen sind. Am Bahnhof sind sie angekommen. Es kam die grüne Karawane, die geschorene Karawane und dann die Hauptakteure.

Wie wichtig sind die Kontakte zu den Faschos, die aus der Schulzeit bestehen?

Aus meiner Klassenstufe sind bis auf einen alle wieder raus. Der eine aus meiner Klasse, war nie so übermäßig politisch. Der ist mit denen rumgezogen. Das war cool für den, nach dem Onkelz-Song „Wir sind böse Jungs“. Die zu kennen, war auf alle Fälle ein Schutz.

Kilsch, unten: Matzeit.

Bei einigen weiß ich gar nicht, ob ich Angst vor denen haben soll. Wenn ich einem älteren begegne, pocht das Herz auch nicht, das ist eher bei den 17 bis 18jährigen. Das kommt schon noch von früher. Trotzdem spricht das sich ja rum, wer ich bin. Die setzen auch niemanden auf mich an. Aber es bleibt nicht aus, daß in diesen Kreisen darüber geredet wird, „der und der ist ein Linker, da gehen wir mal hin.“
Andererseits gibt es auch Ausnahmen. Es gab eben Leute, mit denen warst du auf der Schule befreundet, aber daß du neben welchen zehn Jahre im Klassenzimmer gesessen hast, stellt allein keinen Schutz dar.

Kam es oft vor, daß Punks Faschos geworden sind und umgekehrt?

Umgekehrt eher selten. Zum Beispiel Ramminger, Käse-Kuntze, Kilsch. Bei Kilsch war es ein ständiges Hin und Her. Der hat alles durch: Gruftie, Metaller, Skin.
Bestes Beispiel ist Matzeit
. Was der da rumhopst, ist unklar. Vom Punk zum Skinhead, zwischendurch mal wieder Punker, dann Skinhead.
Aber eigentlich hat es das die letzten zwei Jahre nicht mehr gegeben.
Doch, z.B. neulich der Norbert Michler
. In der Villa habe ich das als so eklig empfunden, wenn die ankamen: Eichner, Kilsch. Wir haben da geredet, was machen wir jetzt am Wochenende wegen Gerichshain oder wegen einzelnen Faschos. Da wurde immer diskutiert, und die saßen vorne an der Bar, haben getrunken und wenn du da mal was gesagt hast: „Die Leute hier...“, hieß es, „Ach ne, die sind doch weg.“ Ich hatte kein Vertrauen zu denen, auch wenn die mal wieder weg waren und nur ihren Fußball wollten. Und Leute von uns kamen an und sagten: „Du brauchst dir da keine Platte machen. Die erzählen nichts.“ Das hat mich absolut gestört.

Habt ihr darüber geredet, wie ihr mit Leuten umgeht, die hin- und herpendeln?

Da gab es ziemlich große Diskussionen. Das war das einzige große Plenum, was ich erlebt habe und wo heiß diskutiert wurde. Die Meinungen waren 50 zu 50, reinlassen oder nicht. Im Endeffekt haben wir sie reingelassen.
Es gab Leute von uns, die sind deshalb nicht mehr in die Villa
gegangen. Die sind gekommen, haben die Leute gesehen und gesagt: „Tschüß, ich gehe wieder.“
Umgekehrt hat es aber auch manchmal geklappt. Die haben schon manchmal geredet. Wir haben von ehemaligen Faschos erfahren, wer was zu sagen hat, wer wen kennt, wer immer zum Fußball fährt, wer in welchen Parteien ist - das ist dann alles nach und nach schon rausgekommen.

Hat es darüber auch Warnungen vor Aktionen gegeben?

Nein, nicht daß ich wüßte. In der Villa-Zeit war es so, daß permanent die Gerichshainer vorbei gefahren sind und Leuchtspur abgeschossen haben oder mal einen Stein reingeworfen, was dann meist im großen Vorgarten verebbt ist.
Die Faschos waren vorsichtiger im Umgang mit solchen Leuten, die ab und an bei uns auftauchten. Es gab sogar Ex-Faschos, die sind dann losgezogen und haben dem oder dem auf's Maul gehauen, wenn der was vor der Villa gedreht hat.

Wie ist es zu den Runden Tischen mit den Faschos gekommen? Wie schätzt ihr jetzt ein, daß die - auf Druck von außen - aufgehört haben?

Es gab erst das Gespräch mit der Stadt, beim Bürgermeister. Da ist man sich begegnet und hat ein paar Worte gewechselt. Und dort ist das dann irgendwie entstanden. Es gab Leute, wie der Finger oder Koch, die da unbedingt ihre Pfoten reinstecken mußten, daß man unbedingt gleich zusammenkommen und was machen muß. Die Stadt gemeinsam bekämpfen, obwohl wir den Fehler beim Goldenen Tälchen schon mal gemacht hatten.

Von Faschoseite wurde ja Druck auf euch ausgeübt, euch an den Gesprächen zu beteiligen...

Wir haben wochenlang gegengehalten. Es war ein tüchtiges Scharmützel im Vorfeld. Es hatte schwere Verletzungen gegeben, Verfolgungsjagden mit Autos, ein wirklich erschreckendes Ausmaß. Wir paar Leute waren ausgebrannt. Das war ein Rettungsanker: Endlich mal ein paar Tage Ruhe, so habe ich es jedenfalls empfunden. Wir haben im Vorfeld Wurzenintern eine halbe Stunde darüber geredet und die meisten hatten einfach die Schnauze voll, die konnten und wollten nicht mehr. Das ist auch verständlich. Du hast mit dem Ohr an der Tür oder am Fenster geklebt. In der Villa hat es ständig Alarm gegeben.

Wurde das Treffen mit den Faschos von euch vorbereitet?

Nein. Es ist mit den Faschos gelabert worden, aber konkret ist nichts dabei rausgekommen. Ein Brief wurde, glaube ich, an die Stadt abgeschickt - oder auch nicht...

Was war die Intention der Faschos?

Es kaum raus, daß sie schon einen Plan hatten, die haben die Ruhe erstmal gebraucht, weil sie - wie sich jetzt im Nachhinein herausgestellt hat - dabei waren, Strukturen aufzubauen.

Inhalt
Teil 1 | Teil 2 | Teil 3
Wurzen-Broschüre.