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Tue Oct 15 20:20:24 1996
 

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Interview mit zwei Wurzener Antifaschisten. [3]

Wurzen-Broschüre.

Wenn von der Polizei also keine Unterstützung zu erwarten war, habt ihr die wenigstens von anderen für die Villa erfahren?

Die Eltern von den Leuten aus der Villa, zumindest einige, fanden das gar nicht so schlecht, was wir da machen. Speziell nach dem Berggassenüberfall sind sie zum Bürgermeister gerannt.
Der Stadtjugendring
hat sich für uns eingesetzt und demzufolge dann nichts mehr zu sagen, wurden daraufhin totgestellt. Die Annette, Pfarrerin in der Kirche und Vorsitzende des Stadtjugendrings, hatte sich etwas sehr weit zur Szene rübergewagt. Wir kannten sie alle nicht, sie war aber total aufgeschlossen. Sie wurde kaputt gespielt, in der Stadt erstmal. Dann mußte sie zum Bischof. Und ist dann weggezogen, weil sie es nicht mehr ausgehalten hat. Das war eine ganz krasse Geschichte, so kirchenintern. In der Stadtverwaltung ist der Pausch unumschränkter Herr im Haus, ein Diktator. Dagmar Schneider, die Stadtjugendpflegerin, hatte die Villa nur so lange unterstützt, wie es IG Rock war und nicht den Anstrich einer linken Szene hatte. Die hat schnell gemerkt, daß ihr Job auf dem Spiel steht, wenn sie da weitermacht. Und mit dem Grimmaer Jugendamt haben wir schon beim ‘Goldenen Tälchen' schlechte Erfahrungen gemacht. Stör (Jugendamtsmitarbeiter ) ist da ein ganz schlimmer Finger. Und Michels (Jugendamtsleiterin des Jugendamtes Grimma)... Sobald du mit einem Hauch von Linken kamst, gab's bei denen nichts mehr. Alles was links unterstützen konnte, wurde tot gemacht: das Jugendselbsthilfezentrum, der Stadtjugendring. Die im Grimmaer Jugendamt haben auch so ein kleingeistiges Pausch-Niveau. Da ist z.B. Gey (CDU), Landrat im Grimma, schon anders, dem gefällt das auch alles nicht.

Und bezüglich Antifa?

Es gab vielleicht Interesse für das Thema an der Penne, mehr aber nicht.
Die Zustände in der Villa
haben das kaputt gemacht, so daß dort nie was zustande gekommen ist.
Du kannst die Stadt nicht mit einer Großstadt vergleichen. Hier ist alles weiter rechts, schon der Begriff Antifaschismus... Wurzen ist ein tiefer brauner Sumpf, vor jedem Fernseher, hinter jeder Bierdose.
Ein Bekannter hat so eine Unterschriftensammlung zur Wahl von Pausch an seiner Haustür. Die ganzen kleinen Fleischer, Bäcker usw. die haben drei Tage vor der Wahl noch solche Zettel verteilt: „Wir stimmen für Pausch!“.
Wenn man lange Haare hat, wird man in Wurzen mehr angeguckt, als wenn man Glatze hat, weil das zum Stadtbild gehört, das ist normal.

Teilt ihr den Eindruck, daß die Eltern ihren Fascho-Kindern Rückhalt geben?

Bestimmt nicht bei jedem.
Irgendwo müssen die das her haben, daß sie so drauf sind. Die werden ja nicht alle auf einmal von Müller
umerzogen. Das muß alles schon eine Ursache haben.
Wenn ich höre: Die Türken kommen und nehmen uns die Arbeitsplätze weg.
Es ist halt ein richtig stinkkonservatives Nest. Da fallen dann so Schlagwörter, die natürlich auch im NPD
-Programm stehen. Die meisten Faschos haben auch intakte Elternhäuser. Das sind alles ganz passable, nette, junge Männer - so das allgemeine Bild in der Stadt -, machen ihre Lehre, einen Handwerksberuf. Das ist was Feines. Die These, daß alle Faschos arbeitslos wären, trifft überhaupt nicht zu. Im Durchschnitt ist das so, wie bei jeder anderen Bevölkerungsgruppe.

Und wie sieht es mit euren Eltern aus?

Nur wenn deren Kinder mal bedroht oder verletzt werden, machen die sich Gedanken. Das ist dann so ein kurzes Aufflackern. Wenn einer jahrelang nichts auf's Maul gekriegt hat, sind auch die Eltern wieder zufrieden. Natürlich haben die den Pausch mit Begriffen wie Antifaschismus konfrontiert. Da kommt dann von Pausch zurück: Na, die Zeiten sind vorbei, die DDR haben wir hinter uns. Vielleicht schiebt er noch ein „40 Jahre...“ hinterher - da ist alles wieder in Butter.

Wie ist der Einfluß der regionalen Presse?

(5) Das Wurzner Tageblatt und die Leipziger Volkszeitung (LVZ) fusionierten zur LVZ mit einer Lokalbeilage und -redaktion in Wurzen namens Muldentalzeitung.
Ich hatte immer den Eindruck, daß wir mit der Presse ganz gut konnten. Das kann man aber auch an Namen festmachen... Die Artikel in der letzten Zeit waren jedoch ganz kraß.
Wie sie mit uns geredet haben und wie sie am Ende über uns geschrieben haben, waren zwei verschiedene Dinge. Eine gewisse Zensur war da immer drin. „Zensur hat einen Namen: Dr. Viola Heß
.“ (Redaktionsleiterin der Muldentalzeitung).Wir kennen sie. Artikel für uns waren bei weitem mit nicht mit so viel Freude geschrieben, wie Sensationen der Art „Villa kippt Fäkalien auf die Straße.“ Da hätten sie sich draufgestürzt. In der Villa gab’s z.B. eine Diskussionsrunde, Thema: Zivildienst, und das wurde kurz in der Zeitung erwähnt, daß wir eine Klasse aus dem Gymnasium da hatten.
Geschadet hat die Zusammenlegung der beiden Zeitungen,(5) bis dahin war die LVZ eher auf unserer Seite.
So großen Einfluß hatten die Berichte aber nie, man hat eher Sachen aufgesogen, wie: Was ist das schönste Dorf geworden dieses Jahr. In der Stadt wurde zwar mal kurz über die Villa geredet, aber die Entwicklung permanent zu verfolgen und die Zusammenhänge zu verstehen, die Mühe hat sich kaum jemand gemacht. Die Presse hatte eher eine untergeordnete Rolle. Es gab ja schon das feste Bild: die mit den bunten Haaren sind die Chaoten!
Jetzt ist Friede, Freude, Eierkuchen in Wurzen. Es steht ab und zu ein toller Artikel übers Kolpinghaus
in der Zeitung. Es gibt keine Villa mehr, niemand will mehr von der Stadt Geld haben, für seine Villa.

Auch die Faschos mögen die Presse nicht. An dem besetzten Haus steht: „Jürgen, vielen Dank für Deinen kleinen Dienst. Lügenpresse halt die Fresse“.
(Jürgen Kleindienst
ist ein Journalist der MTZ)

Für uns ist es schwierig einzuschätzen, was es an Antifa-Aktivitäten gab, bevor Leipzig ins Spiel kam.

Aus reinem Selbstschutz gab es natürlich was, Aktionen, lustige Sache - aber alles nur sporadisch. Es gab aber immer wieder Versuche, einen Kern zu schaffen. Das entstand aus der Notwendigkeit, weil man gesehen hat, daß rundum die Faschos sind und immer größer werden. Wir wollten eine Art Archiv anlegen, was passiert und wer es passieren läßt, Zusammenhänge usw.
Wir sind ja auch rumgefahren, um zu beobachten, um rauszukriegen, wo sie wohnen, das wußte wir bei vielen nicht.
Und je härter die Gangart von den Faschos war, desto mehr wurde dann natürlich auch zurückgeschlagen. Es hat aber an fähigen Leuten gemangelt, ein paar haben wir zwar zusammengekriegt...
Auf die Punks konnte man sich nicht verlassen. Wenn in der Stadt nichts los war, keine Faschos, dann war eben nichts. Wenn die Faschos mal wieder zugeschlagen haben, sind auch ein paar Punker mit aufgestanden.
Damals war's noch nicht so schlimm wie heute. Es gab Gespräche, zu Anfangszeiten der Villa: Scheiße, was machen wir heute, wenn keine Faschos kommen.
Recherche von uns aus lief auch. Bei dem Wurzner Volksturm erst, das war ja was Wurzenkonkretes. Der hatte sich schnell gegessen gehabt. Später kam die Wiking Jugend
dazu, das war was bundesweites, da wurden wir schon stutzig, wie das geklappt hat. Versucht wurde schon, da eine Struktur reinzubringen. Wir haben mal zusammengesessen, um Aufgaben zu verteilen, Strukturen zu durchleuchten. Das ist leider wieder eingeschlafen. Das lag an uns.

Warum habt ihr - aus unserer Sicht relativ spät - Kontakt mit Leipzig gesucht?

(6) Stockart-Straße - Straßenzug mit vielen ehemals besetzten Häusern in Leipzig-Connewitz.
Wir hatten da draußen vor allem eine Punker-Szene und ein paar fähige Leute. Wie das so üblich ist: Punks gehen in die Stö. (6) Da hat die Antifa ihren Ruf: Antifa? Ahh nee. Wir waren uns trotzdem einig, daß wir irgendwann nach Leipzig wollten. Es war ziemlich spät. Wir haben aber auch mehrere Anläufe gemacht.
So wie ich das in Erinnerung habe, gab es bei uns die Diskussion um die Einverleibung. Die Antifa war außerdem verschrien als Laberverein.
Dann gab es auch Einwände wie: Wenn ihr die jetzt holt, dann kommen die in die Stadt, machen was, hauen ein paar Faschos zusammen und wir haben die dann auf dem Hals, uns zerren sie dann aus dem Bett, die fahren heim und schlafen. Das war so der O-Ton. Der ist heute noch da, genau so. Und das ewige Gelabere der Antifa, das hörst du überall: das Gequatsche...
Ganz am Anfang dachten wir, daß wir das alleine schaffen, dann fing es an, uns über den Kopf zu wachsen. Es war ja wirklich das Bestreben, eine Antifa-Gruppe aufzubauen. Es ist natürlich klar, daß man dann mit anderen in Kontakt treten will. Erstmal hatten wir zu tun mit unseren Leuten da draußen - in der Provinz.

Was habt ihr von Leipzig erwartet?

Hilfe, ganz einfach Hilfe. Wir waren praktisch neu im Geschäft. Was weiß ich, was man da machen kann, was es da für Tricks gibt. Der erste Eindruck war dann: die ignorieren uns. Wir haben beim Antifa-Plenum gesessen, im Hintergrund, zu viert, haben uns das alles angehört, was es so für tolle Probleme in Leipzig gibt, oder eher: Nicht-Probleme und was so zu Problemen gemacht wird. Haben uns das eine dreiviertel Stunde angehört, und fanden das ein tüchtiges Gelaber und dann sind wir wieder gefahren. Wir haben nichts gesagt. Mein Gott, wenn du da reingehst, müssen die doch merken, wenn neue Leute kommen. Da fühlt man sich ignoriert und geht wieder. Wir sind später wiedergekommen, haben auch mal was gesagt. Als es dann in Wurzen losging, kam das übliche Punker-Gelaber: Flugblätter? So’n Scheiß. Ich fand's gut. Es war erstmal ein Anfang. Eigentlich habe ich genau das erwartet.

Was waren die Ergebnisse der Antifaaktivitäten?

Auf die Faschos hat das eher förderlich gewirkt. Frei nach Erich Fried: Wenn man einen Gegner hat, wächst man dran. Das ist so gewesen.
Ist zwar irgendwie logisch, aber es kann natürlich sein, daß uns das irgendwelche Leute nur einreden wollen. Ich habe da auch dran geglaubt, daß die Faschoszene durch die erste Demo zusammengeschweißt wurde. Daß sie mal wieder einen richtigen Gegner hätten. Der Müller
hat nach der Demo abgelassen: Für eine bundesweite war's tüchtig dünne. (allgemeine Zustimmung)

Schweißte die zur Schau gestellte Militanz die Faschos zusammen?

Das kann ich nicht beurteilen, da müssen wir die Faschos fragen, holen wir uns einen?

Was waren so die Konflikte, Probleme mit Leipzig?

Ich dachte: du siehst immer dieselben Leute, es hätten eigentlich ein paar mehr sein müssen, denn Leipzig hat 400.000 Einwohner.
Ich hatte immer Probleme mit der Herangehensweise: Was macht man dagegen? Eine Demo. Dieser Mangel an Kreativität. Manchmal fällt einem wirklich nichts Besseres ein.

Fühltet ihr euch nicht manchmal übergangen?

Ja, besonders angestunken haben mich die vollkommen verkehrten Flugblätter. Da stehen welche mit falschen Vornamen, falschen Zusammenhängen... Einige Aktionen liefen, die so nicht abgesprochen waren.

Anderes Thema: Was bedeutet Punk in Wurzen?

Daß diese Kultur für Linke in Wurzen so dominant ist, hängt damit zusammen, daß sich immer alles in der Villa abgespielt hat. Vielleicht war das der Fehler, daß man Antifa-Sachen in der Villa gemacht hat. Dort waren viele Jüngere, aber es kamen keine Älteren dazu. Saufen und Kiffen. Die sind alle beim Punk hängengeblieben. Das ist für viele der Einstieg. War es für uns auch. Nur das die Punks es an sich haben, unheimlich destruktiv zu sein. Die meisten sind nicht Punk geworden, aus dem Anreiz, links zu sein, sondern um wirklich Punk zu sein. Die nehmen das ernst. Wenn die was ernst nehmen, dann das.
Für die anderen Linken sind Punks - so steht es in der Zeitung - die, die [Minimal] plündern, Müll auf die Straße schmeißen, sowieso verrückt aussehen. In einer so konservativen Stadt so rumzurennen, ist ja schon krank. Die Villa war einfach nicht attraktiv für andere Linke. Davon hätte es bestimmt noch 10 bis 15 auf der Penne gegeben. Und aus den Dörfern. Auch von den auswärtigen Punks kam nichts. Nur Publikum beim Konzert.

Was sind eure Perspektiven, Treffpunkte in Wurzen?

Für uns gibt es nur noch die Gartenkneipe. Aber wer soll sich in Wurzen schon treffen. Linke gibt es nicht. Wenn es welche gäbe, könnten die was machen, hätten aber wahrscheinlich gleich wieder die Punks auf dem Hals. Es müßte darum gehen, neue Leute zu gewinnen, für irgendwelche Antifa-Arbeit und, um auf die Stadtregierung Druck auszuüben.

Und bei den Faschos?

Ich bin durch Bennewitz gefahren und war erschrocken. Da war keiner älter als 16 und die kamen alle einzeln, nicht in der Horde: nur Faschos. Die ganzen Jungs dort kommen schon mit 14 mit Kante - Glatze dürfen die bestimmt noch nicht -, Springer und Bomberjacke an, Aufnäher drauf, das Gauabzeichen. Das sagt eigentlich alles. Egal, ob die jetzt Strukturen entwickeln, auf alle Fälle haben die kein Nachwuchsproblem. Die können wirklich sieben, die Guten ins Töpfchen. Die anderen sollen an der Tankstelle kleben oder ins Jugendhaus gehen und auf total normal machen, nein: es ist total normal, so zu sein.

Was folgt daraus für die Antifa-Arbeit?

Das klingt nun sehr nach Sozialarbeiter, aber du kannst die Mitläufer nur über irgendwelche Angebote rausholen.
Aber genau das ist es, was du in Wurzen nicht kannst, wo dich keiner ranläßt. Du kriegst keinen Fuß mehr rein. Mit dem Begriff Antifa brauchst du in Wurzen gar nicht zu kommen, schön wär's.
Es fängt schon bei dem Begriff an: Faschisten sind wir auch nicht, sagen sie dir so ins Gesicht. Ich bin doch kein Faschist. Ich bin stolz auf meine Heimat und ich will, daß ich hier als Deutscher unter Deutschen leben kann.
Normalerweise mußt du ja solche Leute mit Aufnäher oder Eisernem Kreuz ausgrenzen und sagen, du kommst hier nicht rein. Das funktioniert aber nur, wenn die in der Minderheit sind. Das ist hier aber nicht gegeben. Faschos sind stinknormal in der Stadt. Mit Mode hat das nichts mehr zu tun.

Gesunde Natur - gesunde Deutsche. (Dieses Foto erschien in der MTZ zum Thema Schulgartenunterricht. Das Exotische ist nicht der Fascho (r.), sondern der Gingkobaum (li.).)

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Ende des Interviews.


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