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Tue Oct 15 20:20:24 1996
 

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Interview mit zwei Wurzener Antifaschisten. [2]

Wurzen-Broschüre.

Welche Bedeutung hatte die Villa damals?

Für viele das einzige, was es gab. Was schöneres habe ich an Jugendarbeit in Wurzen noch nie gesehen. Es war für viele wie ein zu Hause. Es sind auch Leute, die obdachlos waren, untergekommen.
Man hatte irgendwas zu verteidigen. Am Ende war auch kulturell was da. Von Anfang an waren Ideen da. Es fehlte immer nur das Geld - sonst hätte das echt was werden können. Der Streß mit den Faschos hat gar nicht so gestört. Erstens sind sie da nie reingekommen. Zweitens wußten wir, daß wir die Villa
verteidigen können. Das ging bloß durch die Stadtverwaltung kaputt. Kein Fascho hätte das klargekriegt.
Sagen wir mal, zu 10% sind wir selbst schuld, Unfähigkeit.

Im Bild leider nicht zu sehen: Das perfekt getarnte Verteidigungssystem der Villa.

Welche Rolle spielte die Villa für die Antifa-Arbeit?

So was wie ein Plenum haben wir nie hingekriegt. Aber man hat sich getroffen, ausgetauscht, ob nun beim Bier oder bei einer Tüte, und hat alles Wichtige erfahren. Es wurde abgesprochen, zu Demos zu fahren.

Haben sich in der Villa verschiedene Gruppen herausgebildet?

Ja, es gab gewisse Abgrenzungen. Zum einen die alternative Schiene, die sich zumindest gern den Anstrich gaben. Andererseits gab es die, die unbedingt mehr aus der Villa machen wollten. Bibliothek hatten wir geplant, eine Werkstatt, Freilichtkino, das ist sogar ins Laufen gekommen, regelmäßige Konzerte, die hatten wir ja nur unregelmäßig hingekriegt. Es hat nur am Geld und an fähigen Leuten gefehlt.
Und die Punks gab es noch, die wir versucht haben, in die Garage zu stecken, was nicht so ganz geklappt hat, war nichts mit ‘Ghettoisierung'.
Das Traurige war, daß es auch Leute von der Penne gab, „Linke“, die manchmal kamen und in der Villa nur Dreck und die Flaschen gesehen haben. Die haben die Lust verloren, nochmal zu kommen. Viele aus Wurzen, mit denen man was hätte machen können, sind weggezogen. Als das Jugendselbsthilfezentrum
gefallen ist, ging es auch mit der Villa nur noch bergab.

Gab es Auseinandersetzungen zwischen den Gruppierungen? Die Punker waren ja ziemlich bestimmend...

Die Punker haben nicht bestimmt was passiert, sondern mit ihrem Verhalten bestimmt, daß nichts passiert. Natürlich gab es immer wieder Versuche, die in die Schranken zu weisen, auch wenn das albern klingt. Zwischen den Nicht-Punks kam es natürlich auch zu Auseinandersetzungen - wie überall. Vereinsmeierei war auch verhanden.
Irgendwann konntest du in der Villa nicht mehr sagen, was du willst. Unten war halt der Sudkeller und oben die Bands. Mehr war da nicht. Und die Obdachlosen wohnten da, die man jeden Monat mal darauf hinweisen mußte, daß sauber gemacht werden mußte.

Wieso hat die IG Rock die Villa verlassen?
(4) Die IG-Rock hatte eine Etage angemietet. Die anderen Etagen wurden im stillschweigenden Einvernehmen mit der Besitzerin Treuhand ebenfalls genutzt, obwohl es dafür keine Mietverträge gab.

Irgendwann haben wir es mit Miete-zahlen nicht mehr geschafft. Die IG Rock hatte das ja nicht als Verein gemietet, sondern das lief über zwei Privatleute. (4) Die haben dann den Mietvertrag nicht mehr verlängert und haben gesagt: „Macht, was ihr wollt, wir sind aus dem Schneider, wir nehmen unser Zeug mit, die Studiotechnik raus“, weil klar war, daß es in den besetzten Zustand übergeht.

Welchen Stellenwert hatte die IG Rock für die Villa?

In der IG Rock waren eigentlich alle.
Ich habe es aber schon so empfunden, daß die IG Rock nur ihre Bands wollte, nur Mugge, Mugge, Mugge... und nix anderes. Die wollten die Punker nicht mehr, aber auch kein Kino oder so. Die haben ihre Kneipe gehabt. Das war's. Die Leute, die heute noch bei der IG Rock sind, sind inzwischen so unpolitisch, bürgerlich, das sind Unternehmer mittlerweile. Die IG Rock hat für meine Begriffe von der Subkultur viel kaputt gemacht.

Am Anfang gab es ein positives Presseecho zur Villa. Der Stadtrat wollte die Villa kaufen. Wann kam der Umschwung?

Interview der LVZ mit Bürgermeister Pausch, 19.7.1995.

Einen Anlaß gab es nicht. Das kam wie aus heiterem Himmel. Pausch sagte auf einmal, daß dieser Rückführungsanspruch doch geltend gemacht wurde.
Da haben wir dann gegen die Stadt geschossen, und das hat sich hochgeschaukelt.

Das lag nicht an den Punkerknacker-Festivals?

Nein, die waren erst später. Die haben dann natürlich das Thema übelst hochgespielt, um uns einen reinzudrehen. Da wurde einem Zeug angelastet: Der Mercedes fährt in eine gesperrte Straße rein, fährt noch halb die Leute an, mit einem übelsten Tempo durch die Massen, daß dann ein paar Bierflaschen drauf fliegen... Da wird dann ein Riesenfoto auf die Titelseite der Zeitung gebracht, mit dem Zaun, wo fünf Latten ab sind... Das ist doch albern.
Den Schaden hat ja auch nachweislich keiner von den Wurznern gemacht. Berliner waren das, meiner Ansicht nach. Wir haben dann am nächsten Tag gekehrt. Das war o.k. Die Anwohner wußten Bescheid.
Beim zweiten hatten wir ja wirklich alles unter Kontrolle. War natürlich witzig, als die berittene Polizei auftauchte.

Als es um den Erhalt der Villa ging, kam da auch Unterstützung von den NutzerInnen?

Es ging eigentlich so weiter, wie bisher.
Zum Schluß hatte niemand mehr so richtig Ambitionen, mit der Stadt zu verhandeln. Sicher sind die Leute zu Stadt gerannt, haben da protestiert und alles. Dieser Sitzstreik auf der Treppe vom Stadthaus.
Der war nur symbolisch, weil es noch einen zweiten Zugang gab. Als wir dann auch einzelne Zimmer blockiert hatten, hat sich der Bürgermeister erweichen lassen, daß er ein Gespräch führt, aber nur mit dreien. Später hatten wir das nochmal versucht. Wir hatten die ganzen Stadträte vor uns. Das hatten wir so hingebogen, daß die wegen uns zusammenkommen. „Gesprächsrunde mit Jugend- lichen“ als Hauptpunkt. Wir sind in großer Stückzahl erschienen und wollten alle rein. Auf einmal hatten die aus Tischen einen Kanal gebaut, so einen Checkpoint, wo du deinen Ausweis zeigen mußtest. Alle wieder raus, kurz beraten: Ne, wir zeigen keinen Ausweis. Da haben wir rumdiskutiert, daß das nicht rechtens sein kann, daß es sich wohl um Amtsanmaßung handele. Das hat aber nicht gefruchtet. Irgendwann haben wir drin Tumult... - ist vielleicht übertrieben, aber hat Lautstärke erzeugt. Da haben sie sich erweichen lassen und gesagt: o.k., kommt rein. Plötzlich ging die Tür zu, die Hälfte stand draußen, die Hälfte drin. Und auf einmal wollten die von der Hälfte, die draußen stand, doch wieder die Ausweise sehen. Da haben sich dann einige eingeschrieben, mit falschen Namen und was weiß ich, was sie alles versucht haben. Aber da wurde eine telefonische Verbindung zum Meldeamt gelegt, um das zu überprüfen. Die Polizei fuhr auf, mit Hunden und so, macht natürlich auch einen guten Eindruck. Drin saß das Publikum, die Stadträte, der Bürgermeister war wieder am Babbeln. Irgendwelche Bürger durften sagen: „So können sie doch mit der armen Jugend nicht umspringen.“ Da gab's echt Stunk. Und das allgemeine Gefasel: Die Jugendlichen müssen zusammenfinden. Als einer von uns reden wollte, wurde dem nach ein oder zwei Sätzen das Wort durch Pausch
ab-geschnitten, der jemand anders das Wort gab. Es bestand überhaupt keine Bereitschaft, mit uns zu reden. Daraufhin sind wir alle gegangen und verließen das Haus ziemlich lautstark. Es wurde gegen die Tür getreten, Tisch und Stuhl flogen um - aber es ist nichts kaputt gegangen! Schade... Es standen da auch immer noch die Tische mit den Listen, wo man sich einschreiben mußte. Die wurden dann auch im Vorbeigehen geschnappt. Vorne hatten die aber die Tür wieder zugeschlossen. Es wurde eifrig gegen die Tür getreten. Bis dieser Ordnungsamtsidiot Holzmann sich genötigt sah, die Tür aufzuschließen und so halb mit dem Oberkörper draußen hing und zur Polizei rief: Hilfe, Hilfe. Die Bullen draußen hatten nicht Bock, sofort einzugreifen. Die haben die Leute erst in der Innenstadt gejagt. Wir haben versucht, zusammen zu bleiben. Die Villa war damals schon zu. Auf dem Weg in die Stadt haben die mehrere Personenkontrollen durchgeführt, die nicht zimperlich abgelaufen sind.
Bei den Aktionen, nach der Räumung der Villa, war auch Umfeld der Villa dabei. Die haben sich interessiert, was da los ist.

Die zugemauerte Villa Kuntabunt nach der Räumung.

Habt ihr auch Eltern bei den Bullen?

Nein, aber man kennt auch Bullen, wenn man auf demselben Dorf wohnt. Unsere Punks kommen größtenteils von umliegenden Dörfern.
Ich bin mir sicher, daß die Faschos besseren Kontakt zu den Bullen haben als wir.

Gibt es Bullen, die ihr als Faschos bezeichnen würdet?

Allein die Tatsache, daß sie Bullen sind...
Marcus sein Vater.
Und der Herr Rollauer
; wenn jemand tagsüber mit Faschos rumrennt und in der Kneipe, dann ist das für mich schon ein eindeutiges Zeichen. Und der Jäger, aber da weiß ich es nicht genau.

Was sind eure Erwartungen gegenüber den Bullen?

Daß sie ab und zu für eine Lachnummer sorgen. Die Typen sind Quatsch. Wenn du von Faschos zusammengeschlagen wirst und die Bullen stehen daneben, brauchst du nichts zu erwarten. Ist ja schon mal schiefgegangen. Wo sie das Auto nicht aufgemacht haben, weil der Typ geblutet hat, das macht ja die Sitze dreckig.
In dem Moment würde ich das schon von den Bullen erwarten, daß ich da Schutz finde. Aber sich darauf verlassen, das würde ich auch nicht.
Anzeigen bei den Bullen machen keinen Sinn, besser gleich bei der Staatsanwaltschaft einreichen. Aber wenn irgendwas los ist, egal in welcher Richtung, sind verstärkt Bullen in der Stadt. Da ist bei uns in der Straße permanenter Streifendienst, alle 10 Minuten. Das ist schon belastend.

Rollauer, ein guter Freund der Faschos, verhaftet Pape, aber nur, weil das Fernsehen dabei ist.

Gibt es Übergriffe von der Polizei?

Nein, aber z.B. bei den Personenkontrollen: dieses An-die-Wand- Geschmeiße, hinten rein getreten, dann durchsucht, sehr robust, nicht geprügelt, aber ordentlich in's Schienbein getreten, weil du die Beine auseinander machen sollst, so daß du doch mal einen blauen Fleck oder eine Schramme hast.
In einem Fernsehbeitrag kann man sehen, wie der Fascho Rink gegen einen Journalisten tritt und der Bulle daneben sagt: Hör mal auf. Wenn ich das machen würde, würde ich vermutlich mit dem Bauch auf dem Boden liegen, eine Acht um's Handgelenk kriegen und ab. Da sieht man den Unterschied, wie Faschos und wie wir behandelt werden.
Oder in Schildau
: Da haben Bullen einem Punk angeblichen Schutz vor Faschos angeboten, aus der Disco geleitet, weil die dem ans Leder wollten und auf dem nächsten Parkplatz haben die Bullen angehalten und den Typ verprügelt.

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