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== Nachbereitungsreader zum 4. Antirassistischen Grenzcamp im Rhein-Main-Gebiet ==
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27.07.-05.08.2001 FFM

Antifa

Die folgenden Texte sind der Swing - Autonomes Rhein-Main-Info vom Oktober 2001 entnommen.

Die NPD in Wölfersheim - eine unsichtbare Macht?

Bemerkungen zur Antifa-Demo in Wölfersheim während des Grenzcamps

Als wichtig und richtig erwies sich die Demonstration von ca. 400 AntifaschistInnen in der NPD-Hochburg Wölfersheim im Wetteraukreis. Die Kleinstadt ist ein Mythos für die Neonazis in Hessen. Hier kann die NPD öffentlich und ungestört Treffen veranstalten, hier nimmt kaum jemand Anstoß an Konzerten neonazistischer "Liedermacher", der Bahnhofsvorplatz dient als Treffpunkt für Busreisen zu Neonazi-Aufmärschen, die Kneipe "Licher Eck" lädt seit nunmehr zehn Jahren öffentlich und ohne Probleme zum monatlichen NPD-Stammtisch ein. Und schließlich: von hier aus ziehen NPD-Funktionäre (wie das langjährige Landesvorstandsmitglied Volker Sachs oder Kerstin Vogel und Andreas Schmidt vom Landesvorstand der Jungen Nationaldemokraten) ungestört ihre Fäden. Alles gute Gründe, dort einmal auf den Busch zu klopfen.

Interessant waren die Reaktionen der örtlichen Bevölkerung, gerade der Jugendlichen. Anfangs der Demo fühlten sie sich durch Redebeiträge, die sich vorwurfsvoll an die Wölfersheimerlnnen wendeten, in Sippenhaft genommen und waren verärgert. Dann tauten sie nach und nach auf. Die Neonazis, so ihre Aussagen, wären in Wölfersheim auf der Straße kein Problem, die Jugend stünde nicht rechts. Es wären die "alten Herren", die fest im Bürgertum verankert seien, die derartige Propaganda verbreiten würden und Wölfersheim zu einem organisatorischen Zentrum des Neonazismus in Hessen gemacht hätten. Nur auf den Dorfdiscos im der Umgebung würden sie auf Neonazis treffen. So sei auf einer "Ballermann"-Discoparty bei Nidda zwei Wochen zuvor "ein Türke" von Neonazis durch einen Messerstich in den Rücken schwer verletzt und per Rettungswagen abtransportiert wurden. Keine spontane Tat, glauben sie: Die Neonazis wären organisiert aufgetreten und hätten gezielt nach Opfern gesucht. Mehrere andere Jugendliche bestätigten diesen Angriff, der in den örtlichen Medien und im Polizeibericht unerwähnt blieb. Einzelne Wölfersheimer Jugendlichen schlossen sich sogar der Demo an: "Endlich passiert mal was gegen die NPD". Das Verhalten der "erwachsenen" Bevölkerung war gespalten, aber nicht so pauschal ablehnend, wie das einige Demoteilnehmerlnnen vorher befürchtet hatten. Der Großteil schloss die Fenster und äugte durch die Scheiben, die offenkundige NPD-Wählerschaft achtete auf Sicherheitsabstand und murmelte nur hinter vorgehaltener Hand etwas von "wegräumen" und "alle erschießen". Ein paar Bauarbeiter konnten mit der Demo nichts anfangen, mußten aber "mal ehrlich sagen, dass sich hier ja niemand traut, gegen die NPD das Maul aufzumachen". Eine Nachbarin von Volker Sachs verstand die Aufregung nicht. Sie selbst habe es aufgegeben, sich mit dem Neonazi auseinander zu setzen, denn "der ist hier geboren, der ist hier verankert, da kann man nichts machen." Es sei ruhig geworden im Stadtteil. Die Reichskriegsfahne würde der NPD-Provinzfürst kaum noch hissen und auch sei es schon einige Wochen her, dass besoffene Sachs-Kumpanen mit Nazigegröle durch die Straße gezogen wären.

Die letzten Zweifel, ob Ort und Zeitpunkt der Demo richtig gewählt waren, beseitigte der lokale Chef der Grünen. Er verlangte nach dem Mikrophon und jammerte minutenlang - nein, nicht etwa über die NPD, sondern über die Demonstrantlnnen, die "einfach so daher" kämen und Unfrieden brächten. Hunderte von Antifas und Bürgerlnnen wurden nun Ohrenzeugen von grüner Inkompetenz und realpolitischem Realitätsverlust. Die NPD brächte im Stadtparlament ja nichts zu Stande, so lamentierte er weiter, die Wählerlnnenschaft sei bei der letzten Wahl von vorher 22 auf jetzt 12 Prozent gesunken und auch sei von ihr ja auf der Straße kaum etwas zu sehen. Die Ausführungen gipfelten schließlich darin, dass er es ja durchaus überlegenswert fände, gegen die NPD zu protestieren, aber das nächste Mal sollten wir uns doch bitte mit ihm absprechen. Es entstand ein offener, per Lautsprecher ausgetragener, Schlagabtausch mit einem grünen Volltrottel, der einfach nur zutiefst beleidigt war, dass Antifas in Wölfersheim demonstrieren, ohne ihn vorher um Erlaubnis zu fragen. Als ob in den letzten Jahren auch nur ein Fall bekannt geworden wäre, in dem sich die Wölfersheimer Grünen mit antifaschistischen Initiativen zusammen getan hätten, um Widerstand gegen die NPD zu organisieren oder um antirassistische Jugendkulturen gezielt zu fördern.

Als Kritik an der Demo bleibt die Feststellung, dass sie den Charakter einer "Strafexpedition" nie so recht losgeworden ist und bedenklich stimmt, dass sich viele der Teilnehmenden darin offenkundig wohlfühlten - obgleich die Kontraproduktivität eines derartigen Auftretens in den letzten Jahren vielerorts, gerade in den rechten Hochburgen der östlichen Bundesländer, deutlich wurde. Es waren viel zu wenige, die sich um direkte Gespräche mit der Bevölkerung bemühten und es gab kein Flugblatt, welches über die Redebeiträge hinaus die Situation in Wölfersheim und die Gründe unseres Erscheinens vermittelt hätte. Den Grünen indes hat der Himmel geschickt. Besser als er in seinem zehnminütigen Gejammer hätten wir die Hilflosigkeit and Unfähigkeit des "staatlichen Antifaschismus" nicht in 100 Flugblättern beschreiben können.

Es ist Aufgabe der antifaschistischen Bewegung, zur Schärfung von Begriffen beizutragen statt zu deren Verwässerung. Eine sogenannte "nationalbefreite Zone", wie es vor und während der Demo bei einigen Teilnehmerlnnen anklang, ist Wölfersheim nicht. Zugegeben, die Situation im Ort ist nicht akzeptabel: Es gibt eine neonazistische Partei, die fest in den politischen und gesellschaftlichen Strukturen verankert ist und gegen die sich "niemand traut, das Maul aufzumachen". Es gibt Freiräume, in denen eine neonazistische Alltags- and Erlebniswelt stattfindet, die wiederum zur Integration von Sympathisantlnnen und zur Installation neonazistischer "Normalität" beiträgt. Und es herrscht der überparteiliche Mief aus Stammtischparolen, Sich-Heraushalten, Weggucken, Sich-Arrangieren. Dennoch: eine kulturelle Hegemonie der Neonazis unter Jugendlichen, bislang als wichtigstes Indiz der "nationalbefreiten Zone" -definiert, gibt es augenscheinlich nicht. Neonazistischer Lifestyle ist nicht vorherrschende Mode, neonazistische Schmierereien sind nicht allgegenwärtig, eine Solidarisierung der "normalen" Jugendlichen mit den Neonazis war nicht hörbar. Stattdessen dominierte unter den Jugendlichen - zumindest am Rande der Demo - das Bekenntnis, "mit Neonazis nichts zu tun" haben zu wollen. Darin liegt eine Chance, die wir durch Offenheit und konzeptionelle Herangehensweisen nutzen können - und die wir uns durch pauschale "Feindesland"-Konstruktionen und moralische Zeigefinger ("ihr Wölfersheimerlnnen") verbauen.

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27.07.-05.08.2001 FFM