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Sun Jan  2 22:33:11 2000
 

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Einige Beiträge zum Abschlussplenum

'Marketing-Position' gegen 'Militaristischen' Ansatz

Der erste Beitrag bezieht sich auf den Widerspruch zwischen den beiden Zielen des Camps: zum einen die Irritation und Provokation des Alltags der Bevölkerung, zum anderen die Vermittlung von anderen (als den herrschenden) Verhaltensmöglichkeiten zun Grenzregime. Damit auch "die Unterstützung aller derjenigen vor Ort, die unter den dort gegebenen Verhältnissen auf ihre Weise dem Rassismus und den Rassisten widersprechen" (s. Schreiben vom Z.E.L.T.P.L.A.T.Z.K.O.M.I.T.E.E. zum Grenzcamp und ihren Motivationen). Daraus ergab sich die Frage, ob es möglich ist, diesen Widerspruch aufzulösen, indem versucht wird, durch Provokation "Kommunikationskanäle" zu schaffen, durch die Gegenöffentlichkeit über den Grenzalltag hergestellt werden kann. Dafür auch z.B. die Camp-Zeitung in einer hohen Auflage. Aber was verstehen wir eigentlich unter Provokation und Irritation? Und welche Ziele werden tatsächlich damit verfolgt? Die Aktionen, die vom Camp ausgingen, haben eine vielfältige Palette von Möglichkeiten aufgezeigt. Aber es ist notwendig zu differenzieren zwischen der Provokation von Menschen direkt, auf Grund ihres Daseins, oder auf Grund ihres rassistischen und nationalistischen Handelns. Wenn dazwischen nicht unterschieden wird, hängt das 'Angriffs'-ziel nicht mehr unmittelbar mit der Begründung des 'Angriffs' zusammen, und wird damit unklar. Und wenn Provokationen nicht mehr das Ziel haben, Inhalte zu vermitteln bzw. Kommunikationskanäle zu schaffen, sondern einfach nur den Selbstzweck verfolgen, zu stören, sorgt das für nur noch mehr Probleme mit der Bevölkerung, anstatt unterstützend zu wirken oder gar Unterstützung zu bewirken. Beispiele dafür sind die Distanzierung des Multikulurellen Zentrums in Zittau vom Camp, weil aus einer Kundgebung auf dem Marktplatz heraus Kurzhaarige angegriffen worden sind, nur weil sie kurze Haare hatten. Da war keine Vermittlung mehr möglich.1 Oder die Schwierigkeiten der Frau, die in der Kirche St. Johannis die Ausstellung über Abschiebehaft in Sachsen organisiert hatte, allerdings offiziell nicht im Zusammenhang mit dem Camp. Als dann ausgerechnet diese Kirche vollgesprüht worden ist, sorgte das für eben diese Schwierigkeiten (daß es wahrscheinlich die letzte Ausstellung dieser Art gewesen sei) und mindestens Verständnislosigkeit. Ein anderes Beispiel zeigt, wie sich die Wirkung von Aktionen gegenseitig aufgehoben hat. Beim Verteilen der Camp-Zeitung waren die Sprüche zu hören: "Ihr seid doch die, die unsere Autos vollgeklebt haben". Diese Leute haben gleich dicht gemacht. Da war keine Kommunikation mehr möglich. Dabei ging es um die "BGS-besser als die STASI"-Aufkleber, die ja eigentlich sehr gelungen waren. Aber durch das Bekleben von Autos, in der Region als 'Beschädigung' von Privateigentum gewertet, machen wir es den Menschen einfach, nicht über den Inhalt der 'Botschaft' als solches nachzudenken, sondern davon abzulenken, und letztlich eine Nicht-Auseinandersetzung zu legitimieren. Die Bedeutung von Eigentum ist nun mal sehr hoch in der Region (und nicht nur da), höher vielleicht noch durch die hohe Arbeitslosigkeit, deswegen wohl auch die höhere Verurteilung der Beschädigung von Eigentum. Es geht hier nicht um soziologische Erklärungsversuche von Lausitzer Spezialitäten, aber vielleicht ist es möglich, solche Überlegungen mitzunehmen, wenn sich eine Aktion ausgedacht wird. Durch eine Vernachlässigung von solchen Sachen wird es den Menschen in der Region leicht gemacht, die Blockade runterzulassen und wegzuschauen. Wenn mensch davon ausgeht, daß es sowieso nicht möglich ist, etwas an die LausitzerInnen zu vermitteln, warum stecken wir dann soviel Geld und Mühe in eine Zeitung, in Kundgebungen, in Pressearbeit? Und dann ist da noch als Beispiel die "Vorgarten-Performance der RaumschreiterInnen". Natürlich ist es wichtig, Menschen aufzuzeigen, daß sie mitprofitieren von der Ausgrenzung von AusländerInnen, aber funktioniert das so? "Ob das Flugblatt, das es dazu gab, Licht ins Dunkel gebracht hat, darf man bezweifeln" schreibt einer, der dabei war, im Webjournal des Camps und behauptet, es war in seiner Sicht ein Erfolg, weil "die BewohnerInnen der Eigenheime in ihrem beschaulichen Alltag gestört" sind, "verwirrt" und es hat "mit hundertprozentiger Sicherheit zu zahlreichen Gesprächen in der Nachbarschaft geführt". Aus unserer Sicht wäre es nicht nötig gewesen, eine Performance mit einer solchen Absicht so weit außerhalb des Camps zu machen, im Frauen/Lesben-Bereich wäre sie in diesem Sinne auch sehr erfolgreich gewesen.
Vermittelbare Provokationen sind aus unserer Sicht, einem Fascho-Anwalt Scheiße vor die Tür zu kippen oder eine BGS-Kaserne zu blockieren. Zu der konkreten Störung des Alltags kommt ein Sichtbarmachen von anderen Verhaltensweisen diesen Schweinen gegenüber.Aber Stören nur um des Störens willen ist nur Selbstzweck und paßt in das "Wir sind die Guten" (ein lustiger Spruch am Anfang des AK Kraak-Videos über das 98er Camp) und "Alle LausitzerInnen sind scheiße"-Schema.

Binsenweisheit

Die nächsten Sätze beziehen sich nochmals auf die BGS-Blockade. Bei einem Vorbereitungstreffen wurde unter anderem zu den Zielen des Camps formuliert, "den BGS binden und beschäftigen zu können, daß Flüchtlinge die Chance zum Grenzübertritt wie auch zu einem ungestörten Weiterkommen in Richtung ihres Zielortes haben." Eine Störung des BGS bzw. des Grenzregimes kann nur symbolisch sein. Wenn wir uns mit Bullen, BGS oder Faschos prügeln, begeben wir uns auf die unterste Ebene. Nur die Konfrontation mit den ausführenden Organen wird angegangen. Dieser militärische Kampf ist nicht gleichwertig. Die Faschos sind viel skrupelloser als wir es jemals sein könnten (oder wollten), der BGS hat außerdem noch die bessere technische Ausrüstung. Diese Art von Konfrontation macht nur dann Sinn, wenn auch auf politischer Ebene etwas gemacht wird. Die Wurzeln von Rassismus und Faschismus werden nicht durch eine militärische Auseinandersetzung angegangen. Dadurch entstehen keine neuen Gedanken in den Köpfen der Menschen.

(Selbst-)Kritik an der Konsumgesellschaft im Camp und drumherum

Die folgende Kritik geht in mehrere Richtungen. Ganz praktisch der Umgang mit organisatorischen Dingen im Camp: zum Schluß der Woche stand der Schutz immer erst im letzten Moment; der Mangel an Interesse und Bereitschaft, für Übersetzungen zu sorgen, war erbärmlich bei dem gleichzeitigen Anspruch, ein internationales Camp zu wollen; das Abschlußplenum ist wahrscheinlich deswegen nicht fortgesetzt worden, weil keineR die Initiative ergreifen wollte.
Aber auch eine wenig vorhandene Bereitschaft, sich VOR einer Aktion damit auseinandersetzen zu wollen, ob die denn wohl so stimmt, was Ziel, Zweck, Mittel, Effekt auf andere Aktionen angeht.Wenn etwas vorgeschlagen wird, wird mitgemacht, nach dem Motto: Hauptsache, es passiert überhaupt etwas. So entsteht Fußvolk, besser: so lassen wir uns zum Fußvolk machen. Auch letztes Jahr ist diesem Umstand besondere Beachtung geschenkt worden: "Voraussetzung eines derartigen 'Erfolges' (ist), daß sich auch in Zukunft genügend Leute nicht allzu viele Gedanken machen, wenn sie ihre Körper als Aktionsgefäße zur Verfügung stellen." (Lotte und Kurt Rotholz, Camp-Reader 1998) Aber: dazu gehören zwei Seiten. Auf der anderen Seite stehen die Leute, die diese Bereitschaft ausnutzen, die ihre Aktion mit stummem Fußvolk machen wollen, nicht selber denkend, nicht sprechend. So entsteht Macht, so entstehen hierarchische Strukturen. Wir müssen aber Leute mitdenken lassen, die Möglichkeiten dazu schaffen. Wenn z.B. bei einer eventuellen Auseinandersetzung VOR einer Aktion diese abgewürgt wird mit den Worten "Jetzt reicht es, laß' uns los" oder "Man kann eine Aktion auch totreden", dann läßt jemand Menschen etwas tun, für das sie vielleicht gar nicht fertig sind. Außerdem paßt das überhaupt nicht zu der Überzeugung, daß jeder Mensch dazu in der Lage ist, für sich selber zu denken und seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Viele Menschen sind da nicht dran gewöhnt, aber das kann und muß geübt werden. Auch auf so einem Grenzcamp. Sonst hat dieses Camp überhaupt nichts mit diesem Anspruch zu tun, daß "solch ein Zusammenkommen von Hunderten von Menschen auch immer ein Stück Utopie in sich birgt, was das solidarische Umgehen miteinander angeht." (aus den Motivationen vom Z.E.L.T.P.L.A.T.Z.K.O.M.I.T.E.E.)
An den letzten Punkt schließen sich NOCH EIN PAAR GEDANKEN UND OFFENE
FRAGEN an, was die Auseinandersetzung mit bzw. unter allen CampteilnehmerInnen (und darüber hinaus) angeht. Ob die eigentlich überhaupt so gewollt ist? Oder ob es da nicht doch Zweifel gibt? Diese Frage, warum soll ich mich mit "denen" austauschen; wenn die es immer noch nicht kapiert haben, hat es ja doch keinen Zweck. Da ziehe ich mich besser zurück hinter die Grenzen meiner eigenen Bezugsgruppe, wo alle einer Meinung sind. Ist es dann nicht auch akzeptabel, wenn die denunzierende Bevölkerung das gleiche macht, und dicht macht für jede Diskussion mit Andersdenkenden? Dieses Dichtmachen heißt doch, das gedacht wird, die anderen (nicht wir selbst) sind statisch und nicht veränderungsfähig. Aber in Gruppen steigen auch immer wieder neue (junge) Leute ein. Da ist es doch richtig und wichtig, sich die Mühe zu geben, einen Austausch anzufangen. Es ist nicht auszuschließen, daß es immer mal wieder einen neuen Blickwinkel auf eine Angelegenheit gibt, der einem selber noch nicht aufgefallen war.

Das Fußvolk

1 Der Artikel von Meister und König aus der Interim Nr. 483 zum MUK ist mittlerweile gelesen, aber uns fehlen die Informationen, um mehr dazu sagen zu können, also können wir das so nur zur Kenntnis nehmen und verweisen auf die anderen Beispiele, die unsere Kritik erhellen sollen.

Henk-Jan
The Netherlands

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