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Einige Beiträge zum Abschlussplenum
Der erste Beitrag bezieht sich auf den Widerspruch zwischen den beiden Zielen des Camps: zum einen die
Irritation und Provokation des Alltags der Bevölkerung, zum anderen die
Vermittlung von anderen (als den herrschenden) Verhaltensmöglichkeiten zun
Grenzregime. Damit auch "die Unterstützung aller derjenigen vor Ort, die
unter den dort gegebenen Verhältnissen auf ihre Weise dem Rassismus und
den Rassisten widersprechen" (s. Schreiben vom Z.E.L.T.P.L.A.T.Z.K.O.M.I.T.E.E.
zum Grenzcamp und ihren Motivationen). Daraus ergab sich die Frage, ob es
möglich ist, diesen Widerspruch aufzulösen, indem versucht wird,
durch Provokation "Kommunikationskanäle" zu schaffen, durch die
Gegenöffentlichkeit über den Grenzalltag hergestellt werden kann.
Dafür auch z.B. die Camp-Zeitung in einer hohen Auflage. Aber was
verstehen wir eigentlich unter Provokation und Irritation? Und welche Ziele
werden tatsächlich damit verfolgt? Die Aktionen, die vom Camp ausgingen,
haben eine vielfältige Palette von Möglichkeiten aufgezeigt. Aber es
ist notwendig zu differenzieren zwischen der Provokation von Menschen direkt,
auf Grund ihres Daseins, oder auf Grund ihres rassistischen und
nationalistischen Handelns. Wenn dazwischen nicht unterschieden wird,
hängt das 'Angriffs'-ziel nicht mehr unmittelbar mit der Begründung
des 'Angriffs' zusammen, und wird damit unklar. Und wenn Provokationen nicht
mehr das Ziel haben, Inhalte zu vermitteln bzw. Kommunikationskanäle zu
schaffen, sondern einfach nur den Selbstzweck verfolgen, zu stören, sorgt
das für nur noch mehr Probleme mit der Bevölkerung, anstatt
unterstützend zu wirken oder gar Unterstützung zu bewirken. Beispiele
dafür sind die Distanzierung des Multikulurellen Zentrums in Zittau vom
Camp, weil aus einer Kundgebung auf dem Marktplatz heraus Kurzhaarige
angegriffen worden sind, nur weil sie kurze Haare hatten. Da war keine
Vermittlung mehr möglich.1
Oder die Schwierigkeiten der Frau, die in der
Kirche St. Johannis die Ausstellung über Abschiebehaft in Sachsen
organisiert hatte, allerdings offiziell nicht im Zusammenhang mit dem Camp. Als
dann ausgerechnet diese Kirche vollgesprüht worden ist, sorgte das
für eben diese Schwierigkeiten (daß es wahrscheinlich die letzte
Ausstellung dieser Art gewesen sei) und mindestens Verständnislosigkeit.
Ein anderes Beispiel zeigt, wie sich die Wirkung von Aktionen gegenseitig
aufgehoben hat. Beim Verteilen der Camp-Zeitung waren die Sprüche zu
hören: "Ihr seid doch die, die unsere Autos vollgeklebt haben". Diese
Leute haben gleich dicht gemacht. Da war keine Kommunikation mehr möglich.
Dabei ging es um die "BGS-besser als die STASI"-Aufkleber, die ja eigentlich
sehr gelungen waren. Aber durch das Bekleben von Autos, in der Region als
'Beschädigung' von Privateigentum gewertet, machen wir es den Menschen
einfach, nicht über den Inhalt der 'Botschaft' als solches nachzudenken,
sondern davon abzulenken, und letztlich eine Nicht-Auseinandersetzung zu
legitimieren. Die Bedeutung von Eigentum ist nun mal sehr hoch in der Region
(und nicht nur da), höher vielleicht noch durch die hohe Arbeitslosigkeit,
deswegen wohl auch die höhere Verurteilung der Beschädigung von
Eigentum. Es geht hier nicht um soziologische Erklärungsversuche von
Lausitzer Spezialitäten, aber vielleicht ist es möglich, solche
Überlegungen mitzunehmen, wenn sich eine Aktion ausgedacht wird. Durch
eine Vernachlässigung von solchen Sachen wird es den Menschen in der
Region leicht gemacht, die Blockade runterzulassen und wegzuschauen. Wenn
mensch davon ausgeht, daß es sowieso nicht möglich ist, etwas an die
LausitzerInnen zu vermitteln, warum stecken wir dann soviel Geld und Mühe
in eine Zeitung, in Kundgebungen, in Pressearbeit? Und dann ist da noch als
Beispiel die "Vorgarten-Performance der RaumschreiterInnen". Natürlich ist
es wichtig, Menschen aufzuzeigen, daß sie mitprofitieren von der
Ausgrenzung von AusländerInnen, aber funktioniert das so? "Ob das
Flugblatt, das es dazu gab, Licht ins Dunkel gebracht hat, darf man bezweifeln"
schreibt einer, der dabei war, im Webjournal des Camps und behauptet, es war in
seiner Sicht ein Erfolg, weil "die BewohnerInnen der Eigenheime in ihrem
beschaulichen Alltag gestört" sind, "verwirrt" und es hat "mit
hundertprozentiger Sicherheit zu zahlreichen Gesprächen in der
Nachbarschaft geführt". Aus unserer Sicht wäre es nicht nötig
gewesen, eine Performance mit einer solchen Absicht so weit außerhalb des
Camps zu machen, im Frauen/Lesben-Bereich wäre sie in diesem Sinne auch
sehr erfolgreich gewesen.
Vermittelbare Provokationen sind aus unserer Sicht, einem Fascho-Anwalt
Scheiße vor die Tür zu kippen oder eine BGS-Kaserne zu blockieren.
Zu der konkreten Störung des Alltags kommt ein Sichtbarmachen von anderen
Verhaltensweisen diesen Schweinen gegenüber.Aber Stören nur um des Störens willen ist nur Selbstzweck und paßt in das "Wir sind die Guten" (ein lustiger Spruch am Anfang des AK
Kraak-Videos über das 98er Camp) und "Alle LausitzerInnen sind
scheiße"-Schema.
Die nächsten Sätze beziehen sich nochmals auf die BGS-Blockade. Bei
einem Vorbereitungstreffen wurde unter anderem zu den Zielen des Camps
formuliert, "den BGS binden und beschäftigen zu können, daß
Flüchtlinge die Chance zum Grenzübertritt wie auch zu einem
ungestörten Weiterkommen in Richtung ihres Zielortes haben." Eine
Störung des BGS bzw. des Grenzregimes kann nur symbolisch sein. Wenn wir
uns mit Bullen, BGS oder Faschos prügeln, begeben wir uns auf die unterste
Ebene. Nur die Konfrontation mit den ausführenden Organen wird angegangen.
Dieser militärische Kampf ist nicht gleichwertig. Die Faschos sind viel
skrupelloser als wir es jemals sein könnten (oder wollten), der BGS hat
außerdem noch die bessere technische Ausrüstung. Diese Art von
Konfrontation macht nur dann Sinn, wenn auch auf politischer Ebene etwas
gemacht wird. Die Wurzeln von Rassismus und Faschismus werden nicht durch eine
militärische Auseinandersetzung angegangen. Dadurch entstehen keine neuen
Gedanken in den Köpfen der Menschen.
Die folgende Kritik geht in mehrere Richtungen. Ganz praktisch der Umgang mit
organisatorischen Dingen im Camp: zum Schluß der Woche stand der Schutz
immer erst im letzten Moment; der Mangel an Interesse und Bereitschaft,
für Übersetzungen zu sorgen, war erbärmlich bei dem
gleichzeitigen Anspruch, ein internationales Camp zu wollen; das
Abschlußplenum ist wahrscheinlich deswegen nicht fortgesetzt worden, weil
keineR die Initiative ergreifen wollte.
Aber auch eine wenig vorhandene Bereitschaft, sich VOR einer Aktion damit
auseinandersetzen zu wollen, ob die denn wohl so stimmt, was Ziel, Zweck,
Mittel, Effekt auf andere Aktionen angeht.Wenn etwas vorgeschlagen wird, wird
mitgemacht, nach dem Motto: Hauptsache, es passiert überhaupt etwas. So
entsteht Fußvolk, besser: so lassen wir uns zum Fußvolk machen.
Auch letztes Jahr ist diesem Umstand besondere Beachtung geschenkt worden:
"Voraussetzung eines derartigen 'Erfolges' (ist), daß sich auch in
Zukunft genügend Leute nicht allzu viele Gedanken machen, wenn sie ihre
Körper als Aktionsgefäße zur Verfügung stellen." (Lotte
und Kurt Rotholz, Camp-Reader 1998) Aber: dazu gehören zwei Seiten. Auf
der anderen Seite stehen die Leute, die diese Bereitschaft ausnutzen, die ihre
Aktion mit stummem Fußvolk machen wollen, nicht selber denkend, nicht
sprechend. So entsteht Macht, so entstehen hierarchische Strukturen. Wir
müssen aber Leute mitdenken lassen, die Möglichkeiten dazu schaffen.
Wenn z.B. bei einer eventuellen Auseinandersetzung VOR einer Aktion diese
abgewürgt wird mit den Worten "Jetzt reicht es, laß' uns los" oder
"Man kann eine Aktion auch totreden", dann läßt jemand Menschen
etwas tun, für das sie vielleicht gar nicht fertig sind. Außerdem
paßt das überhaupt nicht zu der Überzeugung, daß jeder
Mensch dazu in der Lage ist, für sich selber zu denken und seine eigenen
Entscheidungen zu treffen. Viele Menschen sind da nicht dran gewöhnt, aber
das kann und muß geübt werden. Auch auf so einem Grenzcamp. Sonst
hat dieses Camp überhaupt nichts mit diesem Anspruch zu tun, daß
"solch ein Zusammenkommen von Hunderten von Menschen auch immer ein Stück
Utopie in sich birgt, was das solidarische Umgehen miteinander angeht." (aus
den Motivationen vom Z.E.L.T.P.L.A.T.Z.K.O.M.I.T.E.E.)
An den letzten Punkt schließen sich NOCH EIN PAAR GEDANKEN UND OFFENE
FRAGEN an, was die Auseinandersetzung mit bzw. unter allen CampteilnehmerInnen
(und darüber hinaus) angeht. Ob die eigentlich überhaupt so gewollt
ist? Oder ob es da nicht doch Zweifel gibt? Diese Frage, warum soll ich mich
mit "denen" austauschen; wenn die es immer noch nicht kapiert haben, hat es ja
doch keinen Zweck. Da ziehe ich mich besser zurück hinter die Grenzen
meiner eigenen Bezugsgruppe, wo alle einer Meinung sind. Ist es dann nicht auch
akzeptabel, wenn die denunzierende Bevölkerung das gleiche macht, und
dicht macht für jede Diskussion mit Andersdenkenden? Dieses Dichtmachen
heißt doch, das gedacht wird, die anderen (nicht wir selbst) sind
statisch und nicht veränderungsfähig. Aber in Gruppen steigen auch
immer wieder neue (junge) Leute ein. Da ist es doch richtig und wichtig, sich
die Mühe zu geben, einen Austausch anzufangen. Es ist nicht
auszuschließen, daß es immer mal wieder einen neuen Blickwinkel auf
eine Angelegenheit gibt, der einem selber noch nicht aufgefallen war.
Das Fußvolk
1 Der Artikel von Meister und König aus der Interim Nr. 483 zum MUK ist
mittlerweile gelesen, aber uns fehlen die Informationen, um mehr dazu sagen zu
können, also können wir das so nur zur Kenntnis nehmen und verweisen
auf die anderen Beispiele, die unsere Kritik erhellen sollen.
Henk-Jan
The Netherlands
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