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Theaterstück
aus dem Webjournal
SZENARIO:
Eröffnungsveranstaltung. Eine Podiumsdiskussion soll durchgeführt werden. Das Ziel ist es die beteiligten Schauspielerinnen eine verwirrende Reise zwischen privat und politisch, Grenze und Nichtgrenze, Politik, Nicht-Politik, Praxis und Theorie antreten zulassen. Das Ziel ist es, daß die einzelnen Spielerinnen alles das aussprechen sollen, was sonst öffentlich nicht gesagt werden soll oder darf, weil sonst das ganze Bündnis auseinanderfliegt. Die Leute sollen sich nach und nach von einem Gespräch in einen Streit verwickeln bis nach und nach alles auseinander geht. Es treten auf: Zunächst vier Personen, die von zwei weiteren kurz unterbrochen werden.
PERSONAE:
Moderator Bodo. (Trägt ein Basecap) Der organisiert dieses Camp und will die Sachen vernünftig und repräsentativ zusammen halten. Motto: "es war verdammt schwierig, das hier alles zu organisieren"
Autonomer Harry. (trägt Kapuze und Sonnenbrille) Der ist noch aus den 80er Jahren übrig und auch theoretisch dort stehen geblieben. Ist aber in der Praxis nach wie vor konfrontationsbereit. Motto: "Feuer und Flamme, mehr kann ich dazu hier nicht sagen, ihr wißt schon"
Antira Klara. Ist eine gute und stets hilfsbereite humanitär engagierte Person. Sieht das Leid und hat Probleme mit "komplizierter Politik". Motto: "Ja und, was soll denn daran schlecht sein"
Postmoderne Intellektuelle Elisabeth. will euch in der Kampagne unterstützen und vor der Macht durch Analyse schützen. Motto: "Vorsicht, die Macht lauert überall!"
Migrant Cengiz (Trainingsjacke) Vertreter der MigrantInnengruppen. Motto: "Ich bin hier der Alibi-Ausländer für die deutschen Antiras"
Feministin. Hat kein Interesse an einer gemischten Perspektive. Will klare Grenzen ziehen, um von dort aus die Konfrontation gegen den BGS und andere Männer voranzutreiben. Motto: Mackern ziehen wir klare Grenzen
Zwischenrufer macht bissige, zuweilen zynische Kommentare
Moderator (kommt auf die Bühne): Ja
Hallo Leute. Es geht gleich los hier mit der Diskussionsveranstaltung. Also das
letzte Camp war ja organisatorisch ein voller Erfolg, so viele Aktionen gegen
die Grenze und den BGS, und dann mit den ganzen Fun-Aktionen und dem Rave zu
Beginn, und dann gabs ja zwischendurch noch diesen Unfall mit den 7 toten
Flüchtlingen aus, ja woher waren die nochmal, na und insgesamt
wollen wir diesmal natürlich an die tolle Stimmung von letztem
mal anknüpfen, aber eben auch inhaltlich, also inhaltlich hier
an der Grenze was gegen die Flüchtlingspolitik machen. Und die
Frage jetzt für das Podium wird sein - ach nee, erst nochmal
besser was organisatorisches, sonst vergess ichs noch, also wir brauchen noch
Leute für die Kinderbetreuung und für die
Essensausgabe, also überlegts euch mal. Wo war ich? ach ja,
also wir diskutieren jetzt über Kein Mensch ist illegal, das
Motto unserer Kampagne, was heißt das eigentlich
für jede und jeden von uns, also halt den Leuten, die wir
fürs Podium eingeladen haben
Zwischenruf: ja, wo sind denn die Leute, oder redest du auch
für die weiter?
Moderator: Nee, also wir haben uns echt um Vollständigkeit
bemüht, aber leider haben wir eine Absage von dem, der hier als
Vertreter von Westdeutschland auftreten sollte, und auch für
die Kontakte zu den Leuten aus den Herkunftsländern, also den
verschiedensten, wars leider wieder mal zu spät, es gab so viel
zu tun... Dafür kommen jetzt gleich jemand aus dem "autonomen
Spektrum", das ist der Harry jemand aus dem Antira-Bereich, das ist die Klara
von den MigrantInnengruppen, der Cengiz und eine Theoretikerin, die Elisabeth
die die Arbeit mit tollen Analysen unterstützt hat. (Guckt sich
um) Soweit ich sehe, ist der Vertreter vom autonomen Spektrums noch nicht da.
Wenn er kommt soll er sich hier melden. Wir haben auch versucht eine Frau aus
der feministischen Bewegung einzuladen, aber das hat nicht geklappt ...
Zwischenruf von der Feministin aus dem Publikum: Was heißt
das, "hat nicht geklappt"!
Moderator: Es gab da einen Streit um angeblich fortwährende
Grenzüberschreitungen, also das ließ sich in
der Vorbereitung nicht klären, vielleicht könnte man
das später nochmal im kleinen Kreis besprechen,
für die, die das interessiert. So. Ich darf kurz die Leute
bitten jetzt für die Diskussion hierher zu kommen. Stellt euch
doch bitte einmal kurz vor.
Antira Klara: Ich heiße Klara und arbeite seit 8 Jahren in der
Flüchtlingsunterstützung. Wir machen da so
verschiedene Sachen. Angefangen von der Rechtsberatung, Gang mit auf die
Ämter und versuchen für die Flüchtlinge
das Nötige zu organisieren. Letztens als die Behörden Borungo
Swinga nach Togo abschieben wollten, haben wir eine Kampagne, also mit
Protestfaxen und so gemacht, um diese Abschiebung zu verhindern. Als sie
Borungo abschieben wollten hat er sich total gewehrt, so daß
sich der Flugkapitän geweigert hat, ihn mitzunehmen. Er sitzt
jetzt im Abschiebeknast und wir fordern seine bedingungslose Freilassung. Also
für mich wird das immer ganz konkret in solchen
Fällen, wenn ich mitmache bei Kein Mensch ist illegal!
PI Elisabeth: Mein Name ist Elisabeth und ich arbeite zu Themen, die
für die Kampagne von Bedeutung sind. Einige meiner
Veröffentlichungen sind in direktem Zusammenhang mit der Kampagne
entstanden. Dabei geht es mir vor allem um die Klärung der
Komplexität multikultureller Segmentations- und
Migrationsbewegungen in der Globalisierungsfalle. Das interessiert
natürlich auch die Gegenseite. Das ist der Widerspruch aller
subversiven Theoriearbeit, die sich nicht avantgardistisch versteht und
revoltierenden Bewegungen öffentliche Reflexion liefert. Meine
Ergebnisse stehen definitiv euch und der Kampagne zur
Verfügung. Für mich stellt die Forderung "kein
Mensch ist illegal" sowohl eine Paradoxie als auch eine Provokation dar. Es
gehört zu den Antinomien des Politischen ...
Autonomer Harry (kommt aus dem Publikum auf die Bühne): Hey,
du, also Theorie ist ja echt wichtig, keine Frage, aber wir wollen hier im
Grenzgebiet doch auch auf die normalen Leute zugehen, und das gerade, also Anti
und dann irgendwas, versteh ja ich noch nicht mal. Machs nochmal, Elisabeth,
aber nicht so anstrengend...
Zwischenrufer: Dann geh' doch an den Tresen, wenn du dich nicht anstrengen
willst ...
Moderator Bodo: Ey, also um das erst mal klarzustellen: auf diesem Camp gibt es
während der Diskussionen keinen Alk. Und ihr auf dem Podium,
macht euch bitte nicht an, es war verdammt schwierig, das hier alles zu
organisieren, und tut mir also den Gefallen, und geht immer erst auf das
bei anderen ein, was euch gefällt, dann ergibt sich am Ende der
Konsenes ganz von selbst. Das gilt übrigens auch
für euch aus dem Publikum nachher! Ich finde wir sollten uns
hier ein wenig konzentrieren und die Referenten erst mal aussprechen lassen.
Elisabeth, kannst du vielleicht mal kurz erklären, was du
darunter verstehst "Antinomien des Politischen", hab` ich
nämlich auch noch nie gehört.
PI Elisabeth: Ja Danke. Unter Antinomien des Politischen kann man den
Widerspruch einer gesellschaftlichen Tatsache in sich verstehen. Und das liegt
ja wohl hier vor: Von "illegalen Menschen" zu sprechen, da kreuzen sich doch
zwei diskursive Ordnungen, denn ein Mensch ist ein Mensch, ist einfach und
damit erstmal weder legal noch illegal. Das ist eine echte Antinomie, aber die
Sprache des Politischen ist ja dermaßen entleert, von den
Politikleuten hört ja keiner mehr den Widerspruch. Es ist kein
Wunder, daß es ein Dichter gewesen ist, Elie Wiesel, der den
Satz geschrieben hat, der zur Parole der Kampagne wurde ...
Antira Klara: Ja und? Was soll denn daran schlecht sein? Ich finde
Dichtung erstmal nichts schlechtes, und wenn die dazu nützt,
ganz konkret Flüchtlingen zu helfen, dann ist das hundertmal
besser, so stringente Dichtung, als wenn man ein beschissene Politik macht und
Leute zu Illegalen abstempelt ...
PI Elisabeth: Ja, aber um nochmal auf meinen Begriff zu kommen, der
nächste Widerspruch, der diese ganze Antinomie gleichsam
doppelt, ist ja, daß ausgerechnet die staatskritischen Linken
sich mit dem Motto auf das Prinzip von Legalität positiv
beziehen, während der Staat gegenüber
Flüchtlingen nach dem Motto verfährt legal,
illegal, scheißegal, welches bekanntermaßen
früher doch von den ...
Autonomer (ruft laut): Legal, illegal, scheißegal? Das hat
doch nichts mit'm Staat zu tun, das war doch immer mein Stichwort!
Moderator Bodo: Ah, endlich aber auch für dich gilt: Kannst du
dich bitte kurz vorstellen?
Autonomer: Ich bin der Genosse Harry. Ich spreche hier für eine
Gruppe, die in autonomen Strukturen organisiert ist, Feuer und Flamme,
mehr kann ich dazu hier nicht sagen, ihr wißt schon.
Also wir beteiligen uns an der Kampagne "Kein Mensch ist illegal", weil wir
damit eine klare Politik verfolgen. (Spricht im Stakkato) Wir
kämpfen nicht pauschal für
Flüchtlinge, sondern gegen ein System der
kapitalistisch-imperialistischen Ausbeutung. Und das geht nach wie vor von den
Metropolen aus. Und wir leben ja nicht in den Herkunftsländern,
sondern nunmal hier, im Herzen der Bestie, darin liegt unsere Verantwortung
gegenüber den Ausgebeuteten der Welt, obwohl also hier gibts
natürlich auch verschärft Ausgebeutete, mehr
kann ich dazu hier nicht sagen, ihr wißt schon . Es geht
den Schweinen um Machtkonzentration und Profitmaximierung. Beides bedient sich
eiskalt auch der rassistischen Ausgrenzung. natürlich auch der
sexistischen, deshalb finden wir es auch echt bedauerlich, daß
es dieses Jahr als Auftakt zum gemischten nicht wieder ein FrauenLesben Camp
gegeben hat. Wenn wir hier am Camp teilnehmen, dann geht es für
uns nicht darum, sich hier als selbstlose Gutmenschen darzustellen. Wir lehnen
die Gründung einer Autonomen
Flüchtlings-Caritas ab. Für uns ist der Kampf
gegen Grenzen kein abstrakter Selbstzweck, sondern ein Teil des ganz konkreten
Kampfes gegen das herrschende System, gegen den Imperialismus in unserem
Alltag, aus dem heraus sich die Rassismus verursachenden Strukturen entwickeln,
gegen die wir politisch und deshalb organisiert vorgehen
müssen und ...
Antira Klara: Bla bla bla bla. Kapitalismus, Imperialismus, Rassismus,
Faschismus ...
Autonomer Harry: Das hab' ich alles gar nicht gesagt ...
Antira Klara: Ja genau, vielleicht hast du wirklich überhaupt
nichts gesagt. Du wählst dir den Ausschnitt so verdammt
groß. Je größer du den Gegner
machst, um so stärker fühlst du dich wohl. na
denn mal los, dann kämpf doch gegen die Bullen los mach
mal...
Autonomer Harry: Wieso machst du mich denn jetzt so an. ich hab` dir doch gar
nichts getan. Wenn du dich dafür entscheidest,
Autonomen-Caritas zu machen, dann ist das für dich doch
vielleicht völlig o.k. Ich wollte doch nur sagen,
daß es mir einfach nicht reicht nur etwas gegen die
Erscheinungen von Rassismus zu machen, ohne das ganze System umzuwerfen ...
Antira Klara: ja und dabei uns als "Gutmenschen" denunzieren und mir hier den
Schwester Clara-Orden zu verleihen, tolle Politik. Werd doch lieber Priester,
die haben so ein ähnliches Verhältnis zu ihren
Schäfchen wie du zu deinen Genossen
Migrant Cengiz: Vor lauter Streiten vergessen die Deutschen Antiras mal wieder
zum hundertsten Mal uns zu Wort kommen zulassen. Das werd` ich mir aber jetzt
nehmen: Hallo ich bin der Cengiz. Und für euch Deutsche soll
ich hier jetzt die Rolle des Alibiausländers spielen. Jetzt
guckt ihr, was? Ihr kriegt ja sowieso das Maul nicht auf, wenn wir uns mit
unseren Forderungen zu Wort melden; eure Kinder sollen wir sein, ja, die sich
von euch beschützen lassen sollen. Vielen Dank an euch, ihr
seid einfach immer sehr großzügig ...
Zwischenrufer: Was ist denn schlecht an
Großzügigkeit?
Migrant Cengiz: Nichts ist schlecht daran, wenn eure Toleranz nicht immer so
penetrant gutmütig wie verlogen wäre. "Den Mut
von Flüchtlingen bewundern", was, aber selber den Arsch in der
warmen Stube haben. Nee, für mich bedeutet Kein Mensch ist
illegal erst mal, daß ich mich hier von niemanden anlabern
lasse und mich keiner zu "beschützten braucht". Kein Mensch ist
illegal heißt für mich: Du hast Respekt vor
mir, klar ?
Moderator: Ich glaube wir fangen an, und daß das jetzt gerade
von dir, Cengiz, ausgeht, ärgert mich richtig, hier gerade eine
sehr unsachliche Debatte zu führen, die anfängt
persönlich zu werden und ...
PI Elisabeth: Aber das ist erstmal gar nichts schlechtes daran, wenn die Leute
anfangen "persönlich" zu werden. Die meisten sozialen
Bewegungen, wenn ich das mal kurz erwähnen darf, haben so
angefangen. Den Leuten scheint es doch hier endlich mal wieder um etwas zu
gehen. Für mich ist das alles sehr spannend, wunderbares
Material für eine Theoriebildung des Politischen.
Zwischenrufer: Was willst du hier eigentlich?
PI Elisabeth: Kann ja sein, daß Du Dich im Kopf nicht bewegen
willst. Aber auch Du könntest hinterher zum Beispiel schlauer
von hier weggehen als du gekommen bist!
Autonomer Harry: Genau (zeigt auf Elisabeth und auf sich): ihre
Schlauheit und unsere Politik...!
PI Elisabeth zu allen: Nun, danke, aber es geht hier nicht um mich. Es geht um
das, was mit Bewegungen wie dieser passieren kann, wenn sie
bewußtlos bleiben ... Deshalb solltet Ihr Euch wirklich einmal
anhören, was passieren kann: Die Analyse der sozialen
Bewegungen zeigt zum Beispiel folgende Phasenbildung: In der zweiten Phase
kommt es zur Machtentfaltung, mehr und mehr Leute kommen hinzu, nicht alle aus
Betroffenheit, manche auch, einfach weil hier halt was los ist...
Autonomer Harry: Genau, also damals, wißt ihr, 80/81 war voll
viel los, Freiraum und so, in den besetzten Häusern...
PI Elisabeth: Auf diese Phase beziehen sich auch die meisten Legenden und
Mythen, doch dazu später. Als nächstes erfolgt
nämlich erst die Konsolidierung, in dieser Phase kommt es zu
den verschiedensten Grenzziehungen: manche dürfen noch
dazugehören, manche schon nicht mehr, es bildet sich eine
Identität.
Zwischenrufer: Buh, ich weiß schon, worauf das jetzt wieder
rausläuft: Auf den backlash gegen die feministische Bewegung!
Dabei haben die doch gar nicht angefangen mit der
Identitätsgeschichte, die herrschenden
Verhältnisse und darin die dominanten Männer
haben doch die Grenzen gezogen und Frauen immer wieder an den Rand
gedrängt!
Auftritt Feministin: Danke, Herr Zwischrufer, aber das mit der feministischen
Bewegung kann vielleicht ich hier mal klarstellen: gegenüber
bestimmten Typen haben wir die Grenzen gezogen und werden das auch weiterhin
tun. Im Kampf mit patriarchalen Strukturen und konkreten Mackern wird das eine
Form unserer Politik bleiben. Und theoretisch sind wir ja
längst einen Schritt weiter: Die feministische Debatte ist
schließlich der Hauptdiskurs, indem die Debatte
über die Auflösung von
Identitäten betrieben wird. Ich kann nur sagen: Lebt und lest
Butler!
Cengiz (zu sich): komisch, früher hieß
das bei uns noch: wenn du eine Festanstellung willst: werde Butler!
Moderator Bodo: Nochmal zu dir, ich stell dich jetzt mal vor, Sabine: Du sagst
"klare Grenzen setzen", aber wir sind hier doch eigentlich auf einem
Anti-Grenzen-Camp . ...
Feministin: Wenn ihr in eurem Aufruf schreibt: Grenzen sind dazu da
überschritten zu werden" so werden Typen das auch als eine
klare Aufforderung lesen, die Grenzen die ihnen Frauen setzen, zu
überschreiten. Das werden wir uns nicht gefallen lassen. Zwar
gilt: Kein Mensch ist illegal, aber es gilt nicht: Kein Mann ist
unerwünscht
Autonomer Harry: Also ich finde das wichtig, was die Genossin da gerade gesagt
hat ...
Feministin: Für dich bin ich keine Genossin!
Autonomer Harry: Nu warte doch mal ab: Für uns als Typen, die
wir die Macker in uns haben, sind solche Zaunpfahl-Denkzettel ganz wichtig- und
wenn wir uns mit den Bullen prügeln, dann fressen wir die
Gewalt, da sind dann so ganz sadistische Sachen in uns drin,
für uns stellt sich in den Auseinandersetzungen einfach die
Frage, wie wir auf die andere Seite der Barrikade kommen: Zu den Frauen und
Kindern. Das ist eine existentielle Sache von uns als Genossen mit also ganz
klar mit emotionalen Defiziten, als Revolutionäre, die noch
einen langen Weg vor sich haben ...
PI Elisabeth: Also in der Phase vier der Herausbildung der modernen
Nationalstaaten, ach nee, der sozialen Bewegungen, wenn die Bewegung etabliert
und konsolidiert ist, erfolgt zum einen, weil aktuell ja nicht mehr so viel los
ist, die Legendenbildung bezüglich der Vergangenheit, und der
Diskurs über die Zukunft wird zur allgemeinen Phraserei von den
Mühen der Ebene, dem langen Weg, den die Revolution noch vor
sich hat usw...
Antira Klara: Ich fühle mich hier echt von dir denunziert. Du
unterstellst mir hier mit deiner abstrakten Analyse, ich würde
mich hier genauso im weltweiten Getümmel von gangs und
gangstern bewegen, nur um mir irgendwelche Mittel unter den Nagel zu
reißen und dann möglichst meinen kleine Staat
aufzubauen. Das hat mit unserer konkreten Politik nichts zu tun, ein Beispiel:
Die medizinische Versorgung von illegalisierten Flüchtlingen
ist einerseits unerläßlich geworden, andererseits
frißt sie die Zeit und das Engagement von vielen engagierten
Leuten auf, sie arbeiten und beraten bis zum Umfallen, für
Politik bleibt nichts mehr...
Cengiz: Oh, ich wußte gar nicht, daß ich erst
von euch gesundberaten werden muß, bevor euch politisch nichts
mehr einfällt.
Antira Klara: Es geht hier doch nicht um dich, sondern um Illegale. Du bist
doch bestimmt legal hier, Illegale sollten doch besser erst gar nicht hier auf
das Camp kommen,
Cengiz: Na, wenn es nicht um mich geht, sondern um Illegale, andererseits aber
kein Mensch illegal ist, geht es hier ja um nichts!
Moderator Bodo: Wenn ich hier nochmal gegen diese Polemik einschreiten kann:
Wir alle hier wollen uns an diesem Platz gegen das Grenzregime engagieren. Wenn
ich die Aufrufe, für die ich hier alles organisert habe, mit
anderen zusammen natürlich, richtig verstanden habe, sind wir
ein großes Bündnis unterschiedlichster Leute:
Hacking the borderline heißt das Motto, bei dem hier Polit-
und MedienaktivistInnen, Radio- und Video-Piraten, MusikerInnen, DJs,
KünstlerInnen, antirassistische und antifaschistische Gruppen,
Menschen aus allen Teilen Europas und vielleicht sogar aus dieser Gegend hier
zusammen kommen.
Cengiz: Sisters and Brothers! Yeah!
Feministin: Sisters: No Fraternization!
Moderator: Doch, wir müssen zusammenkommen, We all come
togehter, we share the taste, Borders, BGS, fuck off!.
PI Elisabeth: Also in der fünften Phase wendet sich die
etablierte Führung der Bewegung mit einigen der altbekannten
Parolen an die konkurrierenden Machtbündnisse, um
Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Man hat sich
schließlich im jahrelangen Kampf zum Experten geschult und
sieht jetzt Möglichkeiten, dies in langfristige
Lebensperspektiven umzusetzen. Ein möglicher Verlauf
wäre zum Beispiel, daß die Experten der
medizinischen Betreuung von illegalen Flüchtlingen sich mit der
Ausländerbeauftragten eines Bundeslandes treffen, die
Spielräume ausloten und dann mittels ABM-Geldern, Projekten der
Caritas und der Arbeiterwohlfahrt und als Sahnehäubchen auch
noch einigen Forschungsprojekten, also da hab ich gerade auch meine Erfahrungen
gemacht, versuchen, Gelder abzuzocken, natürlich nicht
für sich, sondern zu Gunsten der besseren Versorgung der
Flüchtlinge
Antira Klara zu Moderator: Woher weiß der das, dazu wollen
wir doch nachher erst unsere AG ankündigen!
Autonomer Harry: Ja. ja, er hat doch ganz recht ! Wehr sich nicht gegen die
Marktmechanismen wehrt, kommt darin um. Sonst wird alles immer ein riesiges
Geschäft sein. Mit Rassismus werden Geschäfte
gemacht, mit dem Antirassismus aber auch. Deshalb muß es doch
hier nicht um Hacking the borderline sondern um eine Neubestimmung
revolutionärer Politik gehen. Und das ist eine total praktische
Sache, die zusammengehen muß mit konkreten Aktionen hier gegen
bekennende Denunzianten, gegen Firmen, die am Grenzregime und der Unterbringung
und Versorgung von Flüchtlingen Profit machen, mit Angriffen
auf BGS-Büttel und andere Schergen, die Parole "Grenzen auf
für alle" muß praktisch umgesetzt werden, also
"militant" darf ich ja hier öffentlich nicht sagen, aber ihr
wißt schon was ich meine!
PI Elisabeth: Später, wenn das Finanzielle geregelt ist,
ergibt sich dann überraschend, daß man schon
immer mehr Ähnlichkeiten hatte, als man dachte. Überall tun sich
Anschlußmöglichkeiten auf, die gleichzeitig
Möglichkeiten sind, sich völlig zu integrieren,
ein Platz im staatlich alimentierten Institutionengefüge ist
nun sicher. So könnte der Vertreter des Bundes der Vertrieben
davon erzählen, daß auch sie hier an der
polnischen Grenze immer für die
Grenzüberwindung eingetreten sind, der BGS erinnert daran,
daß in der Zusammenarbeit mit den polnischen Grenzern die
deutsch-polnische Grenze schon längst
überwunden wurde, und zum Schirmherren der Stiftung
Deutschlands Grenzen überwinden wird
Ex.Außenminister Genscher gewählt wegen seiner
Verdienste um die Grenzänderungen im ehemaligen Jugoslawien...
Antira Klara (guckt genervt, macht einfach weiter) Ich finde, du bist
hier mittlerweile auf der falschen Veranstaltung. Nochmal zu Harry: ich hab' ja
gar nichts dagegen, wenn andere Leute hier vom Camp den Bundesgrenzschutz
angreifen wollen. Und was dann? Einmal im Jahr den Dicken machen, und dann
wieder zurück in die großen
Städte an die tollen alternativen Arbeitsplätze
und die schönen Studienplätze. Unsere Aufgabe
muß doch vor allem auch darin bestehen, hier an einem
exemplarischen Ort Überzeugungsarbeit gegen den in der
Bevölkerung verankerten Rassismus zu betreiben. der BGS
schwimmt doch nur wie ein Fettauge in der ganzen teuflischen Suppe des
Rassismus der Bevölkerung
Zwischenrufer: Willst wohl hier Bevölkerungsbekehrung machen,
wa, ich stell mich schon mal an!
Antira Klara: ja klar, wenn ich die Chance dazu habe., mache ich das, welche
Chance habe ich denn sonst ...
PI Elisabeth: ... politisch denken!
Autonomer Harry: ... praktisch kämpfen!
Moderator: vielfältig zusammenkommen!
Migrant Cengiz: ... sich Respekt verschaffen!
Feministin Sabine: sich auf die eigene Kraft verlassen!
Antira Klara: Aber der Weg muß auch schon das Ziel sein.
Deshalb stehen die Menschen bei meiner Arbeit im Mittelpunkt. Und wenn ich
für die Geld organisiere, ist das keine
Geschäftemacherei, das ist eine Unterstellung.
Moderator: gegen die sich niemand verteidigen kann ...
Antira Klara:... und mit der man im Feuilleton mindestens soviel Geld
verdienen kann, wie mit dem Rassismus ...
Migrant Cengiz (aggressiv): ... ja genau und auf die Plakate
für die Soliparties gegen die Repression, da kommt dann die
dicke schwarze Mama rauf, die so Musik im Blut hat, Da zieht ihr euch dann die
exotischen Tänze aus der Karibik `rein. Und im Urlaub gehts in
die Länder, wo so Ethno- Musik läuft, aber nur,
wenn's auch ein bißchen mit Pop gemixt ist. Oder
schön revolutionär verkitscht, weil der linke
Deutsche hört Kitsch ja nur, wenn er die Texte nicht versteht .
Ich würd euch Deutschen am liebsten den ganzen Tag den Marsch
blasen.
Moderator: Das Stichwort nehm ich jetzt mal auf um die Diskussion wieder in
geordnete Bahnen zu lenken: Vielleicht machen wir jetzt mal ne Runde, wo alle
hier oben sagen, worum es ihnen eigentlich geht:
Migrant Cengiz: Für mich geht es nicht um die
Geschlechterfrage, sondern allgemeiner um die Identitätsfrage
....Wir sind hier, um mit den Identitäten, die wir von euch
bekamen, gegen die Identitäten zu kämpfen, die
wir noch nicht haben.
Feministin Sabine: [Längere Ausführung,
sinngemäß]: Kein Mensch ist illegal bedeutet vor allem,
daß die Voraussetzungen für Flucht und
Migration bekämpft werden müssen. Es ist ganz
klar, daß wenn die Männer die
Reproduktionsarbeit übernehmen und sich um die Kinder
kümmern, dann gibt es keine Kriege mehr usw. usw. ...
Migrant Cengiz: Hab ich jetzt schon wieder irgendwelche Grenzen
überschritten? Manchmal benimmst du dich ja
grenzschutzmäßig wie der BGS!
Feministin Sabine: Diese Diskussion tu ich mir nicht an. Die ist mir einfach
zu blöd und verlogen. Entweder stellen sich die Typen nicht,
wenn man sie ankachelt, dann fangen sie entweder damit an, sich selbst zu
bekleckern, oder versuchen sie einem auch noch nach dem Mund zu sabbeln. Das
ist ja ekelhaft. Ich werd' mich jedenfalls nicht mehr an diesen Typen
abarbeiten. Wir können hier in diesem Camp maximal ein
Bündnis machen, aber nicht mehr: Auch wir unterschreiben "Kein
Mensch ist illegal". Und lassen uns dabei nicht von ewiggestrigen
stören.
Cengiz: Wenn ich jetzt hier die Identität eines
Unerwünschten bekommen sollte, kann ich nur antworten: Kein
Störer ist illegal!
Moderator: Aber nicht doch, du bist doch nicht unerwünscht,
aber nicht doch...
Autonomer Harry: Das mit dem Stören ist schon mal nicht
schlecht, also auf der Basis ließe sich vielleicht das neue
weltweite Bündnis zusammen erkämpfen: Kein
Störer ist illegal, ja, das hat was, da ist Musik drin: Ob auf
dem Sozialamt oder anderswo, wirf deine Identity ins Klo oder so
PI Elisabeth: Wir sind jetzt mitten drin in dem
Identitätsaspekt und damit natürlich auch im
Transgender bzw. Gender-Crossing. Eine komplexe Angelegenheit, die uns selber
als historisch überformte Individuen transformiert. Einerseits
eröffnen wir uns damit eine Chance, im Kontext sexualisierter
Gewalt gesellschaftlich normierte formalrassistische
Zwangsidentitäten abzustreifen. Das fordert viel von uns! Wir
dürfen gleichsam nicht mehr objektiv oder fest werden wollen,
keine Individuen sondern Dividuen, dann erst werden wir zu Zellen der Revolte,
der Aufhebung fester Grenzen....Wenn das ganze hier aus meiner Sicht
überhaupt `ne Perspektive haben soll, dann besteht die darin,
aus der Widersinnigkeit und Irregularität der gesamten
Anordnung, den Prozeß des begriffslosen Objektivismus
umzukehren in die Emanzipation des zu emanzipierenden Subjektes, welches sich
dazu in die Lage versetzt, sich dem Zynismus der Institutionenmilieus in
Guerilla-Mentalität zu verweigern ... Also meine Rolle in
diesem Prozeß ist jedenfalls ganz klar.
Antira Klara: Wenn ich das schon höre:
Identitätsfrage? Die findest du spätestens
dann, wenn du den Löffel abgegeben hast, in der Kiste liegst
und die Mäuse dich zernagen. Auf so 'ne Freund-Feind-
Auseinandersetzung hier auf dem Camp hab' ich nicht den geringsten Bock. Das
kennen wir doch schon alles. Da haben alle am Schluß so
für sich so recht, sind allein, und nicht mehr politisch
handlungsfähig. Die Debatte "Pro oder contra Grenze" finde ich
überflüssig. Die von diesem Staat gesetzten
lehnen wir ab, und die anderen, die wir zwischen uns manchmal brauchen, handeln
wir aus. Und die gegenüber der
Normalobevölkerung müssen wir
überwinden. Ich werd' mich hier anstrengen,
daß das Camp nicht auseinanderfällt. Wenn es
gut läuft, kann das für die
nächste Zeit ein wichtiges politisches Symbol gegen den
Rassismus und Abschiebungen werden.
Autonomer Harry: Aber Symbole reichen doch nicht, dann könnten
wir ja einfach alles mit Schwarzroten Sternen zusprühen.
Moderator: Halt, bloß nicht, daß wurde von
der Campleitung mit der Stadtverwaltung so nicht besprochen...
Autonomer: Das Camp soll dazu da sein, den rassistischen nationalen Konsens
hier im Land zu bekämpfen. Unsere Perspektive ist die des
freien Flutens. Und die Orientierung muß an den ausgebeuteten
im Trikont erfolgen, dann aber hier in den Metropolen entschlossen umgesetzt
werden. Für die Sao Paulosierung der
Verhältnisse!
Zwischenrufer (singt laut): Lalalala (brasilianischer Sound) und ich warte
schon auf die erste autonome Telenovela!
Autonomer Harry: Das ist doch Quatsch. Aber wenn wir es nicht lernen unsere
eigenen Bequemlichkeiten und Sicherheit in Frage zu stellen, werden wir hier
nie eine Umwälzung der kapitalistischen
Verhältnisse hinbekommen. Und dieser ganze Reformismus von
Einwanderungsquoten, Regulationen, Steuerung von
Wanderungsströme dient doch nur dazu, es sich als dicke Katze
auf einem Regierungssessel bequem zu machen. Na, den werden wir auch noch vom
Sofa helfen. Kompromißloser Kampf gegen die deutschen
Zustände. Für die weltweite soziale Revolution.
Bleiberecht überall! Kein Mensch ist illegal! Kein
Störer darf legal handeln!
Zwischenrufer: Auch Migranten wollen ihren Ledersessel! Nichts ist erstmal
schlecht daran, wenn etwas bequem ist. Regierungssessel für
alle!
Moderator Bodo: Jetzt fühl ich mich auf meinem
Moderatorensessel ein wenig unwohl.... Und ratlos: Für den
einen bedeutet "Kein Mensch ist illegal" die Vernetzung konkreter Menschen in
einer Kampagne, wo das Motto ja fast egal zu sein scheint, die anderen wollen
sich "Respekt verschaffen", für die andere ist ein politisches
Symbol eines brüchigen Bündnisses, dann wieder
eine bloß andere Parole für die weltweite
Revolution. Die einen wollen Grenzen haben, aber selbstbestimmte, die anderen
wollen Grenzen überwinden, aber auch selbstbestimmt. Die
Bundeswehr macht mittlerweile in Albanien auch Anti-grenz-Camps,
Flüchtlinge werden zu Vertriebenen und spielen die
Identitästkarte gegen andere, die das Pech hatten, zum falschen
Zeitpunkt aus den falschen Ländern zu fliehen. Und am
Schluß weiß keiner, wo alles Enden soll. Also
ich halt solche undefinierten Situationen immer nicht aus Wer soll denn bitte
schön vor lauter Politik, Bier und Spaß denn
nun das Camp organisieren, die Dixieklos saubermachen und dafür
sorgen, daß Strom und Wasser da sind. Uff, allein schaff' ich
das einfach nicht. Leute, wenn wir uns hier nicht alle an den Riemen
reißen, geht das Camp in die Grütze, und wir
stehen schon morgen früh ohne Wasser da.. Ihr lacht vielleicht,
aber ich finde das echt nicht witzig wenn ich jetzt sage: Die Campgesetze sind
voll legal. Unsortierter Müll ist illegal Keinem Hausmeister
ist sowas scheißegal.
Zwischenrufer (stürmt auf die Bühne):
Verdammt! Die Scheiß-Nazis stehen draußen vor
dem Camp! Wir müssen etwas tun!
Moderator Bodo: Was ist los?! Auch du Scheiße! (schnappt sich
das Mega) Leute jetzt keine Panik. Alle achten jetzt auf ihre Nebeneleute. Wir
sammeln uns dort in der Mitte vom Zelt, nehmt euch uns zum Beispiel, Einigkeit
macht stark: (Zeigt immer wieder auf die Mitte / Die anderen rufen laut
durcheinander, rennen hin und her)
- Fin -
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