Kreuzer, Leipziger Stadtmagazin, September 1994
ZAK: Abschiebung in Leipzig
Auch in Leipzig müssen Abschiebehäftlinge mit Schwerstkriminellen gemeinsam in den Knast - der Weg dorthin verdeutlicht die inhumane Abschiebepraxis in der Bundesrepublik
von: Franka Platz
"Früh um vier kommen sie, und sie sind nicht zimperlich. Die abgelehnten Asylbewerber, die abgeschoben werden sollen, müssen in einer halben Stunde ihre Sachen packen, die wissen gar nicht, was los ist. Von unseren Mitarbeitern ist um diese Zeit niemand im Haus, so daß wir gar nichts machen können. Wenn wir kommen, sind sie weg", sagt der DRK-Betreuungsleiter des Asylantenheimes - im Fachjargon "Asylbewerberunterkunft" - Leipzig-Grünau. (Aus Furcht vor rechtsradikalen Übergriffen möchte er nicht, daß sein Name genannt wird.)
"Die Abschiebungen des ZAK (Zentrales Abschiebekommando) sind keine Nacht- und Nebelaktionen wie im Film. Die Leute wissen ja, daß sie wegmüssen. Sie sind nicht freiwillig ausgereist, also werden sie von uns abgeschoben. Auch das ist ihnen bekannt. Natürlich nicht, wann genau, damit sie sich nicht entziehen. Sie werden früh abgeholt und mit Autos oder Bussen - je nach Anzahl - zum Flughafen gebracht, wo sie der Bundesgrenzschutz in Empfang nimmt. Damit hört unsere Verantwortung auf", sagt Margitta Hendel, 49, Leiterin des Zentralen Abschiebekommandos im Regierungsbezirk Leipzig, zu dem 14 Mitarbeiter gehören.
Zwei unterschiedliche Sichtweisen auf eine Problematik, die bisher nur zu gern unter den Teppich gekehrt wurde: Abschiebung von Asylbewerbern, Asylantragstellern, Asylsuchenden, Asylanten und wie sie sonst noch genannt werden.
Erst die jüngsten Vorgänge in einer Kasseler Haftanstalt rüttelten die Öffentlichkeit auf: Ende Juli nahmen die algerische Abschiebehäftlinge einen Justizbeamten als Geisel, um das zu erreichen, was sie auf normalem Wege nicht bekamen: Aufmerksamkeit für ihr Leben in "Sicherungshaft", die laut Ausländergesetz bis zu 18 Monaten dauern kann. Das passiert unter teilweise inhumanen Bedingungen. Doch Kassel war nicht das einzige Signal in dieser Richtung. Aus einem Berliner Abschiebegewahrsam flohen ebenfalls Ende Juli sechs Häftlinge, indem sie sich an Bettlaken abseilten. Andere traten in Hungerstreik, um gegen die unzumutbaren Haftbedingungen zu protestieren. In der Haftanstalt Volkstädt (Kreis Eisleben) brachte sich in diesem Frühjahr ein Chinese um; seit Juli 1993 verübten in ganz Deutschland laut "Spiegel" sechs Menschen Suizid, weil sie in ihre Heimat abgeschoben werden sollten, wo politische Verfolgung sie erwartete, die die Bundesrepublik jedoch nicht anerkennt.
Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. Seit den Ereignissen in Kassel nehmen die Medien verstärkt Notiz von der Asyl- und Abschiebepraxis in Deutschland. Doch Abschiebeknast ist in manchen Fällen nur die letzte Station einer Odyssee. Das Problem beginnt schon viel früher, nämlich mit dem Wunsch - oder der Notwendigkeit - eines ausländischen Staatsbürgers, in Deutschland zu leben und zu arbeiten. Dabei ist es nichts Neues, daß Menschen, die in anderen Ländern bedroht und verfolgt werden, in der Bundesrepublik um politisches Asyl ersuchen. Zwar sind laut Statistik die Asylbewerberzahlen seit Mitte vorigen Jahres gesunken - in Sachsen z. B. haben sich noch im März 1993 ca. 4.500 Menschen um politisches Asyl beworben, im gleichen Monat dieses Jahres waren es nur noch 500 -, aber nicht etwa, weil es plötzlich weniger Flüchtlinge gäbe. Sondern mit der seit 1.7.93 wirksamen Änderung des Grundgesetzes werden Asylbewerber, die über sogenannte "sichere Drittländer" (Finnland Norwegen, Osterreich, Polen, Schweden, Schweiz, Tschechische Republik) einreisen, sofort abgewiesen; es wird also nicht einmal ein Asylverfahren eingeleitet. Ein Flüchtling, der nicht über den Luftweg nach Deutschland gekommen ist - wenn ja, muß er das nachweisen - sondern etwa über Tschechien, wird sofort zurückgeschickt. Das gleiche gilt für "sichere Herkunftsländer" (Rumänien, Bulgarien, Gambia, Ghana, Polen, Senegal, Slowakische und Tschechische Republik, Ungarn). Das sind Staaten, wo es nach Ansicht der Bundesregierung derzeit keine politische Verfolgung und keine Menschenrechtsverletzungen gibt. "Der Asylbewerber kann höchstens widerlegen, daß er nicht verfolgt wird, d. h., er muß beweisen, daß er verfolgt wird", so Ulrike Bran, 30 Jahre alt, Mitarbeiterin im Referat Ausländerbeauftragter der Stadt Leipzig. Aber wie das nachweisen? Durch Zeigen der Folterwunden?!
Sind auch die Zahlen der Asylbewerber pro forma zurückgegangen, so sind im Verhältnis dazu die Abschiebungszahlen stetig gestiegen und haben sich auf rund 200 Abschiebungen pro Monat in Sachsen eingepegelt. Das ZAK wurde erst im Mai 1993 "aufgrund der Größenordnung des Problems", so Günter Pusch, Pressesprecher der Polizeidirektion Leipzig, geschaffen. Die Zahl der positiven Entscheidungen, also die Anerkennung eines Asylbewerbers als Asylberechtigter, ist dagegen verschwindend gering: In ganz Sachsen gab es seit Oktober 1993 zwischen 5 und 17 Anerkennung pro Monat (bei 500 Bewerbern!), vorher waren es nicht selten sogar null Anträge. Ulrike Bran erläutert: "In Leipzig selbst lebten bis 25. Januar 1994 ganze elf anerkannte Asylberechtigte: sechs Iraner, drei Afghanen, ein Sudaner und ein Kurde. Das ist lachhaft."
Einer, der es auch versucht hat, ist der 23jährige L.M. aus dem ehemaligen Jugoslawien. Er ist seit Februar 1992 in Deutschland und lebt im Grünauer Asylbewerberheim, zusammen mit weiteren 230 Asylbewerbern, ein Fünftel davon Kinder. Er verließ seine Heimat, weil ihm die Armee Diebstahl in einem kroatischen Munitionslager anhängen wollte, wo er als Soldat gearbeitet hatte. Vorher war er an der Front, wurde angeschossen, lag einen Monat lang im Krankenhaus. Dann sollte er wieder an die Front. Aus Angst davor versteckte er sich bei einer Cousine in Mazedonien. Unterdessen wurde er von der Polizei in seiner Heimatstadt im Kosovo gesucht. Die Polizisten schlugen seine Frau, wollten sie zum Reden bringen, drohten mit Gefängnis wegen angeblichen Munitionsdiebstahls. L.M. entschloß sich, das Land zu verlassen. Ein Freund fuhr das Ehepaar und die beiden Kinder mit dem Auto über die Grenze. Im Frühjahr l994 kam die Ablehnung des Asylantrags, "obwohl die Lage in Jugoslawien für ihn sprach", so der Betreuungsleiter des Heims. L. M. ging in Berufung, einer von wenigen, der dieses ihm zustehende Rechtsmittel nutzte. Seitdem wartet er auf seine zweite Anhörung, nach der der Antrag dann nochmals geprüft wird. Meist erhalten Asylsuchende nur ein einziges Mal die Chance, ihre Beweggründe offiziell mündlich darzulegen. Ein einziges Mal, daß der Bewerber aus der anonymen Masse heraustritt, um bald darauf wieder darin unterzugehen. "Ein Asylbewerber ist Objekt von Verwaltung, eine Nummer, eine Akte, als Mensch lernt ihn keiner kennen." sagt Ulrike Bran. Der Betreffende kommt in die "Erstaufnahmeeinrichtung" (Bran: "Masseneinrichtung"), wo stets ein Beamter vom "Bundesamt zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge" (zentraler Sitz in Nürnberg) abgestellt ist. Der nimmt während eines Interviews sofort den Asylantrag auf. Diese Anhörung bleibt die einzige und meist die ausschlaggebende Akte, aufgrund welcher über den Asylantrag entschieden wird. Also das einzige, was der Asylbewerber vielleicht in irgendeiner Form noch beeinflussen kann. Man stelle sich vor: Jemand kommt, meist nach langer Zeit der Flucht und in entsprechender psychischer Verfassung, vielleicht gefoltert, in einem fremden Land an und muß sofort sein Innerstes völlig unbekannten Leuten - mit unterschiedlichen Fähigkeiten als Interviewer, unterschiedlichen Kenntnissen über andere Kulturkreise - darlegen, noch dazu vermittelt über einen Dolmetscher. Widersprüchlichkeiten können entstehen, die ihm nur zu leicht zum Verhängnis werden. "Es ist dann sehr schwierig, im nachhinein Dinge geradezurücken", so Ulrike Bran.
Wird binnen drei Monaten nicht über den Antrag entschieden, so wird der Asylbewerber in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht; im Stadtgebiet Leipzigs gibt es derzeit zwei. Reist ein Asylbewerber nach der Ablehnung seines Antrages (die ihm übrigens in deutscher Sprache zugeschickt wird) nicht binnen festgelegter Frist (1 Woche bis 1 Monat) freiwillig aus, wird er irgendwann abgeschoben. Und wer untertaucht, um dem zu entkommen, lebt auf einem Vulkan. Die Fahndung wird ausgeschrieben, und sobald er entdeckt wird, kommt er - auf richterlichse Anordnung - in Abschiebehaft, weil der Verdacht auf Flucht besteht. Seinen traurigen Höhepunkt findet dieser Teufelskreis in Aktionen wie der in der Kasseler Haftanstalt.
Stichwort Abschiebeknast. 5000 Abschiebehäftlinge sitzen momentan in deutschen Haftanstalten, meist zusammen mit Kriminellen, da es oft keine gesonderten Unterbringungsmöglichkeiten gibt. Auch in Leipzig nicht. "Die Anzahl der Abschiebehäftlinge wechselt jeden Tag, aber im Durchschnitt sind es immer 10-20", so Josef Peintner, 55, aus Aschaffenburg stammender und seit Oktober 1993 amtierender Anstaltsleiter der JVA Leipzig. Ein verschwindend geringer Teil bei insgesamt rund 300 Häftlingen, die in der Leipziger Beethoven- bzw. Kästnerstroße einsitzen, Die Bedingungen, unter denen sie hier untergebracht sind, sind de facto für alle gleich, ob sie Mörder sind oder sich ihrer Abschiebung durch Untertauchen entziehen wollen: kleine Ein- oder Zweimannzellen mit Toilette, verschließbar durch eine Holztür, stickige Luft. "Die Justiz leistet der inneren Verwaltung lediglich Amtshilfe, weil wir eben die Bedingungen für eine Sicherungshaft haben", so Peintner. Im Schnitt bleiben die Abschiebehäftlinge nicht länger als 5-30 Tage im Leipziger Gefängnis. Das mag ein Grund sein, weshalb bisher Zustände wie in Kassel nicht eingetreten sind und Peintner diese Insassen als "pflegeleicht" bezeichnet. Von den 1993 aus sächsischen Gefängnissen abgeschobenen 1036 Häftlingen stammte der bei weitem größte Teil (493) aus Rumänien. Aus dem Leipziger Knast schickte man 1993 insgesamt 14 Abschiebehäftlinge dahin zurück, wo sie unter keinen Umständen mehr hinwollten. Das größte Problem bei ihrer Unterbringung ist die Verständigung. Coryna Weise, 32, studierte Theologin, arbeitet seit einem Jahr als Sozialarbeiterin in der JVA. "Wenn man von jeder Sprache zwei, drei Wörter kann, kommt man schon ganz anders an die Leute ran." Sie sieht ihre persönliche Aufgabe darin, "ein Stück Menschenrecht zu verwirklichen, den Knastaufenthalt so menschenwürdig wie möglich zu gestalten, denn Abschiebegefangene gehören nicht in den Knast". Sie kümmert sich um "banale, alltägliche Dinge"; Verwaltungskram, aber auch Briefkontakt mit der Familie organisieren, persönliche Habe sicherstellen "einfach Lebensbilfe eben, Ängste abbauen". Der 32jährige Marokkaner, der sich für unser Foto zur Verfügung stellte, sitzt schon das zweite Mal in Abschiebehaft. 1992 hatte er politisches Asyl beantragt, wurde abgelehnt, durfte einen Nachfolgeantrag stellen, der ebenfalls abgelehnt wurde. Nun sitzt er im Knast, ein Heimatloser wie so viele.
Asyl. Ein Wort griechischen Ursprungs. Es bedeutet soviel wie Freistätte, sicherer Zufluchtsort. Aber auch Unterkunft für Notleidende, Hort, Heim. Ein tröstliches Wort. Manchmal springt die Kirche in die Bresche, wenn der Staat versagt: Kirchenasyl. In Leipzig gab es das bisher nicht, in Berlin hingegen haben knapp 50 Gemeinden bereits über 1000 Flüchtlingen geholfen.
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