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Abschiebehaft in Sachsen Broschüre

Leipziger Volkszeitung, 17.4.1996

Protest angemeldet

Flüchtlingsrat: "Unrechtmäßige Inhaftierungen"

Der Flüchtlingsrat Leipzig protestiert gegen "unrechtmäßige Inhaftierungen von Asyl-Erstantragsstellern", heißt es in einer gestern veröffentlichten Pressemitteilung. "Namentlich liegen uns zwölf Fälle von Flüchtlingen vor, die in sächsischen JustizvollzugsanstaIten festgehalten wurden und teilweise noch werden", so Gerd Klenk vom Flüchtlingsrat. Die Ursachen lägen größtenteils beim Bundesgrenzschutz (BGS). Laut Drittstaatenreglung könne dieser in Grenznähe aufgegriffene Flüchtlinge zurück nach Polen oder Tschechien abschieben, sofern deren Reisewg nachzuweisen ist. Wenn nicht, müsse ein AsyIersuchen der Flüchtlinge berücksichtigt werden, und die Betreffenden seien der entsprechenden Bundesamt-Behörde zuzuführen.
Stattdessen beantrage der BGS nach Aussagen von Flüchtlingen manchmal beim Amtsgericht Abschiebehaft, der in der Regel entsprochen werde und wonach eine Einweisung in eine JVA erfolge, heißt es in der Mitteilung weiter. Spätestens wenn der Inhaftierte dann in der JVA einen Asylantrag schriftlich gestellt hat und dieser amtlich registriert ist, habe gesetzlich eine Aufhebung des Haftbeschlusses zu erfolgen. Das sei mitunter nicht geschehen. Keine Behörde scheine sich verantwortlich zu fühlen, diese Aufhebung unverzüglich einzuleiten.
"Fälle dieser Art sind uns nicht bekannt", sagte gestern ein Sprecher des Berliner Bundesgrenzschutzpräsidiums Ost gegenüber unserer Zeitung. Wenn uns der Flüchtlingsrat Leipzig über die konkreten Fällen unterrichtet, werden wir sie selbstverständlich prüfen."

A. Rau.

junge Welt 18.4.1996

Skandalöser vorauseilender Gehorsam

Flüchtlingsrat Leipzig: Behörden verzögern Entlassungen aus Abschiebehaft

Die sächsischen Ausländerbehörden halten zu Unrecht FIüchtlinge auch nach Asylerstantragstellung in Abschiebehaft fest. Dies wies die Abschiebehaftgruppe des Flüchtlingsrates Leipzig jetzt nach. In zwölf ihr namentlich bekannten Fällen blieben vornehmIich Kurden aus dem Irak Wochen und Monate nach Einreichen eines Asylantrages inhaftiert, in einem Fall wurde der Betroffene bis zur Ablehnung des Antrages nicht entlassen. Vier weitere kurdische Flüchtlinge aus dem Irak wurden erst nach Intervention des Flüchtlingsrates beim Innenministerium, bei der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB), beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) und den zuständigen Amtsgerichten entlassen. Als Indiz für die Fortdauer solcher gesetzwidrigen Inhaftierungen wertet der Flüchtlingsrat nach den Worten von Martin Böttcher gegenüber jW, daß nach diesen Entlassungen allein in Leipzig schon wieder zwei Flüchtlinge - einer aus der Türkei, einer aus Algerien - davon betroffen waren. Nach Angaben der JVA Leipzig seien diese nun am Montag entlassen worden.
In Sachsen werden, so Martin Böttcher, zur Zeit etwa 100 Flüchtlinge in Abschiebehaft festgehalten. Nach der Drittstaatenregelung können Flüchtlinge, die in Grenznähe vom Bundesgrenzschutz (BGS) aufgegriffen werden, umgehend in den sogenannten sicheren Drittstaat zurückgeschoben werden. Dies bedarf jedoch der Zustimmung des jeweiligen Staates. Kann beispielsweise Tschechien oder Polen nicht ausreichend nachgewiesen werden, daß Flüchtlinge über das Territorium dieser Staaten nach Deutschland kamen, können sie die ğRücknahmeĞ verweigern. Diese Flüchtlinge müssen, sofern sie Antrag auf Asyl stellen, dem BAFI zugeleitet werden. Statt dessen beantragt der BGS nach Aussagen von Flüchtlingen vielfach bei einem Amtsgericht, Abschiebehaft anzuordnen - offenbar mit dem, Ziel, die Flüchtlinge unter Druck zu setzen, ihren Reiseweg mitzuteilen. In der Regel gibt das Amtsgericht diesen Anträgen statt; der Flüchtling wird inhaftiert. Stellt er erneut einen Asylantrag, muß dieser unverzüglich ans BAFI weitergeleitet und von dort ebenso umgehend der Eingang bestätigt werden. Daraufhin muß beim Amtsgericht die Aufhebung des Haftbeschlusses beantragt werden. Abgesehen davon, daß in Sachsen der Weg durch die Instanzen offenbar in vielen Fällen planmäßig verzögert wird, scheint in der Praxis auch keine Behörde die Aufhebung der Abschiebehaft einzuleiten.
Eine bundesweite Gesetzesvorlage vom Dezember 1995 sieht vor, die Abschiebehäftlinge grundsätzlich erst vier Wochen nach Asylerstantragstellung freizulassen, wenn ihr Antrag bis dahin nicht abgelehnt wurde. Daß die sächsischen Behörden ein derart diskriminierendes Gesetz bereits in vorauseilendem Gehorsam praktizieren, wertet der Leipziger Flüchtlingsrat als besonders skandalös.

Judith Walter

Neues Deutschland, 17.4.1996

Abschiebeskandal in Sachsen

Leipziger Flüchtlingsrat bemängelt Behördenpraktiken bei Asyl

Der Flüchtlingsrat Leipzig e.V. hat scharf gegen die unrechtmäßige Inhaftierung von Asylantragstellerlnnen protestiert und ihre "unverzügliche Freilassung" gefordert. Der Abschiebehaftgruppe des Flüchtlingsrates liegen, so Sprecher Gerd Klenk, namentlich 12 Fälle vor, in denen sächsische Behörden mit Tricks Asyl für Verfolgte verzögert und schließlich verweigert haben. Zumeist saßen die Antragsteller und Flüchtlinge wochenlang in Haft - unberechtigt wie der Leipziger Verein meint.
Die ehrenamtlichen Betreuer der in Abschiebehaft Genommenen weisen vor allem auf dubiose Praktiken des Bundesgrenzschutzes (BGS), der Justiz und der Ausländerbehörden in Sachsen hin. Danach kann der BGS aufgegriffene Flüchtlinge nach Polen und in die Tschechische Republik nur dann abschieben, wenn der Transit durch den sogenannten sicheren Drittstaat nachweisbar ist und die Nachbarstaatsbehörden dem zustimmen. Um Probleme zu umgehen oder Aussagen zu erpressen, werden trotz sofortiger mündlicher Antragstellung auf Asyl die betroffenen Ausländer - zum Beispiel Kurden aus Irak - in Abschiebehaft genommen. In der bleiben sie, trotz schriftlicher Asylantragstellung und fehlenden Nachweises ihrer Einreise in Deutschland über einen Drittstaat. Mit dieser Praxis verstößt der Freistaat gegen geltendes Recht.

Sächsische Zeitung 18.4.1996

1 000 Ausländer in Abschiebehaft

In Sachsen sollen derzeit zwei Flüchtlinge unrechtmäßig in Abschiebehaft sitzen. In weiteren zehn Fällen hätten die sächsischen Behörden ebenfalls unzulässigerweise die Entlassung hinausgezögert. Darauf verwies jetzt der Flüchtlingsrat Leipzig e. V., dessen Mitglieder seit einem halben Jahr Abschiebehäftlinge in der Justizvollzugsanstalt Leipzig besuchen.
1995 befanden sich nach Auskunft von Justizminister Steffen Heitmann insgesamt 1052 Ausländer in sächsischen Gefängnissen in Abschiebehaft. Die durchschnittliche Verweildauer lag bei 35 Tagen. Zum Stichtag 30. September 1995 zählten die Gefängnisse Abschiebungsgefangene aus 28 Ländern. Die meisten kamen aus Rumänien, Algerien, der Türkei, der Ukraine, China, Indien, Vietnam, Albanien, Rußland und Ex-Jugoslawien. Abschiebehaft droht allen Ausländern, die illegal in die BRD eingereist und/oder anderweitig straffällig geworden sind.
Anhang II Seite 59
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