Bemerkungen zur genmanipulierten Landwirtschaft und der Erniedrigung der Arten | ||
[p. 24 - 32] Wenn der Haufen der Söldner-Forscher der Industrie sich auf »die Wissenschaft« beruft, dann wäre es vielleicht angebracht darauf einzugehen, worin das völlige Verschwinden der oft beschriebenen materiellen Bedingungen des wissenschaftlichen Bewusstseins besteht. Denn es hieße der Usurpation, die sich den Anschein von Alter zu geben sucht, indem sie sich betrügerisch den Namen von Wissenschaft zulegt, wirklich zuviel der Ehre zu tun, räumte man ihr auch nur ein Gran des Kredits ein, den man früher der objektiven Kenntnis und der kalten Vernunft gewährte; denn dies würde bedeuten zuzugeben, dass man ihr gegenüber nur sentimentale oder moralische, ja gar mystische Einwände geltend zu machen habe. Die erste und wichtigste dieser unerläßlichen Bedingungen für die wissenschaftliche Erkenntnis war eine undurchlässige Trennwand zwischen der künstlichen Umgebung der Beobachtung und des Experiments einerseits und den Wirren der Welt andrerseits. Als diese Trennwand an Undurchlässigkeit verlor, als durch Zufall die Wirren der Welt (die unendliche Vielfalt gegenseitiger Bestimmungen und Aktionen) in das abgeschottete Milieu des Experiments einbrachen, gab es nichts mehr zu beobachten: Die Bedingungen für die wissenschaftliche Erkenntnis waren nicht mehr beisammen. Nun, ein Zufall dieser Art, aber von ganz anderer historischer Tragweite, hat sich im XX. Jahrhundert ereignet, gewissermaßen in umgekehrter Richtung, nicht durch das Eindringen der Welt in das abgeschottete Milieu, sondern durch die Invasion der Welt durch das abgeschottete Milieu: Die in der künstlichen Umgebung des Experiments entwickelten Verfahren und Techniken haben die Welt so gut durchdrungen, haben sich mit ihr soweit verstrickt, dass es unmöglich geworden ist, in ihr noch Ursachen und Wirkungen auszumachen und dass es durch Beobachtung nichts mehr zu erkennen gibt; weder das Funktionieren eines in sich geschlossenen mechanischen Systems noch eine durch die Verkünstlichung unzerstörte Natur. So kann man sagen, dass die Wissenschaft, die, um ihres Aufbaus halber, die Welt in der Theorie »opfern« musste, sie schließlich in der Praxis geopfert und sich bei gleicher Gelegenheit selbst zerstört hat, da die Position des reinen Beobachters, welche die des Gelehrten war, in jeder Hinsicht unhaltbar geworden war. Die sogenannte klassische Wissenschaft (die sich vom XVII. Jahrhundert bis zu Beginn des XX. entwickelt hat) hatte sich eine Vorstellung von der Welt durch die Analogie zwischen den Gesetzen der Natur und den Bedingungen der menschlichen Arbeit geschaffen. »Dank der Tätigkeit des Menschen (...) etabliert sich die Vorstellung der Kausalität, die Idee, dass eine Bewegung die Ursache einer anderen ist (...). Um die individuell genommenen Phänomene zu verstehen, müssen wir sie der universellen Verkettung entreißen, sie isoliert betrachten; aber dann erscheint bei den aufeinander folgenden Bewegungen die eine als Ursache, die andere als Wirkung.« (Engels, Dialektik der Natur.) Da nichts in der Natur isoliert geschieht, so konnte die Erkenntnis der Phänomene nur gewonnen werden, indem die konkrete Totalität methodisch vernachlässigt wurde, jenes »geheimnisvolle Labyrinth«, das - so Galilei - die Welt für den war, der sie nicht mittels der Sprache der Mathematik entschlüsselte. »Man vernachlässigt die Welt, weil man es muss und da man die Mathematik nicht zu einem geringeren Preis auf die Dinge anwenden kann, wendet man sie um den Preis eines unendlichen Irrtums an« (Simone Weill). Das Labor war die realisierte Utopie dieses körperlosen Wissens, ein künstliches, abstraktes Milieu, in dem man dem Spiel der »Naturgesetze« ohne das Hindernis, die Irrtumsquelle, die die Natur selbst bildete, beobachtete; und jedes Experiment, das alle »irrationalen und störenden« Elemente eliminierte, sowohl von Seiten des Subjekts wie von Seiten des Objekts, und sich bemühte, sein materielles Substrat auf das zu reduzieren, was mathematisierbar ist, war in Wirklichkeit die Fabrikation einer Maschine, einer kleinen Maschine nach dem Bild der großen Maschine des Universums. »Verstehen heißt fabrizieren«, hatte der Pater Mersenne zu Beginn dieser mechanistischen Wissenschaft gesagt, die sich jegliche Sorge um das Gute und das Schöne über Bord geworfen hatte - im Gegensatz zur griechischen Wissenschaft, die die Ordnung, die Harmonie, die Proportion denken wollte, im Gegensatz auch zum vitalistischen Materialismus der Aufklärung, für den »die Gesetze der Natur sich keineswegs im Gegensatz zu einer wahrnehmbaren Ordnung der Natur fanden« -, die aber zumindest, als partielle Erkenntnis, gewisse Beziehungen zum Wahren unterhielt, solange ihre Experimente irgendwie meßbar mit der menschlichen Aktivität und ihren materiellen Bedingungen waren. Es war die Kernphysik, die zu Beginn des Jahrhunderts, sogar noch bevor sie das »geschlossene Feld« des Experiments durch ihre explosiven technischen Anwendungen zerstörte, es durch die durch den Maßstabswechsel ihrer Beobachtungen zerstörte, der die Struktur des Experiments auflöste, indem er erneut allemöglichen »irrationalen und störenden« Elemente, »unerkennbare« Größen einführte: eine Infra-Welt von Partikeln oder Ladungen, mit mechanischen oder geometrischen Begriffen unbeschreibbar und ebensowenig begreifbar zu machen, indem man sie wieder zu irgendeinen, eine Arbeit bewerkstelligende, Maschine zusammenfügte. Es ist somit kein Zufall, sondern vielmehr die Wirkung einer übergeordneten historischen Notwendigkeit, wenn eben diese Kernphysik, die begann, die Kausalität, die mechanische Erkenntnis der Beziehungen von Ursache und Wirkung zu disqualifizieren, um mit statistischen Annäherungen und Wahrscheinlichkeiten vorliebzunehmen. Die Unsicherheit, die sich daraufhin der Physik, jener mechanistischen Wissenschaft par excellence, bemächtigte, war eindeutig der Tatsache geschuldet, dass die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Objekt des Experiments und die Vorherrschaft des Subjekts in dessen Ablauf, bis dahin ignoriert und verdrängt, als »irrationales« Element zurückkehrten. Indem das gelehrte Subjekt die unzähligen unvorhersehbaren und unkontrollierbaren Faktoren zur Bestimmung der Welt ins »Abseits« stellte und von ihm kontrollierbare Vorbedingungen bestimmte, hatte es nur die unendliche Komplexität der reziproken Aktionen eliminiert, um selbst, als Experimentator, alleinige Ursache des beobachteten Phänomens zu werden. Und nachdem es seine Untersuchungen so weit von der Domäne des gemeinsamen Experiments entfernt hatte, und mit so vielen neuen Mitteln, musste es schließlich eingestehen, dass es die Realität herstellte, die es nur beobachten wollte. So spielte das Laboratorium ein letztes Mal die Rolle der »kleinen Welt«, in der man entdeckte, wie die Dinge in der großen vor sich gingen: Aber dann hätte die Schlussfolgerung, die aus dem Experiment zu ziehende Lehre, sich auf das Subjekt erstrecken müssen, auf die erreichte materielle Macht, die man nun zur Vernunft bringen musste, wollte man nicht, im Gegensatz zur Maxime von Mersenne, letztendlich eine unverständliche Welt fabrizieren; denn der »unendliche Irrtum«, um dessen Preis diese materielle Macht erlangt worden war, hatte sich mit ihr, um ein Labyrinth parzellierter Erkenntnisse hervorzubringen, das finsterer als je zuvor war. Was geschehen ist, wissen wir. Die nunmehr vollendete Auflösung des wissenschaftlichen Geistes hat begonnen, als sein operativ gewordenes Trennungsvermögen, nachdem die Mittel zur Untersuchung und Aktion die Mittel zu Vorstellung und Verständnis weit hinter sich gelassen hatten, es erlaubte, die Welt zu zerstören, ohne sie zu verstehen. Seitdem führt die ruinierte Totalität eine gespenstische Existenz in den willkürlichen kosmogonischen Spekulationen der Physiker - die nur noch armselige Metaphysiker sind, wie die Verehrer der Quanten, die sich mit ernster Miene fragen, ob die »Realität existiert«? Technische Mittel, die sich durch ihre Maßlosigkeit unserem Vorstellungs- und Verständnisvermögen entzogen, wieder auf die Proportionen der menschlichen Urteilskraft zurückzuführen, war sicher keine »wissenschaftliche« sondern vielmehr eine gesellschaftliche und revolutionäre Aufgabe, doch ihre Durchführung allein hätte die Wissenschaft vor der Unvernunft retten können, die sie mit sich fortzog. Dass dies nicht geschah, ist eine der Katastrophen dieses ausklingenden Jahrhunderts gewesen oder war vielmehr eines der Gesichter der langen Katastrophe, die dieses Jahrhundert war. Die genetische Manipulation, letzter Durchbruch der technischen Macht ohne Denken, reißt schließlich die natürlichen Barrieren nieder, die bislang ein letzter Schutzwall gegen die industrielle Hybris geblieben waren. Aber damit fällt auch die letzte Schranke, die die parzielle Rationalität der mechanistischen Wissenschaft davor bewahrte, in aktive Megalomanie umzuschlagen. Die Tätigkeit der Biologen, die bis zur Erfindung der DNS die Dialektik der Natur zugunsten der fragmentarischen Erkenntnis derselben vernachlässigte, ließ wenigtens die Welt mehr oder minder in ihrem Zustand. Von dem Augenblick an jedoch, da sie unternimmt, einen einzigen Organismus in ihren Laboratorien zu modifizieren, beginnt die Biotechnologie ein Experiment im Maßstab des Planeten, das heisst alles andere als ein Experiment. Denn das künstlich, zum Zweck der Modifikation und Vervielfältigung isolierte DNS-Stück lebt real nur als Teil einer organischen Totalität, und kann mit seinen neuen Qualitäten nur erkannt werden, wenn es wieder eingesetzt worden ist, zunächst in einen lebenden Organismus, dann in die große Welt, wo dieser eben lebendig ist. Was im Labor erkannt wird, ist stets nur das »Leben« im Labor, das heißt in dem Fall nichts: ein »Gen-Baukasten«, eine künstliche Konstruktion, die als Lebensform erst untersuchbar wird, wenn sie wieder in der Natur gebracht wird. (Niels Bohr, der sich glücklich schätzte, dass »die Fortschritte der Atomphysik« »weite Anwendungen in der Biologie gefunden« hätten, erkannte nicht weniger, dass die Durchführung eines Experiments, das es erlaubt, die biologischen Funktionen zu kontrollieren, um sie in physikalischen Begriffen zu beschreiben, »selbstverständlich Beobachtungsbedingungen erfordert, die unvereinbar mit dem Leben sind«; das Zauberwerkzeug, das es erlaubt, die biologischen Funktionen zu kontrollieren, um sie in physikalischen Begriffen zu beschreiben und sie unter Beobachtungsbedingungen zu studieren, die unvereinbar mit dem Leben sind, ist gerade die digitale Simulation auf dem Computer, dem wichtigsten Arbeitsgerät der Genetiker.) Erst wenn dieser genetisch modifizierte Organismus zu dieser Einheit mit der Natur zurückgeführt wurde, wird er »existieren«, und es steht außer Zweifel, dass er durch diese Einheit verändert wird, so wie er diese seinerseits verändert. Deswegen grenzt Leichtsinn an Dummheit bei denen, die Wachsamkeit und Garantien einfordern, kurz eine Abgrenzung nach der alten Art der experimentellen Methode: entweder die Versuche sind abgegrenzt und dann sind es keine Versuche (sie sagen nichts darüber aus, wie sich die Verbreitung der »getesteten« transgenetischen Pflanzen in der Natur auswirkt), oder sie sind nicht abgegrenzt und dann sind es keine Versuche mehr sondern auf die Welt einwirkende Handlungen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Die »vernachlässigte« Welt, die von der experimentellen Methode links liegengelassen wird, wird in Wirklichkeit das Objekt des Experiments, während sie zugleich weiter vernachlässigt und ignoriert wird. Man braucht keine besonderen Kenntnisse in der Molekularbiologie zu besitzen, um behaupten zu können, dass die Unternehmungen der Techniker der Manipulation unabsehbare, weil unkontrollierbare Konsequenzen haben werden - unwiderrufliche Konsequenzen. Das qualitative Sein dieser wie Dinge manipulierten Lebensformen, das außerwissenschaftlich, unverstanden und vernachlässigbar bleibt (so wie cirka 84 Prozent des Genoms, die die Genetiker mangels Kenntnis ihrer Funktion »Müll-DNS« genannt haben) und das man glaubt, ruhig eliminieren zu können, um sie durch spezialisierte genetische Softwares zu ersetzen, muss zwangsläufig plötzlich (plötzlich für den technischen Rationalismus) zum entscheidenden Faktor werden; die »Katastrophe« ist dann nur die Gegenreaktion der ignorierten Totalität. Die industriellen oder natürlichen »Katastrophen« erscheinen unverständlich, gerade weil sie die Trennungen aufbrechen, die der Wissenschaft erlaubt haben, ihre parzellierten Kenntnisse so weit voran zu treiben. Das ist die Dialektik der Natur, die wieder in Kraft tritt. Die technische Verblendung, deren Auswirkungen man gesehen hat, als sie auf die Materie angewendet wurde, um sie zu desintegrieren, wird unweigerlich ebenso zerstörerische Auswirkungen zeitigen, wenn sie sich an das organische Leben macht, um es zu rekombinieren. Das genetische Engineering ist eine ebenso radikale Technologie wie die der Kernenergie, nicht nur, weil beide sich die »letzten« konstitutiven Elemente der Materie und des Lebens vornehmen, indem sie das desintegrieren, was bis dahin als »unteilbar galt« (das Atom oder die Zelle), sondern auch, weil es im einen wie im andern Fall strengenommen keine Versuche mehr sind, weil es die Insularität des Experimentierfelds nicht mehr gibt und »das Labor ko-extensiv mit dem Globus wird« (Günther Anders, Antiquiertheit 1, 259). Was als bloß experimentaler Zustand erprobt präsentiert wird, ist tatsächlich schon vollendete Tatsache und zwar unwiderruflich; denn das Ende der Insularität des Probefeldes manifestiert sich auch auf dem Gebiet der Zeit: Die berühmte Forderung der Wiederholbarkeit des Experiments beinhaltete, zum Ausgangszustand zurückkehren zu können, wiedere bei Null anzufangen, wie das tatsächlich im abstrakten Raum, den das Labor schafft, möglich ist, aber nur dort. Und so kann man dann gegen die Pseudo-Gelehrten den Satz Claude Bernards kehren, demzufolge »wir nur genau kennen, was wir reproduzieren können«, um zu behaupten, dass sie nicht wissen, was sie tun, und sogar, dass sie es nicht wissen können. Die Techniken, denen sie so fügsam dienen, indem sie im Eilmarsch eine Welt einrichten, in der die frühere begrenzte Form der wissenschaftlichen Erkenntnis (nachträgliche Erkenntnis der Phänomene) jede Gültigkeit verliert, eine Welt, in der die Auswirkungen jeden Willen, Kausalitätsbeziehungen herzustellen, überrunden, in der sie, noch bevor sie sie exakt erkennen, neue Ursachen im Überfluss schaffen, wie die pathetischen Versuche, das »Erd-Klima« nun, da es in voller Mutation ist, in Modelle zu fassen (die Schwäche jedes Modells zwingt zur Berücksichtigung unwesentlicher Rohdaten und einen Zuwachs an Rechenpotenz, welche es lediglich erlaubt, die Mängel dieser neuen Simulation zu enthüllen, usw). Das »Vorsichtsprinzip« wird, wie die Menschenrechte, nur deshalb ständig angeführt, weil es völlig unanwendbar geworden ist. Welche moderne Gesellschaft könnte funktionieren, wenn sie die »Menschenrechte« respektiert? Welche Technologie könnte sich weiterentwickeln, wenn sie ein »Vorsichtsprinzip« respektiert? »Uns fehlt die Distanz«, sagt Jean-Marie Pelt und verlangt ein Moratorium zu genetisch modifizierten Organismen. Aber wo haben wir den Abstand, wo lässt uns die technische Flucht nach vorn einen solchen, die uns mit vollendeten Tatsachen bombardiert wie die Transgenese einen Organismus mit seinen »Genkanonen« blind bombardiert? Während die Nihilisten der Mutation seit langem mit den früheren Regeln und Restriktionen gebrochen haben, die die wissenschaftliche Aktivität sich auferlegte, berufen sich allzu viele Opponenten weiter darauf, auf ebenso anachronistische Weise wie tugendhafte Demokraten, die vorgeben, totalitäre Regime an die Respektierung diplomatischer Gepflogenheiten zu erinnern. |
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