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Preußen am Pazifik | Kaffee-Imperialismus |
1877 hatte sich General Porfirio Díaz an die Macht geputscht und sollte sie bis nach dem Ausbruch der Revolution im Jahr 1911 eisern verteidigen. Das selbsterklärte Motto seiner Politik lautete »Orden y Progreso«, Ordnung und Fortschritt. Fortschritt bedeutete: Der forcierte Ausbau eines Straßen- und vor allem Eisenbahnnetzes, die Installierung eines Telegraphensystems und die Ausbildung von technischen Fachkräften. Fortschritt hieß für Porfirio Díaz vor allem die Zerstörung der kollektiven indianischen Landbesitzformen, die Kolonisierung des indianischen »Niemandslandes« durch exportorientierte Plantagen und Haciendas sowie die Ansiedlung von Europäern und Nordamerikanern. Ordnung dagegen, der zweite Eckpfeiler der Modernisierung, meinte die Konzentration der politischen Macht in den Händen des Diktators und den Aufbau einer ihm loyalen Armee und Landpolizei, den berüchtigten Rurales, um lokale Rebellionen im Keim ersticken zu können. Ordnung, das war die wachsende Repression gegen alle Formen der politischen Opposition, gegen die Streikbewegungen der jungen Arbeiterklasse in den Minen oder Textilfabriken und gegen die um ihr Land kämpfenden indianischen Dörfer.
Porfirio Díaz schuf mit seiner Politik die Rahmenbedingungen für die Vervielfachung der Produktion von Exportwaren wie Kautschuk, Kaffee, Tabak, Sisal, Zukker, Textilwaren, der intensiven Förderung von Erzen und Öl sowie der Ausdehnung der Viehwirtschaft. Verblüffend ähnelten die Konzepte der Diktatur Porfirio Díaz' den neoliberalen Rezepten, die IWF und Weltbank den PRI-Machthabern seit Anfang der 80er Jahre vorschreiben: »Ordnung und Fortschritt«. Doch Porfirio Díaz' Politik ließ nicht nur europäische und nordamerikanische Aktiengesellschaften dicke Profite einfahren und machte eine dünne mexikanische Elite zu Superreichen. Sie bereitete auch die Mexikanische Revolution von 1910-1920 vor, die 10% der Bevölkerung in einem brutalen Bürgerkrieg das Leben kosten und das Land dramatisch verändern sollte.
Die deutschen Kolonisten richteten sich unter Porfirio Díaz in Chiapas ihren aussichtsreichen Platz an der Sonne ein. Angespornt von dem mitgebrachten wilhelminischem Gründergeist und ihrem kolonialen Tatendrang begannen sie, in Chiapas ein Nueva Alemania, ein »Neues Deutschland«, aufzubauen. Als einer der ersten Pioniere kam 1896 der aus Hamburg stammende Adolf Giesemann in den Soconusco und kaufte sich die Finca El Retiro. Giesemann kannte sich mit der Kaffeeproduktion trefflich aus. Bevor er den Fuß über die mexikanische Grenze setzte, besaß Señor Giesemann bereits Kaffeeplantagen in Guatemala, wo deutsche Kaffeeproduzenten schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts emsig am Werk waren. Ursprünglich war der geschäftstüchtige Hanseat Agent eines Hamburger Handelshauses in Guatemala. Jetzt machte er sich selbständig und gründete zusammen mit Wilhelm Stucken, wie er aus der Elbmetropole stammend, eine Kommerzialisierungsfirma, die den im Soconusco angebauten Kaffee im Deutschen Reich vermarkten sollte. Aus der Heimat holte sich Giesemann vertrauenswürdige Mitarbeiter in den Soconusco und kaufte nach und nach die Fincas Argovia, Santa Fe Chinincé und San Nicolas. Bald hatte Giesemann den Aufstieg zum Großgrundbesitzer geschafft. Acht Monate im Jahr inspizierte er hoch zu Roß seine auf 80000 Hektar geschätzten Ländereien in Mexiko und Guatemala. Die restlichen vier Monate verbrachte er auf Geschäfts- und Erholungsreisen in Europa.
Das Beispiel Giesemann sollte Nachahmer finden. Juan Lüttmann, wie Giesemann Repräsentant eines Handelshauses in Guatemala, machte sich 1899 von seinem Arbeitgeber unabhängig. Mit der finanziellen Rückendeckung des Handelshauses Nottebohm aus Hamburg kaufte er sich mehrere Plantagen. Als Verwalter seiner drei Fincas Las Maravillas, Hamburgo und Germania stellte er die drei Señores Juan Pohlenz, Eric Edelmann und Wilhelm Kahle ein. Wer in den Grundbuchregistern in Chiapas stöbert, wird diesen Familiennamen noch heute regelmäßig begegnen. Juan Pohlenz erstand nach einigen Jahren die Plantagen Bremen, Lubeka und Cuxtepeques in der Sierra Madre del Sur. Guillermo (Wilhelm) Kahle, Stammvater der Familie von Knoop, machte sich ebenfalls selbständig. Er kaufte Lüttmann Germania ab und gründete selbst zwei neue Fincas, die er Hannover und Prusia (»Preußen«) taufte.
Um 1910, nur knappe 15 Jahre nach der Ankunft des deutschen Pioniers Adolfo Giesemann, war der gesamte Soconusco übersät mit Kaffeeplantagen. Fast alle waren in ausländischem, meist europäischem Besitz. Die Mehrheit der neuen Eigentümer stammte aus Deutschland. So konnte Felix Webster Ludewig 1912 im »Tropenpflanzer«, einer in der wilhelminischen Reichshauptstadt Berlin herausgegebenen Kolonisten-Fachzeitschrift, zufrieden auf »Zwanzig Jahre deutsche Kolonisationsarbeit« im Soconusco zurückblicken: »Der Soconusco zeigt uns ein schönes Bild deutscher Kolonisationsarbeit auf mexikanischem Boden. Zu seiner Erschließung haben (...) arbeitsame, europäische, deutsche Pflanzer, die mit verhältnismäßig beschränkten Mitteln ihre Pflanzungen in harter und entsagungsvoller Arbeit langsam und sicher vergrößerten, beigetragen.« Doch das war nur die halbe Wahrheit. Außer der »entsagungsvollen« Kolonisationsarbeit und den so überaus fleißigen deutschen Kaffeepflanzern trugen freilich noch ein paar andere Faktoren zur Blüte der deutschen Kolonie im Soconusco bei.
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