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Kaffee-Imperialismus

Ein Kernstück der Modernisierungspolitik Porfirio Díaz' bestand darin, ausländische Siedler als Kolonisten nach Mexiko zu locken. Sie sollten Land urbar machen und der indianischen Bevölkerungsmehrheit die »Zivilisation« bringen. In 1875 und 1884 erlassenen Gesetzen über die Landkolonisation sah die mexikanische Regierung folgendes Verfahren vor: Der Staat übertrug den Kolonisationsgesellschaften riesige Flächen Land, das von ihnen vermessen und an möglichst europäische Siedler verteilt werden sollte. Im Gegenzug für diese »Zivilisationsarbeit« verpflichtete sich die Regierung, den Kolonisationsgesellschaften ein Drittel des vermessenen Landes gratis zu übertragen. Bis 1906 verschenkte das Regime von Porfirio Díaz so gigantische 14% des mexikanischen Nationalterritoriums. Oftmals wurde dabei den indianischen Dörfern fruchtbares Gemeindeland geraubt, indem es einfach als »Niemandsland« deklariert wurde. Riesige Latifundien und Haciendas breiteten sich aus, manche größer als ein mittleres Bundesland in Deutschland. In Chiapas wurde den Kolonisationsgesellschaften nach und nach drei Millionen Hektar - 40% der Gesamtfläche des Bundesstaates - übertragen.

Die Konzession für mehr als 200000 Hektar im künftigen Kaffeeparadies Soconusco ging 1886 zunächst an die Chiapas México Colonisation Company aus San Francisco. Doch die amerikanische Gesellschaft vermochte weder genügend Siedler anzuwerben, noch eine versprochene Eisenbahn zu bauen. So vergab die Regierung das Land an die erfolgreichere britische Mexican Land and Colonisation Ltd. mit dem umtriebigen Geschäftsmann Louis Heller an der Spitze. Dieser verfügte über 20% des chiapanekischen Bodens und das riesige Kapital von 30 Millionen Pesos. Heller verkaufte das Land zu Spottpreisen an ausländische Siedler. So kamen auch die von hanseatisch-protestantischen Unternehmertugenden beseelten Deutschen in den Besitz ihrer künftigen Ländereien.

Doch auch auf andere Weise machte die Politik des Diktators den Aufschwung der Kaffeewirtschaft, und damit die Geschäfte der Deutschen, in Chiapas erst möglich. Der Bau von Eisenbahnen bildete ein weiteres Kernstück der Modernisierungspolitik von Porfirio Díaz. Vorher hatte ein fast unüberwindbares Hindernis für die Expansion der Kaffeeplantagen im Transportproblem bestanden. Auf dem Rücken von Maultieren mußten die Kaffeesäcke tagelang aus den tief zerklüfteten Bergtälern des Soconusco nach Tapachula gebracht werden. Von dort aus ging es in den 28 steinige Kilometer entfernten winzigen Hafen von San Benito oder ins noch weiter im Norden gelegene Puerto Arista. Doch die beiden Häfen des Soconusco waren für die Ozeanriesen der Pacific Mail Steamship Co., die zweimal im Monat die Küste auf ihrer Reise von San Francisco nach Panama passierten, unzugänglich. So verluden Hafenarbeiter die Säcke vom Maultierrücken in kleine Boote, damit das Exportgut schließlich auf offener See hinter der letzten Brandungswelle in die Dampfschiffe gehievt werden konnte. Nicht selten ging dabei ein wertvoller Sack Kaffee über Bord und am Ufer verfluchte ein wutschnaufender Kaffeehändler die »faulen« indianischen Arbeiter.

Abbildung 4.2: Villista im Verwaltungsgebäude von Liquidambar
Villista im Verwaltungsgebäude von Liquidambar, 24.45k

Einen Teil des Kaffees verschiffte die Pacific Mail Steamship Co. direkt nach Kalifornien, den Rest - der Panamakanal wurde erst 1914 fertiggestellt - um die Südspitze Chiles herum nach Deutschland, England oder die Ostküste der USA. Nach der Jahrhundertwende nahm die Schiffahrtsgesellschaft Kosmos aus Hamburg den Verkehr mit dem Soconusco auf und transportierte den Kaffee direkt zu ihrem Ursprungshafen. Doch die Verladeschwierigkeiten blieben. Erst die Fertigstellung der Panamerika-Eisenbahn 1908 entspannte das Transportproblem und verband nun die Pazifikküste auf dem Landweg mit dem Atlantikhafen Puerto México (heute Coatzacoalcos) am Golf von Mexiko. Eine Schmalspurbahn führte nun auch die Küste entlang nach Guatemala. Nutznießer davon waren hauptsächlich die ausländischen Investoren. Ein gewinnbringender Nebeneffekt des Eisenbahnbaus für die Kolonisten im Soconusco bestand außerdem im rapiden Anstieg der Grundstückspreise. So wurde aus dem Grund und Boden, der ihnen von der Regierung praktisch geschenkt worden war, auf einmal wertvolles Land.

Rückendeckung bekam die deutsche Vorhut in Südmexiko auch aus der Heimat. Von großer Bedeutung für den Erfolg der deutschen Kaffeepflanzer waren ihre direkten Verbindungen zu deutschen Handelshäusern und Banken. Die hanseatischen Händler und Finanziers der Häuser Königsberg, Nottebohm, Schröder und Melchess versorgten die Kolonisten mit zinsgünstigen Krediten und vermarkteten den Kaffee aus Chiapas im Reich. Diese Verbindungen, die teilweise über die bereits etablierte deutsche Kaffeekolonie in Guatemala vermittelt wurden, entwickelten sich zum konkurrenzentscheidenden Vorteil der deutschen Pflanzer. Mit dieser Unterstützung konnten sie nach und nach die kleineren Produzenten schlucken und ihr Imperium im Soconusco aufbauen. Bis heute währen die Allianzen zwischen hanseatischen Handelshäusern und den deutschen Kaffeebaronen in Chiapas. Die Heirat Laurenz Hudlers, Junior des Handelshauses Karl Hudler GmbH aus Hamburg, mit Marianne Schimpf ist hierfür ein beredtes Zeugnis.

Freilich waren nicht alle Geschäftsverbindungen so überschwenglich, daß sie gleich mit dem Bund der Ehe besiegelt wurden. Neben der finanziellen Rückendeckung aus Deutschland wurde den tüchtigen Missionaren deutscher Großmachtspolitik aus der Reichshauptstadt Berlin auch politische Unterstützung zuteil. Mehrmals intervenierte die deutsche Regierung für die Interessen der Kaffeepflanzer. Wenn Bettina von Knoop in Tapachula heute also satt und zufrieden im Sessel sitzt, dem Hausdiener dabei zuschaut, wie er die Fliegengitter mit einem Staubwedel säubert, dem Küchenmädchen zuruft, sie solle dem netten jungen Journalisten aus Deutschland doch noch eine Erfrischung servieren und dabei resümiert, die Deutschen in Chiapas hätten ihren Wohlstand ganz alleine geschaffen, dreht sie die Geschichte offensichtlich um.



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