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Das Imperium schlägt zurück | Räumung |
Chiapas, 9. Februar 1995: Noch sind die Kaffeeplantagen im Distrikt Angel Albino Corzo von den Villistas besetzt. Doch jetzt marschiert das Militär. Präsident Ernesto Zedillo verkündet in einer Fernsehansprache, die Identität des Subcomandante Marcos und anderer Führungsmitglieder der EZLN sei der Regierung bekannt und die Bundesarmee habe den Auftrag, sie festzusetzen. Noch während Zedillos Rede über die Fernsehschirme flimmert, rücken Truppen in die Tiefe der Selva Lacandona vor. Der Aufstand im Süden des Landes soll endgültig erstickt werden. In der Ortschaft Guadalupe Tepeyac, wohin die EZLN-Führung von der Regierung zwecks Geheimverhandlungen gebeten worden war, landen Fallschirmjäger. Doch die mit 60000 Soldaten und Polizisten gestartete Militäroffensive läuft ins Leere. Statt bewaffneten Widerstand zu leisten, ziehen sich die KämpferInnen der EZLN tief in die unzugänglichen Berge der Selva Lacandona zurück. Dort befinden sich die Schlupfwinkel der Guerilla. Zehntausende ZivilistInnen werden von der EZLN in das Dschungelgebiet evakuiert, um Massaker, Folterungen und Vergewaltigungen durch die Regierungstruppen zu entgehen. Ohne Nahrungsmittel, Trinkwasser und Medikamente harren sie dort aus, in ständiger Angst vor Bombenangriffen der Luftwaffe während das vorrückende Militär ihre Dörfer besetzt und zerstört.
Die Regierungstruppen können die Generalkommandantur der EZLN während ihrer Februar-Offensive nicht fassen. Dafür lassen sie in den verlassenen Gemeinden ihrer Zerstörungswut freien Lauf. Erntereife Felder und Saatgut werden verbrannt, Brunnen vergiftet, Häuser und Spitäler geplündert und verwüstet. Die von den Geflüchteten zurückgelassenen Viehbestände werden getötet oder weggetrieben. Als die vertriebenen Familien Wochen später, unter dem Schutz internationaler BeobachterInnen, in ihre Dörfer zurückkehren, stehen sie vor Ruinen. Waren sie vorher arm, so besitzen sie nun nichts mehr. Brauchbare Werkzeuge und Wertgegenstände sind weg. Oft sind ihnen nicht einmal Kochtöpfe und Maismühlen geblieben.
Durch die »Politik der Verbrannten Erde« soll die zivile Basis der EZLN in die Knie gezwungen werden. Daher beschränkt sich der Armee-Vorstoß nicht nur auf das Kerngebiet der EZLN. Er richtet sich auch gegen zivile UnterstützerInnen und SympathisantInnen der Aufständischen, die Landbesetzerbewegung in Chiapas und letztlich gegen die gesamte linke Opposition in Mexiko. Haftbefehle werden unter anderem gegen den von den Bauernorganisationen unterstützten Gegen-Gouverneur Amado Avendaño und weitere oppositionelle Politiker ausgestellt, jedoch nicht vollstreckt. Allerdings werden etwa dreißig Menschen, von der Staatsanwaltschaft der Mitgliedschaft in der EZLN beschuldigt, in Mexiko-Stadt und verschiedenen anderen Städten inhaftiert. Javier Elorriaga und seine Frau Gloria Benavides gehören zu ihnen. Viele der Verhafteten werden in den Gefängnissen gefoltert. Die meisten bleiben über ein Jahr gefangen, bis ihre Freilassung im Juni 1996 durch internationalen Druck und die konstanten Forderungen der EZLN erreicht werden kann.
Daß die Militärmaschinerie gerade im Februar 1995 in Gang gesetzt wird, hat vor allem wirtschaftliche und propagandistische Gründe. Präsident Ernesto Zedillo tritt sein neues Amt am 1. Dezember 1994 in Mexiko-Stadt an und schlingert bereits nach drei Wochen in eine erste schwere Krise. Innerhalb weniger Tage verfällt der Wechselkurs des Peso gegenüber dem US-$ um fast 100%. Die schwerste Wirtschaftsdepression seit den 30er Jahren ist die Folge. Als »Tequila-Crash« geht sie in die Finanzannalen ein, denn zur Rettung der mexikanischen Volkswirtschaft wird das in der Geschichte bisher umfangreichste Kreditpaket in einer Höhe von über 40 Milliarden US-$ geschnürt. Die Propaganda-Seifenblase vom angeblich erfolgreichen neoliberalen Wirtschaftskurs ist nun endgültig geplatzt. Der »Tequila-Crash« läßt im Jahr 1995 die offizielle Inflationsrate auf 50% emporschnellen, das Bruttosozialprodukt schrumpft gleichzeitig um 6%.
Um den schwer belasteten Start seiner Amtszeit zu überwinden, ergreift Zedillo am Jahresbeginn 1995 die Initiative. Er muß Stärke beweisen. Ein Militärschlag gegen die Zapatistas bietet sich nicht zuletzt an, um ihnen die Schuld an der durch die neoliberale Politik verursachten Wirtschaftskrise anzudichten. Zudem wird der Druck der Eliten in Chiapas immer stärker, endlich die Landbesetzungen zu stoppen. Auch aus dem Ausland drängen mächtige Interessen auf eine militärische »Lösung«. Ein internes - und später veröffentlichtes - Dokument der Chase-Manhattan-Bank, das auf den 13. Januar 1995 datiert ist, offenbart, daß einflußreiche Gruppen in den USA eine »Eliminierung« der EZLN fordern. »Die Regierung wird die Zapatistas vernichten müssen,« heißt es in diesem Papier, »um zu beweisen, daß sie die wirkliche Kontrolle über das nationale Territorim und die Sicherheitspolitik hat.« Die Chase-Manhattan-Bank zählt zu den größten privaten Gläubigern Mexikos. Präsident Zedillo setzt die Truppen am 9. Februar in Marsch, obwohl er noch wenige Tage zuvor die Verhandlungsbereitschaft seiner neuen Regierung öffentlich betont. Der neue Zapatismus soll so vernichtet werden wie seine Vorkämpfer achtzig Jahre früher: Durch Verrat und das Militär.
Das Rückzugsmanöver der EZLN macht der Regierung aber vorerst einen Strich durch die Rechnung. Gleichzeitig gehen in den Städten, wie schon nach Beginn der Militäroffensive im Januar 1994, wieder Zehntausende auf die Straße, um gegen den Bruch des Waffenstillstands zu protestieren. Innerhalb einer Woche strömen in Mexiko-Stadt dreimal riesige Menschenmassen auf den Zocalo, den zentralen Platz der Hauptstadt. Auch die internationale Öffentlichkeit verurteilt den Militärschlag der Regierung. Die internationale Presse berichtet über die von den Truppen angerichteten Zerstörungen und Menschenrechtsverletzungen. Als sich nur wenige Tage nach dem Angriff die Generalkommandantur der EZLN wieder mit Kommuniqués an die Öffentlichkeit wendet, wird das Scheitern der staatlichen Militäroperation offensichtlich. Präsident Zedillo befiehlt das Ende der Offensive, und die Friedensgespräche mit der EZLN werden wieder aufgenommen, echter Wille, um zu einer politischen Lösung zu gelangen, ist jedoch nicht erkennbar. Der Bewegungsspielraum von Guerilla und ziviler Opposition wird weiter eingeschränkt. Das Militär errichtet Straßensperren, Demonstrationen werden angegriffen, regierungstreue Campesinos bewaffnet und die Stellungen der Armee im Lakandonischen Urwald ausgebaut. Ein Drittel der gesamten mexikanischen Streitkräfte sind nun in Chiapas stationiert. Moderne Waffensysteme aus den Waffenschmieden der Welt werden installiert und immer mehr Soldaten rekrutiert und ausgebildet. Auch Spezialisten für Aufstandsbekämpfung und Foltermethoden aus dem Ausland werden eingeflogen, um Kenntnisse des LOW INTENSITY WARFARE aus anderen schmutzigen Kriegen in Lateinamerika an ihre mexikanischen Waffenbrüder weiterzugeben. Aus Argentinien, Guatemala und den USA sollen sie eingetroffen sein, berichten die wenigen kritischen JournalistInnen, die in Chiapas noch recherchieren.
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