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Schwacher Präsident - Starke Generäle

Auf der politischen Ebene verschieben sich die Gewichte. Seit den 50er Jahren hat sich die Armee mit politischen Äußerungen stets zurückgehalten. Nun brechen andere Zeiten an. Die Macht der Generäle wächst. Große Teile Süd-Mexikos sind weitgehend militarisiert, neben Chiapas auch die Bundesstaaten Guerrero, Oaxaca, Veracruz und Tabasco. Und selbst in der mexikanischen Hauptstadt ist der Wandel sicht- und spürbar. Seit Sommer 1996 besitzt einer der höchstrangigsten Militärs die Befehlsgewalt über die Polizeikräfte der 25 Millionen Einwohner zählenden Metropole. Unmittelbar nach seiner Ernennung kündigte General Tomás Salgado an, daß alle wichtigen Posten seines Ressorts fortan mit Armeefunktionären besetzt werden.

Verteidigungsminister Enrique Cervantes Aguirre, als Aufstandsbekämpfungs-Spezialist durch Einsätze in Südamerika und im mexikanischen Guerrero während der 70er Jahre kampferprobt, gewinnt an politischem Einfluß. Bei der Verteidigung der Macht wird das Militär für Präsident Zedillo immer unverzichtbarer. Nicht einmal die üblichen Wahlfälschungsmanöver funktionieren mehr. Bei Kommunalwahlen verliert die ewige Staatspartei PRI sowohl an die klerikal-konservative PAN als auch an die linke PRD. Innerhalb der PRI knirschen die Flügelkämpfe der verschiedenen Machtcliquen und werden zum Teil blutig ausgetragen. Zahlreiche Todesopfer haben die parteiinternen Auseinandersetzungen gefordert.

Doch den weitaus größten Blutzoll erleiden die oppositionellen Bewegungen. Nach Angaben der linksgerichteten PRD sind in den ersten 18 Monaten seit dem Amtsantritt Zedillos 150 ihrer Parteimitglieder ermordet worden. Auch unter der Präsidentschaft Salinas de Gortaris (1988 bis 1994) waren es durchschnittlich schon 60 Opfer pro Jahr, heute sind es 75. Angaben von Menschenrechtsgruppen zufolge mußten im selben Zeitraum allein in Oaxaca 220 Indígenas ihre politische Arbeit mit dem Leben bezahlen. Vor allem Campesino-Gewerkschaften und Indígena-Organisationen haben unter dem Terror der Mordkommandos zu leiden.

Da sich die Geschehnisse zumeist in abgelegenen Bergregionen abspielen und die Bevölkerung dort über keinerlei Kontakte zur Presse verfügt, dringen nur selten Nachrichten über diese Gewaltakte an die Öffentlichkeit. Eine traurige Ausnahme bildet ein Ereignis, das sich am 28. Juni 1995 in Aguas Blancas, einem kleinen Dorf nahe der Tourismusmetropole Acapulco, ereignet. Mitglieder der LandarbeiterInnen-Gewerkschaft Organización Campesina de la Sierra del Sur (OCSS) geraten auf dem Weg zu einer Demonstration in einen Hinterhalt der Polizei. 17 unbewaffnete Campesinos werden erschossen, weitere 23 schwer verletzt. Zwar muß Gouverneur Rubén Figueroa Alcocer einige Monate später zurücktreten, weil zahlreiche Indizen darauf hindeuten, daß das Massaker auf seinen persönlichen Befehl hin verübt wurde. Zu einer Bestrafung des Urhebers und seiner Helfer kommt es jedoch nicht. Dennoch verändern diese Morde die politische Landschaft. Während einer Gedenkveranstaltung zum ersten Jahrestag des Massakers stürmen vermummte Guerilleros die Bühne und erklären der Regierung den Krieg. In der Folgezeit macht diese Organisation, die Revolutionäre Volksarmee EPR, durch zahlreiche Angriffe auf Kasernen und Polizei-Patrouillen auf sich aufmerksam. Insgesamt werden bei Überfällen der EPR in den Bundesstaaten Guerrero, Oaxaca, Chiapas, Hidalgo und Veracruz über 50 Soldaten und Polizisten erschossen. Ende 1996 geben weitere Guerilla-Gruppen ihr Auftreten bekannt: Die Revolutionäre Volksaufstandsarmee ERIP im nördlichen Bundesstaat Baja California, die Bewaffnete Front für die ausgegrenzten Völker in Guerrero FALPMG und das Gerechtigkeitsheer der wehrlosen Bevölkerung EJPI in Guerrero. Es ist ein offenes Geheimnis, daß sich weitere Guerillas im Verborgenen halten. Doch nicht nur von links wächst die Opposition, auch die konservative PAN gewinnt konstant an Unterstützung.

Im Januar 1997 weigert sich Präsident Zedillo, das im Februar des Vorjahres von EZLN und der Regierungsdelegation unterzeichnete Abkommen über »Indigene Rechte und Kultur« anzuerkennen und die notwendigen Gesetzesänderungen einzuleiten. Weitreichende Verbesserungen der menschenunwürdigen Lebensbedingungen, Landzuteilungen, zweisprachige Schulen und demokratische Rechte für die 56 indigenen Völker Mexikos waren 1996 vereinbart worden. Nichts davon gilt mehr, der von der EZLN mühsam aufrecht erhaltene Dialog ist zur Farce geworden. »Die Regierung,« sagt EZLN-Sprecher Subcomandante Marcos, »stellt die Möglichkeiten einer schnellen und friedlichen Lösung in Frage und wirft die Schatten des Krieges über die indianischen Völker Mexikos.«

Dabei hat der schleichende Krieg auch während des Dialogs nie aufgehört. »In Chiapas führt die Mexikanische Armee einen Krieg niedriger Intensität. Ziel ist es, die revolutionären Bewegungen von ihren Rückzugsgebieten abzuschneiden, diese militärisch zu besetzen und politisch zu kontrollieren. Diese Strategie erlaubt es der Mexikanischen Armee, offene bewaffnete Auseinandersetzungen zu vermeiden, ihre eigene Truppenstärke zu reduzieren und dennoch langsam gegen ihre Feinde vorzurücken: Die Campesinos und Indígenas«, erklärt Anfang 1997 auch Pablo Romo, Priester und Leiter des katholischen Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas. Die Regierung nutzt den Verhandlungs- und Friedenswillen der EZLN, um die Rebellion zu brechen.

Für die Menschen in Nueva Palestina ist das Wort Dialog zum hohlen Begriff geworden. Am 8. Oktober 1996 dringen 350 Soldaten in das Dorf ein. Sie seien zur Durchführung »sozialer Aufgaben« herkommandiert worden, erklären sie. Zwei Tage später wird das tatsächliche Anliegen der Armee deutlich. Auf einer Dorfversammlung klärt Mario Renán Castillo, Kommandant der VII.Militärregion Tuxtla Gutiérrez, die Familien auf: »Die Soldaten werden hier für Ruhe und Ordnung sorgen. Alle haben sich an die Anordnungen der Armee zu halten, andernfalls werden Köpfe rollen.« Von nun an steht Nueva Palestina vollständig unter Militärkontrolle. Einer Besatzungsarmee gleich rasen betrunkene Soldaten in ihren Jeeps durch das Dorf, belästigen Frauen und bringen Prostituierte in ihr neben der Schule gelegenes Quartier.

Um auf die unerträglichen Zustände aufmerksam zu machen und die Freilassung ihrer inhaftierten Mitstreiter zu erwirken, führt die Unión Campesina Popular Francisco Villa Protestaktionen in Tuxtla Gutiérrez und Mexiko-Stadt durch. Zwar werden die im Gefängnis Cerro Hueco festgehaltenen Villistas nach einem Hungerstreik der politischen Gefangenen aus der Haft entlassen, die Situation im Distrikt Angel Albino Corzo ändert sich jedoch nicht. Am 16. November nehmen Polizei-Einheiten nahe der guatemaltekischen Grenze zwei Campesinos aus der Umgebung Jaltenangos fest. Laut Angaben der Staatanwaltschaft sollen sie drei Boden-Luft-Raketen RPG-7 und ein Abschußgerät mitgeführt haben. Die Polizei nutzt die Gelegenheit und bringt die Waffenlieferungen mit einer angeblich im Naturschutzgebiet El Triunfo operierenden Guerilla-Gruppe in Verbindung. Zusätzliche 500 Soldaten einer Spezialeinheit werden in die Zone um Nueva Palestina entsandt. Sie verhören die Bevölkerung nach »Aufrührern«, richten Straßensperren ein und durchkämmen die Berge der Sierra Madre von Chiapas.



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