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Mon Jun 11 11:33:47 2001
 

Inhaltsverzeichnis Inhalt Das Jahr, in dem wir nirgendwo Aufwärts

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Brief an Fidel Castro


CHE: Lieber Fidel,

Ich habe Deinen Brief erhalten, der in mir widersprüchliche Gefühle hervorgerufen hat, weil wir im Namen des proletarischen Internationalismus Fehler begehen, die uns sehr teuer zu stehen kommen können. Außerdem beunruhigt es mich persönlich, daß man, sei es, weil ich beim Schreiben nicht ernsthaft genug bin oder weil Du nicht vollständig begriffen hast, glauben könnte, ich litte an der schrecklichen Krankheit des notorischen Pessimismus.

Als Dein Himmelsbote (Aragonés) eintraf, sagte er mir, einer meiner Briefe hätte den Eindruck eines verurteilten Gladiators vermittelt, und der Minister (Machadito) bestätigte, als er mir Deine optimistische Botschaft überbrachte, die Meinung, die Du Dir gebildet hast. Mit dem Überbringer kannst Du Dich lange unterhalten, und er wird Dir seine Eindrücke aus erster Hand schildern, denn er ist an vielen Abschnitten der Front herumgekommen; aus diesem Grund lasse ich die Anekdoten beiseite. Ich sage Dir nur, daß ich hier allem Anschein nach meinen Ruf als objektiver Betrachter eingebüßt habe und gegenüber der wirklich existierenden Situation einen angeblich grundlosen Optimismus beibehalte. Ich kann Dir versichern, daß sich dieser schöne Traum längst inmitten der allgemeinen Katastrophe aufgelöst hätte, wenn es mich hier nicht gäbe.

In meinen letzten Briefen habe ich Euch gebeten, mir nicht viele Männer zu schicken, sondern Kader; ich habe Euch gesagt, daß hier praktisch kein Mangel an Waffen herrscht, außer an einigen speziellen, sondern daß im Gegenteil bewaffnete Männer im Überfluß vorhanden sind und es doch an Soldaten mangelt, und ich habe Euch insbesondere auf die Notwendigkeit hingewiesen, Geld nur sehr sparsam und auf dringende Gesuche hin herauszugeben. Auf keinen dieser Hinweise ist eingegangen und stattdessen sind phantastische Pläne geschmiedet worden, die unser internationales Ansehen gefährden und mich in eine sehr schwierige Situation bringen können.

Ich will es Dir erklären:

Soumaliot und seine Genossen haben Euch einen großen Bären aufgebunden. Es würde zu weit führen, das ganze Ausmaß der Lügen aufzuzählen, die sie aufgetischt haben, ich ziehe es vor, Euch die derzeitige Situation mit beigefügter Karte zu erklären. Es gibt zwei Zonen, wo man von so etwas wie organisierter Revolution sprechen kann, diejenige, in der wir uns befinden, und ein Teil der Provinz Kasai, in dem Mulele ist, die große Unbekannte in unserer Rechnung. Im Rest des Landes gibt es nur zusammenhanglose Banden, die im Dschungel überleben; kampflos haben sie alles aufgegeben, genauso wie sie Stanleyville kampflos aufgegeben haben. Dabei ist das noch nicht das Schlimmste, sondern die Einstellung, die unter den Gruppen in dieser Gegend vorherrscht, der einzigen, die über eine Verbindung zum Ausland verfügt. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Kabila und Soumaliot werden jedesmal ernster und als Vorwand herangezogen, um mit der kampflosen Übergabe von Städten fortzufahren. Ich kenne Kabila gut genug, um mir über ihn keine Illusionen zu machen, und wenn ich auch nicht dasselbe über Soumaliot sagen kann, so weiß ich doch einiges von den Lügen, die er Euch aufgebunden hat oder der Tatsache, daß er sich genausowenig dazu herabläßt, sich auf diesem gottverdammten Flecken Erde einzufinden. (...) Bezüglich der Notwendigkeit, die Männer sorgfältig auszuwählen, statt mir eine große Anzahl zu schicken, versicherst Du mir durch den Boten, daß diejenigen, die hier sind, geeignet sein müßten, sonst hätten sie sich längst aus dem Staub gemacht. Darum geht es nicht, es geht darum, daß man eine wirklich ausgeglichene Einstellung braucht, um die Dinge zu ertragen, die hier vor sich gehen; es geht nicht bloß um gute Männer, hier braucht es Supermänner.

Und dann gibt es noch meine 200 Mann; glaub mir, eine größere Anzahl wäre in diesem Moment eher schädlich, außer wir beschlössen definitiv, für uns allein zu kämpfen, wofür eine ganze Division nötig wäre und wir sehen müßten, in welcher Zahl uns der Feind entgegentritt. Vielleicht ist letzteres übertrieben, und ein Bataillon würde ausreichen, um die Grenzen wiederherzustellen, die wir vorgefunden haben, als wir hier eintrafen, und gegen Albertville vorzugehen, aber es kommt in diesem Fall nicht auf die Zahl an, wir können nicht auf eigene Faust ein Land befreien, das nicht kämpfen will, man muß diesen Kampfgeist erzeugen und mit Diogenes' Laterne und Hiobs Geduld nach Soldaten suchen, eine Aufgabe, die umso schwieriger wird, je mehr Aasgeiern an der Spitze diese Leute auf ihrem Weg begegnen. (...)

Die Sache mit den Booten ist ein Punkt für sich. Seit langem bitte ich Dich um zwei Motortechniker, um etwas dagegen zu tun, daß sich der Anleger von Kigoma in einen Friedhof verwandelt. Vor etwas mehr als einem Monat sind uns drei sowjetische Boote geschickt worden, und zwei sind bereits unbrauchbar, während das dritte, auf dem der Bote übergesetzt ist, an allen Ecken leckt. Die drei italienischen Boote werden dasselbe Schicksal wie ihre Vorgänger erleiden, außer sie werden mit kubanischen Mannschaften bestückt. Dafür und für die Sache mit der Artillerie brauchen wir die Zustimmung Tansanias, die nicht so leicht zu bekommen ist. Diese Länder sind nicht wie Kuba, wenn es darum geht, alles auf eine Karte zu setzen, um wieviel es auch gehen mag. (...)

Die Frage des Geldes schmerzt mich am meisten, weil ich schon so oft darauf hingewiesen habe. Auf dem Höhepunkt meiner verschwenderischen Dreistigkeit, als ich mich unter Tränen dazu überreden ließ, eine Front, die wichtigste, mit Nachschub zu versorgen, unter der Bedingung, daß ich dafür unter meinem direkten Befehl den Kampf leiten und eine gemischte Brigade aufbauen dürfte (...), berechnete ich dafür unter größter Seelenpein 5000 Dollar pro Monat. Jetzt muß ich erfahren, daß die Müßiggänger aus der Führung eine zwanzigmal größere Summe auf die Hand bekommen, um in allen Hauptstädten der Welt ein schönes Leben zu führen. (...) An einer bettelarmen Front, wo die Bauern alle Widrigkeiten erleiden müssen, die man sich vorstellen kann, einschließlich der Raubgier ihrer eigenen Verteidiger, wird nicht ein Centavo [von diesem Geld] ankommen, und genausowenig bei den armen Teufeln, die im Sudan festsitzen. (...)

Bei fünfzig Ärzten in dem befreiten Gebiet würde der Kongo sich des beneidenswerten Verhältnisses von einem Arzt auf tausend Einwohner rühmen können. (...) Besser als ein solcher Gigantismus ist es, revolutionäre Ärzte zu schicken. (...)

Einige Empfehlungen, die ich Euch objektiv zu berücksichtigen bitte: vergeßt all diese Männer an der Spitze von imaginären Gruppierungen, bereitet mir bis zu zehn Kader vor, es müssen nicht alles Schwarze sein, und schickt uns aus Osmanys Liste, was dort ganz oben steht. An Waffen: die neue Bazooka, elektrische Sprengsätze, etwas R4 und sonst nichts für den Moment. (...) Keine Mörser, denn die gibt es im Übermaß, vergeßt »die Sache mit Burundi« und behandelt die Sache mit den Booten so taktvoll wie möglich (nicht vergessen, daß Tansania ein unabhängiges Land ist und man dort ein sauberes Spiel spielen muß, mal abgesehen von meiner kleinen Schummelei).


Und er verabschiedet sich mit einer Umarmung.



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