Inhalt | Das Jahr, in dem wir nirgendwo |
Wieder einmal soll Che tot sein | Der See |
CHE: Die einzige Nachricht, die unsere absurde und trübselige Lage aufheiterte, war die Mitteilung Alys, in zwei Gefechten dem feindlichen Heer mehrere Verluste zugefügt zu haben.
VIDEAUX: Ich sollte mich zu Terry an die Front von Kabimba begeben. Er war dort ohne Stellvertreter, weil Mafu von Tatu nach Force Bendera geschickt worden war. Der Che erläuterte mir seine Vorstellungen hinsichtlich der neuen Front von Kabimba, die damals gerade aufgebaut wurde. Mehr als zweihundert Guerilleros waren dort bereits zusammengezogen, hinzu kamen noch die Guerilleros aus den Dörfern von Misima und Kazima, in denen zwar nicht allzu viele Leute lebten, die aber noch die größten in der Umgebung waren.
Terry hatte seinen eigenen Charakter, manchmal etwas stur und cholerisch, was zu Reibungen führte. Aber er war direkt und herzlich und immer brüderlich zu seinen Compañeros. Ich kam schließlich sehr gut mit ihm aus, weil ich mir vorgenommen hatte, ihn zu verstehen. Terry hatte eine sehr eigene Art zu reden, die jedem, der Ärger mit ihm haben wollte, dazu ausreichend Gelegenheit bot. Wir bekamen niemals ein klares ja oder nein von ihm zu hören. Manchmal wies ich ihn auf sein problematisches Verhalten hin, und er akzeptierte meine Kritik wegen der guten Beziehung, die wir zueinander hatten. Aufgrund seines Mutes und seiner Körperkraft war er ein Mann, der jedes Hindernis zu meistern wußte.
CHE: Terry war ein fähiger und mutiger Mensch, der keine Angst kannte, für jede Art von Mission geeignet; intelligent, autodidaktisch, ein zuverlässiger, aber auch ein sehr impulsiver Mensch.
KUMI: »Wenn ich bloß mehrere Terrys hätte«, pflegte der Che zu sagen.
VIDEAUX: Sehr bald kam es zu einem Gefecht. An diesem Tag, dem 16. Oktober, hatte es geregnet, wir lagen noch in den Hängematten, als ein Kongolese so eilig in die Hütte stürmte, daß man ihn aufhalten mußte, sonst wäre er noch hinten wieder rausgerannt. Er berichtet: Askari mindi, viele belgische Soldaten hätten das Dorf in den Höhen von Misima erobert und gebrandschatzt. Einige kongolesische Compañeros aus der Vorhut seien getötet worden, darauf hätten die anderen ihre Position verlassen und sich weit zurückziehen müssen.
Terry und ich verließen die Hütte im Laufschritt, um uns mit dem kongolesischen Chef zu beraten, der schon informiert war. Unterwegs mußten wir unsere Entscheidungen treffen. In dieser Situation zeigte sich Terrys Erfahrung. Wir rücken aus unserem Lager aus, und er sagt zu mir: »Geh du voraus, so schnell du kannst, und besetze den Hügel, bevor sie es tun, denn bestimmt werden sie es versuchen.« Unterdessen wurden die Leute zusammengetrommelt und der Abmarsch vorbereitet, um uns zu verstärken und den Vormarsch der Belgier aufzuhalten. Das waren Entscheidungen, die in Sekundenbruchteilen getroffen wurden.
Und so geschah es: Ich machte mich rasch mit einer Gruppe von vier kubanischen Kämpfern und ungefähr fünfzehn Kongolesen auf den Weg. Wir kamen zügig voran und bezogen eine günstige Position. Nachdem ich mit meinem Trüppchen den Hügel gesichert hatte, traf Terry mit der Verstärkung ein. Sie hatten ein schweres Maschinengewehr dabei, das ansonsten für die Luftabwehr benutzt wurde, aber wir setzten es auch beim Bodenkampf ein. Es wurde von einem sehr tüchtigen Afrikaner namens Ione bedient, der war kein Kongolese, sondern ein Kenianer, ein schlanker, nicht sehr großer Mann, dunkel, aber nicht so dunkel wie die Kongolesen, eher wie ein Indio. Außerdem brachten wir einen Mörser in Stellung, der von einem Kubaner, Falka (Aldama), bedient wurde.
Mit allen verfügbaren Männern entwickelten wir einen Kampfplan; sollten die Belgier vorrücken, würden wir sie angreifen. Und wenn sie es nicht taten, würden wir im Morgengrauen zur Offensive übergehen und sie aus Misima herauswerfen.
Die Nacht über feuerten sie Schüsse ab, aber wir erwiderten das Feuer nicht, warteten ab. Genau wie wir kalkuliert hatten, bemerkten wir gegen 3 Uhr morgens Bewegungen in der Senke, die uns signalisierten, daß sie unterwegs waren, obgleich wir noch nicht wußten, ob sie sich auf uns zu bewegten oder nicht. Es war ihre Vorhut, begleitet von einheimischen Führern, Gefangenen oder Kollaborateuren. Sie begannen, den Hügel hinaufzusteigen. Wir hielten uns ruhig, gemäß Alys Befehlen, daß wir solange warten sollten, bis sie schön nah herangekommen waren, so nah wie möglich, und erst dann das Feuer eröffnen sollten. Als die leichte Infanterie noch zweihundert Meter entfernt war, mit ihren 81er und 60er Mörsern und ihren leichten Maschinengewehren, herrschte in unserem Hinterhalt vollkommene Stille.
Wir schätzten, daß sie etwa dreihundert waren, ein ganzes Bataillon. Wir waren insgesamt elf Kubaner und nicht mehr als achtzig oder neunzig Kongolesen. Unsere zwei Mörser hatten wir hinten gut geschützt aufgestellt; wir brachten das Maschinengewehr in Stellung und legten uns gestaffelt, in Form eines Keils, in den Hinterhalt. Die Kubaner, außer denen, die die Mörser bedienten, waren an vorderster Linie, in der Vorhut. All das organisierten wir bei Nacht, auf Zehenspitzen, lautlos. Wir sprachen mit jedem einzelnen persönlich. Besonders unserer mächtigsten Waffe, dem Maschinengewehr, das wir an einer Flanke aufstellten, widmeten wir uns mit größter Sorgfalt.
Als sie den Hügel heraufkamen und in geeignetem Abstand waren, eröffnete Aly das Feuer mit einer Maschinengewehrsalve. Ich sekundierte ihm. Damit begann das Gefecht. Eine sehr einseitige Angelegenheit, weil sie völlig durcheinander waren. Sie hatten keine Formation, weil sie in Kolonne durch einen Urwald von nicht allzu hohen, aber ziemlich dichten Bäumen vorgerückt waren. Unser Maschinengewehr sägte eine Menge Holz ab. Trotz unseres Stellungsvorteils hatten sie deshalb aber kaum Verluste: wir waren oben und sie unten, so daß man nicht besonders gezielt schießen konnte. Die erste Ladung bekamen sie mit voller Wucht ab, dann zogen sie sich auch schon zurück.
Ihre Artillerie erwiderte das Feuer, während sie die Flucht bergab fortsetzten. Sie ließen ihre Waffen liegen: FAL, Super-FAL, Funkausrüstungen, eine beachtliche Beute. Die Artilleriegeschosse schlugen oberhalb ein, weit entfernt von uns. Sie konnten uns zu keiner Zeit orten. Sie waren in Marschkolonne herangerückt, und zudem war es noch dunkel. Der Schußwechsel dauerte über eine Stunde, wir hielten sie stets auf Distanz. Sie feuerten fortwährend aus ihren Mörsern, doch sie trafen nicht. Bergauf und mit dem Schrecken in den Gliedern war es für sie auch nicht leicht.
Sie versuchten, sich neu zu organisieren, doch wir setzten nach, und so zogen sie es vor, sich zurückzuziehen. Wir hatten die Geschütze auf das Dorf ausgerichtet, in das sie flüchteten. Natürlich kehrten sie nicht genau dorthin zurück, wo sie vorher gewesen waren, sondern begaben sich zu den Hohlwegen und zum Misima-Fluß.
Als es hell wurde, gingen wir in die Offensive und stiegen unter ständigem Feuer bergab. Sie marschierten am Seeufer in Richtung Katanga und schossen zurück. Wir rückten gegen das Tal vor und besetzten das Dorf, das seit dem gestrigen Tag wie ausgestorben war. Die Belgier hatten einige getötet, die anderen waren geflohen.
Unter den toten Dorfbewohnern befanden sich auch einige kongolesische Guerilleros. Unsere Verluste beliefen sich auf einen Toten und drei Verletzte, allesamt Kongolesen. Der Tote war am Tag zuvor gefallen. Wir eroberten sieben FAL- und zwei Super-FAL-Gewehre, zwei Bazookas, etliche Dosen, Zigaretten, einige Rucksäcke und viel Gewehrmunition, die sehr nützlich war, drei Funkausrüstungen und Granaten. Sie hatten einige ihrer Toten bergen können, wie wir später anhand der Blutspuren feststellten. Alle jedoch nicht, denn unten fanden wir drei Tote und die Brieftasche des Offiziers, sehr wichtig, mit dem Namen des Einsatzleiters.
Wir verfolgten sie weiter, aber sie waren schon zu weit fort. Gemäß Terrys Befehlen, ihnen nachzusetzen, damit sie sich nicht auf der anderen Seite des Flusses festsetzten, überquerten wir die Furt. Und als wir im Fluß waren, tauchte plötzlich ein Belgier auf, der zurückgefallen war und dachte, wir hätten ihn gesehen und kämen auf ihn zu. Er eröffnet das Feuer, und wir drehen uns herum und schießen zurück. Aly gab noch den Befehl, nicht zu schießen, doch es war schon zu spät. Wir zogen den Toten aus dem Wasser, setzten die Verfolgung noch einige Kilometer weit fort und stießen auf mehrere Stellen, an denen sie offensichtlich die Verwundeten versorgt hatten, denn man bemerkte überaus viel Blut und Verbandsmaterial. Wir folgten ihnen noch über fünf Kilometer bis in die Nähe der Basis von Katanga.
Der Che maß diesem Gefecht nicht so sehr wegen unseres überwältigenden militärischen Erfolges besondere Bedeutung bei, sondern wegen der Daten, die dabei in unseren Besitz gelangten. Durch diese erfuhren wir, daß sie bereits über uns Kubaner, über unsere Anzahl und die Gegenden, in denen wir operierten, Bescheid wußten. Man hatte uns verraten. Und jetzt erfuhren wir, was genau sie über uns alles wußten.
CHE: Wir erbeuteten ein geheimes Dokument, in dem mit einiger Präzision die Positionen von Kubanern und Rebellen aufgeführt wurden. Außerdem stand darin, welche Kräfte sie für die Offensive aufgeboten hatten, welche Kräfte zur Luft (Wigmo, vier T-28 und zwei B-26 mit Stützpunkt in Albertville) und zur See (vier Ermens-Luka PT Boats, deren Aufgabe darin bestand zu verhindern, daß »rebellische Elemente über den See setzten«). Ihr Ziel war, das gesamte Seeufer zu besetzen und alle unsere Einrichtungen in der Nähe Kigomas zu zerstören.
KUMI: Auf den Karten waren eine Reihe von Positionen verzeichnet, an denen es Kubaner gab, darunter Luluaburg und die Basis, in der der Che gewesen war.
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