Inhalt | Das Jahr, in dem wir nirgendwo |
19. November: Haus in Flammen | 21. November: Die letzten Stunden |
DREKE: 20. November. Gestaffelter Rückzug.
MENA: Man machte sich auf die Suche nach den Compañeros Genge, Wasiri und Amia, die ganz in der Nähe an einem anderen Ort am Seeufer waren. Der Che läßt Tiza in Jungo zurück und begibt sich nach Sele, wo die Hauptgruppe sich versammelt.
VIDEAUX: Am Morgen hatte Tatu einige Compañeros als Spähtrupp hinunter zum Seeufer geschickt. Diese Compañeros blieben später zurück, denn während sie dort unten waren, schlossen die Belgier ihren Ring bis an den See. Sie konnten nicht auf unsere Seite zurück, und wir nicht auf ihre, um sie zu herauszuholen.
ISHIRINE (Martín Chibás): Als der Abzug der Brigade beschlossen wurde, befanden wir uns in der Nähe von Leopoldville und hatten uns eben auf den Weg zum Basislager gemacht. Unterwegs bekommen wir die Meldung, daß auf unserer Route feindliche Fallschirmjäger gelandet seien. Der Che ordnet eine Überprüfung an, und ich, als Chef der Erkundungseinheit, beauftrage die Compañeros Roberto Hernández Calzada und Luis Calzada Hernández sowie vier Kongolesen, den Ort der gemeldeten Invasion auszukundschaften. Wir bestimmten vier Punkte, an denen wir uns später wiedertreffen wollten. Doch nach Erfüllung der Mission stießen sie auf vorrückende feindliche Verbände und mußten sich, um ein bewaffnetes Aufeinandertreffen zu vermeiden, tiefer in den Dschungel zurückziehen. Dabei verloren sie die Orientierung. Wir suchten unterwegs nach ihnen, trafen sie aber an keinem der vereinbarten Orte an. So kam es dazu, daß diese Compañeros verlorengingen.
VIDEAUX: Wir sammelten uns in Jungo. Zu diesem Zeitpunkt standen wir wieder in Funkkontakt mit Tansania, und über Tansania mit Kuba. Tatu hielt noch immer an seiner Idee fest, eine neue Gruppe zu organisieren und sich mit ihr zu verschanzen. In Changas Boot sollten nur diejenigen herausgebracht werden, die in schlechter Verfassung waren. Tatu hoffte immer darauf, daß aus der mittleren Ebene oder aus der Masse neue Führungskader hervorgehen würden, aber nichts dergleichen geschah. Inzwischen war es bereits schwierig genug, die Stellung weiterhin zu halten. Aber die noch Einsatzfähigen, zu denen auch ich zählte: wir waren entschlossen weiterzumachen, wenn Tatu es befahl. Als ich eintraf, sagte er mir, daß ich zu der Gruppe gehörte, die bleiben sollte. Ich sagte: »Einverstanden.« Wir würden ein Gebiet zu durchqueren haben, von dem wir nicht einmal wußten, wie groß es war.
Tatu ruft mich lächelnd zu sich, mit einer Ruhe, wie nur er sie hatte. Er rief mich zu sich und sagte so etwas wie, daß wir schon zweimal gescheitert wären. Er meinte, daß er mich nach Kabimba geschickt hatte und mich zurückholen lassen mußte, bevor ich meine Mission erfüllen konnte, und daß er mich, als ich angekommen war, zu M'bilis Verstärkung geschickt hatte und mich wieder zurückholen ließ. Er schien mir außerordentlich ernst.
CHE: Auch die Funkversuche am 20. November um 6 und 10 Uhr schlugen fehl. Die Telegraphisten kamen so langsam voran, daß wir Sele erst sehr spät erreichten, obwohl der zurückgelegte Abschnitt nicht länger als eine Stunde hätte dauern dürfen. Dort war die Mehrzahl der Leute versammelt, und es gab etwas zu essen, um den Hunger zu lindern. In der Dämmerung traf Banhir ein, der Mann, der zurückgeblieben war. Er war gestürzt und hatte Verstauchungen erlitten, darauf hatte er einen Compañero gebeten, Bescheid zu sagen, damit sie ihm seinen Rucksack abnehmen kämen. Er war dort geblieben und hatte gewartet. Seine Botschaft wurde jedoch nicht oder falsch weitergegeben, und so saß er am nächsten Morgen immer noch vollkommen allein an der Stelle seines Unfalls. Er blieb bis zum 20. um 9 Uhr morgens in der Basis und dachte schon, er hätte den Kontakt zu uns verloren. Die Gardisten waren nicht bis zur Basis vorgerückt. Sämtliche Wege waren menschenleer, die Häuser verlassen.
Um halb drei bekamen wir Verbindung mit Kigoma:
»Changa: zu evakuierende Männer insgesamt knapp 200. Mit jedem Tag, der vergeht, wird es schwieriger. Wir sind in der Ortschaft Sele, zehn oder fünfzehn Kilometer südlich von Kibamba.«
Und endlich traf die ersehnte Botschaft ein:
»Tatu: heute nacht wird die Überfahrt stattfinden. Gestern hat uns der Beauftragte die Erlaubnis erteilt.«
Die Leute waren euphorisch. Ich sprach mit Masengo; ich schlug ihm vor, noch in der Nacht aufzubrechen. Weil viele Kongolesen dort waren, wurde ein Treffen des Generalstabs anberaumt, auf dem beschlossen wurde, daß Jean Paulis mit seinen Männern im Kongo bleiben sollte, während wir und die anderen Chefs ihre Leute evakuierten. Die einheimischen Truppen würden dort bleiben, aber man würde ihnen nichts davon sagen, daß wir beabsichtigten, uns zurückzuziehen, sondern sie unter verschiedenen Vorwänden in das nahegelegene Dorf schicken. Eines unserer Schiffchen, die uns für den Verkehr zwischen verschiedenen Punkten am See geblieben waren, traf ein und nahm einen Großteil der Kongolesen mit. Aber diejenigen, die unserer Truppe direkt angegliedert waren, hatten irgendetwas gerochen und wollten bei uns bleiben. Ich ordnete an, daß unter denen, die sich bis zu diesem Zeitpunkt am besten verhalten hatten, eine Auswahl getroffen, sie wie Kubaner behandelt und mitgenommen werden sollten. Masengo stellte mir frei, zu tun, was ich für richtig hielt.
Für mich war es eine Schlüsselsituation. Zwei Männer (...) würden zurückgelassen werden müssen, so sie nicht innerhalb weniger Stunden einträfen; kaum wären wir fort, würde sich innerhalb wie außerhalb des Kongo eine Flut von Verleumdungen über uns ergießen; meine Truppe war ein heterogenes Gebilde, meinen Nachforschungen zufolge konnte ich auf bis zu zwanzig Mann zählen, die mir folgen würden, wenn auch nur mit zusammengebissenen Zähnen. Doch was sollte ich daraufhin tun? Alle kongolesischen Chefs hatten sich zurückgezogen, und die Bauern begegneten uns zusehends feindseliger. Doch die Vorstellung, vollständig abzuziehen und zu gehen, wie wir gekommen waren, um dort wehrlose Bauern und bewaffnete, aber wegen ihrer geringen Kampftauglichkeit ebenso wehrlose Männer zurückzulassen, besiegt und mit dem Gefühl, verraten worden zu sein, schmerzte mich tief.
Im Kongo zu bleiben, wäre für mich kein Opfer gewesen, weder für ein Jahr noch für fünf Jahre, wie ich es meinen Leuten angedroht hatte. Es war Teil meiner Vorstellung vom revolutionären Kampf, wie ich ihn im Geiste schon klar vor mir sah. Ernsthaft konnte ich nur damit rechnen, daß sechs oder sieben Mann mich begleiten würden, ohne die Stirn zu runzeln. Der Rest würde es aus Pflichtgefühl tun, einige aus einem Gefühl persönlicher Verpflichtung mir gegenüber, andere aus einer moralischen gegenüber der Revolution; und ich würde Männer opfern, die nicht voller Enthusiasmus kämpfen konnten. Vor nicht allzu langer Zeit hatte ich das selbst miterleben können; ich hatte mich in ein Gespräch eingemischt, in dem sie sich scherzhaft an mich gewandt hatten, um mich über einige kongolesische Führer auszufragen, und meine Antwort war heftig gewesen; ich hatte ihnen gesagt, zunächst müßten wir uns nach unserem eigenen Verhalten fragen, ob wir wirklich, Hand aufs Herz, behaupten konnten, dieses sei immer richtig gewesen. Ich glaubte es nicht. Es entstand eine bedrückende, feindselige Stille.
In Wahrheit war mir die Möglichkeit hierzubleiben bis in die letzten Stunden der Nacht durch den Kopf gegangen, und vielleicht habe ich ich mich nie wirklich entschieden und bin nur ein weiterer Flüchtling gewesen.
FIDEL: Diese Bewegung stand noch am Anfang, es mangelte ihr an Stärke und Einheit. Am Ende waren es die Revolutionsführer der früheren belgischen Kolonie selbst, die beschlossen, den Kampf einzustellen, und unsere Leute wurden abgezogen. Diese Entscheidung war auch dringend geboten. Wir stellten fest, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht daran zu denken war, den Kampf fortzusetzen.
VIDEAUX: Etwas später wird uns die Nachricht aus Kuba bestätigt, daß unser Vorschlag, über die Berge und den Dschungel hinweg Kontakt zu Mulele aufzunehmen, abgelehnt worden ist. Daß mit allen Mitteln versucht werden sollte, heil herauszukommen. Am Nachmittag wird angeordnet, daß wir uns auf die Abfahrt vorbereiten sollten. Es mußte mit großer Diskretion geschehen. Wir waren inmitten einer Menge von kongolesischen Guerilleros und Zivilisten, die sich vor dem Vormarsch der Belgier dorthin geflüchtet hatten, die alles dem Erdboden gleichmachten.
Es war ein eindrucksvolles Spektakel. Die Menge bestand aus Verletzten, Kranken, Frauen und Kindern, Alten, Menschen auf der Flucht. Um sie alle herauszubringen, brauchte es etliche Schiffe, aber diese Schiffe existierten nicht. Alles was es gab, waren die zwei Boote, die Changa mitbringen sollte; zwei Schnellboote von beträchtlicher Stärke. Aber wir hatten Zweifel, ob Changa mit den Booten auch durchkommen würde, denn die Belgier hatten die Kontrolle über den See und das Ufer verschärft. Obwohl ich nicht glaube, daß sie große Lust hatten, uns anzugreifen. Nicht weil sie Angst vor uns hatten, oder weil sie glaubten, wir könnten sie besiegen. Dazu wußten sie schon zuviel über Anzahl und Kampfestauglichkeit dieser Gruppe Kubaner, sondern weil sie mit Sicherheit Verluste haben würden, denn wir würden kämpfen bis zum Schluß. Wir hoben weiterhin Schützengräben aus, um erbitterten Widerstand zu leisten, falls sie vorrücken sollten.
Wir mußten so nahe wie möglich bei Kibamba bleiben, weil Lawton, der mit den Booten kommen sollte, nicht genau über unsere neue Position Bescheid wußte und möglicherweise versuchen würde, in Kibamba an Land zu gehen. Und in Kibamba stand schon der Feind. Mehr schlecht als recht war die Botschaft übermittelt worden, daß wir nicht mehr dort waren, und so kannte er unseren neuen Standort nicht genau. Wir hatten keine direkte Verbindung zu Lawton, sondern zu einer Stelle in Kigoma, von der aus auch an Pablo Rivalta in der kubanischen Botschaft in Daressalam weitergesendet wurde. Um auf uns aufmerksam zu machen, ließen wir mehrere Männer an verschiedenen Orten am See zurück, damit sie das Signal gaben, falls Lawton auftauchte.
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