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Mon Jun 11 11:34:52 2001
 

Inhaltsverzeichnis Inhalt Das Jahr, in dem wir nirgendwo Aufwärts

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Che in Daressalam


FIDEL: Che ging nach Tansania, um abzuwarten.


POMBO: Ich blieb bei ihm, und wir machten uns auf den Weg in die Hauptstadt Daressalam.

RIVALTA: Ich räumte einen Teil meiner Residenz für mich und den Funker frei. Der Che sollte dort einziehen können, ohne Aufsehen im oberen Stockwerk zu erregen. Er trug immer noch lange Haare, später begann die Verwandlung.

Kurz nach seiner Ankunft in Daressalam beginnt Che auf der Grundlage seines Tagebuches, das er während dieser Monate mit peinlicher Genauigkeit geführt hat, ein Manuskript zu verfassen, das den Titel tragen sollte: »Passagen des revolutionären Krieges (Der Kongo)«.


RIVALTA: Ausgehend von seinen Notizen begann er dem Compañero Colman die folgenden zwei oder drei Wochen über zu diktieren. Er arbeitete Tag und Nacht, ohne Unterlaß. Nur manchmal lenkte er sich ab und spielte mit mir einige Partien Schach. Eines Tages, als ich ihn schachmatt setze, sieht er mich an, als ob er gar nichts mitbekommen hat, als ob er nicht wirklich bei der Sache war.

Der Text war »Bahaza und seinen gefallenen Compañeros gewidmet, um ihrem Opfer einen Sinn zu geben«.

CHE: Dies ist die Geschichte eines Scheiterns. Sie begibt sich hinab in anekdotische Details, wie es sich für Episoden aus Kriegen gehört, doch geprägt ist sie von Beobachtungen und kritischen Einschätzungen. Denn ich glaube, wenn diese Erzählung irgendeine Bedeutung hat, so die, daß sie einige Erfahrungen vermittelt, die für andere revolutionäre Bewegungen von Nutzen sein können. Der Sieg ist eine große Quelle positiver Erfahrungen, aber ebenso ist es die Niederlage, und dies meiner Ansicht nach umso mehr, wenn die handelnden Personen Ausländer sind, die ihr Leben auf unbekanntem Territorium aufs Spiel gesetzt haben, in einem Land mit einer anderen Sprache, mit dem sie nur die Bande des proletarischen Internationalismus teilten, um eine Methode zu begründen, wie sie in den modernen Befreiungskriegen noch niemals angewandt worden ist.

(...) Genauer gesagt ist dies die Geschichte eines allmählichen Untergangs. Als wir kongolesisches Gebiet betraten, war die Revolution bereits in einer Phase des Niedergangs, später ereigneten sich Dinge, die zu ihrer völligen Auflösung führten, wenigstens für diesen Moment und für dieses enorme Schlachtfeld, das der Kongo darstellt.

Die Erzählung wird durch einen Epilog abgeschlossen, der die Fragen des Kampfes in Afrika und im allgemeinen die des nationalen Befreiungskampfes gegen die neokoloniale Form des Imperialismus erörtert. Diese ist die gefährlichste unter allen seinen Formen, denn sie tritt subtil und verschleiert auf, was die imperialistischen Mächte ihrer langen Erfahrung in dieser Variante der Ausbeutung verdanken.


Auf mehr als hundertfünzig eng beschriebenen Seiten mit einigen kurzen handschriftlichen Anmerkungen blickt Che Guevara nach und nach auf die Geschichte zurück, die er von April an erlebt hat, um am Ende eine persönliche Bilanz zu ziehen, die einen Ausblick auf die Zukunft gibt.

CHE: Es gilt die schwierigste aller Analysen zu ziehen, diejenige meines persönlichen Verhaltens. Ich habe die selbstkritische Analyse so weit vorangetrieben, wie ich konnte, und bin zu folgenden Schlußfolgerungen gekommen: im Hinblick auf die Beziehungen mit der revolutionären Führung war ich durch die reichlich anormale Weise gehemmt, auf die ich in den Kongo gekommen war, und es gelang mir nicht, dieses Hindernis zu überwinden. In meinen Reaktionen war ich unausgeglichen; über lange Zeit hielt ich es mit einer Einstellung, die als zu wohlwollend bezeichnet werden muß, und zuweilen hatte ich sehr scharfe und verletzende Ausbrüche; vielleicht eine mir von Geburt an innewohnende Eigenschaft.

Der einzige Bereich, in dem ich ohne Zweifel korrekt vorging, war der Umgang mit den Bauern, denn ich bin mehr gewöhnt an die politische Rede, die direkte Erklärung, der das eigene Beispiel vorausgeht; und ich glaube, ich habe auf diesem Feld Erfolg gehabt. Aber ich habe nicht schnell und umfassend genug Kisuaheli gelernt; ein Fehler, der in erster Linie auf die Kenntnis des Französischen zurückzuführen ist, was mir zwar erlaubte, mich mit den Führern zu verständigen, mich jedoch von der Basis entfernte. Es mangelte mir an Willen, die nötige Anstrengung zu unternehmen.

Was den Kontakt zu meinen Männern anbelangt, glaube ich, aufopferungsvoll genug gewesen zu sein und mir von niemandem Vorwürfe in persönlicher und physischer Hinsicht machen lassen zu müssen. Doch waren meine beiden hauptsächlichen Schwächen im Kongo ohnehin befriedigt: der Tabak, an dem es mir selten gefehlt hat, und die Lektüre, die stets im Überfluß zur Verfügung stand. Die Unbequemlichkeiten eines Paars kaputter Schuhe, schmutziger Wäsche oder der Alltagskost der Truppe und des Lebens unter den gleichen Bedingungen wie diese, bedeuten für mich kein Opfer. Vor allem die Tatsache, daß ich mich zurückzog, um zu lesen, vor den alltäglichen Problemen floh, entfernte mich vom Kontakt mit den Männern, ganz zu schweigen von bestimmten Aspekten meines Charakters, die es nicht leicht machen, intim zu werden. Ich bin hart gewesen, doch ich glaube, weder im Übermaß noch ungerechterweise. Ich griff zu Methoden, die in normalen Armeen ungebräuchlich sind, wie das Streichen von Mahlzeiten: Es sind die einzig effizienten, die ich für die Zeiten der Guerilla kenne. Zu Beginn wollte ich strenge moralische Regeln anwenden und scheiterte damit. Ich wollte, daß meine Truppe denselben Standpunkt gegenüber der Situation einnahm wie ich und scheiterte. Sie waren außerstande, optimistisch in eine Zukunft zu schauen, die erst durch die schwarzen Wolken der Gegenwart erspäht werden mußte.

Im entscheidenden Moment wagte ich nicht, das äußerste Opfer zu verlangen. Es war ein inneres psychisches Hemmnis. Für mich war es sehr einfach, im Kongo zu bleiben. Vom Gesichtspunkt der Selbstachtung des Kämpfers war es das, was getan werden mußte; von demjenigen meines Wirkens in der Zukunft, wenn nicht das günstigste, so doch im Moment gleichgültig. Als ich eine Entscheidung treffen mußte, kehrte es sich gegen mich, daß ich wußte, wie leicht mir das entscheidende Opfer fiel. Ich denke, daß ich mich innerlich vom Ballast der Selbstkritik hätte befreien und einer bestimmten Anzahl Compañeros diese letzte Geste hätte abverlangen müssen, wenigen nur, doch wir hätten bleiben müssen.

Und schließlich lastete auf meinen Beziehungen zur Mannschaft, ich spürte das deutlich, obwohl es vollkommen subjektiv ist, der Abschiedsbrief an Fidel. Dieser führte dazu, daß die Compañeros in mir wie vor vielen Jahren, als ich in die Sierra kam, einen Ausländer sahen, der Kontakte zu Kuba hatte; in jenem Moment war ich eben angekommen, und nun hatte ich mich verabschiedet. Es gab bestimmte Dinge, die wir schon nicht mehr gemein hatten, bestimmte gemeinsame Sehnsüchte, von denen ich offen wie im stillen zurückgetreten war und die für jeden Einzelnen das Heiligste sind: seine Familie, sein Land, seine Umgebung. Der Brief, der so viele lobende Kommentare in Kuba hervorgerufen hatte, trennte mich nun von den Kämpfern.

Vielleicht erscheinen diese psychologischen Erwägungen bei der Analyse eines Kampfes von nahezu kontinentaler Bedeutung fehl am Platze. Doch ich halte an meinem Konzept des Fokus fest; ich war der Anführer einer Gruppe von Kubanern, nicht mehr als einer Kompanie, und meine Funktion bestand darin, wirklich zu ihrem Chef zu werden, der sie zum Sieg führte und die Entwicklung einer tatsächlichen Volksarmee begründete, doch meine besondere Situation machte mich zugleich zum Soldaten, zum Vertreter einer ausländischen Macht, zum Ausbilder von Kubanern wie Kongolesen, zum Strategen und zum einflußreichen Politiker auf einer unbekannten Bühne. Und zu einem Cato, einem zähen und sich wiederholenden Aufseher, was meine Beziehungen zu den Revolutionsführern anging. Beim Ziehen so vieler Fäden bildete sich ein gordischer Knoten, den zu durchschlagen ich nicht entschlossen genug war. Wenn ich in höherem Maße Soldat gewesen wäre, hätte ich mehr Einfluß auf die anderen Aspekte meiner komplizierten Beziehungen gehabt. Ich habe davon erzählt, wie es mich bis zu dem Extrem getrieben hat, meine teure Person, den Kader zu beschützen, und das in Momenten, in denen das Desaster, in das ich mich verstrickt sah, besonders große Ausmaße erreichte; und wie ich mich im entscheidenden Moment nicht über subjektive Überlegungen hinwegzusetzen vermochte.


GENGE: Um von Ernesto Che Guevara zu sprechen, muß man überzeugt sein von dem, worüber man spricht, ohne volkstümlich zu werden oder die eigene Person in den Vordergrund zu stellen. Es geht nicht um dich selbst, wenn du wirklich von Ernesto Che Guevara sprechen willst. Ich werde im Che immer meinen Chef, meinen Lehrer und meinen Freund sehen, der uns viel gelehrt und uns oft zum Lachen gebracht hat.

CHE: Ich habe im Kongo dazugelernt; es gibt Fehler, die ich nicht mehr begehen werde, vielleicht werde ich andere wiederholen und in einige neue verfallen. Obwohl wir gescheitert sind, bin ich mit einem tieferen Glauben in den Guerillakampf zurückgekehrt denn je. Meine Verantwortung ist groß; ich werde weder die Niederlage vergessen noch ihre kostbaren Lehren.

Das fertige Manuskript wurde während der ersten Monate des Jahres 1966 von Che Guevara mit letzten Anmerkungen versehen, doch es sollte nie veröffentlicht werden.

CHE: Wenn diese Notizen veröffentlicht werden, wird viel Zeit seit ihrer Aufzeichnung vergangen sein, und vielleicht wird der Autor für das, was hier gesagt wird, nicht mehr verantwortlich gemacht werden können. Die Zeit wird viele Wunden geheilt haben, und wenn ihr Erscheinen noch irgendeine Bedeutung hat, mögen die Herausgeber die Korrekturen anbringen, die sie für nötig halten, um im Lichte der inzwischen vergangenen Zeit Klarheit in die Meinungen und Ereignisse zu bringen.

RIVALTA: Am Anfang mußte ich ihm zureden, schließlich war er einverstanden. Ich übernahm die Abwicklung. Ich schrieb an Havanna und äußerte meine Überzeugung, daß die Möglichkeiten gegeben waren, und so kam es, daß seine Frau Aleida nach Daressalam kam. Sie wohnten in der Residenz. Der Che war sehr zufrieden, sehr glücklich. Sie sprachen über die Kinder, umarmten sich.

Ich sagte ihm, daß man Vorkehrungen treffen müßte, den Kampf im Kongo wiederaufzunehmen. Er verneinte; er hatte schon ein neues Projekt im Sinn und war überzeugt davon, daß die Bedingungen nicht ausreichten. Wir waren praktisch ohne Unterstützung geblieben.

Vor seiner Abreise veränderten wir sein Aussehen. Ich ging los und kaufte auf dem Markt eine Schermaschine, Scheren, Kämme, Rasierapparat. Ich machte mein Friseurexamen, der Kurzhaarschnitt gelang mir sehr gut. Danach steckte ich ihm eine Zigarre in den Mund.


Auf dem einzigen Foto, das Rivalta gemacht hatte, und das später um die Welt gehen sollte, hebt Che die Augen mit der Zigarre im Mund, nicht wiederzuerkennen mit seinem neuen Aussehen, mit dem er unter dem Namen Adolfo Mena in Bolivien einreisen sollte.

RIVALTA: Ein Mann vom Innenministerium in Havanna, Eddy Suñol, kam hierher, nur um uns bei der Maskerade zu helfen. Prothese, Linsen. Wir machten die Probe mit ihm, ob er ihn erkannte oder nicht. Er sprach lange mit ihm und erkannte ihn nicht. Auf einmal bemerkte er etwas an seinem Akzent: »Ah, du bist Argentinier, du Mistkerl.«

Dann verabschiedete der Che sich von Aleida. Sie blieb bis nach seiner Abreise.


POMBO: Wir trafen uns daraufhin in einem europäischen Land, wo wir einige Monate blieben. Dann kehrte er nach Kuba zurück. Später habe ich ihn auch nach Bolivien begleitet.

Ches letzte Worte über den Kongo waren in der Botschaft enthalten, die er an die Trikontinentale schickte:

CHE: Noch immer beobachten wir im Kongo den Kampf zwischen den Nachfolgern Lumumbas und den alten Komplizen von Tshombé, einen Kampf, der sich zum jetzigen Zeitpunkt zum Vorteil der letzteren zu neigen scheint; diejenigen, die zu ihrem eigenen Nutzen einen Großteil des Landes befriedet haben, obwohl der Krieg nach wie vor latent ist.

GENGE: Die Lage war weiterhin schwierig. Es sollten noch viele Dinge geschehen. Obwohl die Regierung sagte, wer sich ein weißes Tuch um den Kopf binde, werde begnadigt, war es nicht so einfach. Mulele wurde aufgehängt, Masengo gevierteilt, und andere, die sich ergeben hatten, wurden drakonisch bestraft.

DREKE: Die Revolution im Kongo war bereits verloren, als wir ankamen, aber es ist immer etwas Trauriges, der Niederlage einer Revolution beizuwohnen.



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