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Inhaltsverzeichnis Inhalt Das Jahr, in dem wir nirgendwo Aufwärts

Voherige Seite Vorbemerkung der Verfasser Pablo geht nach Afrika Nächste Seite

Den Kongo suchen


Am 17. Dezember 1964, im Alter von 36 Jahren, verließ Ernesto Che Guevara, der damalige Industrieminister der jungen kubanischen Revolution, New York, wo er an der Vollversammlung der Vereinten Nationen teilgenommen hatte, in Richtung Algerien. Dieser Aufbruch sollte der Anfang einer langen Reise über den afrikanischen Kontinent sein.

Während seines Aufenthalts in Algier gab der Che einige Interviews. In diesen beurteilte er die Perspektive für die afrikanische Revolution sehr optimistisch:


CHE: Afrika repräsentiert eines, wenn nicht sogar das wichtigste Schlachtfeld. (...) Es bestehen große Erfolgsaussichten in Afrika, aber auch große Gefahren.

Welche Rolle spielte für ihn damals die afrikanische Revolution?

Wie um in kürzester Zeit das größtmögliche Gebiet zu durchmessen, als sei Afrika schon jetzt das neue Objekt seines Interesses und seiner Obsession gewesen, eilte Che über den Kontinent, knüpfte Beziehungen zu den neuen progressiven Staatschefs, diskutierte mit Leitfiguren der Befreiungsbewegungen, sprach mit Studenten und Journalisten, besuchte Guerilla-Basen, Stauseen, zoologische Reservate, Naturschutzparks, neue Fabriken, flog von Flughafen zu Flughafen und führte Gespräche mit den Präsidenten der wichtigsten Länder der antikolonialen Bewegung.

Am 26. Dezember 1964 reiste er nach Mali, und am 2. Januar 1965 traf er in Brazzaville ein, der Hauptstadt der ehemaligen französischen Kolonie Kongo. Dort traf er mit dem angolanischen Revolutionsführer Agostinho Neto zusammen, um diesem gemäß der Instruktionen Fidel Castros die Solidarität mit der entstehenden revolutionären Bewegung in Form von kubanischen Guerilla-Ausbildern anzubieten.

Am 8. Januar 1965 war er in Conakry (Guinea), und am 14. erreichte er Ghana. Sieben Tage später traf er in Dahomey ein. Mit unglaublicher Geschwindigkeit und Besessenheit, ganz wie es sein Stil war, als ob er alles erfahren, alles umfassen müßte, bereiste er so viele Teile Afrikas, wie er nur konnte. Am 30. Januar befand er sich aufs neue in Algerien. Und dann, zur Überraschung interessierter Beobachter und insbesondere der nordamerikanischen Geheimdienste, reiste er nach China. Dort traf er mit Mao und vor allem mit Chou En Lai, dem damaligen chinesischen Außenminister, zusammen und blieb vom 2. bis zum 11. Februar.

Am 11. Februar wurde er in der Hauptstadt Tansanias, Daressalam, vom kubanischen Botschafter Pablo Rivalta empfangen. Acht Tage sollte er dort bleiben, einer der längsten Aufenthalte während der gesamten Reise. Was brütete Che aus?


PABLO RIVALTA: Während eines Palastempfangs in Daressalam kam Che in Kontakt zu Präsident Nyerere. Der Präsident sah ihn und fragte: »Wer ist das?« Sie begrüßten sich und redeten miteinander. Sie sprachen über die Unterstützung für Tansania. Es kam in diesem Gespräch sogar zu einer Vereinbarung über eine kleine Textilfabrik und ein paar andere kleine Hilfsprogramme, vor allem medizinische und technische. Das alles ergab sich bei einem vollkommen inoffiziellen Treffen. Der Besuch war nicht angekündigt, doch der Che tauchte einfach mit mir im Palast auf. Es wurde auch über die Unterstützung der revolutionären Bewegungen gesprochen. Nyerere war einverstanden.

Doch die wichtigsten Gespräche sollten nicht mit dem Präsidenten von Tansania, sondern mit den bewaffneten revolutionären Gruppen in Afrika geführt werden, vor allem mit den lumumbistischen Kongolesen, die in Tansania ihre Nachhut stationiert hatten. Che schrieb später:

CHE: Überaus lehrreich war der Besuch in Daressalam, Aufenthaltsort einer beträchtlichen Anzahl von freedom fighters, die in ihrer Mehrheit bequem in Hotels untergebracht leben und aus ihrer Situation einen richtigen Beruf gemacht haben, ein zuweilen lukratives und immer behagliches Gewerbe. In dieser Atmosphäre fand eine Reihe von Gesprächen statt, in denen zumeist militärisches Training auf Kuba und finanzielle Hilfe gewünscht wurden. Dies war fast immer das Leitmotiv. Ich lernte auch eine Gruppe kongolesischer Kämpfer kennen. Seit dem ersten Treffen hatten wir Gelegenheit gehabt, die außergewöhnliche Menge unterschiedlicher Meinungen und Tendenzen präziser einzuschätzen, die es in der Führungsgruppe der kongolesischen Revolution gibt. Zunächst bekam ich Kontakt zu Kabila und seinem Generalstab. Er machte einen ausgezeichneten Eindruck auf mich, er sagte, er sei aus dem Landesinneren gekommen; es scheint, als sei er bloß in Kigoma gewesen [ein tansanischer Grenzort am Ufer des Tanganyika-Sees, von dem aus in den Kongo übergesetzt wurde]. Die Darlegung Kabilas war klar (...), er ließ durchblicken, daß er in Opposition zu Gbenye und Kauza stand und nur sehr begrenzt mit Soumaliot übereinstimmte. Kabilas These war, daß man nicht von einer kongolesischen [revolutionären] Regierung reden kann, da Mulele, der den Kampf begonnen hatte, nicht gefragt worden sei, weswegen der Präsident für sich nur den Titel eines Regierungschefs für den nordöstlichen Kongo beanspruchen könnte. Mit dieser Auffassung entzog er auch seine eigene Zone, den Südosten, den er als Vizepräsident der Partei kontrollierte, dem Einfluß Gbenyes (...). Wir sprachen mit Kabila lange über das, was nach Einschätzung unserer Regierung einen strategischen Fehler unserer afrikanischen Freunde darstellte: Gegen die offenkundige Aggression durch die imperialistischen Mächte hatten sie die Parole »Das Kongo-Problem ist ein afrikanisches Problem« ausgegeben und entsprechend gehandelt. Nach unserer Einschätzung war das Kongo-Problem ein globales Problem, und Kabila war der gleichen Meinung. Ich bot ihm im Namen der Regierung etwa dreißig Ausbilder und im Rahmen unserer Möglichkeiten Waffen an, und er akzeptierte hocherfreut; er riet bei beiden Dingen zur Eile, ebenso wie Soumaliot in einem anderen Gespräch; letzterer empfahl, daß die Ausbilder schwarz sein sollten.

RIVALTA: In den Gesprächen mit Kabila und Soumaliot war ursprünglich von dreißig Ausbildern die Rede gewesen (später machten wir ihm den Vorschlag, daß es hundertdreißig sein sollten). Ich sprach mit dem Che über diese Gruppe von Kubanern, die zur Unterstützung des bewaffneten Kampfes in den Kongo gehen sollten. Ich dachte, und schlug ihm das auch vor, an Víctor Dreke als Kommandeur, weil er schwarz war und sie dort schwarze Kämpfer verlangt hatten, und außerdem, weil wir wußten, wie er in Escambray gekämpft hatte; überdies dachte ich an Efigenio Ameijeiras, der schon in Algerien gewesen war, und außerdem kannte ihn der Che aus der Sierra Maestra und wußte von seiner Tapferkeit und Waghalsigkeit. Ich schlug die beiden dem Che vor, und außerdem mich selbst. Der Che antwortete mir nicht, sondern lächelte in sich hinein.

Bei diesem Angebot einer kubanischen Brigade handelte Che Guevara nicht aus eigener Initiative, sondern angeregt durch Fidel Castro, der damit auf die Hilfsgesuche des Nationalkongresses der kongolesischen Revolution reagierte, die ihn zuvor um Unterstützung ersucht hatten. Im gleichen Sinne hatte Che die Gespräche mit Nyerere und mit Massemba-Debat in Brazzaville geführt, um die Unterstützung und Rückendeckung jenseits der Grenzen zu sichern.

Aufgrund dieser Unterredung beschloß Che, in getrennten Gesprächen bei den von ihm so genannten freedom fighters die Lage zu sondieren. Doch die Botschaft organisierte irrtümlich eine tumulthafte Versammlung


CHE: ... mit fünfzig oder mehr Teilnehmern, teilweise aus unterschiedlichen Tendenzen oder Bewegungen im Land ...

Dort analysierte er die Gesuche um Ausbilder und Geld, ausgehend von der kubanischen Erfahrung:

CHE: Der revolutionäre Soldat formt sich selbst im Krieg (...). Ich schlug ihnen vor, die Ausbildung nicht in unserem fernen Kuba, sondern im nahen Kongo durchzuführen, wo nicht etwa gegen irgendeine Marionette wie Tshombé, sondern gegen den Imperialismus in seiner neokolonialen Gestalt gekämpft wurde (...). Die Reaktion war mehr als kühl; die Mehrheit enthielt sich jeden Kommentars, doch baten einige um das Wort, um mich heftig für diesen Vorschlag anzugreifen (...). Ich versuchte ihnen darzustellen, daß es hier nicht um einen Kampf in den eigenen Grenzen, sondern um einen Krieg gegen den gemeinsamen Unterdrücker ging, der ebenso in Moçambique wie in Malawi, Rhodesien oder Südafrika, im Kongo oder in Angola gegenwärtig war, doch niemand teilte diese Auffassung.

Distanziert und höflich verabschiedeten sie sich, und bei uns blieb ein starker Eindruck davon zurück, was für einen weiten Weg Afrika noch würde gehen müssen (...). Die feste Aufgabe bestand nun darin, eine Gruppe von schwarzen Kubanern auszuwählen und diese, natürlich freiwillig, zur Unterstützung des Kampfes in den Kongo zu schicken.


Nach einer Reihe solcher Treffen führte Che ein Gespräch mit Rivalta, das dem kubanischen Botschafter in Tansania merkwürdig vorkam:

RIVALTA: Er sagte mir am Ende, daß er überprüfen würde, ob ich gut Kisuaheli lernte, aber ich hielt mich nicht lange bei dieser Bemerkung auf. Wenn ich in diesem Moment genauer darüber nachgedacht hätte, wäre ich zu dem Schluß gekommen, daß er, wenn er es schon überprüfen wollte, dann eines Tages auch wieder hierherkommen müßte. Aber gut, diesen Schluß zog ich damals nicht. Er bemerkte, ich hätte viele Bedienstete, viele Angestellte in der Botschaft, da ich möglichst viele verpflichtet hatte, um die Berichterstattung und den Einfluß auszuweiten, und daß ihm das nicht gefiel. Unmittelbar nachdem er gegangen war, reduzierte ich das Personal um die Hälfte.

Am 19. Februar war Che in der Vereinigten Arabischen Republik und am 24. des gleichen Monats zum dritten Mal in Algerien.

RIVALTA: Ich begleitete ihn. Wir reisten zusammen nach Kairo. Er traf sich mit Nasser, sprach mit ihm. Danach wollte er in den Sudan, doch wir überzeugten ihn, daß es keine Möglichkeit gab hineinzukommen. Daraufhin fuhr er nach Algerien. Im Hotel verfaßte er diese berühmte Rede. Er sagte zu mir: »Lies das, und danach gibst du es mir zurück und sagst mir deine Meinung.« Ich sagte ihm, die Rede sei sehr gut. Er betonte die Notwendigkeit, die Beziehungen zwischen den sozialistischen Ländern und den nationalen Befreiungbewegungen zu vertiefen. Nachdem er die Rede gehalten hatte, spazierte er zufrieden herum. Auf die Führer der Befreiungsbewegungen hatte er einen guten Eindruck gemacht.

Der Beitrag vom 24. Februar auf dem II. Ökonomischen Seminar der Afroasiatischen Solidarität in Algier enthielt mehrere Bemerkungen zur Intervention der Imperialisten in Afrika, und insbesondere den ausdrücklichen Satz:

CHE: Auf den unheilvollen Angriff des nordamerikanischen Imperialismus gegen Vietnam oder den Kongo muß geantwortet werden, indem diesen Bruderländern alle Mittel zur Verfügung gestellt werden, die sie zu ihrer Verteidigung benötigen, und indem wir ihnen unsere bedingungslose Solidarität beweisen.

Und noch eine weitere Anspielung auf den Kongo:

CHE: Der Kolonialismus hat im Kongo seine Klauen gezeigt, dies ist kein Zeichen von Macht, sondern von Schwäche.

Der Kongo, wo die Marionettenregierung Tshombés mit der Hilfe weißer Söldner gegen die lumumbistischen Guerillas kämpfte, schien Ches neue Obsession zu sein.

Am 3. März ist er aufs neue in der Vereinigten Arabischen Republik und am 14. März beendet er die Reise in Havanna. Er verläßt den Flughafen gemeinsam mit Fidel, der zu seinem Empfang gekommen ist. Offenbar verbringen sie die nächsten zwei Tage mit Gesprächen. Öffentlich sollte man Che nur noch selten sehen. Der letzte verbürgte öffentliche Auftritt ist der Vortrag, den er noch als Minister für Industrie über seine jüngste Afrikareise hält. Er legt den Schwerpunkt auf den afrikanischen Einfluß im kubanischen Alltagsleben: Malerei, Musik, Gebräuche ... Ein Abschied wie jeder andere.


RAUL ROA: Während er gemächlich den aromatischen Rauch seines Tabaks genoß, spielten die Hände mit der schwarzen Baskenmütze, auf welcher der Stern leuchtete, der mit Verhaftungen, Entbehrungen und Heldentaten verdient worden war. Plötzlich stand er auf und sagte zu mir, mit einem herzlichen Handschlag, in der Art eines Abschieds: »Morgen fahre ich nach Oriente, für einen Monat zum Zuckerrohrschneiden.« »Eh, kommst du nicht mit uns mit?« »Nein. Diesmal nicht.« Und auf seine einfache Art, etwas kurzatmig und mit seinem charakteristischen Schritt, ging er davon und grüßte jeden, der ihm im Garten des Ministeriums über den Weg lief.



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