Inhalt | Das Jahr, in dem wir nirgendwo |
Che will nicht im Lager bleiben | Die Verstärkung trifft ein |
VIDEAUX: Damals schlug Fidel einer Gruppe, die noch über keine Kampferfahrung verfügte, vor, daß sie einen Marsch durch die Sierra Maestra unternehmen sollte. Man berief mich an die Spitze dieser Gruppe, etwa fünfunddreißig Mann. Hinauf von La Vega de Jibacoa nach Minas del Frío, danach auf den Jigüe, vom Turquino hinunter über den Zapato, weiter über Minas de San Miguel zum Pino del Agua, vom Oro de Guisa in die Schlucht von Santa Bárbara. Ein Marsch von siebeneinhalb Tagen. Wir verlängerten die Etappen und machten es in fünf Tagen. Besonders ein Compañero, Genge, unternahm eine gewaltige Anstrengung; er machte den gesamten Marsch mit, obwohl er ein Stück von einer Platine im Fuß hatte. Wir reisten über Santiago ab. Das Flugzeug, mit dem wir dann geflogen sind, kam beim ersten Mal von der Piste ab. Es gab keine Verletzten. Am Tag darauf kehrten wir mit der Ausrüstung nach Havanna zurück. Wir belegten einige Häuser in Miramar und Siboney und machten uns gewissenhaft und diskret an die Vorbereitungen. Wir scherten uns gegenseitig die Köpfe. Ein letztes Mal besuchte uns Fidel. In dem Haus, wo ich wohnte, waren wir zu viert. Sie bereiteten unsere Pässe vor, änderten unsere Namen, wenn wir dort angekommen wären, würden wir bereits anders heißen und am Ende einen Namen auf Kisuaheli bekommen, aber ich unterschrieb aus Versehen mit meiner eigenen Unterschrift. »Und wo soll ich jetzt einen neuen Paß her bekommen?« fragte mich der Beamte, weil die Pässe vom Außenminister unterschrieben werden mußten. Aber es war nicht so ernst gemeint, er kam mit einem neuen Paß zurück, und ich unterschrieb mit meinem neuen Namen. »Nachher kommt der Chef hierher.« Wir vertrieben uns die Zeit mit ein paar Filmen. Fidel traf ein und bat uns, ihn in den Speisesaal zu begleiten. Er gab uns eine Reihe von Erläuterungen über den afrikanischen Kontinent, die Gebräuche, das Essen, die Lebensformen, wie schwierig es werden würde, sich auf das alles einzustellen, daß davon eine Menge abhängen würde. Er sprach fast zwei Stunden zu uns und verabschiedete sich dann.
Sie brachen in mehreren Gruppen auf.
GENGE: Im Flugzeug nach Tansania, Zwischenlandungen in Prag und Kairo. Hotel President in Prag, das Atlas in Kairo.
VIDEAUX: Wir konnten kaum einen Blick auf Paris werfen, weil die Freizeit sehr streng geregelt war. Aber es gelang uns immer, zu entkommen und eine kleine Runde zu drehen. Wir gingen zum Eiffelturm und ein bißchen durch die Straßen in der Nähe des Hotels. Dann nahmen wir ein Flugzeug nach Algerien. Als wir in Algier ankommen, empfangen uns der Botschafter, Papito Serguera, und der erste Sekretär, Oramas Oliva, am Flughafen. Und als wir im Auto saßen, hörten wir im Radio, daß das Flugzeug, mit dem wir weiter nach Kairo fliegen sollten, einen Unfall gehabt hatte und daß einige Leute umgekommen waren. Darauf sagte Óscar Oramas zu uns: »Also, was ihr jetzt tun müßt, ist darauf anstoßen, daß ihr noch lebt.« Und das taten wir. Wir drehten eine Runde durch Algier, aßen Kamelsteak und feierten, daß wir um den tödlichen Flug herumgekommen waren. Später dann in Kairo trafen wir uns mit Compañeros, die zwei Säcke voller Waffen und Gerät dabei hatten. Es handelte sich um die Waffen, die aus Kuba geliefert worden waren, auf wer weiß welchem Weg, und die sich nun auf einmal hier wiederfanden. Man übergab uns dort ein Paket mit Waffen, das wir bei unserer Weiterreise mitnehmen sollten. Sie wiesen uns an, bei den Zwischenlandungen bis zur Ankunft in Tansania nicht aus dem Flugzeug zu steigen und die Waffen nicht unbeaufsichtigt zu lassen. Unser Flug ging von Kairo nach Tansania mit einer technischen Zwischenlandung in Kenia. Dort wollen sie, daß wir aussteigen, und wir erklären, daß wir nicht aussteigen könnten ... Sie bestanden darauf, daß wir aussteigen sollten und wir, daß wir nicht aussteigen konnten, und schließlich blieben wir dort, mit der Waffenladung zwischen den Füßen. Am Schluß machte der Bursche von der Crew noch eine Geste, als wollte er sagen: »Gut, macht was ihr wollt, ihr werdet schon sehen.« Die Maschinen wurden abgeschaltet und damit auch die Klimaanlage. Und nach kurzer Zeit erstickten wir fast vor Hitze, es wurde unerträglich heiß. Als die Mannschaft zurückkam, lachten sie sich über uns fast kaputt. Wir blieben ernst und flogen weiter nach Tansania. Als wir dort ausstiegen und dachten, nun hätten die ganzen Schwierigkeiten ein Ende, hielt uns, als wir den Zoll schon passiert hatten, die Polizei an und sagte, wir müßten unser Gepäck anmelden. Der Widerspruch bestand darin, daß die Säcke Diplomatensiegel hatten, die Pässe aber nur Spezialpapiere und keine Diplomatenpapiere waren. Also sagten sie, wir müßten uns registrieren lassen. Und da griff ich ein und sagte, nein und so ginge es nicht. Wir saßen fest. Darauf intervenierte ein Compañero von der Botschaft, aber der Polizist wollte von nichts wissen. Man rief bei der Botschaft an und der Erste Sekretär kam, und da er schon eine bekannte Persönlichkeit war, gaben die Polizisten nach.
In den Häusern, wo man uns unterbrachte, waren nur noch zwei Compañeros, der Rest war schon abgereist. Ich wurde zum Chef dieser Nachhut ernannt, meine Mission bestand darin, alle weiteren Neuankömmlinge zu empfangen; am selben Abend trafen noch vier weitere Compañeros ein. Später kamen Pombo und Tumaini.
POMBO: Der Oberkommandierende betraute mich mit der Aufgabe, mich dem Che bei dessen Unternehmung im belgischen Kongo anzuschließen. Eines Abends erklärte er mir die Mission, die ich zu erfüllen hätte, erläuterte den Entwicklungsstand der Guerillabewegung, und vor allem schärfte er mir ein, daß ich der Hauptverantwortliche für die persönliche Sicherheit des Che sein würde.
VIDEAUX: Sie hatten dort ein Kisuaheli-Französisch-Spanisch-Wörterbuch. Man sagte mir, ich sollte Namen von Gegenständen auswählen, oder was immer mir einfiele, um die Compañeros mit Namen auf Kisuaheli zu versehen. Ich suche mir für mich den Namen Kisua Kitambo aus, was »denkender Kopf« bedeutet. Ich fand, als Chef war ich für das Denken zuständig. Ich erinnere mich noch an den Namen von Genge, der auch mit dieser Gruppe kam. Ich gab aller Welt Doppelnamen, im Stil von meinem eigenen, Harry Villegas nannte ich Pombo Poljo und Carlos Coelho Tumaini Tuma. Später blieb es bei Pombo und Tuma. Drei weitere Ärzte treffen ein: Doktor Candebat, Chumi und Fara. Jeden Tag trafen zwei oder drei weitere mit dem Flugzeug ein, und so in einem fort bis zum letzten. Wir waren insgesamt 38 Compañeros.
GENGE: Vorsicht mit den Zwischentönen, das Kisuaheli war nämlich voll davon. Zu den älteren Leuten entwickelte ich schnell Vertrauen, sie nahmen mich mit in ihre Dörfer. Wir mußten uns eine Tarnidentität zulegen, wir waren in einem Gebiet, in dem keine Mulatten wohnten, also legte ich mir meine persönliche Tarnidentität zu. Ich ging zu ihren Maniokpflanzungen und beobachtete, wie sie angelegt wurden, wie die Saat funktionierte und so weiter. Ich ging auf eigene Faust drauflos und gewann das Vertrauen eines Pygmäenstammes dort in Tansania. Ich hatte einen 8-mm-Fotoapparat dabei und betätigte immerzu den Auslöser. Ich trank eine Menge Pombe. Man muß ihn langsam trinken. Jedesmal, wenn ich ein Wort hörte, das mir gefiel, schrieb ich es auf. Ich gewöhnte mich in das Kisuaheli ein, aß ihr Essen, immer gut gewürzt, Fisch ...
VIDEAUX: Ein paar Compañeros blieben in Kontakt mit der Botschaft, indem sie jeden Tag dorthin gingen und für das Essen sorgten. Einer von ihnen war Oliva, den wir den König der Schillinge nannten, weil er für das Geld zuständig war. Sie hatten uns einen Vorschlag von Tatu übermittelt, daß wir die Devisen einsammeln sollten, die jeder dabei hatte. Es war kein Befehl, nur ein Vorschlag. Doch er wurde von den Compañeros gut aufgenommen. Ich hatte noch über 70 Dollar, weil ich weder in Frankreich noch unterwegs irgendetwas ausgegeben hatte. Andere hatten ein wenig oder auch gar nichts ausgegeben. Und wir sammelten alles ein und kamen auf ungefähr 700 Dollar. Schließlich verließen wir Daressalam.
GENGE: Drei Tage mit dem Omnibus.
VIDEAUX: Wir fuhren über verhältnismäßig ebenes Gebiet, dessen Flora einige Ähnlichkeiten mit Kuba hatte. Es war ein lehmiger Boden, mehr oder weniger wie überall in Afrika. Und fruchtbar: man sah viel Vegetation, man sah Maniokpflanzungen, Erdnüsse, Orangen. Viele Tiere: Gazellen, Giraffen, Büffel, die vor uns auseinanderstoben. Wir hörten auch, daß es viele Löwen geben sollte, obwohl wir keine gesehen haben. Wir hörten nur von Zeit zu Zeit ihr Gebrüll. Über tausend Kilometer. Für die Fahrt hatten wir Trockennahrung und Treibstoff mitgenommen. Am Ende erreichten wir das Dorf Kigoma im letzten Winkel des Landes. Einige Compañeros von der kongolesischen Befreiungsbewegung empfingen uns. Dort war auch Tremendo Punto. Wir setzten die Gewehrteile zusammen, die wir dabei hatten. Außerdem verpackten wir einige Sendungen an den Che, Bücher und Medikamente, für den Transport. Wir hatten Ches M-1 dabei und ein weiteres Maschinengewehr vom Typ Beretta, das auch ihm gehörte, einige lange Zigarren, ungefähr 40 Zentimeter, sowie eine Uhr, die Fidel ihm schickte. In der Herberge kochten wir uns ein warmes Essen. Wir verteilten die Waffen und legten unsere Uniformen an. Nun waren wir bereit für die Überfahrt. Der See wurde sehr strikt überwacht. Tagsüber die Flugzeuge und nachts die Patrouillenboote. Genge, der als erster in See stach, mußte umkehren, weil die belgischen Boote ihm den Weg abzuschneiden versuchten. Er kam zurück, und wir blieben dort, bis Changa (Lawton) mit einem Schnellboot eintraf, und bereiteten uns für die Abfahrt nach Einbruch der Nacht vor. Zuerst brach die Vorhut auf, danach in dem größeren Boot alle übrigen; dort fuhr ich zusammen mit Pombo und Tuma, Genge mit dem kleineren Boot. Und im dritten Boot fuhren Balala und Fernando Amelo. Unterwegs hatte unser Boot einen Schaden, und wir machten uns Sorgen, weil wir nicht wußten, ob wirklich etwas kaputt war oder ob es sich um ein Komplott handelte. Aber nach kurzer Zeit hatte unser Bootsführer den Schaden eigenhändig behoben, und wir setzten den Weg fort. Dadurch fielen wir etwas zurück. Wegen dieser Verzögerung kamen wir erst kurz vor Tagesanbruch in Kibamba an.
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