Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 6
Die Ethnisierung des
Sozialen
Die Transformation der jugoslawischen
Gesellschaft im Medium des Krieges
Teil I - Jugoslawien
im Kontext des ost- und südosteuropäischen
Umbruchs
Verlag der Buchläden
Schwarze Risse - Rote Strasse
Berlin Göttingen 1993
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e-mail: schwarze_risse@t-online.de Vorwort Jugoslawien im Kontext des ost- und
südosteuropäischen Umbruchs Bemerkungen zur Kampfgeschichte der moralischen
Ökonomie Zur Kampfsituation 1987 Nationalismus und Ethnisierung Krieg als Transformationsmechanismus Die EG-Migrationspolitik und die Flüchtlinge aus
Südosteuropa Zur Rolle des Imperialismus in der jugoslawischen Krisen-
und Kriegsdynamik Anhang Jugoslawien im Kontext des ost- und
südosteuropäischen Umbruchs
In einer kurzen Einleitungsskizze werden wir versuchen, den jugoslawischen
Zerfall und Krieg in das ost- und südosteuropäische
Umbruchsgeschehen einzuordnen. Damit werden sowohl Parallelen als auch
Differenzen vor allem zum sowjetischen Entwicklungsmodell aufgezeigt (vgl.
Materialien Heft Nr. 4). Allerdings ist das, was wir uns als Umbruch, Krise
und Transformation der sozialistischen Akkumulationsregime zu bezeichnen
angewöhnt haben, gleichfalls ein ungeheurer Zerstörungsvorgang,
der in ganz Osteuropa die gewohnten existenzsichernden sozialen und
ökonomischen Alltagswelten aufbricht und die Menschen aus den
strukturellen Überlebensnischen gewaltsam vertreibt. Der materielle
Kern, des sogenannten Transformationsprozesses in allen sozialistischen
Staaten besteht darin, die sozialen Garantien des überdehnten
sozialistischen »Klassenkompromisses« (soziales Patt)
abzuräumen, die sozialen Reserven der bislang nationalstaatlich
organisierten Ökonomien zu mobilisieren und das sozial-strukturelle
Gefüge der sozialistisch verfaßten Gesellschaften so zu
rationalisieren, daß sich die »bloen« sozialen
Reproduktionsinteressen wieder dem Akkumulationsprozeß als ganzem
unterordnen. Bleibt daran zu erinnern, daß auch der territoriale
Zerfall der Sowjetunion von nationalistischen Pogromen, militärischen
und ethnischen Konflikten begleitet war, die schon damals unter der
Kategorie »Nationalitätenkonflikte« rubriziert wurden und
die sich gegenwärtig in mörderischen Waffengängen in
Tadschikistan, Aserbaidschan, Nagorny-Karabach, Georgien und Moldawa
fortsetzen, ohne daß die Öffentlichkeit besonders Notiz davon
nähme.
Die scheinbaren Selbstverständlichkeiten, mit denen wiederum dem
jugoslawischen Krieg die nationalistischen und ethnischen
Interpretationsmuster zugeschnitten werden, tragen wenig zur Erklärung
der inhärent sozialen Konfliktualität bei. Sie verdoppeln
analytisch lediglich die jeweilige nationalistische Propaganda der
Kriegsparteien. Auch die linksintellektuelle Debatte um das nationale
Selbstbestimmungsrecht kann diesem Dilemma nicht entgehen. Zur
Begründung der jugoslawischen Krise genügen die Verweise auf die
jugoslawischen Nationalismen und Integrismen und deren Rückgriff auf
historische Vorläufer, die das Ethnische verstetigen und in die
Gegenwart zu verlängern bemühen, wohl kaum. Vielmehr hätte
ein materialistischer Erklärungsansatz die politischen und sozialen
Konstruktionen des Nationalen und die Produktion des Ethnischen zu
entschlüsseln und im Kontext der Krise zu entfalten . Die vorliegenden
Heftbeiträge sind ein erster Versuch dazu.
Umbruch und krisenhafte Neuordnung
Die sozialistischen nachholenden industriellen Entwicklungsmodelle -
sozialistische Varianten tayloristisch-fordistischer Vergesellschaftung -
waren an ihren je spezifisch nationalen Verwertungs- und
Modernisierungsblockaden gescheitert. Die unüberwindbaren
technologisch-ökonomischen Schranken und die zunehmenden politischen
Legitimationsdefizite der sozialistischen Dissoziationsmodelle industrieller
Entwicklung markieren den Auslauf des fordistischen Zyklus'in seinen
sozialistisch-etatistischen und keynesianistischen Ausformungen. Der
östliche Sozialpakt, seit Anfang der 70er Jahre mit westlichen Krediten
genährt, war Ende der 80er Jahre überdehnt, brüchig und
unrentabel geworden.
Für die Ende der 70er Jahre technologisch gesteigerte
Rüstungskonkurrenz, der US-amerikanische Versuch
militär-keynesianischer Krisenregulation, waren die
Akkumulationsressourcen der osteuropäischen Gesellschaften entweder
sozial blockiert oder zu erschöpft, um in einer
rüstungstechnologischen Offensive die Produktivitäts- und
Rentabilitätsschranken ihrer national organisierten Ökonomien zu
durchbrechen . Die darauf einsetzenden Umbauprojekte der alten Regimes und
die politischen Umbrüche 1989 leiten das Ende der Kalten-Kriegs-Ordnung
und damit das Ende der sowjetischen Ordnungsfunktion im geopolitischen Raum
Ost- und Südosteuropas ein. Mit der politischen und wirtschaftlichen
Öffnung sind die Regionen Ost- und Südosteuropas den Bedingungen
des globalen Kapitalismus ausgesetzt und als zukünftige Peripherien
Westeuropas selektiven und exkludenten Inwertsetzungsstrategien
unterworfen.
Die Auflösung der Akkumulationsblockaden etatistischer
Gesellschaftsorganisationen, die Zertrümmerung sozial verfestigter
Strukturen und Identitäten, die Mobilisierung der Bevölkerungen
über Pauperisierung und die Zerstörung existenzsichernder
ökonomischer und sozialer Alltagsräume werden unter nationaler
Regie in Koordination mit internationalen Finanzorganisationen (Weltbank,
IWF, EBRD etc.) vorangetrieben. Der gewaltsame und zerstörerische
Anpassungsprozeß der osteuropäischen Gesellschaften an das
transnationale Verwertungsdiktat, an die Rentabilitätskriterien des
Weltmarkts (Schuldenkrise, Strukturanpassungsprogramme,
Deregulierungsregime) verläuft aufgrund sozialer Widerständigkeit,
differenter ökonomischer und politischer Ausgangs- und Gemengelagen
extrem ungleichzeitig. Die neoliberalen Schocktherapien in Polen , in
Rumänien und in der Russischen Föderation gelten mittlerweile als
gescheitert, so daß das Deregulierungstempo gedrosselt und die
Transformationsstrategien an die sozialen Erwartungen und Ansprüche
angepaßt werden mußten. Die Sozialwissenschaftlerin Melanie
Tatur, eine Expertin der polnischen, aber auch der gesamten ost- und
mitteleuropäischen Entwicklungen, faßt das Dilemma der
Transformationsregimes wie folgt zusammen:«Die neo-liberale Politik
setzte (...) die ökonomischen Akteure dem kalten Wind des Marktes und
dem Druck einer restriktiven Finanzpolitik aus, um sie zur Anpassung bzw.
nötigenfalls zur Selbstaufgabe zu zwingen. Es zeigte sich aber (1),
daß das Erfolgskriterium auf einem noch sozialistischen Markt nicht
ökonomische Effizienz, sondern in hohem Maße organisatorische
Stärke war, und (2) daß sich klassische ökonomische
Interessen nicht konstituieren konnten, sondern die Betriebe im
solidarischen Überlebenskampf von Belegschaft und Direktoren gemeinsam
daran gingen, ihre Reproduktionsinteressen in defensiven,
makroökonomisch oft sinnlosen Strategien zu sichern.
Mehr noch:bei genauer Betrachtung der sich nun langsam und zerstreut
artikulierenden individuellen Bedürfnisse und Interessen zeigte sich,
daß Bauern, private Geschäftsleute, ebenso die Intelligenz und
die Arbeiterschaft Forderungen an den Staat stellten, die auf eine
Reproduktion der alten Sozialstruktur hinausliefen und weiter
hinauslaufen.« (M. Tatur, 1991, S.302) Hinter den artikulierten
Bedürfnissen wittert sie mit dem Warschauer Soziologen E. Mokrzycki
eine politische Vision sozialer Gerechtigkeit, die jenseits der verordneten
Marktideologie angesiedelt ist. Und sie schreibt weiter:»Diese
volkstümliche Utopie eines »dritten Weges« hat bislang in
Ost-Mitteleuropa zwar keine verbale ideologische Formulierung gefunden. Und
doch ist sie - als sozialstrukturell definiertes Interesse und Gefahr
für die verarmten und atomisierten Menschen - in diesen Ländern
lebendig. Um die einprägsame Formulierung Mokrzyckis zu benutzen: Das
totalitäre Experiment geht weiter, ohne den Experimentator zwar - aber
durch das Objekt selbst.« (ebenda) Ein Jahr nach dem politischen
Durchbruch, so M. Tatur, wird sichtbar, daß in den
mitteleuropäischen Gesellschaften »die realen Interessen nur als
Reproduktionsinteressen« formuliert werden.« Es fehlen weiterhin
die privaten Akkumulationsinteressen. Die bloßen
Reproduktionsinteressen zielen indes abermals auf die Reproduktion der
sozialstrukturellen Grundlagen der etatistischen Gesellschaft, wenn auch in
abgewandelter Form:auf die Realisierung einer neuen, volkstümlichen
sozialistischen Utopie.« (ebenda, S.303) Es sind die egalitären
Forderungen nach Existenzrecht und sozialer Gerechtigkeit, wie sie hier
sozialwissenschaftlich beschrieben wurden, die den Kern der sozialen
Konfrontation mit den Transformationsregimes ausmachen.
Für die Sowjetunion haben wir im Materialien-Band Nr.4 die
Konfrontation des sozialistischen Regimes mit den sozialen Ansprüchen
einer akkumulationsfeindlichen Gesellschaftlichkeit, wie wir es genannt
haben, nachgezeichnet (vgl. besonders den Artikel Landbevölkerung gegen
sozialistische Rationalität). Generell, so läßt sich sagen,
zeichnen sich für alle ost-, mittel- und südosteuropäischen
Regionen keine kurzfristigen Transformationsphasen ab, vielmehr drohen
allerorten soziale und politische Eruptionen, deren Verlauf niemand
vorherbestimmen kann.
Die kapitalistische Inwertsetzung dieser Regionen ist zuvorderst ihre
sozioökonomische Angleichung an die metropolitanen
Verwertungsbedingungen, was einer Zertrümmerung der regionalen
Industriestruktur (Deindustrialisierung) gleichkommt. Denn viele der unter
kapitalistischen Bedingungen unrentabel produzierenden und zur
Weltmarktkonkurrenz unfähigen Industriekombinate werden langfristig und
ohne staatliche Invstitionen nicht überlebensfähig sein. So werden
für den gesamten osteuropäischen Raum gigantische
Arbeitslosenzahlen erwartet. Die schwelende osteuropäische
Schuldenkrise (ca. 150 Mrd. US-Dollar) zwingt die osteuropäischen
nationalen Ökonomien letztlich - vermittelt über den
Kreditmechanismus - zur ruinösen Exportorientierung und zu
Rentabilitätsmaßstäben, wie sie sich global herausgebildet
haben. Die Reintegration des osteuropäischen Raums in die
Weltwirtschaft »zwingt« die nationalen Regimes zur
Übernahme ökonomischer Effizienz- und Rationalitätskriterien,
die die Existenzgrundlage von Millionen in Frage stellen. Sie wird zum
sozialpolitischen und ökomomischen Hebel gegen den osteuropäischen
Sozialprozeß.
H.Hofbauer und A.Komlosy, deren kritische Osteuropareportagen,
veröffentlicht in MOZ, WOZ, AK, Freitag und Weltbühne lesens- und
empfehlenswert sind, spitzen in einem Artikel über die
Entindustrialisierung Rumäniens den osteuropäischen Krisenumbruch
auf die Frage »Wohin mit den Überflüssigen?« zu .
Wahrscheinlich unbewußt haben sie eine Formulierung in Anlehnung an
die der nazistischen Großraumplaner gewählt, aber sie trifft den
sozialen Kern des ost- und südosteuropäischen Umbruchs: Wohin mit
der »Überschußbevölkerung«? Der
gegenwärtige zögerliche kapitalistische Sondierungsprozeß,
die selektiven und exkludenten Inwertsetzungsstrategien in Osteuropa als
Anbindungs- und Zurichtungsmomente einer zukünftigen
westeuropäischen Peripherie produzieren eine quantitativ gewaltige
»Überschußbevölkerung«, die sich sowohl als
Armuts- als auch als Unruhegürtel um die metropolitanen
europäischen Wohlstandsinseln legt. Im Kontext dieses skizzierten
sozialen Auflösungs-, Umbruchs- und Neuordnungsprozesses in Osteuropa
wäre die jugoslawische Entwicklung, Zerfall und Krieg, zu diskutieren
und zu verstehen. Hinzuzufügen wäre, daß der
osteuropäische Umbruchsprozeß lediglich einen Ausschnitt in der
globalen Verwertungskrise der kapitalistischen Weltökonomie bildet.
Denn weltweit sind die Zugriffsmöglichkeiten auf die
Akkumulationsressourcen der sozialistisch-etatistisch oder keynesianistisch
organisierten nationalen Ökonomien sozial blockiert oder technisch
erschöpft. So sind die ökonomische Krise, soziale Desintegration
und Krieg Medien, in denen die nationalen sozioökonomischen
Transformationen ablaufen, die globale und regionale Reorganisation der
Ausbeutungs- und Verwertungsstrategien entworfen und in denen ein neues
Unterwerfungsinstrumentarium erfunden und ausprobiert wird. Ethnische
Zonierungen sind dabei nur Teil einer internationalen Reorganisation
erneuerter Mehrwertkaskaden und Wertschöpfungsketten. Eine umfassende
Analyse des globalen Umbruchs muß einem zukünftigen
Materialienband vorbehalten bleiben.
Jugoslawien, ein intermediäres Modell abhängiger
Entwicklung
Der Zerfall des Staates Jugoslawien als geopolitisch und strategisch
bedeutsamen Raum innerhalb der Kalten-Kriegs-Ordnung hat im ost- und
südosteuropäischen Umbruchsprozeß eine gesonderte
Verlaufsform angenommen. Einige Aspekte des jugoslawischen
intermediären Entwicklungsmodells, die seine Sonderstellung
begründen, seien, ohne diesen Komplex tiefgreifend durchdringen zu
können, kurz umrissen.
Über Kreditgewährung, Militär-, Nahrungsmittel- und
Infrastrukturhilfen stieg das westliche Kapital (anfangs vor allem das
US-amerikanische) bereits in einer frühen Phase der jugoslawischen
industriellen Entwicklung (industrieller Aufbau) in den strategischen
Balkanraum ein; diese Politik der Einflußnahme wurde dann über
die Aufnahme in den IWF und den Beitritt zum GATT, einer verstärkten
Importkreditierung der nachholenden jugoslawischen Entwicklung, den Aufbau
von westeuropäischer Technologie- und Kapital-/Zinsabhängigkeit,
über besondere EG-Handelsabkommen, Gründungen von Joint-Ventures
(bereits 1967) und Wirtschaftskooperationen, Lizenzproduktionen,
internationale Finanzunterstützung und Währungsanbindung
fortgeführt.
Als verlängerte Werkbänke (Lohnveredelung) wurden Teile der
Region in die internationale Arbeitsteilung integriert, wozu auch die bis
Mitte der 70er Jahre hohe Arbeitsmigration (860.000/1973) nach Westeuropa
zuzurechnen ist, die damit gleichzeitig das innerjugoslawische
Migrationsgefälle zu steuern verhalf.
Über die wiederaufgenommenen Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion
(1954) und den Osteuropahandel (Teilmitgliedschaft im RGW 1965) nahm der
jugoslawische Wirtschaftsraum eine modellhafte Scharnierfunktion als
Vermittlungs- und Transitagentur für Technologie- und
Investitionsgüterexporte nach Osteuropa (vor allem in die Sowjetunion)
ein.
Der jugoslawische Wirtschaftsraum wurde, zugespitzt formuliert, zur
Durchgangszone, in der mit westlichem Kapital und westlicher Technologie im
wesentlichen für den osteuropäischen/sowjetischen Markt produziert
wurde (bis zu 42% der Exporte im Zeitraum 1976 - 1980).
L. Djekovic faßt es wie folgt zusammen: «So werden Rohstoffe
und importierte, mit Westkrediten finanzierte Produktionsmittel für den
Export in den Osten gebunden und die Exportsteigerung auf westliche
Märkte behindert. Kurzum:der Osten kauft den Großteil der Waren,
der Westen gibt den Großteil der Kredite, wodurch sich die
Westverschuldung Jugoslawiens immer weiter erhöht.« (L. Djekovic,
1982, S.22). Damit geriet die jugoslawische Ökonomie in eine zweifache
Abhängigkeit: Für den notwendigen Reproduktionsgüterimport
(Energie, Rohstoffe, Halbfertigwaren) mußte sie auf bilateraler
Clearingbasis - mit Ausnahme einiger kleiner RGW-Länder - nach
Osteuropa industrielle Fertiggüter exportieren, dazu war sie wiederum
auf Kapitalgüterimporte (Maschinen, Technologie) auf kreditfinanzierter
Basis aus dem Westen angewiesen. Damit dieser Wirtschaftsraum zwischen den
hegemonisierenden Machtzentren der Kalten-Kriegs-Ordnung stabil blieb und in
keine der beiden Einflußsphären anhaltend einbezogen werden
konnte, wurde er wohlwollend mit westlichen Krediten - auch die
RGW-Investionsbank versorgte Jugoslawien seit 1978 mit
Hartwährungskrediten - und sowjetischen Öl und Erdgas - die
sowjetischen Erdölimporte deckten Anfang der 80er Jahre ca. 51% des
jugoslawischen Bedarfs - genährt.
Zwischen 1971 und 1980 wuchs die jugoslawische Auslandsverschuldung
jahresdurchschnittlich um ca. 23% und erreichte Anfang der 80er Jahre eine
Höhe von ca. 20 Mrd. US-$ . Die Auslandsverschuldung wurde nach 1965
zum entscheidenden Stabilitätsfaktor der jugoslawischen
Binnenwirtschaft und speiste wesentlich den Investitionsboom der 70er Jahre.
Prägnant formulierte L. Madzar: »Es zeigte sich, daß unser
Wirtschaftswachstum wesentlich vom Auslandskapital abhängt und unsere
Wirtschaft ihm strukturell und institutionell angepaßt wurde«
(Zit.n. N. Vucic, 1988, S.291). Der mit westlichem Kapital kreditierte
Akkumulationsprozeß erzeugte aufgrund innerjugoslawischer
Rigiditäten und sozialer Barrieren (niedrige Arbeitsproduktivität
etc.) eine insgesamt unzureichende Wertschöpfung, um sowohl die
Auslandsschulden und Zinsen bedienen als auch eine autozentrierte
Akkumulation in Gang halten zu können, so daß das jugoslawische
Regime Anfang der 80er Jahre in Zusammenarbeit mit dem IWF dazu
überging, in einem frontalen Angriff auf den jugoslawischen
Lebensstandard die erforderlichen Werte herauszupressen.
Ein weiterer Aspekt der Besonderheit des jugoslawischen Entwicklungsmodells
ist die immense internationale Bedeutung der jugoslawischen Politik, die ihr
als führendes »blockfreies« Land zukam, indem sie die
radikalen Forderungen der trikontinentalen Bewegungen gegenüber den
Metropolen moderierte und die sie als gewichtiger Akteur auf dem
Weltwaffenmarkt zu nutzen wußte. Die innerjugoslawischen
Besonderheiten wie regionale und nationale Ausgleichspraktiken im
internationalen Entwicklungsgefälle, regionale und lokale
Klassenkompromisse des Selbstverwaltungssozialismus werden in den
nachfolgenden Texten des Heftes genauer beschrieben. Zusammenfassend
läßt sich vielleicht folgenden festhalten: Die jugoslawische
Entwicklung, die sich an dem allgemein akzeptierten industriellen
Modernisierungsmodell orientierte, fand ihre Besonderheit einerseits in der
geopolitischen Herausnahme aus der Kalten-Kriegs-Konkurrenz, wodurch
okonömische und politische Abhängigkeiten von den Machtzentren der
Nachkriegsordnung - aber auch begrenzte Vorteile - entstanden und eine
anfänglich selektive, im Verlauf der Krisen- und Verschuldungsdynamik
und der kapitalistischen Durchdringung zunehmend dependente
Weltwirtschaftsintegration einherging, und andererseits in der durch die
gescheiterte Zwangskollektivierung der Landwirtschaft ungelösten
sozialen Problematik der subsistenzwirtschaftlich und kleinbäuerlich
strukturierten Agrarregionen, die die gesamtjugoslawische
Nahrungsmittelversorgung nicht sichern konnten . Das jugoslawische
Entwicklungsmodell war von Anbeginn an eingeklemmt zwischen dem
Rentabilitäts- und Modernisierungsdruck, der aus der intermediären
Lage in der Nachkriegsordnung und der frühen weltwirtschaftlichen
Öffnung herrührte, und dem sozialen Druck eines traditionell
bewirtschafteten und den Rationalisierungszugriffen widerstehenden
Agrarsektors, der viele Verbindungen in die Industrieregionen unterhielt.
Die Spezifik des jugoslawischen sozioökonomischen Raums kann durch das
sich vertiefende Entwicklungsgefälle zwischen den verschiedenen
Regionen (vereinfacht als Nord-Süd-Gefälle dargestellt) und durch
eine regionenübergreifende (Teilrepubliken) sozioökonomische
Zerklüftung, die sich aus dem konfliktanfälligen und verfestigtem
Nebeneinander vom am Weltmartniveau orientierten industriellen Regionen und
sich behauptenden »traditionellen« Agrarregionen
(Stadt/Land-Disparität) ergab, charakterisiert werden und die das
internationale Verdikt der »Unregierbarkeit« trifft.
Wahrscheinlich müssen wir die territoriale sozioökonomische
Zerklüftung im Modell nachholender Industrialisierung, in der
subsistenzwirtschaftliche Produktions- und Reproduktionsweisen, soziale
Rückzugsräume, tradierte Lebensweisen und Vorstellungen fortleben
konnten, als entscheidende Entwicklungs- und Modernisierungsblockaden
betrachten. Es ist dem sozialistischen Entwicklungsregime - trotz
internationaler Kreditierung - nicht gelungen, die bis in die Gegenwart
hineinreichende hemmende Problematik der »inneren Landnahme«,
d.h. der Zurichtung ländlicher Regionen und Bevölkerungen auf ein
industrielles Entwicklungsmodell, kleinzuarbeiten und eine
industriegesellschaftliche Gesamtrationalität herzustellen.
Darauf weisen nachdrücklich die wenigen Arbeiten, die zur
jugoslawischen Landwirtschaft erschienen sind, hin. So bestätigt unter
anderem J.B. Allcock unsere Vermutungen, daß die »sozialistische
Transformation« des jugoslawischen Dorfes, also die Beseitigung des
subsistenzwirtschaftlich und kleinräumlich strukturierten Bauerntums
und seine Integration in die sozialistische Agroindustrie, scheiterte. Trotz
eines kontinuierlichen Drucks (Kooperationsangebote, Kredite, Grüne
Programme etc.) auf das »jugoslawische Dorf« und seine
subsistenzwirtschaftliche, existenzgarantierende Struktur ist es dem
jugoslawischen Regime bis zur Gegenwart nicht gelungen,eine rationelle und
produktive Ausbeutungsorganisation auf dem Land gegen das
»jugoslawische Dorf« durchzusetzen . Unter dem
Rationalisierungsdruck des sozialistischen Regimes »wanderte das Dorf
in die Fabrik«, ohne seine Beziehungen zum Land aufzugeben. So war
1978 jeder dritte Beschäftigte ein sogenannter Arbeiterbauer, der mit
seiner Familie noch einen Neben- oder Zuerwerbshof, meist unter der
Führung der Frau (Feminisierung des Dorfes), betrieb. Ende der 70er
Jahre waren mehr als die Hälfte aller landwirtschaftlichen Betriebe zu
dieser Form der Existenzsicherung (Land-und Fabrikarbeit) gezwungen. Diese
Höfe dienten in erster Linie der häuslichen Versorgung und der
kleineren Bauernmärkte, und erst dann und in geringem Ausmaß
produzierten sie für den »sozialistischen Markt«, auf dem
ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse regelmäßig unterbewertet
wurden (Preisdisparitäten zwischen industriellen und
landwirtschaftlichen Produkten). Die Zähigkeit, mit der sich »das
jugoslawische Dorf« - Mitte der 70er Jahre lebte immerhin noch 35% der
jugoslawischen Bevölkerung dort - den Rationalisierungszugriffen des
Entwicklungsregimes erwehrte, geronn zur unauflösbaren Blockade des
jugoslawischen Entwicklungsmodells, die wahrscheinlich erst durch die
Verwüstungen des jugoslawischen Bürgerkrieges aufgebrochen
wird.
Mit dem Ende der Kalten-Kriegs-Ordnung und dem Zerfall der
osteuropäischen nationalen Wirtschaften entfielen jene
ökonomischen und politischen begrenzten Vorteile, die die jugoslawische
Wirtschaft jahrzehntelang aus der Kalten-Kriegs-Konkurrenz hatte ziehen
können (Ostmärkte, westl. Kapital etc.). Das Wegbrechen der das
jugoslawische Modell für eine kurze Zeit begünstigenden
ökonomischen und politischen Bedingungen läßt die seit
Anfang der 80er Jahre sich verschärfende innerjugoslawische Krise
eskalieren. Das westliche Kapital reagierte schon früh mit
Desinvestment in das jugoslawische Modell und rigiden
Strukturanpassungsauflagen.
Gegen das Versickern internationaler Investitionen in das
Selbstverwaltungsmodell und das Stocken des Werttransfers und der Renditen
in die Metropolen setzte das Regime in den 80er Jahren (1982 und 1987) eine
mit dem IWF koordinierte Austeritätspolitik durch und preßte
zwischen 1981 und 1987 einen Schuldendienst von ca. 30 Mrd. US-Dollar
(Schuldendienstrate 1987 etwa 46%) aus den Regionen und den
Bevölkerungen heraus, indem der Lebensstandard radikal herabgesetzt
wurde (Preissteigerungen, Importrestriktionen etc.).
Das jugoslawische Industrialisierungsmodell war aus seiner Sonderstellung
in Europa heraus (Integration in die internationale Arbeitsteilung und in
die Weltwirtschaft) weitaus stärker und wesentlich früher als die
anderen osteuropäischen nationalstaatlich organisierten Ökonomien
sowohl den Rentabilitäts- und Produktivitätszwängen des
Weltmarktes als auch dessen Krisen unterworfen. So übertrug sich die
Krise der metropolitanen fordistischen Akkumulation Mitte der 70er Jahre in
viel stärkerem Maße auf den jugoslawischen
Entwicklungszyklus.
Seit Mitte der 60er Jahre praktizierte das jugoslawische Entwicklungsregime
mit Unterstützung westlichen Kapitals variierende Reformen in der
Industrialisierungsstrategie, um die Verwertungsbedingungen zu
reorganisieren und zu rationalisieren.
Gegenwärtig müssen alle aus dem Zerfall und Krieg hervorgehenden
unabhängigen Republiken des ehemaligen Jugoslawiens als
Billigproduktionsstandorte mit denen im übrigen Osteuropa konkurrieren
. Aber die Aufsplittung Jugoslawiens in Teilrepubliken wird die oben
angedeuteten strukturellen und sozialen Akkumulationsblockaden nicht
zertrümmern - dafür war die Wirtschaft schon zu dezentralisiert
und in beinahe abgeschlossenen Teilmärkten organisiert - allein der
Krieg war dazu notwendig.
»Rent-seeking behavior« - Selbstverwaltung von
unten
Mit »rent seeking behavior« bezeichnet T. Eger ein Verhalten der
an der Selbstverwaltungspraxis und -prozedur (Absprachen) Beteiligten
(Betriebsdirektoren, Manager, ArbeiterInnen, lokale Bürokraten etc.)
das Werte abzuziehen versuchte aus institutionellen Beziehungen, aus der
Möglichkeit, Betriebsrisiken zu externalisieren und aus dem Zugang zu
knappen Ressourcen, der nicht über den Preis vermittelt war, sondern
über das Kriterium lokaler/regionaler Zugehörigkeit reguliert
wurde.
So konnten Manager und ArbeiterInnen sich die Selbstverwaltung aneignen und
sich ein Einkommen sichern, das von der realen Arbeitsproduktivität
losgelöst war und der Akkumulation entzogen wurde. Das betriebliche
Unterlaufen der Gewinnorientierung zugunsten der Einkommensorientierung
beschreibt O. Kovac folgendermaßen: »Wenn das Einkommen als
Zielfunktion des Unternehmens gestellt wird, werden sie in eine sehr
schwierige Position versetzt. Von ihnen wird erwartet, eine Zielfunktion
anzustreben, die widersprüchliche Kategorien beinhaltet, also
persönliche Einkommen und Profit, und die Versuchung, den Anteil der
persönlichen Einkommen im Verhältnis zu Profit zu bevorzugen ist
zu stark, besonders wenn das Wirtschaftssystem dazu beiträgt, daß
ein Teil des gesellschaftlichen Eigentums (...) in die persönlichen
Einkommen (Gehälter und Löhne) umverteilt werden kann. Bis vor
kurzem war unter hoher Inflationsrate die Aufrechterhaltung des konstanten
Realwertes des gesellschaftlichen Eigentums nicht sichergestellt, mit dem
die Arbeitsorganisationen (d.h. Unternehmen, d.V.) gewirtschaftet haben; es
wurden die realen Abschreibungsraten der festen Fonds nicht
gewährleistet und auf diese Weise wurde das gesellschaftliche Eigentum
in das laufende Einkommen umverteilt und aus dem laufenden Einkommen nach
allen Regeln auf Verbrauch und Akkumulation verteilt. Deshalb wurde mit der
Zeit klar, daß die Akkumulation des Kapitals in Jugoslawien nicht mehr
für die Entwicklung ausreicht« (O. Kovac, 1988, S.166).
Soweit die Umverteilungspraxis der Selbstverwaltung von unten. Zeitweise
Nicht-Arbeit steigerte sich lt. POLITIKA vom 15.1.1987 zum Dauerabsentismus,
in dem durchschnittlich jede/r Beschäftigte/r beinahe 5 Monate im Jahr
freimacht . Das Produktivitätsdilemma der sozialistischen Markt- und
Selbstverwaltungswirtschaft unterstreicht auch ein Zitat von L. Djekvic:
»Eines der wichtigsten Selbsverwaltungsrechte (kommt) in negativer
Weise zum Tragen. Dieses Recht besteht in einer gesetzlich verankerten
autonomen Entscheidung der Beschäftigten über Verteilung des
erwirtschafteten Nettoertrages des Unternehmens einerseits auf Investitionen
und betriebliche Fonds und andererseits auf das persönliche Einkommen
der Belegschaft. Die Interessen der an der Selbstverwaltung beteiligten
erweisen sich aber als zu kurzfristig und in erster Linie auf eine rasche
Erhöhung ihres Einkommens und damit des persönlichen Verbrauchs
gerichtet. Deshalb verlagern die Unternehmen ihre Tätigkeit tendenziell
auf kurzfristige und ohne große Mühe durchführbaren
Transaktionen. Längerfristige und höherwertige Geschäfte
unterbleiben, was insbesondere auch in der Außenwirtschaft über
Vernachlässigung von Kooperationen und Joint Ventures negative
Auswirkungen gezeigt hat. Eine wesentliche Rolle spielt auch, daß
diese hauptsächlich über Preiserhöhungen erzielten
Einkommenssteigerungen selbst in jenen Bereichen gegeben sind, die mit
Verlust arbeiten, da im Selbstverwaltungssystem nicht die Unternehmen,
sondern vielmehr die Gemeinden, aber auch die Republiken und der Bund die
Verantwortung für Verluste tragen.
Wirtschaftliche Fehlentscheidungen der Unternehmen werden nicht wirksam
sanktioniert. Es bestehen vielmehr zahlreiche Möglichkeiten, die
Risiken zu externalisieren. Man geht davon aus, daß zur Zeit in
Jugoslawien etwa 7.000 Betrieben, d.h. etwa ein Viertel der Betriebe im
gesellschaftlichen Sektor mit ca. 1,6 Mill. Beschäftigten, der Konkurs
eröffnet werden müßte« (L. Djekovic, 1988, S.179f).
Das Selbstverwaltungssystem mit seinen Sozialisierungsmechanismen,
angemessene Einkommen gegen Produktivitätssteigerungen zu verteidigen,
reifte - und da sind sich alle Wirtschaftsjournalisten einig - zu einer
entscheidenden Entwicklungsblockade heran.
Dabei wurden bereits in den 60er Jahren im jugoslawischen Modell
sozialistischer Wertschöpfungs- und Akkumulationsorganisation
marktorientierte Reformen dezentral in den Republiken mit dem Ziel
eingeführt, eine effektivere gesamtwirtschaftliche Rationalität in
den ökonomischen Beziehungen zu erreichen: die Unternehmens- und
Republikkompetenzen wurden unter dem Motto »Liberalisierung des
sozialistischen Marktes« ausgeweitet . Dieses frühe Reformprojekt
nach der Phase der extensiven Industrialisierung mündete
schließlich in wilde Streiks, StudentInnenunruhen, und die
»kroatische Krise von 1971 markierte das Ende des jugoslawischen
Äquivalents zur Perestroika« (V. Zaslavsky/ V. Vujacic, 1991,
S.20).
Rezentralisierung des politischen Kommandos, Vertiefung der territorialen
Konföderalisierung und eine kreditfinanzierte Steigerung der
Akkumulation und des Lebensstandards waren die Systemreaktion Anfang der
70er Jahre darauf. Die Stärkung und Ausweitung der
Selbstverwaltungsrechte der Unternehmen in der Verfassungsänderung 1974
wurde nicht im Sinne der »Selbsttätigkeit der
ArbeitnehmerInnenklasse« vorgenommen, sondern als Verfeinerung des
Organisationssystems zur Steigerung der Produktivität verstanden, in
dem die Autonomie der Unternehmen auf dem sozialistischen Markt
gestärkt und »neue Managementtechniken im Sinne des `job
enrichment' und `job enlargement' als Methoden der Konfliktvermeidung«
eingeführt wurden . Die Problematik der Industriebesteuerung, der
ArbeiterInnenkontrolle über die Produktion, der Fabrikorganisation
(vgl. sowjet. Fabrikgemeinden) gleicht der, die wir im Materialien- Band
Nr.4 für die Sowjetunion herausgearbeitet haben. Entscheidend für
die Einordnung des jugoslawischen Industrialisierungs- und Entwicklungsweges
scheint uns zu sein, daß das jugoslawische Regime bereits seit 1965
mit politisch-ökonomischen Rationalisierungskonzepten der
Konfliktregulierung und wirtschaftlichen Modernisierungsstrategien
aufwartete, um eine produktivitätssteigernde Marktrationalität zu
erzwingen, die aber allesamt nicht die intendierten Folgen einer
gesteigerten ökonomischen und sozialen Effizienz und Produktivität
zeitigten und durch soziale Interessenlagen und Widerstände unterlaufen
wurden (vgl. oben). Die jugoslawische Wirtschaft ist aus ihrer
intermediären Lage ein frühes Experimentierfeld marktradikaler
Reformen gewesen.
Die Blockierung einer systematischen Gesellschaftsrationalisierung
(Subsistenz, Interessenkoalition von Bank-, Betriebsmanagement, Belegschaft
und lokaler und regionaler Bürokratie, dezentralisierte
Teilökonomien), die sich vertiefende Wirtschaftskrise, der
Massenverarmungsprozeß, Arbeitslosigkeit (1,1 Mio/1987) und die
sozialen Unruhen Ende der 80er Jahre verschärften das
innnerjugoslawische Entwicklungsgefälle und heizten die regionalen
ökonomischen und politischen Konkurrenzen an . Das Scheitern
gesamtjugoslawischer Rationalisierungs- und Modernisierungsstrategien und
die Dezentralisierung des Selbstverwaltungssystems tragen erheblich zur
Herausbildung regionaler und lokaler nationalistischer Eliten bei. Die
ökonomische Dezentralisierung (als Marktelement gedacht) schaffte
abgeschottete Teilökonomien, in denen ca. 60% der produzierten Waren
nicht das Territorium oder die Reggion verließen. »In
Jugoslawien wurde eine Wirtschaftsstruktur geschaffen, in der ein
politischer Voluntarismus der Entscheidungen, der hinter der Bildung der
Wirtschaftsstrukturen von acht Nationalökonomien steht, etwas
gestaltet, das mit einer Ausrichtung auf einen gesamtgesellschaftlichen
Markt nichts zu tun hat«, so N. Vucic (N. Vucic, 1988, S.293). Die
jugoslawische politische und ökonomische Zerklüftung, die
föderative Zersplitterung, band die ArbeiterInnen in der
Wirtschaftskrise, die im Süden zum Überlebenskampf sich steigerte,
immer stärker an die regionalen Machteliten, deren nationale
Programmatik immerhin das Versprechen der auf die Republik/Region bezogenen
Privilegiensicherung enthielt. Das bedeutete das Aufsprengen der Krise der
Akkumulation und Wertschöpfung in seine ethnisch-territoriale
Dimension, die im blutigen Krisenchaos den Anschein der Verteidigung von
Gemeinschaftsinteressen aufrechtzuerhalten vermochte. Die herrschenden
regionalen kommunistischen Eliten nutzten über dezentralisierte
Wirtschafts- und Machtstrukturen den von ihnen inspirierten Nationalismus
als Herrschaftsinstrument. »Brutalität, äußerste
gesellschaftliche Gewalt, Krieg und Bürgerkrieg wurde der Gesellschaft
eines Landes, die jetzt in verschiedenen Ländern lebt, gegen ihren
Willen aufgezwungen. Es war der Wille zur Macht einiger weniger, die das
Ende ihrer Macht, ihrer Privilegien, ihrer Verbindungen zum parallelen und
Schwarzen Markt, ihres Einflusses auf Wirtschaft, die Medien, ganz einfach
auf die Gesellschaft kommen sahen.« (I. Vejvoda, 1993, S.23)
Es war - im Gegensatz zu anderen osteuropäischen
Transformationsprozessen - das Fehlen einer gesamtjugoslawischen
»Modernisierungselite« , übergreifender Krisenakteure, die
aus eigener materieller und ideologischer Interessiertheit den
Transformationsprozeß und die Weltmarktanpassung (Programm der
Bundesregierung Markovic) hätte vorantreiben und durchsetzen
können , so daß schließlich die nationalen Krisenregimes in
den einzelnen Republiken zur Alternative heranreiften und die Chance
ergriffen, die Selbstverwaltungs-, die sozial verfestigten ländlichen
Strukturen, die soziale Blockierung des jugoslawischen Akkumulationsregimes
im Krieg aufzubrechen . Zur Ethnisierung der sozialen Frage wird in den
folgenden Heftbeiträgen Material vorgelegt. Der jugoslawische Krieg
scheint letzter Ausweg aller nationalen Regime unter kriegswirtschaftlichem
Zugriff, die Reorganisation der dezentralisierten Ausbeutungs- und
Verwertungsbedingungen anzugehen. In kriegswirtschaftlicher Arbeitsteilung
sind bspw. im allen Teilrepubliken die Reallöhne radikal gesenkt
worden. Dennoch bleibt der Reorganisationsprozeß der regionalen
Akkumulationsstruktur mit sozialem Widerstand konfrontiert.
Im Gegensatz zu den osteuropäischen Transformationsregimen scheiterte
Anfang der 90er Jahre das jugoslawische Entwicklungsmodell nach einer langen
Phase gesamtgesellschaftlicher Modernisierungsoffensiven, die sich jetzt im
jugoslawischen Krieg zu verdichten scheinen und sich als ethnische Gewalt
transformieren und vielleicht eine Ouvertüre auf den
osteuropäischen Umbruchs- und Neuordnungsprozeß darstellen, der
schließlich mit einem sozialen Überschuß - verstanden als
populäre Utopie sozialer Gerechtigkeit und als real
herausgedrängte »Überschußbevölkerung«
(vgl. oben) - konfrontiert ist, dessen Aspirationen gewaltsam niedergehalten
und dessen Wege in die Emigration verstopft werden.
»In Bosnien gewinnt Europa neue Gestalt«
In Bosnien stirbt nicht Europa, wie von mitteleuropäischen
Intellektuellen und metropolitanen Demonstranten anklagend konstatiert wird,
sondern gewinnt, wie Joachim Hirsch zu recht bemerkt, neue Gestalt. Das
westliche Kapital und die europäische politische Klasse können -
auch bei internen Differenzen und Konkurrenzen - dem jugoslawischen Zerfall
und Krieg, deren Ausgangsbedingungen sie mitgeschaffen haben, abwartend und
moderierend gegenüberstehen.
Die jugoslawische Region hatte mit dem Ende der Kalten-Kriegs-Ordnung ihren
»Sonderstatus«, wie wir ihn oben beschrieben haben,
endgültig verloren und war dadurch, was die
Kapitalverwertungsanforderungen betraf, den anderen osteuropäischen
Ökonomien gleichgestellt, die untereinander um eine möglichst
günstige periphere Anbindung an den EG-Raum zu konkurrieren gezwungen
waren. Der innerjugoslawische Krieg beschleunigte den sozialen und
ökonomischen Anpassungsprozeß der jugoslawischen Teilrepubliken
an die transnationale Akkumulation. Gleichzeitig durchbricht er jene
Verwertungsblockaden, an denen das jugoslawische Entwicklungsmodell
scheiterte. Der innerjugoslawische Krieg und die kriegswirtschaftlichen
Zwangsmaßnahmen in allen Teilrepubliken bereiten geradewegs die
sozialen, politischen und wirtschaftlichen Strukturen für eine
kapitalistische Inwertsetzung auf. In den ethnischen Zonierungen und
Schichtungen des jugoslawischen Raums werden kapitalistische Kontroll- und
Einflußspähren strategisch neu geordnet. Solande der Krieg
territorial begrenzt werden kann, Flüchtlinge und
»Vertriebene« in Schutzzonen konzentriert und auf ihrem Weg in
die Metropolen abgewehrt werden können, solange steht
»Europa« dem »Ausbluten des Konfliktes« zumindest
gleichgültig gegenüber - alles andere wäre nicht in seinem
Interesse.
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