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Unterabschnitte

Kommuniqué #7

Psychischer Paläolithismus & High Technology: Ein Positionspapier

Glaubt nicht, wir beabsichtigten, uns selbst in die Steinzeit zurückzubomben, nur weil die A.O.A ständig von »Paläolithismus« redet.¶

Wir haben kein Interesse, »zurück auf's Land« zu gehen, wenn das bedeutet, das langweilige Leben eines sich plagenden Bauern zu führen - wir wollen auch keinen »Tribalismus«, wenn der mit Tabus, Fetischen & Unterernährung verbunden ist. Wir hadern nicht mit dem Konzept von Kultur - inklusive Technologie; für uns beginnt das Problem mit Zivilisation

Was wir am paläolithischen Leben mögen, wurde von der ''Peoples-Without-Authority School of Anthropology'' zusammengefaßt: die elegante Faulheit der Jäger/Sammler-Gesellschaft, der 2-Stunden-Arbeitstag, das Besessensein von Kunst, Tanz, Poesie & Liebe, die »Demokratisierung des Schamanismus«, die Kultivierung der Wahrnehmung - kurz, Kultur.¶

Was wir an Zivilisation nicht ausstehen können, läßt sich aus der folgenden Aneinanderreihung ableiten: die »Agrarische Revolution«; das Enstehen der Kaste; die Stadt & ihr Kult hieratischer Kontrolle (»Babylon«); Sklaverei; Dogma; Imperialismus (»Rom«). Die Unterdrückung von Sexualität in der »Arbeit« unter der Ägide von »Autorität«. »Das Imperium hat nie aufgehört.«¶

Ein psychischer Paläolithismus, basierend auf High Tech - post-agrarisch, post-industriell, »Zerowork«, nomadisch (oder »wurzellos kosmopolitisch«) - eine Gesellschaft des Quantenparadigmas - dies konstituiert die ideale Vision der Zukunft gemäß der Chaos-Theorie wie auch der »Futurologie« (im Sinne von Robert Anton Wilson/T. Leary).¶

Was die Gegenwart betrifft: Wir verweigern jegliche Kollaboration mit der Zivilisation der Anorexie & Bulimie, mit Leuten, die sich so sehr schämen, nie zu leiden, daß sie härene Hemden für sich & andere erfinden - oder mit denen, die sich ohne Erbarmen vollfressen & dann ihre Kotze unterdrückter Schuld in großen masochistischen Runden des Joggings & Fastens ausspeien. All unser Genuß & all unsere Selbstdisziplin gehören uns durch die Natur - wir verleugnen uns nie, wir geben niemals etwas auf; aber einige Dinge haben uns aufgegeben & uns verlassen, weil wir zu groß für sie sind. Ich bin sowohl Höhlenbewohner & sternreisender Mutant als auch Schwindler & freier Prinz. Einst wurde ein Indianerhäuptling ins Weiße Haus zum Bankett eingeladen. Während die Speisen gereicht wurden, häufte der Häuptling seinen Teller randvoll und das nicht nur ein Mal, sondern drei Mal. Schließlich sagte das Bleichgesicht, das neben ihm saß: »Häuptling, he, he, glauben Sie nicht, daß das ein bißchen viel ist?« »Ugh,« antwortete der Häuptling, »ein bißchen zuviel ist gerade richtig für einen Häuptling!«¶

Dennoch bleiben gewisse Doktrinen der »Futurologie« problematisch. Selbst wenn wir - zum Beispiel - das befreiende Potential von neuen Technologien wie TV, Computern, Robotern, Weltraumforschung etc. anerkennen, ist uns allerdings die Differenz zwischen Potential & Realität bewußt. Die Banalisierung des TV, die Yuppisierung von Computern & die Militarisierung des Alls verweisen darauf, daß diese Technologien als solche keine »unbedingte« Garantie für ihre befreiende Anwendung bieten.¶

Wenn wir auch gegen den Nuklearen Holocaust sind, der ein spektakuläres Ablenkungsmanöver ist, damit wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf reale Probleme richten, so müssen wir doch zugeben, daß »Mutual Assured Destruction« & »Sauberer Krieg« unseren Enthusiasmus für bestimmte Aspekte des High-Tech-Abenteuers dämpfen.¶

Dem Ludismus als Taktik gilt immer noch die Zuneigung der Ontologischen Anarchie: wenn eine gegebene Technologie - wie bewunderswert sie in potentia (in Zukunft) auch sein mag - angewandt wird, mich hier & jetzt zu unterdrücken, dann muß ich entweder die Waffe der Sabotage schmieden oder aber mir die Produktionsmittel aneignen (oder - was vermutlich wichtiger ist - die Mittel der Kommunikation). Es gibt keine Humanität ohne techne - aber es gibt keine techne, die mehr wert ist als meine Humanität.¶

Wir sind gegen einen reflexartigen Anti-Tech-Anarchismus - für uns zumindest (wie man so hört, gibt es ein paar Leute, denen die Landwirtschaft Spaß macht) -, und wir lehnen das Konzept technologischer Fixierung ab. Für uns sind alle Formen des Determinismus gleich inhaltsleer - wir sind weder Sklaven unserer Gene noch unserer Maschinen. »Natürlich« ist das, was wir imaginieren & kreieren. »Die Natur kennt keine Gesetze - nur Gewohnheiten.«¶

Das Leben gehört für uns weder der Vergangenheit - diesem Land berühmter Geister, die ihre verblichenen Grabbeigaben hüten - noch der Zukunft, deren mit Superhirnen ausgestattete Mutanten eifersüchtig über die Geheimnisse der Unsterblichkeit wachen, noch dem Flug, der schneller als das Licht ist, noch Designer-Genen & dem Verschwinden des Staates.¶

Aut nunc aut nihil. Jeder Moment enthält eine Ewigkeit, die es zu durchdringen gilt - dennoch verlieren wir uns in Visionen, die wir mit Leichenaugen sehen, oder in der Nostalgie für ungeborene Perfektion.¶

Die Errungenschaften meiner Vorfahren & Nachkommen sind mir nicht mehr als ein instruktives & unterhaltsames Geschichtchen - ich werde sie nie als höherstehend ansehen, auch nicht, um meine Winzigkeit zu entschudigen. Ich stelle mir selbst eine Lizenz aus, von ihnen zu stehlen, was immer ich brauche - psychischen Paläolithismus oder High Tech - oder gar den großartigen Detritus der Zivilisation selbst, Geheimnisse der Weisen Meister, Freuden frivoler Erhabenheit & la vie bohème

La décadence spielt in der Ontologischen Anarchie eine so große Rolle wie Gesundheit - wir nehmen uns, was wir brauchen - von beiden. Dekadente Ästheten führen weder dumpf-blöde Kriege, noch liefern sie ihr Bewußtsein engstirniger Habgier & elenden Ressentiments aus. Sie suchen ihr Abenteuer in künstlerischer Innovation & nicht-gewöhnlicher Sexualität statt in der Misere anderer. Die A.O.A. bewundert & ahmt ihre Faulheit nach, ihre Abneigung gegenüber der Stupidität der Normalität, ihre Aneignung aristokratischer Empfindsamkeiten. Für uns harmonieren diese Qualitäten paradoxerweise mit jenen der Steinzeit & ihrer überströmenden Gesundheit, Ignoranz gegenüber Hierarchien, Kultivierung der virtù statt des Gesetzes. Wir fordern Dekadenz ohne Krankheit & Gesundheit ohne Langeweile!¶

Daher unterstützt die A.O.A. bedingungslos alle indigenen und tribalen Völker in ihrem Kampf für vollständige Autonomie - & gleichzeitig die wildesten, abgedriftetsten Spekulationen & Forderungen der Futurologen. Der Paläolithismus der Zukunft (der für uns - als Mutanten - bereits existiert) wird auf breiter Ebene nur durch eine massive Technologie der Imagination und ein wissenschaftliches Paradigma erreicht werden, das über die Quantenmachanik hinausgeht und in die Gefilde der Chaos-Theorie & die Halluzinationen spekulativer Fiktion vordringt.¶

Als wurzellose Kosmopoliten erheben wir Anspruch auf alle Schönheiten der Vergangenheit, des Orients und tribaler Gesellschaften - all dies muß & kann unser sein. Selbst die Schätze des Imperiums können unser sein: unser, zur gerechten Aufteilung unter uns. Und gleichzeitig fordern wir eine Technologie, die Agrikultur, Industrie und selbst die Simultaneität der Elektrizität transzendiert, eine Hardware, die sich mit der Wetware des Bewußtseins kreuzt, die die Macht von Quarks, von Partikeln, die in der Zeit zurückreisen, von Quasaren & parallelen Universen umfaßt.¶

Die zänkischen Ideologen des Anarchismus & Libertärianismus verweisen auf ein Utopia, das ihrer jeweiligen tunnel-vision entspricht, von der Landkommune bis zur L-5 Space City. Wir sagen, laßt tausend Blumen blühen - ohne einen Gärtner allerdings, der das Unkraut jätet & gemäß irgendeines moralisierenden oder eugenischen Hirngespinstes herumtändelt. Der einzig wirkliche Konflikt ist der zwischen der Autorität des Tyrannen & der Autorität des realisierten Selbst - alles andere ist Illusion, psychologische Projektion, überflüssiger Wortschwall.¶

In einem Sinne haben die Söhne & Töchter von Gaia das Paläolithikum nie verlassen; in einem anderen Sinne sind all die Perfektionen der Zukunft bereits unser. Nur Insurrektion wird dieses Paradox »lösen« - nur der Aufstand gegen falsches Bewußtsein - bei uns & anderen - wird die Technologie der Unterdrückung & die Armseligkeit des Spektakels hinwegfegen. In dieser Schlacht kann sich eine bemalte Maske oder Schamanenrassel ebenso wirksam erweisen wie die Aneignung eines Kommunikationssatelliten oder das Eindringen in ein geheimes Computernetzwerk.¶

Unser einziges Kriterium zur Beurteilung einer Waffe oder eines Werkzeuges ist deren Schönheit. Die Mittel sind in gewisser Weise bereits der Endzweck; die Insurrektion ist bereits unser Abenteuer; Werden IST Sein. Vergangenheit & Zukunft existieren in uns & für uns, Alpha & Omega. Es gibt keine anderen Götter vor oder nach uns. In der ZEIT sind wir frei - und wir werden auch im RAUM frei sein.¶



(Dank an Hagbard Celine the Sage of Howth & Environs)

Saurier, 0.28k



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