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Kommuniqué #5 | Kommuniqué #7 |
Solange uns kein Stalin im Genick sitzt, warum nicht ein wenig Kunst im Dienste ... einer Insurrektion machen?¶
Schert euch nicht drum, wenn dies »unmöglich« ist. Was können wir schon zu erreichen hoffen, wenn nicht das »Unmögliche«? Sollen wir auf jemand anderen warten, uns unsere wirklichen Begierden zu enthüllen?¶
Wenn Kunst gestorben oder das Publikum dahingewelkt ist, dann sind wir von zwei toten Lasten befreit. Potentiell ist nun jeder eine Art Künstler - & potentiell hat jedes Publikum seine Unschuld wiedererlangt, die Fähigkeit, die Kunst zu werden, die sie erlebt.¶
Vorausgesetzt, wir können den Museen entkommen, die wir in uns mit uns herumschleppen, vorausgesetzt, wir können aufhören, uns Eintrittskarten für die Galerien in unseren eigenen Schädeln zu verkaufen, wir können anfangen, eine Kunst zu betrachten, die das Ziel des Zauberers rekreiert: die Struktur der Realität durch die Bearbeitung lebendiger Symbole zu ändern (in diesem Falle die Bilder, die uns von den Organisatoren dieses Salons »gegeben« wurden - Mord, Krieg, Hunger & Gier).¶
Wir könnten uns dann ästhetischen Aktionen hingeben, denen etwas von der Wirkung des Terrorismus (oder der »Grausamkeit« - wie Artaud sich ausdrückte) eigen ist und die auf die Zerstörung von Abstraktionen statt Personen, auf Befreiung statt Macht, Freude statt Profit, Spaß statt Angst abzielen. »Poetischer Terrorismus.«¶
Die Bilder, auf die unsere Wahl fiel, sind potentiell dunkel - aber alle Bilder sind Masken & hinter diesen Masken verbergen sich Energien, die wir in Licht & Freude verwandeln können.¶
So war beispielsweise der Mann, der Aikido erfunden hat, ein Samurai, der zum Pazifisten wurde & sich weigerte, für den japanischen Imperialismus zu kämpfen. Er wurde zum Eremiten, lebte auf einem Berg und saß unter einem Baum.¶
Eines Tages kam ein früherer Offizierskollege ihn besuchen & beschuldigte ihn des Verrats, der Feigheit etc. Der Einsiedler sagte nichts, sondern blieb einfach sitzen - & der Offizier geriet in Rage, zog sein Schwert & schlug zu. Spontan entwaffnete der unbewaffnete Meister den Offizier & gab ihm sein Schwert zurück. Wieder & wieder versuchte der Offizier zu töten, setzte jedes zu seinem Repertoire gehörende kunstvolle kata ein - aber dank seines klaren Kopfes entwickelte der Eremit jedes Mal eine neue Art, ihn zu entwaffnen.¶
Der Offizier wurde natürlich sein erster Schüler. Später lernten sie, wie man Kugeln ausweicht.¶
Wir könnten uns einer Art Metadrama widmen, das etwas vom Gehalt dieser Performance bewahrt, die einer gänzlich neuen Kunst den Weg bereitete, einer gänzlich gewaltfreien Kampfart - Krieg ohne Mord, »das Schwert des Lebens« statt des Todes.¶
Eine Konspiration von Künstlern, anonym wie andere verrückte Bombenwerfer, aber auf einen Akt der Generosität statt auf Gewalt aus, auf das Millennium statt auf die Apokalypse - oder vielmehr auf einen Moment der Präsenz eines ästhetischen Schocks im Dienste der Erkenntnisstiftung & Befreiung.¶
Kunst erzählt großartige Lügen, die wahr werden.¶
Ist es möglich, ein GEHEIMES THEATER zu schaffen, aus dem sowohl Künstler wie Publikum restlos verschwunden sind - nur um auf einer anderen Ebene wieder aufzutauchen, auf der Leben & Kunst ein und dasselbe, ein ausschließliches Überreichen von Geschenken geworden sind?¶
(Anmerkung: Die »Salon Apocalypse« wurde im Juli 1986 von Sharon Gannon organisiert.)¶
Die Manichäer & Katharer glaubten, der Körper könne spiritualisiert werden - oder vielmehr, daß der Körper lediglich den reinen Geist kontaminiert & völlig abgelehnt werden muß. Die gnostischen perfecti (radikale Dualisten) hungerten sich zu Tode, um dem Körper zu entfliehen & in den Himmel reinen Lichts zurückzukehren.¶
Also: Um den Übeln des Fleisches - Mord, Krieg, Hunger, Gier - zu entgehen, bleibt paradoxerweise nur ein Weg: Mord des eigenen Körpers, Krieg dem Fleisch, Hunger bis zum Tode, Gier bis zur Erlösung.¶
Die radikalen Monisten jedoch (Ismailis, Ranters, Antinomisten) glauben, daß Körper & Geist eins sind, daß derselbe Geist, der einen schwarzen Stein durchdringt, auch das Fleisch mit seinem Licht durchtränkt, daß alles lebt & alles Leben ist. »Dinge sind, was sie sind, spontan ... alles ist natürlich ... alles in Bewegung, als gäbe es einen Wahren Herrn, der dies bewirkt - suchen wir aber nach einem Beweis für diesen Herrn, so finden wir keinen.« (Kuo Hsiang)¶
Paradoxerweise kann der monistische Pfad nicht begangen werden ohne »Mord, Krieg, Hunger, Gier«: die Transformation von Tod in Leben (Nahrung, Negentropie) - Krieg gegen das Reich der Lügen - »Fasten der Seele« oder Renunziation der Lüge von allem, das nicht Leben ist - & Gier nach dem Leben selber, die absolute Macht des Begehrens.¶
Mehr noch: ohne Wissen um die Finsternis (»carnal knowledge«) kann kein Wissen vom Licht existieren (»Gnosis«). Die beiden Wissen sind nicht bloß komplementär, sondern eher identisch, wie die gleiche Note, die in verschiedenen Oktaven gespielt wird.¶
Heraklit behauptet, daß Realität in einem Zustand des »Krieges« fortdauert. Nur kollidierende Töne können Harmonie hervorbringen. (»Chaos ist die Summe aller Ordnungen.«)¶
Gib jedem dieser vier Termini eine andere Sprachmaske (die Furien »Die Freundlichen« zu nennen, ist kein bloßer Euphemismus, sondern ein Weg, noch mehr Bedeutung freizulegen). Maskiert, ritualisiert, als Kunst aufgefaßt, nehmen diese Termini ihre dunkle Schönheit an, ihr »Schwarzes Licht.«¶
Statt Mord sage die Jagd, die paläolithische Existenzweise aller archaischen und nicht-autoritären Stammesgesellschaften - »venery«, das Töten & Essen von Fleisch & das Venushafte, das Begehren. Statt Krieg sage Insurrektion, nicht die Revolution von Klassen & Mächten, sondern des ewigen Rebellen, des dunklen, der Licht hervorbringt. Statt Gier sage Verlangen, unbezwingbares Begehren, verrückte Liebe. Und dann sprich statt Hunger, was eine Art Verstümmelung ist, von Ganzheit, Fülle, Überfluß, Großzügigkeit des Selbst, das sich spiralförmig hinaus zum Anderen bewegt.¶
Ohne diesen Tanz der Masken wird nichts geschaffen werden. In der ältesten Mythologie ist Eros der Erstgeborene des Chaos. Eros, der Wilde, der bezähmt, ist die Tür, durch die der Künstler zum Chaos, dem Einen, zurückkehrt und wiederkehrt und eines der Zeichen der Schönheit trägt. Der Künstler, der Jäger, der Krieger: einer, der gleichermaßen leidenschaftlich und ausgeglichen, gierig & altruistisch ist bis zum alleräußersten Extrem. Wir müssen von allen Erlösungen erlöst werden, die uns von uns selbst erlösen, von unserem Animalischen, das sowohl unsere Anima ist, unsere eigentliche Lebenskraft, wie auch unser Animus, unsere animierende Selbstermächtigung, die sich gar als Zorn & Gier manifestieren kann. BABYLON hat uns gelehrt, daß unser Fleisch Schmutz ist - mit diesem Vermächtnis & dem Versprechen der Erlösung hat es uns versklavt. Aber - wenn das Fleisch bereits »erlöst«, Licht ist - wenn gar das Bewußtsein selbst eine Art von Fleisch ist, ein fühlbarer & simultan lebender Äther - dann brauchen wir keine sich für uns verwendende Macht. Die Wildnis - wie Omar sagt - ist Paradies genug.¶
Das Imperium verfügt über das wirkliche Eigentum am Mord, denn nur Freiheit bedeutet vollständiges Leben. Krieg ist ebenfalls babylonisch - kein freier Mensch wird für eines anderen Machterweiterung sterben. Hunger existiert nur dank der Zivilisation der Erlöser, der Priester-Könige - war es nicht Joseph, der den Pharao lehrte, mit Getreide zu spekulieren? Gier - nach Land, nach symbolischem Reichtum, nach Macht zur Deformierung der Seelen & Körper anderer zwecks eigener Erlösung - Gier entsteht ebenfalls nicht aus der sich »natürlich gebärdenden Natur«, sondern aus der Eindämmung & Kanalisierung aller Energien zum Ruhme des Imperiums.¶
Gegen all das verfügt der Künstler über den Tanz der Masken, die totale Radikalisierung der Sprache, die Schaffung eines »Poetischen Terrorismus«, der keine Lebewesen attackiert, sondern schädliche Ideen, Todeslasten auf den Sargdeckeln unserer Begierden. Die Gebäude der Erdrosselung und Lähmung werden nur durch die totale Zelebrierung von allem - selbst der Dunkelheit - gesprengt.¶
Sommersonnenwende, 1986
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