Vor mehr als 17 Jahren, am 14. Mai 1970, begann mit der Befreiung Andreas Baaders die bis heute andauernde Auseinandersetzung zwischen der Roten Armee Fraktion (RAF) und der Staatsmacht der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Vor allem für die jüngere Generation ist es nahezu unmöglich, sich über diese Auseinandersetzung ein Bild zu machen, weil die dazu erforderlichen Quellen weitgehend unzugänglich sind.
Zwar sind in den letzten Jahren einige nützliche Beiträge zur Aufklärung und Aufarbeitung der Auseinandersetzung geleistet worden; zu nennen sind z.B. die Broschüren von Anwälten der politischen Gefangenen zu verschiedenen Gesichtspunkten und das Buch "Stammheim" des niederländischen Rechtsanwaltes Pieter Bakker Schut, der eine juristisch-politische Analyse des Stammheimer Prozesses vornimmt und die staatliche Prozeßführung in allen ihren Dimensionen als Versuch zur gezielten Vernichtung politischer Gegner enthüllt.
Gleichwohl fehlt bisher eine Sammlung auch nur der wichtigsten Dokumente der Auseinandersetzung zwischen der RAF und der BRD. Das erschwert die Diskussion, die stattfinden muß und auch stattfindet, ganz erheblich. Nicht nachweisbare Behauptungen über angebliche oder auch wirkliche Zielsetzungen der RAF auf der einen, Unkenntnis oder auch absichtsvoll die Politik der BRD verhüllende Behauptungen auf der anderen Seite wirken hier vielfach bestimmend.
Mit der vorliegenden Sammlung ausgewählter Dokumente der Roten Armee Fraktion sowie der Staatsorgane und des gesellschaftlichen Überbaus will der Verlag GNN dazu beitragen, die bestehende Lücke zu schließen und die Diskussion zu verwissenschaftlichen.
Die Veröffentlichung von programmatischen Schriften und Erklärungen der Roten Armee Fraktion soll die Kenntnis ihrer politischen Zielsetzungen, ihrer Kritik am Imperialismus und ihrer Begründung des politischen Konzepts der Stadtguerilla vermitteln.
Die dokumentierten Texte der Staatsorgane und des gesellschaftlichen Überbaus sind, im Unterschied zu den Texten der RAF, im Prinzip öffentlich zugänglich. Doch der Aufwand, sich diese Quellen zu erschließen, ist so hoch, daß sie auch für den Interessiertesten praktisch verschüttet sind. Die bürgerliche Agitation trägt die in der Auseinandersetzung mit der RAF entwickelten Argumente und Positionen, die die Staatspolitik bestimmten und bestimmen, nicht lauthals zu Markte. Mit ihrer Veröffentlichung verbinden wir die Absicht, sie über einen kleinen Kreis von Spezialisten hinaus bekannt zu machen und die Kritik daran zu entwickeln und zu fördern. Die von den Staatsorganen begründeten und durchgeführten Maßnahmen gegen die RAF und verwandte Bewegungen beweisen ein hohes Maß an Bereitschaft, ja das Bestreben, den für die Ausübung der Exekutive bestehenden gesetzlichen Raum zu verlassen und Opposition mit Mitteln totzuschlagen, die erst nachträglich oder niemals legalisiert wurden oder deren Legalisierung selbst einen Rechtsbruch bedeutet.
Die Dokumente sind chronologisch geordnet und durch die knappe Aufzeichnung von in der Auseinandersetzung wichtigen Ereignissen verbunden.
Der Schwerpunkt der Dokumentation liegt auf den Jahren 1970 bis 1977, der ersten Phase der Auseinandersetzung, die in gewisser Weise mit dem GSG9-Einsatz in Mogadischu und dem Tod der Stammheimer Gefangenen abgeschlossen ist. Aus dieser Phase fehlt vor allem der 1971 von Horst Mahler verfaßte Text "Kollektiv RAF, Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa" (auch bekannt unter: "Die neue Straßenverkehrsordnung"), der in der RAF von Anfang an umstritten war. Dieser Text wurde aus demselben Grund nicht abgedruckt, aus denen auch Texte verwandter Bewegungen, vor allem der Bewegung 2. Juni und der Revolutionären Zellen, fehlen: Die Dokumentation mußte eingegrenzt werden, um nicht uferlos zu werden. - Die Texte aus den Jahren nach 1977 dokumentieren, wie die RAF und wie die BRD die erste Phase der Auseinandersetzung selbst aufarbeiten.
Daß die Dokumentation mit der Aktion beginnt, mit der die RAF in das politische Leben der BRD tritt, soll nicht das Vorurteil befestigen, daß die in der chronologischen Aufzeichnung und vor allem in den Dokumenten selbst erkennbare Entfesselung der Staatsmacht von der RAF verursacht, provoziert oder doch zumindest erleichtert worden wäre. In den verschiedenen Texten der Staatsorgane wird dieses Argument immer wieder in den verschiedensten Variationen aufbereitet. Deshalb sei daran erinnert, daß, bevor irgend jemand in der BRD und Westberlin daran dachte, die RAF oder verwandte Bewegungen zu organisieren, die westdeutsche Monopolbourgeoisie
1956 die KPD verboten hat,
in den 50er Jahren die Wiederaufrüstung betrieben hat,
in den 60er Jahren das gegen die Länder der Dritten Welt gerichtete Bündnis mit dem US-Imperialismus durch direkte Unterstützung des Vietnam-Krieges gefestigt hat,
mit den Notstandsgesetzen im Innern alle gesetzlichen Einschränkungen im Gebrauch der Staatsmacht für den Fall der Fälle beseitigt hat,
die gesetzlichen Grundlagen für die Aufrüstung von Polizei und Geheimdiensten geschaffen hatte,
mit der Erschießung Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 die ganze staatliche Gewalt gegen Leute zum Einsatz gebracht hat, die Kritik an der imperialistischen Politik der BRD vorgebracht hatten.
Dies bezeichnet nur einige der wichtigsten Entwicklungen, die die Herausbildung der RAF sowie auch anderer Strömungen der politischen Opposition mit bedingten.
Die nicht dokumentarische Chronologie ist durch schmalere Satzbreite gekennzeichnet. In schmalerer Satzbreite sind ebenfalls die kurzen, stichwortartigen Hinweise auf den Inhalt, die den längeren Dokumenten vorangestellt sind.
Um das Verständnis der für den Zeitgenossen verfaßten Dokumente zu erleichtern, gibt die Redaktion einige Erläuterungen, die als Fußnoten jeweils im Anschluß an die Dokumente abgedruckt sind. Die originalen Anmerkungen und Fußnoten sind dabei teils, jedoch nicht immer übernommen worden.
Die verschiedenen Vorlagen für die Dokumente der RAF weichen z.T. geringfügig ab, meistens aufgrund von Übertragungsfehlern. Die Redaktion hat nach sorgfältiger Prüfung von Fall zu Fall entschieden.
Die RAF verwendet v.a. in den früheren Texten Zitate in der Regel ohne Quellennachweis. Dies entspricht einer in der Linken der 70er Jahre weit verbreiteten Unsitte. Die Redaktion liefert die Quellennachweise nicht nach und hat auch auf die Überprüfung der Zitate verzichtet.
In Anlehnung an die Ausgabe "texte: der RAF" sind Zitate kursiv geschrieben. Die kursive Schreibweise für Zitate wurde aus Gründen der Einheitlichkeit für alle Texte verwandt.
Die Schreibweise v.a. der späteren RAF-Texte ist insoweit geändert, als die Redaktion die Kleinschreibung nicht übernommen hat.
In der Redaktion, die die Dokumentation erstellte, arbeiteten zusammen:
Mitglieder von BWK - Bund Westdeutscher Kommunisten; FAU/R - freie Arbeiterunion/Rätekommunisten; GJA/R - Gruppe Junger Anarchisten/Rätekommunisten; PA - Proletarische Aktion; Volksfront; VSP - Vereinigte Sozialistische Partei; ehemalige politische Gefangene.
Redaktion
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