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Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF)
Chronologie


14.05.1970 Befreiung von Andreas Baader. Andreas Baader war am 4. April in Westberlin in eine Verkehrskontrolle geraten und verhaftet worden, da er eine längere Reststrafe u.a. wegen Kaufhausbrandstiftung abzusitzen hat. Seine Befreiung findet während eines Aufenthaltes im Institut für Soziale Fragen statt. Mit der Gefangenenbefreiung proklamiert sich die Rote Armee Fraktion (RAF).
In einem Brief an die Westberliner Untergrundzeitung "883" erklärt die RAF, an wen sie sich mit der Aktion wendet: an die, die es satt haben, und warum sie die Rote Armee aufbaut: um die Konflikte auf die Spitze zu treiben.
Die Rote Armee aufbauen
24.06.1970 Die letzte noch existierende SDS-Gruppe in Heidelberg wird vom baden-württembergischen Innenminister verboten. Der SDS hatte sich am 21.3.1970 als bundesweite Organisation aufgelöst.
05.11.1970 Der Deutsche Bundestag verabschiedet ein "Sofortprogramm zur Modernisierung und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung", das v.a. eine materielle und personelle Stärkung des BKA sowie die Erweiterung seiner zentralen Befugnisse vorsieht.
28.01.1971 Der Innenminister der sozialliberalen Bundesregierung Genscher (FDP) übergibt den Fahndungsauftrag "gegen Baader und andere" an die Sicherungsgruppe Bonn. Diese ist dem Innenministerium direkt unterstellt. In einem Vorbericht des BKA-Beamten Alfred Klaus heißt es am 19.2. über die RAF: "Die Beweggründe für das strafbare Tun der Täter und die von ihnen verfolgten revolutionären Ziele haben ihren Ursprung in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung der letzten Jahre, die durch die antiautoritäre Studentenbewegung und andere Kräfte der außerparlamentarischen Opposition ausgelöst wurde."
10.02.1971 Die Sicherungsgruppe Bonn und der Verfassungsschutz beschatten zwei Mitglieder der RAF, Manfred Grashof und Astrid Proll, und versuchen sie im Frankfurter Westend festzunehmen. Die zwei können flüchten, obwohl die Beamten schießen. Die Springerpresse erklärt die RAF zum "Staatsfeind Nr. 1".
Seit Mai letzten Jahres hat die Polizei zwölf Beschuldigte in Untersuchungshaft genommen und acht Haftbefehle erlassen.
28.02.1971 Die Bundesanwaltschaft (BAW) übernimmt das Ermittlungsverfahren gegen die RAF.
01.03.1971 Im Kriminalgericht Moabit, das zur Festung ausgebaut wurde, wird Horst Mahler mangels Beweisen freigesprochen, unter Hinzuziehung des § 129 (kriminelle Vereinigung) aber weiter in Haft behalten bis zu seinem zweiten Prozeß im Oktober 1972. Irene Goergens und Ingrid Schubert werden wegen der Baader-Befreiung zu hohen Haftstrafen verurteilt.
April 1971 Die RAF-Schrift "Rote Armee Fraktion: Das Konzept Stadtguerilla" erscheint.
Inhalt: erstes Jahr der Praxis; Stärke des Systems in der BRD; Funktion des Reformismus; Schwäche der revolutionären Bewegung; Verdienst der Studentenbewegung; Bedeutung des Internationalismus; Notwendigkeit der revolutionären Initiative; Klassenanalyse und Primat der Praxis; Negation der parlamentarischen Demokratie und Stadtguerilla als Konsequenz daraus; Differenzen zu anderen Strömungen der Linken, insbesondere den Parteiaufbaukonzepten; Organisierung der Illegalität.
Das Konzept Stadtguerilla
15.07.1971 In Hamburg wird im Zuge der ersten Großfahndung nach der RAF, der Großaktion "Kora", Petra Schelm durch einen Schuß aus der Maschinenpistole, der unterhalb des linken Auges trifft, getötet. Werner Hoppe wird festgenommen. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Schützen wird von der Hamburger Staatsanwaltschaft Ende Juli 1971 eingestellt. Der Beamte habe in Notwehr gehandelt.
01.09.1971 Horst Herold wird Chef des Bundeskriminalamtes (BKA). Herold trifft alle Vorbereitungen für eine neue Fahndungsmethode. Herold einige Jahre später: "Die EDV versetzt uns vielmehr in die Lage, das Vergleichen von Fakten, d.h. die Voraussetzung detektivischer Kombinationsarbeit, schneller und zuverlässiger durchzuführen. So ist es mit Hilfe der EDV erstmals möglich, einen Fingerabdruck, den die Polizei an einem Tatort etwa in Garmisch-Partenkirchen findet, in kürzester Zeit mit den Fingerabdrücken sämtlicher 2,8 Millionen Personen zu vergleichen, die wir im BKA verwahren." Das BKA kann seine Daten auch unmittelbar mit dem Ausländerzentralregister abgleichen.
Wenige Wochen später, am 4.10.1971, bringt die Bundesregierung einen Antrag für ein Bundesmeldegesetz ein, das lückenlose Erfassung von Personendaten und deren Verfügbarkeit für alle staatlichen Behörden ermöglichen soll.
22.10.1971 Bei der Festnahme Margrit Schillers wird ein Polizeibeamter erschossen. Der vermutliche Schütze G. Müller wird später "Kronzeuge" der Bundesanwaltschaft, die Ermittlungen gegen ihn betreffend den Tod des Polizisten werden dafür niedergeschlagen.
04.12.1971 In Westberlin erschießen Polizisten in Zivil im Rahmen der Fahndung "Trabrennen" Georg von Rauch. Bei einer Fahrzeugkontrolle waren Georg von Rauch und zwei Begleiter aufgefordert worden, sich mit erhobenen Händen und dem Gesicht zur Wand an eine Hauswand zu stellen. Er wurde erfolglos nach Waffen durchsucht. Als Georg von Rauch zur Seite blickt, trifft ihn die Kugel aus einem Meter Entfernung. Die Oberstaatsanwaltschaft Westberlin stellt das Ermittlungsverfahren gegen "unbekannte Bedienstete" Ende Mai ein.
19.12.1971 Das 11. und 12. Strafrechtsänderungsgesetz, mit denen die Strafen für Flugzeugentführung und Geiselnahme verschärft werden, treten in Kraft.
22.12.1971 Bei einem Banküberfall in Kaiserslautern wird ein Polizist erschossen. Obwohl über die Täterschaft Unklarheit besteht, startet die Springerpresse eine hysterische Hetzkampagne gegen die RAF.
27.01.1972 Die Ständige Sitzung der Innenminister des Bundes und der Länder berät Maßnahmen gegen die RAF. Den Vorsitz der Tagung führt Senator Ruhnau (SPD), Hamburg.
Protokoll der Innenministerkonferenz v. 27.1.1972
28.01.1972 Die Regierungschefs des Bundes (Brandt, SPD) und der Länder fassen den "Extremistenbeschluß": "... darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr bietet, - daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt ..." Der NRW-Ministerpräsident Kühn (SPD) erklärt: "Ulrike Meinhof als Lehrerin oder Andreas Baader bei der Polizei beschäftigt, das geht nicht."
02.03.1972 Thomas Weißbecker wird in Augsburg von einem polizeilichen Sonderkommando aus 2 m Entfernung erschossen. Das Ermittlungsverfahren wird Ende August eingestellt. - Am gleichen Tag wird bei der Verhaftung von Manfred Grashof und Wolfgang Grundmann in Frankfurt ein Polizist erschossen. Manfred Grashof wird schwer verletzt (Schüsse in Kopf und Brust) nach wenigen Tagen in eine Haftzelle gesperrt.
22.03.1972 Die sozialliberale Bundesregierung verabschiedet das "Schwerpunktprogramm »Innere Sicherheit«". Im Zentrum steht der Ausbau des Bundeskriminalamtes. Das Amt wird personell von 933 Stellen (1969) auf 2062 Stellen (1973) (1981: 3536 Beamte und Angestellte) ausgebaut. Finanziell sind das 1969: 22,4 Mio. DM, 1973: 122 Mio. DM (1981: 290 Mio. DM).
Die Bereitschaftspolizeien der Länder, im "Sofortprogramm von 1970" (siehe oben) noch nicht einmal erwähnt, gewinnen an Bedeutung als "ein wichtiger Ordnungsfaktor der inneren Sicherheit". Von 18000 Mann soll die Truppenstärke auf 22300 Mann aufgestockt werden. Die Ausrüstung soll auf Kosten des Bundes modernisiert und ergänzt werden um Fernmeldegerät, Kraftfahrzeuge und sonstiges polizeitaktisches-technisches Gerät. Die Bewaffnung soll Handgranaten und MG's einbeziehen.
Der Bundesgrenzschutz soll zu einem "zusätzlichen, jederzeit abrufbaren Sicherheitspotential" werden. Vorgesehen wird der personelle Ausbau von 20000 Stellen 1969 auf 22159 Stellen im Jahre 1973. Zur Verbesserung der Einsatzfähigkeit sollen u.a. Hubschrauberstaffeln aufgestellt werden.
Schwerpunkt des Ausbaus des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist die bessere Ausstattung mit Observationsgruppen. Der Stellenplan wird von 1016 (1969) auf 1409 Stellen im Jahre 1973 aufgestockt.
April 1972 Die RAF-Schrift "Rote Armee Fraktion - Stadtguerilla und Klassenkampf" erscheint.
Inhalt: Konzerne und Staat; westdeutsche Innen- und Außenpolitik als Innen- und Außenpolitik der Konzerne; multinationale Organisation der Konzerne, nationale Beschränktheit des Proletariats; Stadtguerilla als Verbindung von nationalem und internationalem Kampf; die exemplarische Bedeutung des Chemiearbeiterstreiks 1971; Militarisierung der Klassenkämpfe; objektive Aktualität der sozialen Frage: Armut in der BRD; subjektive Aktualität der Eigentumsfrage; Reformismus und Unterschied zwischen CDU und SPD; Rolle der Springerpresse; Möglichkeiten und Funktion der Stadtguerilla; Anmerkungen zu Verrat, Liberalismus, Bankraub, Solidarität.
Stadtguerilla und Klassenkampf
11.05.1972 Im Hauptquartier des V. US-Corps in Frankfurt gehen drei Bomben hoch. Ein Offizier wird getötet, 13 Soldaten werden verletzt. Das RAF-"Kommando Petra Schelm" gibt eine Erklärung ab:
Kommandoerklärung zu Frankfurt
12.05.1972 Bombenanschläge auf die Polizeihauptquartiere in Augsburg und München. Dabei wird niemand verletzt.
16.05.1972 Sprengstoffanschlag auf Buddenberg, BGH-Richter in Karlsruhe, bei dem dessen Frau verletzt wird. Das RAF-"Kommando Manfred Grashof" macht Buddenberg für einen Mordversuch an dem RAF-Gefangenen Grashof, für die Zwangsnarkotisierung gegen die RAF-Gefangene Carmen Roll und für die Isolationshaftbedingungen verantwortlich. In einer Erklärung vom 20.5. schreibt das Kommando u.a.:
Kommandoerklärung zu Buddenberg
19.05.1972 Zwei Bomben explodieren in Hamburg im Springer-Hochhaus. Trotz rechtzeitiger und dreimaliger Warnung vorher läßt Springer nicht räumen. 17 Arbeiter werden verletzt. Die RAF übt Selbstkritik und schreibt: "Wir haben Springer nicht als das Schwein eingeschätzt, das er tatsächlich ist."
24.05.1972 Bombenanschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Europa in Heidelberg, wo der Zentralcomputer installiert ist, mit dem die US-Flugeinsätze über Nordvietnam koordiniert werden. Drei Soldaten werden getötet. Das RAF-"Kommando 15. Juli" übernimmt mit der Kommandoerklärung vom 25.5.72 die Verantwortung:
Kommandoerklärung zu Heidelberg
28.05.1972 Bei dpa in Hamburg geht eine Meldung ein, derzufolge am 2. Juni in der Stuttgarter Innenstadt drei mit Sprengstoff beladene Autos explodieren sollen. Die Meldung ist mit RAF unterzeichnet. Zu dieser Zeit steht die Garage in Frankfurt, in der sich ein Sprengstofflager der RAF befindet, bereits seit neun Tagen unter Beobachtung durch die Sicherungsgruppe Bonn. In einem Brief an dpa, der mit dem Fingerabdruck von Andreas Baader unterzeichnet ist, dementiert die RAF am 30. Mai die Stuttgarter Bombendrohung. Der Brief, der vom 28. Mai datiert ist, wird in keiner Zeitung abgedruckt. In Frankfurt wird der in der Garage gelagerte Sprengstoff von der Sicherungsgruppe Bonn durch harmloses Material ersetzt.
31.05.1972 Unter Oberbefehl des Bundeskriminalamtes findet die "Aktion Wasserschlag" statt, an der die gesamte Polizei beteiligt ist. Mit allen verfügbaren Hubschraubern des öffentlichen Dienstes werden den ganzen Tag über Autobahn-Auf- und Abfahrten gesperrt und Personenkontrollen durchgeführt.
01.06.1972 Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe werden bei einer Großaktion der Sicherungsgruppe Bonn mit 300 Polizisten (bewaffnet mit Maschinenpistolen) und mit Einsatz eines Panzerwagens in der Frankfurter Garage verhaftet. Andreas Baader wird von einem Scharfschützen angeschossen und verletzt.
Weitere Verhaftungen folgen: Am 7. Juni Gudrun Ensslin in Hamburg, am 9. Juni Brigitte Mohnhaupt in Westberlin, am 15. Juni Ulrike Meinhof und Gerhard Müller in Hannover und am 7. Juli Irmgard Möller und Klaus Jünschke in Offenbach.
07.06.1972 Die Bundesregierung gibt eine Erklärung betreffend Fragen der Inneren Sicherheit ab. Bundesinnenminister Genscher (FDP) zu: Programm für Ausbau und Ausrichtung des staatlichen Unterdrückungsapparates; Grenzen der Kritik, Berufsverboten, Maßnahmen gegen "Sympathisanten"; Isolierung der RAF.
Erklärung der Bundesregierung betr. Fragen der inneren Sicherheit
17.06.1972 Der Bundesgerichtshof schließt Otto Schily als Verteidiger in der Strafsache gegen Gudrun Ensslin aus. Das Gericht behauptet, daß Schily Mitglied einer kriminellen Vereinigung sei und begründet das damit, daß bei der Verhaftung von Ulrike Meinhof eine Nachricht (Kassiber) von der inhaftierten Gudrun Ensslin gefunden worden sei, die nur über Schily aus dem Gefängnis gelangt sein könne.
22.06.1972 In dritter Lesung verabschiedet der Bundestag das Verfassungsschutzgesetz (veröffentlicht am 07.08.1972), das die Überwachungsmöglichkeiten für den Verfassungsschutz ausdehnt und die wechselseitige Amtshilfe zwischen Gerichten und Behörden und dem Bundesverfassungsschutz einführt.
Am gleichen Tag verabschiedet der Bundestag das Bundesgrenzschutzgesetz (veröffentlicht am 18.08.1972). Damit erhält der BGS umfassende polizeiliche Befugnisse für das Landesinnere. Als besondere Aufgabe legt das Gesetz fest: Grenzschutz, Einsatz im Notstands- und Verteidigungsfall, Schutz von Bundesorganen, Sicherung eigener Einrichtungen, Bundesgrenzschutz auf hoher See, Unterstützung der Polizei der Länder, Aufgaben im Zusammenhang mit dem Ausländergesetz, dem Paßgesetz, dem Waffengesetz, dem Sprengstoffgesetz etc.
25.06.1972 Im Rahmen einer Fahndungsaktion gegen die RAF wird in Stuttgart Ian Mac Leod erschossen. In den frühen Morgenstunden stürmen Kriminalbeamte die Wohnung des schottischen Geschäftsmannes. Dieser öffnet unbekleidet seine Schlafzimmertür und schließt sie sofort wieder. Im gleichen Moment schießt ein Kriminalobermeister mit einer Maschinenpistole durch die geschlossene Tür. McLeod ist sofort tot. Ein Verfahren gegen den Kriminalobermeister wird nicht eröffnet, der Beamte, so die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, habe sich in Putativ-Notwehr ("Vermeintlicher Notwehr") befunden.
02.09.1972 Demonstration der KPD/ML zum Anti-Kriegstag und gegen die "Friedensolympiade" in München. Die Demonstration wird nur außerhalb der Innenstadt genehmigt. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
05.09.1972 In den frühen Morgenstunden greifen acht Mitglieder der Gruppe "Schwarzer September" (der Name bezieht sich auf das Massaker der jordanischen Armee an den Palästinensern in Jordanien im September 1970) die israelische Olympiamannschaft im Olymischen Dorf in München an und nehmen neun israelische Sportler als Geiseln, zwei israelische Sportler finden den Tod. Die Gruppe fordert die Freilassung von 200 namentlich genannten Arabern, die von Israel gefangen gehalten werden. Bundesinnenminister Genscher führt die Verhandlungen in Absprache mit Kanzler Brandt. Sie vereinbaren mit der Gruppe "Schwarzer September", daß sie am Abend ausfliegen könne. Stattdessen wird das Kommando nicht, wie von Innenminister Genscher zugesagt, mit Hubschraubern zum Zivilflughafen geflogen, sondern zum Militärflughafen Fürstenfeldbruck. Die Mitglieder des Kommandos und die Geiseln werden mit Scheinwerfern geblendet. Fünf Scharfschützen eröffnen das Feuer gegen zwei Mitglieder des Kommandos, die gerade das Flugzeug betreten. Die deutschen Scharfschützen richten ihr Feuer auch auf einen Hubschrauber, der daraufhin explodiert. Bei dem Überfall kommen alle neun israelischen Geiseln, fünf Mitglieder der Gruppe "schwarzer September" und ein Polizist ums Leben. Die überlebenden Mitglieder des Kommandos "Schwarzer September" erklären, daß sie weder auf die Gefangenen gezielt haben noch entsprechende Anweisung dazu gehabt hätten. Genscher und Strauß sind in unmittelbarem Sichtkontakt beim Überfall dabei.
Am 7. September erklärt ein Sprecher der ägyptischen Regierung, die westdeutschen Behörden seien für die Tragödie voll verantwortlich, weil sie ihr Versprechen nicht gehalten hätten, die arabischen Guerillas und ihre israelischen Geiseln in eine arabische Hauptstadt fliegen zu lassen. Auf die Vorwürfe Brandts und Heinemanns, arabische Regierungen seien mitverantwortlich, droht Ägypten mit dem Auszug der arabischen Mannschaften von den Olympischen Spielen.
In einem Kommunique der Organisation "Schwarzer September" fordert diese den Ausschluß Israels von den Olympischen Spielen. Der Münchener Polizeipräsident und Sicherheitsbeauftragte für die Olympischen Spiele, Dr. Manfred Schreiber, erklärt: "Die Tendenz dieser Spiele war es, daß sich Deutschland anders präsentieren sollte, als es 1936 der Fall war: heiterer, gelassener, liberaler."
Die Aktion des "Schwarzen September" ist unter den arabischen Staaten und Organisationen - auch innerhalb der PLO - umstritten.
Am 7. September bombardiert Israel Flüchtlingslager im Libanon und tötet 200 Zivilisten.
13.09.1972 Auf Anregung von Bundesinnenminister Genscher beschließt die Innenministerkonferenz auf Bundes- und Länderebene die Aufstellung von Spezialeinheiten zur "Terrorismusbekämpfung". Am 21. September genehmigt der Haushaltsausschuß des Bundestags einstimmig 188 Planstellen für den Aufbau einer Sondereinheit des BGS. Mit Erlaß vom 26. September ordnet Bundesinnenminister Genscher die Aufstellung des Sonderverbandes GSG9 mit sofortiger Wirkung an. Im Konzept der Innenministerkonferenz vom 15. Februar 1974 wird der "Auftrag" der GSG9 so formuliert: "Die GSG9 ist zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben in Fällen von besonderer Bedeutung vorgesehen. Sie kann vor allem dann eingesetzt werden, wenn die Lage ein geschlossenes Vorgehen - offen oder verdeckt - unter Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen Gewalttäter erfordert. Dies ist insbesondere der Fall, wenn bandenmäßig organisierte Terroristen in größerem Umfang tätig werden."
03.10.1972 Die Bundesregierung verbietet die antiimperialistischen Organisationen Generalunion Palästinensischer Arbeiter (GUPA) und Generalunion Palästinensischer Studenten (GUPS). Am 8.10. demonstrieren in Dortmund, von einer zentralen Aktionseinheit aufgerufen, über 10000 gegen das Verbot und gegen die von der Bundesregierung eingeleitete Verschärfung der Ausländergesetze.
Nov. 1972 Die RAF-Schrift "Die Aktion des Schwarzen September in München - Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes" erscheint.
Inhalt: Strategie des antiimperialistischen Kampfes: den Kampf ins Zentrum tragen; Bedeutung des Nahen Ostens für den Imperialismus; imperialistische Einkreisungspolitik; Imperialismus als Einheit der Widersprüche; Imperialismus und Dritte Welt; Führungsanspruch der antiimperialistischen Befreiungsbewegungen; Opportunismus in den Metropolen und seine Grundlage; Ausbeutung, Massenkonsum, Massenmedien: der 24-Stundentag der Herrschaft des Systems; revolutionäres Subjekt; Faschismus und Antifaschismus; Antifaschismus und Antiimperialismus; Demaskierung des Systems.
Die Aktion des Schwarzen September in München - Zur Strategie des swarzen September in München - Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes
17.01.1973 40 politische Gefangene treten in den Hungerstreik. Sie fordern die Aufhebung der Isolation und insbesondere, daß Ulrike Meinhof aus dem Toten Trakt in Köln-Ossendorf herauskommt. Mit dem Hungerstreik, den die Justiz zeitweilig mit Wasserentzug bei verschiedenen Hungerstreikenden beantwortet, erreichen die Gefangenen, daß Ulrike Meinhof am 9.2.73 aus dem Toten Trakt in eine Einzelzelle der Männerabteilung des Gefängnisses Köln-Ossendorf verlegt wird. Daraufhin brechen sie den Hungerstreik am 12.2. ab.
Die Dokumente zum Toten Trakt machen deutlich: Die Staatsschutzbehörden haben der systematischen Isolation aller politischen Gefangenen bei Ulrike Meinhof und Astrid Proll in einem - auch akustisch isolierten - toten Gefängnistrakt eine Komponente hinzugefügt, die auf den neuesten Ergebnissen der Forschung beruht. Die vollständige Isolation ist schmerzhaft und zerstörerisch.
Strafantrag gegen NRW-Justizminister Posser
Ein Brief Ulrike Meinhofs aus dem Toten Trakt
14.02.1973 Das Bundesverfassungsgericht entscheidet zum Verteidigerausschluß. Es weist den Ausschluß von Rechtsanwalt Schily aus dem Stammheim-Verfahren zurück, da dafür keine gesetzliche Regelung besteht, und fordert die gesetzliche Regelung.
BVerfG zum Verteidigerausschluß
08.05.1973 80 politische Gefangene treten in den Hungerstreik für die Forderungen: "Gleichstellung der politischen Gefangenen mit allen anderen Gefangenen!" und "Freie politische Information für alle Gefangenen - auch aus außerparlamentarischen Medien!" (Aus der Erklärung) Erneut versucht die Justiz, den Hungerstreik zu brechen, u.a. durch Wasserentzug bei Andreas Baader. Als Gerichte bei zwei Gefangenen die Aufhebung der Isolation anordnen, wird der Hungerstreik am 29.6.1973 beendet.
Die Dokumente zur Isolationshaft zeigen: 1. Isolation kann aus dem bestehenden Strafvollzug heraus entwickelt werden durch Konzentration vorhandener Einzelelemente. 2. Einfache Lebensäußerungen werden unter den "Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung" gestellt. 3. Die Persönlichkeitsdeformation ist Ziel der Isolation, was bereits 1973 öffentlich nachgewiesen wird.
Haftstatut von Holger Meins

BVerfG zur Isolationshaft

Sjef Teuns: Isolation/Sensorische Deprivation: die programmierte Folter
28.06.1973 Das neue BKA-Gesetz erweitert die Kompetenzen des Bundeskriminalamtes, das zu einer "Zentralstelle für elektronischen Datenverbund zwischen Bund und Ländern wird" und das damit beauftragt wird, die Länderpolizeien in der "Vorbeugearbeit zur Verbrechensbekämpfung" zu unterstützen. Es erhält die Zuständigkeit für eine Reihe von Straftatbeständen und für die Verfolgung die gleichen Freiheiten wie der BGS, wobei §6 des Gesetzes feststellt: "Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2, Satz 1 GG), der Freiheit der Person (Art. 2, Abs. 2, Satz 2 GG), der Freizügigkeit (Art. 11, Abs.1 GG), der Unverletzlichkeit der Wohnungen (Art. 13 GG) werden nach Maßgabe dieser Vorschriften eingeschränkt."
25.01.1974 Eine gutachterliche Bestätigung bescheinigt, daß Astrid Proll verhandlungsunfähig ist. Später wird sie aufgrund ihres lebensbedrohlichen Gesundheitszustandes infolge der Isolation aus der Haft entlassen.
15.02.1974 Die Innenministerkonferenz beschließt die überarbeitete und erweiterte Fassung des "Programms für die innere Sicherheit der BRD" (siehe oben). Die bereits 1972 verabschiedeten Teile I bis IV sind Bestandteile dieses Programms. Schwerpunkte der Abschnitte V bis XI betreffen: spezielle polizeiliche Sicherheitsprobleme bei "Ereignissen mit politischem Charakter"; die Koordinierung der Verfassungsschutzbehörden und deren Zusammenwirken mit anderen Nachrichtendiensten, Polizei usw.; die Zusammenarbeit im EG-Bereich.
Im Einzelnen geht es um einheitliches Verhalten der Polizei bei Demonstrationen und anderen Ereignissen mit politischem Charakter, die Gewährleistung von "funktionsfähigen Lagezentren" durch die Innenministerien und die Einsatzbereitschaft der Mobilen Einsatzkommandos der Länder, deren Stärke auf 1500 Beamte beziffert wird, in Verbindung mit der Grenzschutzgruppe 9.
Für die Zusammenarbeit von Verfassungsschutzbehörden, Bundesnachrichtendienst, Militärischem Abschirmdienst, der Polizei und den Strafverfolgungsbehörden in Staatsschutzangelegenheiten wird die Bedeutung des "Nachrichtendienstlichen Verbundsystems" (NADIS) hervorgehoben.
21.05.1974 Im Zuge der "Terroristenfahndung" wird der Taxifahrer Günter Jendrian um 3 Uhr früh in seiner Wohnung erschossen. Auch hier wird das Verfahren gegen den Polizeibeamten mit der Begründung der "Notwehr" eingestellt. - Insgesamt sind von 1971 bis 1978 über 146 Tote durch polizeiliche Todesschüsse dokumentiert: 16 im Zusammenhang mit der sogenannten Terroristenjagd; 52 in Verfolgung von - meist einfachen - Kriminellen; 13 in Verfolgung von Verkehrssündern; die übrigen im Zuge allgemeiner Hysterie.
04.06.1974 In Westberlin wird Ulrich Schmücker, vormals Bewegung 2. Juni, erschossen. Die Staatsschutzbehörden machen die Bewegung 2. Juni verantwortlich. Tatsächlich jedoch spielt der Verfassungsschutz sowohl beim Tode Ulrich Schmükkers wie bei den Ermittlungen - er selbst legt die Spur zu den Angeklagten - wie im Prozeß - der "Kronzeuge" entpuppt sich als Mitarbeiter des Verfassungsschutzes - eine höchst trübe und bis heute unaufgeklärte Rolle. Trotzdem werden 1986 in einem dritten Prozeß Ilse Schwipper wiederum zu lebenslänglicher und ihre Mitangeklagten zu jeweils mehreren Jahren Haft verurteilt. Die Verurteilungen 1976 und 1979 waren vom Bundesgerichtshof aufgehoben worden mit der Begründung, daß die Verbindungen des "Kronzeugen" zum Verfassungsschutz nicht genügend aufgeklärt worden seien. Mehr als 13 Jahre nach Schmückers Tod muß der BGH zum dritten Mal über eine Revision entscheiden.
10.09.1974 Prozeßbeginn gegen Horst Mahler, Ulrike Meinhof u.a. wegen Gefangenenbefreiung. Horst Mahler wird zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt (er wird 1980 entlassen) und Ulrike Meinhof zu acht Jahren. Am 13.09. hält Ulrike Meinhof in dem Prozeß eine Rede zu "Bewaffneter antiimperialistischer Kampf und die Defensive der Konterrevolution in ihrer psychologischen Kriegsführung gegen das Volk".
Inhalt: Proletarischer Internationalismus; Kampf der Metropolenguerilla im Hinterland des antiimperialistischen Befreiungskampfes; Fiktion des Nationalstaats; Guerilla und Gesellschaft; Methoden und Ziele der psychologischen Kriegsführung; Funktion von Führung; Hungerstreikankündigung.
Bewaffneter antiimperialistischer Kampf und die Defensive der Konterrevolution in ihrer psychologischen Kriegsführung gegen das Volk
13.09.1974 Die politischen Gefangenen beginnen den dritten Hungerstreik, der fast fünf Monate, bis zum 5.2.1975, andauert. Sie wenden sich damit "gegen Sonderbehandlung, gegen die Vernichtungshaft an politischen Gefangenen in den Gefängnissen der Bundesrepublik und Westberlins, gegen die Counterinsurgency-Programme der imperialistischen Vollzugsmaschinen, der Bundesanwaltschaft, der Sicherungsgruppe Bonn - Abteilung Staatsschutz des Bundeskriminalamts zur Vernichtung gefangener Revolutionäre und von Gefangenen, die im Gefängnis angefangen haben, sich zu organisieren und zu kämpfen". Die politischen Gefangenen erklären u.a.:
Hungerstreikerklärung vom 13.9.1974
27.09.1974 Monika Berberich gibt für die Gefangenen aus der RAF bekannt, daß Horst Mahler nicht mehr Teil der RAF sein kann.
09.11.1974 Holger Meins stirbt nach achtwöchigem Hungerstreik in der Strafanstalt Wittlich/Eifel. Kurz vor dem Tod von Holger Meins schreibt sein Anwalt Siegfried Haag an den zuständigen Richter Dr. Prinzing: "Sie sind für seinen Tod verantwortlich, denn die Bedingungen der Haft bestimmen Sie."
In vielen Städten der BRD und Westberlin kommt es zu spontanen Protestdemonstrationen.
10.11.1974 In Westberlin wird der Kammergerichtspräsident Günther von Drenckmann von einem Kommando der Bewegung 2. Juni erschossen als Antwort auf den Tod von Holger Meins.
13.11.1974 Die Bundesregierung gibt eine Erklärung ab. In der anschließenden Debatte etabliert Bundesjustizminister Vogel (SPD) das Gesinnungsverbrechen, das selbst unter Isolationshaftbedingungen noch begangen werden kann. NRW-Innenminister Weyer (FDP) propagiert Polizeiaufrüstung zwecks Chancengleichheit.
Auszüge aus der Bundestagsdebatte vom 13.11.1974
26.11.1974 Auf Beschluß der Konferenz der Innenminister findet eine großangelegte bundesweite Fahndungsaktion, die "Aktion Winterreise", statt. In einer unangekündigten Gemeinschaftsaktion sämtlicher Polizei- und Bundesgrenzschutzeinheiten werden in der gesamten BRD Straßensperren errichtet und von schwerbewaffneter Polizei scharfe Kontrollen durchgeführt. Als links geltende Anwaltskanzleien, Büros, Druckereien und Wohngemeinschaften werden durchsucht. Die Aktion wird von seiten der Polizei mit militärischer Härte durchgeführt, Wohnungen werden zerstört und Leute mißhandelt. Zahlreiche Leute werden vorläufig festgenommen. Von den 23 Personen, die wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gesucht werden, wird keiner gefaßt. Innenminister Maihofer erklärt: "Ein Erfolg war die ,Winterreise« nämlich vor allem für das Image und das Selbstbewußtsein der Polizei."
07.12.1974 In einem Schließfach des Bremer Hauptbahnhofs explodiert eine Bombe, die fünf Verletzte fordert. Die RAF distanziert sich in einer Erklärung vom 9. Dezember, in der es heißt: "Die Bomben der RAF sind nie gegen das Volk gerichtet."
18.12.1974 Der Bundestag verabschiedet das Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts. Es begrenzt die Höchstzahl der Wahlverteidiger, regelt das Verbot der Mehrfachverteidigung und den Verteidigerausschluß, ermöglicht, die Hauptverhandlung ohne Angeklagte bei verschuldeter Verhandlungsunfähigkeit durchzuführen, und verschärft die Ordnungsstrafgewalt in der Hauptverhandlung. Der Berichterstatter des Rechtsausschusses des Bundestages Gnädinger, SPD, wird 18 Monate später erklären: "Jedem Eingeweihten ist klar, daß z.B. ohne die bereits beschlossenen Änderungen der Strafprozeßordnung der Prozeß in Stammheim gegen die Baader/Meinhof-Terroristen in noch größere Schwierigkeiten geraten wäre, ja unter Umständen hätte abgebrochen werden müssen." (Deutscher Bundestag, 24.7.1976, Protokolle S. 17990)
20.01.1975 Der "Spiegel" veröffentlicht ein Interview mit den Stammheimer Gefangenen.
In dem dokumentierten Auszug äußern sich die Gefangenen zur Rolle der BRD und zur Rolle der Metropolenguerilla im Entwicklungsprozeß der Weltrevolution.
"Spiegel"-Interview der Stammheimer Gefangenen
Febr. 1975 In einem Seminar der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (IKPO - Interpol) in Paris beraten Kriminalbeamte aus 37 Ländern über Erfahrungen und geeignete Gegenmaßnahmen der Polizei bei Guerilla-Aktionen mit Geiselnahme. Das nationale Zentralbüro von Interpol ist das Bundeskriminalamt (BKA).
27.02.1975 Beginn der Lorenz-Entführung. Der Westberliner CDU-Vorsitzende und Bürgermeisterkandidat Lorenz wird zwei Tage vor den Wahlen von der Bewegung 2. Juni entführt. Sie verlangt die Freilassung von sechs inhaftierten politischen Gefangenen: Rolf Pohle, Verena Becker, Rolf Heißler, Gabi Kröcher-Tiedemann, Horst Mahler, Ingrid Siepmann. Die Gefangenen außer Horst Mahler, der nicht ausgetauscht werden will, werden freigelassen, Lorenz wird freigelassen.
13.03.1975 Bundeskanzler Schmidt (SPD) gibt eine Regierungserklärung ab: Staatsgewalt gegen Staatsverneinung.
Regierungserklärung vom 13.3.1975
11.04.1975 Die Innenministerkonferenz in Bonn beschließt eine weitere Zentralisierung der Fahndungskompetenzen beim BKA. Zu dem bisherigen Sonderkommando "Sicherungsgruppe Bonn" und "Staatsschutz" erhält das BKA eine Abteilung "T" (Terrorismus), die bereits im Juni mit 180 Mann und einem Budget für 1976 von 7 Mio. DM einsatzbereit sein soll.
24.04.1975 Kurz vor Mittag besetzt das "Kommando Holger Meins" der RAF die Botschaft der BRD in Stockholm und nimmt zwölf Botschaftsangehörige als Geiseln. Das Kommando fordert die Freilassung von 26 politischen Gefangenen. Die Polizei stürmt das Gebäude. Ein Angehöriger des Kommandos, Ulrich Wessel, und zwei Botschaftsangehörige kommen zu Tode. Ein Angehöriger des Kommandos, Siegfried Hausner, wird durch Gewehrkolbenschläge der Polizeibeamten schwer verletzt; er erleidet mehrere Schädelbrüche. Obwohl schwedische Ärzte ihn für transportunfähig erklären, verfügt die Bundesregierung seinen Transport in die BRD. Dort wird er nicht in ein Krankenhaus, sondern in die Intensivstation des Stammheimer Gefängnisses verlegt; er stirbt am 4. Mai an den Folgen der Mißhandlungen.
Regierungserklärung vom 25.4.1975
25.04.1975 Bundeskanzler Schmidt gibt eine Regierungserklärung ab: im Kampf gegen die RAF sind polizeiliche Methoden unzureichend; verlangt ist die Bereitschaft, bis an die Grenzen des Rechtsstaates zu gehen; Identifikation mit dem Staatsschutz wird zur Bürgerpflicht erklärt.
Mai 1975 Das Londoner "Institute for the Study of Conflict" (Institut für Konfliktforschung) veröffentlicht eine Studie zur Terrorismusbekämpfung. Die Studie ist das Ergebnis der Arbeit von vier Studiengruppen zwischen Oktober 1974 und April 1975, deren Schlußfolgerungen während einer internationalen Konferenz im April 1975 von Experten aus den USA und Westeuropa begutachtet wurden. In den Studiengruppen arbeiteten Vertreter verschiedener Regierungen, "Terror-Experten", ehemalige Vietnam- und Malaysia-Offiziere und Wirtschaftsmanager von Ölkonzernen mit.
Das in der Studie entwickelte Konzept bezieht sich ausdrücklich auf "NATO-Europa" und stimmt mit der Strategie auch der westdeutschen Guerilla-Bekämpfung überein: Infiltration der Guerilla-Gruppen, Ausschaltung der Kader, Kriminalisierung des bewaffneten Kampfs, internationale Aktion. (Es handelt sich im folgenden um Auszüge aus einer umlaufenden Übersetzung der Studie.)
ISC-Studie: Neue Dimension der Sicherheit in Europa
Mai 1975 Interpol ändert seinen Grundsatz, nicht gegen politische Täter vorzugehen. Interpol-Generalsekretär Nepote erklärt jetzt die RAF zu Kriminellen. 15 BRD-Bürger werden auf die Fahndungsliste gesetzt.
09.05.1975 In Köln erschießt Polizei auf einem Parkplatz Philipp Werner Sauber und verletzt Karl-Heinz Roth schwer. Über dem am Boden liegenden Werner Sauber schießt ein Polizist sein ganzes Magazin leer. Karl-Heinz Roth erhält einen Bauchschuß. Ein Polizist wird erschossen. Karl-Heinz Roth und Roland Otto werden nach mehrjähriger Untersuchungshaft von der Anklage des versuchten Mordes freigesprochen.
21.05.1975 In Stuttgart beginnt das Stammheim-Verfahren gegen die RAF. Wenige Wochen vor Prozeßbeginn werden die drei Hauptverteidiger Croissant, Groenewold und Ströbele aus dem Verfahren ausgeschlossen mit der Begründung, sie würden den organisatorischen Zusammenhalt einer kriminellen Vereinigung (RAF) betreiben. Am 23. Juni werden Croissant und Ströbele verhaftet und zahlreiche Prozeßunterlagen beschlagnahmt.
22.05.1975 In Obernai bei Straßburg treffen sich die Justizminister der 18 Mitgliedsländer des Europarates. Sie treffen Vereinbarungen über die Bekämpfung des "internationalen Terrorismus":
Erstens werden sie "Terroristen" kein politisches Asyl mehr gewähren. Zweitens: bei "Terroranschlägen" wollen sich die Minister künftig telefonisch beraten. Drittens soll Interpol verstärkt ausgebaut werden. Weiterhin soll eine "Konvention gegen den Terrorismus" angestrebt werden.
In der Folge findet eine Reihe weiterer Konsultationen mit verschiedenen Ländern statt. Bis Ende 1975 besteht eine "polizeiliche Zusammenarbeit" zwischen dem BKA und den politischen Polizeien Frankreichs, der Schweiz, Schwedens, Italiens, Dänemarks, Belgiens, Hollands und Großbritanniens. Unterdessen sind auch noch Spanien, Tunesien und die Türkei ans westdeutsche "Sicherheitssystem" angegliedert worden.
06.06.1975 In Westberlin wird Till Meyer (Bewegung 2. Juni) bei seiner Festnahme angeschossen. Weitere Verhaftungen von Angehörigen der Bewegung 2. Juni folgen am 9. September: Inge Viett, Ralf Reinders und Juliane Plambeck.
18.06.1975 Andreas Baader verliest vor Gericht eine Erklärung der Stammheimer Gefangenen betreffend Isolationshaft und Folter. Anlaß ist der Antrag der Verteidiger auf Anhörung medizinischer Sachverständiger und - damit zusammenhängend - Einstellung des Verfahrens wegen Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten infolge der Isolationshaft. Inhalt der Erklärung, deren Verlesung durch das Gericht 17mal unterbrochen wird: Folter - kein revolutionärer Kampfbegriff; Aufklärung über Folter ist letztlich gegen die Gefangenen gerichtet, wenn sie nicht mit der Propaganda des bewaffneten Kampfes verbunden wird.
Erklärung von Andreas Baader vom 18.6.75
29.06.1975 Katharina Hammerschmidt (RAF) stirbt in einem Krankenhaus in Westberlin an einem Tumor. Ihr war in U-Haft die rechtzeitige Behandlung verweigert worden.
13.09.1975 Bombenanschlag im Hamburger Hauptbahnhof. RAF, Bewegung 2. Juni und Revolutionäre Zellen distanzieren sich. Die RAF veröffentlicht dazu am 23.9.1975 eine Erklärung:
Erklärung der RAF zum Bombenanschlag im Hamburger Hauptbahnhof
06.10.1975 Bombenexplosion im Nürnberger Hauptbahnhof. Distanzierung von RAF, Bewegung 2. Juni und Revolutionären Zellen.
12.11.1975 Im Kölner Hauptbahnhof explodiert eine Bombe. Nach Bremen, Hamburg und Nürnberg ist das der vierte Counter-Anschlag.
13.01.1976 Die RAF-Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan Raspe verlesen im Prozeß eine ca. 200 Seiten lange "Erklärung zur Sache". Aus dem Manuskript zu dieser politischen Erklärung werden zwei Auszüge dokumentiert:
a. "BRD/Sozialdemokratie - Dritte Welt"

Inhalt: Offensive der Befreiungskriege; strategische Defensive des Imperialismus; imperialistische Völkermord-Strategie; neue Formen der internationalen Arbeitsteilung; imperialistisches Technologiemonopol; imperialistischer Weltmarkt und Befreiung; westdeutsche Außenpolitik: Wegbereiter der Aggression der transnationalen Konzerne; Bestechung der abhängigen Bourgeoisien in der Dritten Welt; Wirtschaftsimperialismus und neokolonialer Eroberungskrieg; Unterstützung des südafrikanischen Rassistenregimes; Widerspruch der BRD-Außenpolitik; Verbrechen des BRD-Imperialismus; Metropolen als strategisches Hinterland des Imperialismus; Funktion der Metropolenguerilla.
BRD/Sozialdemokratie - Dritte Welt
13.01.1976 Ein weiterer Teil der "Erklärung zur Sache" befaßt sich mit
b. Geschichte der BRD

Inhalt: Gründung der BRD als US-Kolonie; Funktion der BRD in der US-Counterstrategie; strategisches Zentrum in Westeuropa; Ausschaltung und Zerschlagung der alten Linken; Kritik der KPD; Rolle der Sozialdemokratie und des DGB; Restauration des Monopolkapitalismus; Kolonisierung des Proletariats; Reeducation, Repression und Hunger als Mittel; Ausbau des Repressionsapparates; Marshallplan; wachsende Abhängigkeit der BRD von den USA; Übergang zur Expansion auf äußere Märkte; Ausplünderung der Peripherie - Entwicklung "harmonischer" Klassenbeziehungen im Innern - Roll-back gegen die sozialistischen Staaten; Entwicklungshilfepolitik; Ausweitung des BRD-Einflusses; Kapitalexportoffensive; Änderung des internationalen Kräfteverhältnisses; Anpassung der imperialistischen Staatsmaschine; die Studentenbewegung und ihr Zerfall.
Geschichte der BRD
24.04.1976 Das von den gesetzgebenden Körperschaften verabschiedete 14. Strafrechtsänderungsgesetz wird im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Es stellt die "verfassungsfeindliche Befürwortung" von Gewalttaten und die "Anleitung" dazu unter Strafe (u.a. §§ 88a, 130a).
08.05.1976 Ulrike Meinhof wird bei Aufschluß der Zelle tot aufgefunden.
Eine Internationale Untersuchungskommission, die ihren Tod untersucht, kommt zu dem Ergebnis:
Bericht der IUK: Der Tod Ulrike Meinhofs
Erklärung von Jan Carl Raspe
Juni 1976 Ernst Albrecht läßt in zweiter Auflage sein Buch "Der Staat - Idee und Wirklichkeit" herausgeben. Der spätere niedersächsische Ministerpräsident (CDU) bereitet die Öffentlichkeit auf Situationen vor, in denen staatliches Töten und Folter sittlich geboten seien.
Der Staat - Idee und Wirklichkeit
10.06.1976 Die Innenministerkonferenz beschließt einen Musterentwurf für ein einheitliches Polizeigesetz, das u.a. den polizeilichen Todesschuß legalisiert. Der rheinland-pfälzische Innenminister Schwarz beschreibt die damit verbundenen Absichten deutlich: "Aber es gibt Fälle, in denen sie (die Handgranaten, d. Red.) angewandt werden müssen, z.B. in einer vorrevolutionären Situation. Es muß doch die Chance bestehen, eine bewaffnete Revolution niederzuschlagen ... Die Polizei handelt in konkreten Situationen so, wie sie es für ihren Fahndungserfolg für richtig hält. Je unbestimmter das beschrieben ist, desto größer der Spielraum."
24.06.1976 Das "Anti-Terror-Gesetz" wird im Bundestag von SPD und FDP verabschiedet (Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafpozeßordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes, der Bundesrechtsanwaltsordnung und des Strafvollzugsgesetzes, veröffentlicht am 18. August 1976). Die CDU stimmt dem Gesetz am 29. Juli im Bundesrat zu. Das Gesetzespaket schafft zahlreiche neue Bestimmungen, insbesondere den Straftatbestand der "Bildung einer terroristischen Vereinigung" und die Möglichkeit, den Schriftverkehr zwischen Verteidigern und politischen Gefangenen zu überwachen.
27.06.1976 Ein palästinensisches Kommmando entführt ein Flugzeug der Air-France nach Entebbe. Das BKA verbreitet, daß sich unter den Entführern auch Wilfried Böse (Revolutionäre Zellen) befindet. Das Kommando fordert die Freilassung von 53 politischen Gefangenen aus Israel, Frankreich, der Schweiz, Kenia und von Mitgliedern der RAF u.a. aus der BRD.
Am 4. Juli überfällt eine israelische Elite-Einheit Entebbe, stürmt das Flugzeug und tötet alle sieben Personen des Kommandos.
29.06.1976 Auf Bemühen des Bundesinnenministers findet eine Europäische Konferenz zur Inneren Sicherheit statt. Die Minister verabschieden eine Resolution, in der sie ihre Beamten beauftragen, Expertengruppen zu bilden, die Lösungsvorschläge für eine engere Zusammenarbeit für folgende Gebiete ausarbeiten sollen: - Terrorismusbekämpfung;
- Technik, Ausrüstung und Ausbildung der Polizei sowie Austausch von Polizeibeamten; - Luftsicherung;
- Sicherheit von Kernkraftanlagen;
- Katastrophenschutz.

Innenminister Maihofer (FDP) bietet den anderen Ländern den gesamten Datenbestand des BKA an - diese Informationssammlung auf diesem Gebiet gilt inzwischen als die beste auf der Welt -, wenn auch die anderen Staaten ihre Informationen an das BKA weitergeben.
07.07.1976 Vier politische Gefangene, Monika Berberich, Juliane Plambeck, Gabriele Rollnick und Inge Viet brechen aus der Haftanstalt Lehrter Straße in Westberlin aus.
18.08.1976 In Bochum, Essen, Hamburg, Heidelberg, Köln, München, Tübingen und Westberlin werden auf Grundlage der neuen "Maulkorbgesetze" §88a und §130a Buchläden und Verlage wegen des Verdachts der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung von Beamten der LKAs und des BKA durchsucht. Bücher werden beschlagnahmt und in Bochum ein Buchhändler verhaftet, der erst einige Tage später wieder freigelassen wird.
02.09.1976 In Athen vertagt die höchste Rechtsinstanz Griechenlands ihre Entscheidung über die Auslieferung von Rolf Pohle an die BRD auf unbestimmte Zeit, um "weitere Auskünfte" aus der BRD einzuholen. Zuvor hat Bundeskanzler Schmidt in einem persönlichen Brief Ministerpräsident Karamanlis "schwerwiegende Konsequenzen" für den Fall einer Nichtauslieferung angedroht. In Sorge um den EG-Beitritt liefert Griechenland Rolf Pohle trotz heftiger Protestkundgebungen am 1. Oktober an die BRD aus.
01.01.1977 Das europäische Übereinkommen über die Auslieferung und Rechtshilfe tritt für die BRD in Kraft, so daß im Bereich der Auslieferung mit 14 Staaten und der Rechtshilfe in Strafsachen mit 13 Staaten eine im wesentlichen gleichartige Rechtsgrundlage besteht. Weitere Zusatzverträge mit Österreich und der Schweiz folgen Anfang 1977.
27.01.1977 Das "Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus" ("Anti-Terror-Konvention") wird von 17 Staaten unterzeichnet. Die Staaten vereinbaren eine engere Zusammenarbeit. Die BRD hat ein wichtiges Ziel erreicht: In Zukunft können Staaten die Auslieferung an die BRD nicht mehr verweigern.
07.04.1977 Generalbundesanwalt Buback wird von einem RAF-"Kommando Ulrike Meinhof" erschossen. In dem Kommunique "zur Hinrichtung Bubacks" erklärt das Kommando u.a.:
Kommandoerklärung zu Buback
29.03.1977 Beginn des vierten Hungerstreiks (bis 30.4.77). Die Gefangenen fordern u.a.: "Für die Gefangenen aus den antiimperialistischen Widerstandsgruppen, die in der Bundesrepublik kämpfen, eine Behandlung, die den Mindestgarantien der Genfer Konvention von 1949 entspricht"; "die Abschaffung der Isolation und der Gruppenisolation in den Gefängnissen der Bundesrepublik und die Auflösung der besonderen Isolationstrakte ... was für die politischen Gefangenen ... bedeuten würde, daß sie nach den Forderungen aller von den Gerichten in den Prozessen gegen die RAF bestellten Gutachter zu interaktionsfähigen Gruppen von mindestens 15 Gefangenen zusammengefaßt werden." Innerhalb weniger Tagen befinden sich zunächst 35, dann ca. 100 Gefangene im Hungerstreik. Mit der Forderung nach Zusammenlegung, die erstmals im Laufe des dritten Hungerstreiks 1975 aufgestellt und seit 1977 systematisch entwickelt und begründet wird, tragen die Gefangenen den Erfahrungen mit dem Tode Ulrike Meinhofs Rechnung; sie stützen sich auf die medizinischen Sachverständigen-Gutachten, die die gesundheitsschädigenden Auswirkungen der Isolationshaft bestätigt und die "Ermöglichung größerer sozialer Interaktion" dringend empfohlen haben.
20.04.1977 Bundeskanzler Schmidt gibt eine Regierungserklärung ab. Schmidts Problem: die staatliche Kriegsführung gegen die RAF zu rechtfertigen und trotzdem die einzigartige Freiheitlichkeit der BRD zu behaupten.
Regierungserklärung vom 20.4.1977
28.04.1977 Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe werden in allen Anklagepunkten - gemeinschaftliches Begehen von sechs Bombenanschlägen in Tateinheit mit vier Morden und 34 Mordversuchen, des Begehens von Mordversuchen in Tateinheit mit der Gründung einer "kriminellen Vereinigung" - für schuldig befunden und zu lebenslangem Gefängnis verurteilt. Das war der größte politische Prozeß der Nachkriegsgeschichte in der BRD, bei dem die verfassungsmäßigen Grundlagen des Strafverfahrens selbst auf dem Spiel standen, schreibt Pieter Bakker Schut zehn Jahre später in seinem Buch "Stammheim". Die Staatsorgane hatten die RAF wegen "krimineller Vereinigung" angeklagt und die ganze Zeit eine politische Prozeßführung unterdrückt, ihrerseits aber extra ein Gefängnisgebäude für den Prozeß errichten lassen.
Die Rechtsanwälte hatten in dem Verfahren immer wieder darauf hingewiesen, daß das Verfahren ein "Instrument innerhalb eines großangelegten Feldzuges psychologischer Kriegsführung gegen die RAF" (Schily) sei. Kurz vor Beginn des Prozesses wurden drei Hauptverteidiger ausgeschlossen, so daß Andreas Baader zu Beginn des Verfahrens keinen Verteidiger hatte. Mehrfach mußten Bundesgesetze geändert werden, damit das Gericht das Verfahren überhaupt durchführen konnte. Der Prozeß wurde zum großen Teil ohne die Angeklagten geführt. Bereits am 26. August 1975 hatten die Vertrauensanwälte die Einstellung gefordert und auf die Vorverurteilung durch Politiker und Presse hingewiesen. Das Gericht führte 1976 zwei "Kronzeugen" in das Verfahren ein. Am 20. Januar wurde dem 85. Antrag auf Befangenheit gegen den Vorsitzenden Richter Prinzing stattgegeben. Prinzing wurde fallengelassen, weil der Schein des unabhängigen Gerichts kaputt war und seine Beibehaltung zahlreiche Gründe für eine Revision des Verfahrens bieten konnte.
Am 17. März 1977 wurde bekannt, daß die baden-württembergische Landesregierung Angeklagte und Verteidiger hat abhören lassen. Daraufhin verlassen die Vertrauensanwälte den Prozeß. Sogar die Zwangsverteidiger, die vom Gericht eingesetzt waren, plädierten in ihren Schlußworten für die Einstellung des Verfahrens.
03.05.1977 Günter Sonnenberg wird bei seiner Festnahme (zusammen mit Verena Becker) durch Kopfschuß schwer verletzt.
Am 22. September wird Knut Folkerts in Utrecht (Niederlande) festgenommen. Dabei wird ein Polizist erschossen.
31.05.1977 Zweite Konferenz der zuständigen Minister für innere Sicherheit der EG-Staaten. Sie kommen überein, ihre "ständige Zusammenarbeit sowohl im informativen wie im operativen Bereich zu intensivieren und zu systematisieren". Im Mittelpunkt steht das Thema "Terrorismus". Die Zusammenarbeit bei der Polizeitechnik, -ausrüstung und -ausbildung soll verbessert werden. Die Kontrollen des An- und Verkaufs von Schußwaffen sowie des Waffenhandels sollen verschärft werden. Vorschläge für intensive Grenzkontrollen sollen erarbeitet werden.
Am 21. November 1977 findet die dritte Ministerkonferenz statt, die sich vorwiegend mit der Drogenbekämpfung und der Verbesserung der Zusammenarbeit der Polizeibehörden befaßt.
27.06.1977 Die 12. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart verhängt ein strafrechtliches vorläufiges und teilweises Berufsverbot gegen Rechtsanwalt Croissant und schaltet ihn damit als Verteidiger in Staatsschutzsachen aus.
06.07.1977 Wolfgang Beer, Werner Hoppe und Helmut Pohl werden nach Stammheim verlegt und mit fünf weiteren Gefangenen zusammengelegt. In Lübeck und Westberlin existieren ebenfalls kleine Gruppen. Damit kommen die Staatsorgane den Forderungen aus dem letzten Hungerstreik nur geringfügig nach. Ende Juli teilt der neue Generalbundesanwalt Rebmann mit, daß damit den medizinischen Empfehlungen wegen der Isolationshaft genüge getan sei. Am 8. August überfällt ein Rollkommanda die kleine Gruppe in Stammheim. Der Überfall ist Vorwand, die Haftbedingungen weiter zu verschärfen.
09.07.1977 Gegen Peter Brückner, Professor für Psychologie, fordert die "Welt": "Distanzieren Sie sich oder gehen Sie." Gemeint ist die Distanzierung von der Nachveröffentlichung des sog. "Mescalero-Nachrufs". Im Mescalero-Nachruf auf Generalbundesanwalt Buback hatte ein "Stadtindianer" in einem "inneren Monolog", der darlegt, warum "Gewalt" für den Autor des Nachrufs nichts sei, gleichzeitig ein Gefühl der "klammheimlichen Freude" erwähnt. Gegen die Kriminalisierung und Illegalisierung einer solchen Veröffentlichung hatten sich mehrere Hochschullehrer - darunter Peter Brückner - durch eine Nachveröffentlichung gewandt. Obwohl es nicht einmal einen sachlichen Grund für eine "Distanzierung" von angeblicher Befürwortung von "Gewalt" gibt, wie Peter Brückner von Anfang an festhält, distanzieren sich außer Brückner unter dem Druck reaktionärer Propaganda und disziplinarischer Drohungen alle Herausgeber von der Nachveröffentlichung. Am 17.9.1977 veröffentlichen 177 Hochschullehrer eine Anzeige in der "Frankfurter Rundschau", in der sie erklären, sie wollten von nun an immer jeglichen "Bestrebungen" nach "klammheimlicher Freude" und der "erschrekkenden Gleichgültigkeit" entgegentreten.
Brückners Positionen und ihre wissenschaftliche Begründung verfolgen Ministerpräsident Albrecht und das niedersächsische Innenministerium durch Disziplinarverfahren mit Suspendierung vom Dienst und - in zweiter Instanz - Kürzung der Bezüge. In diesen Auseinandersetzungen vertritt Brückner u.a.: "Ihr Gewaltmonopol haben die modernen Staaten historisch errungen, indem sie feudale, lokale, private Gewaltförmigkeit beseitigt haben, also gewaltförmig." "Das heißt also, das alte Spiel, wer hat angefangen, ist hier sehr einfach zu beantworten. Ich meine, der erste Terrorismus, dem die Protestbewegung begegnete, war ein Terrorismus des Staates und seiner Administration, seiner Exekutive, ich glaube, da ist kein Zweifel." Und: "Der Vorwurf, die RAF sei als Provokateur objektiv konterrevolutionär, ist entweder von Angst diktiert oder töricht - wenn nicht schlicht Parteiengezänk." Bereits die Äußerung und Vertretung dieser wissenschaftlich begründeten Positionen im Rahmen des Wissenschaftsbetriebes bzw. als Hochschullehrer in der Öffentlichkeit verfolgen Ministerpräsident Albrecht und sein Innenministerium als grungesetzwidrig. Es gelingt der Reaktion damit, neue Rechtsgrundsätze in der Anwendung des KPD-Verbotes und des Beamtenrechtes und in der Erhebung der freiheitlich-demokratischen-Grundordnung von der Staatsphilosophie zur Wissenschaft zu fixieren.
Die Suspendierung vom Dienst wird mit der Verurteilung zur Kürzung der Bezüge in erster Instanz aufgehoben. Seine Stelle kann Brückner wegen der Verschlechterung seines Herzleidens nicht mehr antreten. Im April 1981 stirbt Peter Brückner im Alter von 59 Jahren. Er war ein Drittel seiner Dienstzeit als Hochschullehrer vom Dienst ausgeschlossen. Zuerst wegen Verdachts der Unterstützung der Roten-Armee-Fraktion, weil er Ulrike Meinhof 1970 beherbergt hatte, dann wegen staatsfeindlicher Äußerungen und fehlender Mäßigung als Beamter.
20.07.1977 Karl-Heinz Dellwo, Hanna Krabbe, Bernhard Rössner und Lutz Taufer werden zu jeweils zweimal lebenslänglichen Gefängnisstrafen im "Stockholm-Prozeß" verurteilt.
30.07.1977 Der Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, wird bei einem mißglückten Entführungsversuch der RAF getötet.
10.08.1977 Auf die Verschärfung der Isolation antworten die politischen Gefangenen mit einem neuerlichen Hungerstreik, der am 2. September abgebrochen wird. In der Abbrucherklärung schreiben die Gefangenen:
"Im Laufe der Woche haben wir von einem Mitglied von Amnesty international erfahren, daß der Vermittlungsversuch, den das Internationale Exekutivkomitee unternommen hat, um humane, d.h. Haftbedingungen, die den Forderungen der Ärzte entsprechen, durchsetzen und den Hungerstreik zu beenden, abgebrochen wurde, weil »die Situation total verhärtet ist« und »in den Behörden von oben nach unten die Linie durchgesetzt wurde, nach den Anschlägen gegen den Bundesanwalt und Ponto an den Gefangenen ein Exempel zu statuieren«. Das entspricht den Ankündigungen Rebmanns. Die Gefangenen haben daraufhin - um das Mordkalkül nicht zu erleichtern - am 26. Tag ihren Streik unterbrochen. Sie haben sich dazu entschlossen, nachdem sie damit offen zu Geiseln des Staatsschutzes erklärt worden sind ..."
05.09.1977 Entführung des Präsidenten von BDI und BDA (Bundesverband der Deutschen Industrie und Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände) und Vorstandsmitglieds von Daimler Benz, Hanns Martin Schleyer, durch das RAF-"Kommando Siegfried Hausner". Drei Sicherheitsbeamte und der Fahrer Schleyers werden getötet. Das Kommando fordert die Freilassung von Gefangenen aus der RAF: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe, Verena Becker, Werner Hoppe, Karl-Heinz Dellwo, Hanna Krabbe, Bernd Rössner, Ingrid Schubert, Irmgard Möller und Günter Sonnenberg.
Die Bundesregierung richtet Krisenstäbe ein. Die "Kleine Lage" tagt mehrfach täglich mit Bundeskanzler Schmidt und seinen engsten Beratern: Bundesinnenminister Maihofer, Justizminister Vogel, Außenminister Genscher (z.T. vertreten durch Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff), Staatsminister Wischnewski und Staatssekretär Schüler, Regierungssprecher Bölling, BKA-Präsident Herold und Generalbundesanwalt Rebmann. Dem "Großen Krisenstab", der ein- bis zweimal wöchentlich zusammentritt, gehören neben den Mitgliedern der "Kleinen Lage" an: Brandt, Kohl, Strauß, Wehner, Mischnik, Zimmermann und die vier Regierungschefs der Länder, in deren Gewahrsam sich RAF-Häftlinge befinden: Filbinger, Goppel, Kühn, Klose.
Beide Krisenstäbe sind in der Verfassung nicht vorgesehen. Die Situation komme einem "nationalen Notstand" gleich, erklärt der baden-württembergische Ministerpräsident Filbinger. Die "Kleine Lage" tritt an Stelle der Regierung, die Legislative, das Parlament, wird ausgeschaltet. Ausdrücklich wird beschlossen, in den "Krisenstäben" keinerlei Protokoll zu führen. - Der "Große Krisenstab" verhängt eine totale Nachrichtensperre für alle Medien. Die Inlandspresse hält sich daran, die Auslandspresse kritisiert die Entscheidung und berichtet über den laufenden Stand der Entführung.
Der "Große Krisenstab" leitet ohne Rücksicht auf Gesetze eine totale Fahndung ein, die auch nach Auffassung bürgerlicher Kräfte gegen das Rechtsstaats- und Verhältnismäßigkeitsprinzip verstößt. So werden z.B. an wichtigen Verkehrsknotenpunkten Datenfunkstationen aufgestellt, über die alle vorbeifahrenden Kraftfahrer im Alter zwischen ca. 20 und 35 über Interpol abgefragt werden, so erzwingt das BKA Vertragsdurchschläge von allen in der BRD gekauften PKW, so wird in Köln damit begonnen, alle Stromabnehmer auf ihre polizeiliche Meldung hin zu überprüfen u.ä.m.
06.09.1977 Die Justizverwaltungen der Länder, angewiesen von Bundesjustizminister Vogel (SPD), verhängen gegen alle aufgrund des §129 verfolgten Gefangenen eine Kontaktsperre, die jeglichen Kontakt untereinander und zur Außenwelt abschneidet - ausgenommen die staatlichen Behörden, denen die Gefangenen um so schutzloser ausgeliefert sind. Entscheidungen von Gerichten, daß die Verteidiger von der Besuchssperre auszunehmen seien, werden mißachtet. Die Bundesregierung beruft sich bei der Zwangsmaßnahme der Kontaktsperre, für die es keine Rechtsgrundlage gibt, auf den "übergesetzlichen Notstand".
Sept. 1977 Während die der Kontaktsperre unterliegenden politischen Gefangenen von jeglicher Wahrnehmung abgeschlossen, von allen Kontakten, selbst ihren Verteidigern, abgeschnitten sind, während sie damit zugleich den Staatsbehörden vollständig ausgeliefert sind, die freien, extensiven Zugang zu den Gefangenen haben, lassen sich die Politiker und öffentlichen Meinungsmacher freien Lauf. Ihre Denkausschweifungen sehen vor: Todesstrafe, standrechtliche Erschießung von Gefangenen, Bundeswehreinsatz u.a. Vieles, was sie öffentlich erwägen, schon nach der Erschießung Bubacks öffentlich zu diskutieren begonnen haben, bleibt, auch das zeigt der Pressespiegel", nicht nur Erwägung.
Pressespiegel: September/Oktober 1977
08.09.1977 Der DGB-Vorsitzende Vetter versichert der Regierung seiner Unterstützung. Kritiklos begrüßt er die staatliche Kriegsführung. Zusammen mit den Kapitalistenverbänden organisiert der DGB später eine Schweigeminute für den früheren NS-Funktionär und jetzigen BDI- und BDA-Chef, der sich allen Kämpfen und fortschrittlichen Bestrebungen der Arbeiterbewegung stets in den Weg gestellt hat.
Ansprache des DGB-Vorsitzenden Vetter
16.09.1977 Beide Kirchen geben Erklärungen ab, mit denen sie die staatlichen Maßnahmen gegen die RAF absegnen. Als gesellschaftliche Ursachen des "Terrorismus" präparieren EKD und Deutsche Bischofskonferenz heraus: Konfliktbereitschaft, Anspruchsdenken, Infragestellen von Grundwerten, Kritik am Staat, Nihilismus.
Erklärung des Rates der EKD v. 16.9.1977
Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz
02.10.1977 Mit dem Inkrafttreten des Kontaktsperregesetzes erhält der illegale Zustand, in dem die politischen Gefangenen gehalten werden, Gesetzesgrundlage. Das Kontaktsperregesetz wird unter Vorspiegelung falscher Tatsachen - Steuerung der RAF-Aktion aus den Zellen - am 29.9. in zweiter und dritter Lesung durchs Parlament gepeitscht, nachdem die freilich zaghafte Opposition innerhalb der SPD-Fraktion zuvor fast gänzlich niedergemacht worden ist. Nur drei SPD-Fraktionsmitglieder stimmen gegen das Gesetz, einige enthalten sich.
Auf die Frage des italienischen Fernsehens, ob die Schleyer-Entführung aus den Zellen heraus gesteuert worden sei, wird Vogel 1978 im Gegensatz zu seiner Begründung vor dem Bundesverfassungsgericht am 15.9.1977 sagen: "Nein. Das haben wir seinerzeit schon nicht angenommen, und es hat sich auch keine Bestätigung dafür gefunden ... Eine Planung oder überhaupt eine Steuerung im Detail aus den Zellen heraus, dafür gibt es keine Beweise."
Kontaktsperregesetz

Auszüge aus der Bundestagsdebatte vom 29.9.1977
08.10.1977 20000 demonstrieren in Bonn gegen die Verbotsdrohungen gegen KBW, KPD und KPD/ML.
Auf Betreiben vor allem der niedersächsischen und baden-württembergischen Ministerpräsidenten Albrecht und Filbinger hatte der CDU-Bundesvorstand bereits seit Monaten einen Verbotsantrag diskutiert. Der damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsident Stoltenberg erklärt am 29.9. in einer ARD-Fernsehdiskussion: "... unter dem Gesichtspunkt der akuten Bedrohung des inneren Friedens durch organisierte Gewaltaktionen, teils durchgeführt, teils geplant, erfolgt der Verbotsantrag, weil man es im Grunde ja auch nicht verstehen kann, daß Gruppen, die offen den bewaffneten Kampf proklamieren, den legalen Parteistatus haben."
13.10.1977 Über dem Mittelmeer wird ein Lufthansa-Jet von der palästinensischen Kommandoeinheit "Martyr Halimeh" der Operation Kofre Kaddum im Zusammenhang mit der Schleyer-Entführung gekapert. An Bord befinden sich Mallorca-Urlauber. Der Kapitän der "Landshut" wird im weiteren Verlauf erschossen.
16.10.1977 Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Freilassung der vom RAF-Kommando benannten Gefangenen. Das BVerfG lehnt den Antrag des Schleyer-Sohnes auf Einstweilige Anordnung gegen die Bundesregierung und vier Bundesländer ab, die genannten Gefangenen freizulassen. Bürgerliche Kritiker des Urteils stellen fest, daß das BVerfG mit seiner Begründung die Staatsräson als Kriterium zur qualitativen Gewichtung des Wertes von Leben einführt.
BVerfG zu den Grenzen verfassungsgerichtlicher Kontrolle
18.10.1977 Sturmangriff der GSG9 unter Beteiligung des britischen SAS auf die Lufthansa-Maschine in Mogadischu, Somalia. Nur ein Mitglied des Kommandos überlebt den Angriff schwer verletzt.
18.10.1977 Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Raspe kommen im Gewahrsam der Justiz zu Tode. Irmgard Möller überlebt schwer verletzt. Alle Gefangenen sind seit dem 6.9. von allen Kontakten sowohl untereinander wie mit Dritten abgeschnitten, währendhingegen die staatlichen Behörden ungehinderten, unkontrollierten Zugang zu den Gefangenen im 7. Stock des Stammheimer Traktes haben.
Die staatliche Selbstmordversion hinterläßt zahlreiche unauflösliche Widersprüche.
Irmgard Möller erklärt am 16.01.78 vor dem Untersuchungsausschuß des Landtages von Baden-Württemberg:
Erklärung Irmgard Möllers

Regierungserklärung
19.10.1977 Schleyer wird tot im Kofferraum eines Audi 100 in Mülhausen, Frankreich, gefunden.
20.10.1977 Justizminister Vogel teilt mit, daß die Kontaktsperre für die politischen Gefangenen aufgehoben sei. Bei einigen Gefangenen besteht sie noch einige Tage länger.
20.10.1977 Bundeskanzler Schmidt gibt eine Regierungserklärung ab: "Mogadischu" als Beispiel für die Bedeutung der Grundwerte des BRD-Staates.
25.10.1977 Staatsakt für Schleyer. Bundespräsident Scheel erklärt den Krieg der BRD gegen die RAF zum Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei.
Scheel: Mahnung und Verpflichtung des Todes von Hanns Martin Schleyer
28.10.1977 Der Bundestag berät in erster Lesung ein weiteres Anti-Terror-Gesetzespaket, das am 13.4.1978 in Kraft tritt. Die staatstragenden Parteien schreiten zur Abrechnung mit den "geistig-politischen Ursachen des Terrorismus", als die sie bezeichnen: Angriff auf den Staat, Angriff auf das Vertrauen der Bürger in den Staat, Angriff auf die Wertordnung, maßlose Gesellschaftskritik, Marxismus, falsche Vergangenheitsbewältigung. Die Propaganda des "Zusammenrückens" wird ergänzt durch Angriffe auf "anti-deutsche" Kritiken im Ausland.
Auszüge aus der Bundestagsdebatte vom 28.10.1977
F.J. Strauß: Die Zeit der Entscheidung ist da
12.11.1977 Ingrid Schubert kommt in Stadelheim im Gewahrsam der Justiz zu Tode.
17.11.1977 Rechtsanwalt Croissant, der im August 1977 um politisches Asyl in Frankreich nachgesucht hat, wird an die BRD ausgeliefert und in Stammheim inhaftiert.
28.11.1977 In Stuttgart-Stammheim beginnt der Prozeß gegen Verena Becker.
29.11.1977 Kongreß der CDU in Bonn: "Der Weg in die Gewalt". Die Vorträge des Kongresses werden 1978 in einem Buch mit dem Untertitel: "Geistige und gesellschaftliche Ursachen des Terrorismus und seine Folgen" herausgegeben.
"Der Kampf um die Interpretation unserer gesellschaftlichen Verhältnisse muß offensiv geführt werden", sagt der CDU-Generalsekretär Geißler auf dem Kongreß. Die Zielsetzung des Kongresses ist, von verschiedenen Seiten aus die Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in der BRD und der Rolle der BRD in der Welt auszurotten und die Vernichtung von Kritikern als höchsten ethischen Normen folgend zu rechtfertigen. Der Vortrag von E. Topitsch "Die Masken des Bösen" steht in diesem Zusammenhang. Sein Inhalt: Die Verfechtung von Emanzipationsinteressen tarnt in Wirklichkeit nur Machtgier und Zerstörungslust, die Kritiker sind Opfer von Dämonen, die zu bändigen die humane Leistung des demokratischen Rechtsstaats ist.
Ernst Topitsch: Die Masken des Bösen
10.07.1978 Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Hamburg verurteilt Rechtsanwalt Groenewold "wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung in einem besonders schweren Fall" zu zwei Jahren Gefängnis mit Bewährung.
Rechtsanwalt Croissant wird nach einem fast einjährigen Verfahren am 16. Februar 1979 zu zweieinhalb Jahren Gefängnis ohne Bewährung und vier Jahren Berufsverbot verurteilt.
Die Rechtsanwälte Arndt Müller und Armin Newerla werden am 31. Januar 1980 wegen Unterstützung und Werbung für eine kriminelle Vereinigung vom OLG Stuttgart verurteilt. Müller: 4 Jahre/8 Monate und 5 Jahre Berufsverbot; Newerla: 3 Jahre/6 Monate und 5 Jahre Berufsverbot.
Der Rechtsanwalt Jörg Lang, der 1972 etwa fünf Monate in Untersuchungshaft gesessen hatte und 1974 für einige Jahre untertauchte, wird nach längeren Auseinandersetzungen und ersten Ablehnungen 1986 vom Bundesgerichtshof wieder als Rechtsanwalt zugelassen.
Der Rechtsanwalt Siegfried Haag, damals der letzte noch verbliebene Vertrauensanwalt von Andreas Baader, war am 11.5.1975 nach einer vorläufigen Festnahme untergetaucht. Er wurde am 30.11.1976 festgenommen und später zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt.
Juni 1978 Das Symposium der Carl Friedrich von Siemens Stiftung in München: "Der Ernstfall", liefert nachträgliche Rechtfertigung der Entfesselung der Exekutive im Herbst 1977. Mit der Rechtfertigung befaßt sich nachträglich mehrfach ebenfalls Bundeskanzler Schmidt.
Gesetzesfreie Bewältigung aktueller Ernstfälle
25.07.1978 Der niedersächsische Ministerpräsident Albrecht (CDU) läßt mit direkter Unterstützung der sozialliberalen Bundesregierung von einem gemischten Kommando des niedersächsischen Verfassungsschutzes und der GSG9 einen Sprengstoffanschlag auf die Außenmauer der Haftanstalt Celle durchführen. Die Operation soll wie ein "Befreiungsversuch" für den dort inhaftierten RAF-Gefangenen Sigurd Debus aussehen und auf diese Weise zwei "glaubwürdige V-Leute" ("Bombenleger") zwecks Infiltration der RAF produzieren.
Knapp drei Wochen vor dem Anschlag, am 7.7.1978, hatte Albrecht in der Bundesratssitzung den CDU/CSU-Vorschlag einer Sicherheitsverwahrung für politische Gefangene aus RAF und verwandten Bewegungen begründet: "Er könne nachweisen, daß es Terroristen gebe, die freigelassen werden müßten und bei denen man heute schon wisse, »welches die Mordpläne sind, die sie aushecken. Das können wir auf den Heller genau - würde ich sagen - nachweisen. Wir können sogar Namen von Leuten nennen, die ermordet werden sollen.« ..." (dpa Bonn/Hannover, 2.8.78) Der selbstinszenierte Sprengstoffanschlag ist ein Glied in Albrechts "Beweis"kette. Er dient zugleich dazu, die Haftbedingungen für den in Celle einsitzenden politischen Gefangenen Sigurd Debus zu verschärfen.
Ende April 1986, nach Bekanntwerden der Urheberschaft und Inszenierung des Sprengstoffanschlags, zieht Ministerpräsident Albrecht das, was mit dem Anschlag "bewiesen" werden sollte - ein Ausbruchsversuch von Sigurd Debus -, als "Beweis" für die Legitimität eines solchen selbstinszenierten Anschlages heran. In einer Regierungserklärung sagt er, einer der beiden V-Leute habe "dazu beigetragen, daß ein Ausbruch von Gefangenen in Celle, den der damals einsitzende Terrorist Debus geplant habe, ebenso wie ein vorgesehener Mord an einem Vollzugsbeamten verhindert worden sei". (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 26./27.4.86)
Das Bekanntwerden des Sachverhalts hat für die Verantwortlichen keine Folgen, im Gegenteil: Die staatstragende Bombe wird dem Instrumentarium des Rechtsstaats einverleibt.
01.08.1978 Das Bundesverfassungsgericht erklärt das Kontaktsperregesetz für verfassungskonform: Damit wird für den gegebenen Fall die totale Isolation von Gefangenen für gerechtfertigt erklärt, die ihre verfassungsfeindlichen Zielvorstellungen in der Haft nicht aufgeben.
BVerfG zum Kontaktsperregesetz
06.09.1978 Willi Peter Stoll wird in Düsseldorf erschossen. Am 25.09.1978 wird Michael Knoll in Dortmund erschossen.
Am 04. Mai 1979 wird Elisabeth v. Dyck in Nürnberg erschossen, und am 9. Juni 1979 wird Rolf Heissler in Frankfurt ohne Warnung angeschossen und schwer verletzt.
Am 25. Juli 1985 kommen Juliane Plambeck und Wolfgang Beer bei einem Verkehrsunfall ums Leben.
08.02.1979 Haftverschonung für Werner Hoppe, dessen Gesundheit sich aufgrund jahrelanger Isolation in lebensbedrohlichem Zustand befindet.
Sept. 1979 Generalbundesanwalt Rebmann spricht auf dem Deutschen Richtertag über "Terrorismus und Rechtsordnung". Inhalt seiner Rede: Innere Sicherheit als Anliegen der Strafjustiz; Überprüfung der bis dahin verabschiedeten "Anti-Terror-Gesetze", ob sie diesem Anliegen gegen die RAF und verwandte Bewegungen genügen; Feststellung zu schließender "Lücken" wie z.B. die Beseitigung des Angeklagten aus der Verhandlung - das Ziel der Ausschaltung des politischen Gegners vor Augen, hakt er ab, als vernichte er Akten, nicht Rechte und Menschen, was erledigt und was noch zu erledigen ist.
Generalbundesanwalt Rebmann: Terrorismus und Rechtsordnung
Sept. 1980 Die von der Gesellschaft für Wehrkunde herausgegebenen Zeitschrift "Europäische Wehrkunde" veröffentlicht den Aufsatz eines Jesuitenpaters: "Wehrethik in Theorie und Praxis". Der Pater erklärt Todesschuß gegen "Terroristen", Verhängung der Todesstrafe und ihre Vollstrekkung an Gefangenen in Fällen "terroristischer Geiselnahme" und Folterung politischer Gefangener für sittlich geboten.
Wehrethik in Theorie und Praxis
16.04.1981 Sigurd Debus, der seit dem 11.2.1981 an einem Hungerstreik der politischen Gefangenen gegen Isolationshaft und für Zusammenlegung teilnimmt, stirbt. Sigurd Debus ist seit dem 19.3.1981 gegen seinen Willen und gegen seinen Widerstand im Zentralkrankenhaus des Untersuchungsgefängnisses Hamburg zwangsernährt worden. Sein Verteidiger schreibt: "Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die Zwangsernährung im ZKH des UG den Tod von S.D. bewirkt hat."
Am 15.3.1981, d.h. wenige Tage, bevor die Zwangsernährung an Sigurd Debus vollzogen wird, haben sich westdeutsche Ärzte in einem Offenen Brief gegen Isolationshaft und Zwangsernährung gewandt und von den dafür Verantwortlichen die Erfüllung der Forderungen der hungerstreikenden Gefangenen und die Beendigung der Zwangsernährung gefordert.
Offener Brief westdeutscher Ärzte
Mai 1982 Die RAF-Schrift "Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front" erscheint.
Inhalt: '77 als Übergang von der ersten zur nächsten Etappe der Guerilla, von der Durchsetzung des Konzepts zum Aufbau der antiimperialistischen Front im imperialistischen Zentrum; Instabilität des imperialistischen Systems "nach Vietnam"; veränderte Kampfbedingungen; Westeuropa als Schnittpunkt der Linien Ost-West, Nord-Süd, Staat-Gesellschaft; Bedeutung des Kampfs im Zentrum für den weltweiten Klassenkrieg; Strategie der Befreiung; Erklärung zu '77 und den Gründen der Niederlage.
Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front
17.11.1982 Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes erläßt für den RAF-Gefangenen Christian Klar ein 24-Punkte-Haftstatut, das in ähnlicher Weise seit Jahren gegen die Gefangenen aus der RAF und verwandten Bewegungen angewandt wird und in der dokumentierten Form z.B. gleichermaßen auch für Adelheid Schulz und Brigitte Mohnhaupt gilt, die wie Christian Klar im Sommer/Herbst 1982 festgenommen worden sind. Die Gefangenen sind dem Haftstatut während der gesamten Untersuchungshaft - in der Regel mehrere Jahre - unterworfen. Mit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils gelten für die Gefangenen die Sonderhaftbedingungen der jeweiligen Vollzugsanstalten. Die nach dem Strafvollzugsgesetz möglichen und auch praktizierten Isolationsmaßnahmen sind in der Konsequenz dem 24-Punkte-Haftstatut für Untersuchungsgefangene angeglichen.
04.12.1984 Die RAF-Gefangenen Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt geben in ihrem Prozeß eine "Erklärung zu '77" ab.
Inhalt des dokumentierten Auszugs: '76/77 Ziel der Neuformierung der Guerilla mit dem Kampf um die Gefangenen verbunden; Politik des Bruchs durchgesetzt; der imperialistische Staat wandelt die politische Situation in eine militärische um, aufgrund des Verlusts seiner Fähigkeit zu politischen Lösungen; führende Rolle der BRD bei der Formierung Westeuropas zum Kriegszentrum; Gründe für die harte Linie der BRD '77; reaktionärer Weltstaat als Projekt gegen die Weltrevolution; zweite Phase der Guerilla.
Erklärung zu '77


aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte, 1. Auflage Köln Oktober 1987

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