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Online seit:
Tue Oct  7 23:10:45 1997
 

Offener Brief westdeutscher Ärzte

An den Herrn Bundesminister der Justiz,
an die Damen und Herren Justizminister der Länder, an die Anstaltsärzte in den Gefängnissen der BRD und Westberlins,
an den Herrn Ermittlungsrichter Kuhn am BGH.
Nachrichtlich an Amnesty International, London
und IKRD, Genf

Wie Sie wissen, befinden sich seit dem 2.2.81 zahlreiche Gefangene im Hungerstreik. Sie wenden sich gegen die zerstörerischen Haftbedingungen, denen sie zum Teil seit Jahren ausgesetzt sind. Sie werden immer systematischer in speziellen Abteilungen bzw. Trakten allein, zu zweit oder in Kleingruppen isoliert, so daß jeder Kontakt zu den anderen Gefangenen ausgeschlossen ist.
In dieser Isolation werden sie ständig von Fernsehkameras durch Trennscheiben im Beisein von Justizbeamten, BKA-Spezialisten und Psychologen beobachtet. Nach den Besuchen, auch von Verwandten, müssen sie sich nackt ausziehen und einer entwürdigenden Kontrolle unterziehen. Durch ständige Beleuchtung und Kontrollen auch nachts wird ihnen der Schlaf entzogen. Geräusche von anderen Zellen oder von außen können sie nicht hören. Der Blick nach außen ist ihnen durch Sichtblenden bzw. Fliegengitter abgeschnitten.
Wie inzwischen weltweit bekannt, sind diese Bedingungen Bestandteil eines wissenschaftlichen Programms, das seit den fünfziger Jahren unter dem Begriff "Gehirnwäsche" entwickelt worden ist. Wenn der Wille auf diese Weise nicht gebrochen werden kann, dann werden Gesundheit und Leben zerstört.
Wir erinnern nur an das Leben von Katharina Hammerschmidt und Holger Meins!
Offensichtlich ist die Situation dermaßen zugespitzt, daß die Gefangenen zur letzten Widerstandsmöglichkeit greifen, die ihnen auf existentieller Ebene geblieben ist: zum unbefristeten Hungerstreik.
"In dieser Lage jahrelang voneinander isoliert und von jedem gemeinsamen politischen Prozeß und der Außenwelt abgeschlossen, sind wir entschlossen, mit unserem einzig wirksamen Mittel - dem kollektiven, unbefristeten Hungerstreik - die Trennung zu durchbrechen und uns die Bedingungen für kollektive Lern- und Arbeitsprozesse zu erkämpfen, um als Menschen zu überleben." (aus der Hungerstreikerklärung)
Wir fordern Sie als für die Haftbedingungen der Gefangenen Verantwortliche auf, ihre Forderungen zu erfüllen.
Diese Forderungen sind:
- Zusammenlegung
- Auflösung der Hochsicherheitstrakte
- Aufhebung aller Formen von Isolation
- Freilassung von Verena Becker, die an offener Tuberkulose leidet, und von Günter Sonnenberg, dessen Genesung von der Hirnverletzung in Gefangenschaft nicht möglich ist.
Zur Zeit sind drei hungerstreikende Gefangene, Gabriele Rollnik, Gudrun Stürmer und Andreas Vogel, schon in Lebensgefahr, bei anderen Gefangenen verschlechtert sich die gesundheitliche Lage rapide.
In Nordrhein-Westfalen werden die Gefangenen bereits zwangsernährt. In Westberlin, Lübeck und in anderen Bundesländern weigern sich die Anstaltsärzte, Zwangsernährung durchzuführen.
Wir unterstützen die Haltung dieser Ärzte, denn Zwangsernährung ist keine medizinische Maßnahme, sondern nur ein Gewaltmittel, den Widerstand von Menschen zu brechen. Übereinstimmend mit 80 Ärzten aus Holland meinen wir, daß Zwangsernährung als Folter zu betrachten ist. Sie ist in dieser lebensbedrohlichen Situation sogar ein direkter Angriff auf das Leben.
Unsere nordrhein-westfälischen ,Kollegen« fordern wir dringend auf, sofort die Zwangsernährung zu beenden, wenn sie sich nicht für den Tod einzelner Gefangener verantwortlich machen wollen!


aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte, 1. Auflage Köln Oktober 1987

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