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Tue Oct  7 23:10:45 1997
 

Walter Scheel

Mahnung und Verpflichtung des Todes von Hanns Martin Schleyer

Bundespräsident Scheel (FDP):
... Wenn wir unsere eigenen Gefühle prüfen, dann fallen uns Worte ein, die in den letzten Tagen schon sehr häufig ausgesprochen wurden, Worte wie Zorn, Wut, Empörung, Abscheu. Diese Worte bewegen uns nur noch wenig. Die Sprache ist ohnmächtig vor dem, was in diesen Tagen geschehen ist.
Ich möchte ein Wort hinzufügen: die Scham. In unserer Gesellschaft geschehen Dinge von einer Schändlichkeit, daß man ihren Anblick kaum erträgt, Dinge, die einen mit furchtbarer Deutlichkeit wieder auf etwas hinstoßen, was man so gerne vergessen mag: wie böse der Mensch sein kann. Ich schäme mich für die Bosheit dieser jungen verirrten Menschen. Sie selbst können sich wohl nicht mehr schämen.
Es gibt wohl kaum noch etwas, was diese jungen Menschen achten, was sie ehren, was ihnen heilig ist. Sie lachen über solche Worte. Sie sind stolz darauf, daß sie morden, rauben, erpressen können, daß sie für sich persönlich das Gewissen abgeschafft haben. Sie sind frei von jeder Hemmung, frei von jedem Tabu. Sie haben alle Werte einer 2000jährigen Kultur auf den Müll gekippt. Sie sind frei von ihnen. Aber was für eine furchtbare Grimasse der Freiheit schaut uns da an? Das ist die Freiheit der Bosheit, die Freiheit der Zerstörung.
Die Zerstörung, die Verwirrung, Angst und Schrecken - das heißt ja Terror -, das wollen sie. Und all dem liegt ein tiefer Haß auf die Welt und auf sich selbst zugrunde. Sie sind nicht nur Feinde der Demokratie - sie sind Feinde jeder menschlichen Ordnung. Diese Feindschaft ist die nackte Barbarei. Diese jungen verirrten Menschen bedrohen nicht nur demokratische Freiheiten. Sie sind die Feinde jeder Zivilisation.
Die Staaten der Erde beginnen das zu begreifen. Erschreckt erkennen sie, daß hier nicht diese oder jene Gesellschaftsordnung angegriffen wird, sondern jede Ordnung. Dies wurde uns deutlich, als die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik uns in diesen schweren Tagen ihre Hilfe anboten. Der Kampf gegen den Terrorismus ist der Kampf der Zivilisation gegen die alle Ordnung zerstörende Barbarei ... Wenn diese Flamme nicht rechtzeitig erstickt wird, wird sie sich wie ein Flächenbrand über die ganze Welt ausbreiten ...

(Quelle: Nr. 12, S. 25ff)


aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte, 1. Auflage Köln Oktober 1987

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