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Tue Oct 7 23:10:45 1997
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Politische Gewalt muß als Teil eines Kontinuums gesehen werden: als die scharf schneidende Klinge eines breiten Prozesses der Erosion und Entfremdung, die die Grundfesten der westlichen Gesellschaft aushöhlen. Das heißt, daß Terrorismus (wenn es über isolierte Kamikaze-Aktionen hinausgeht) nicht einfach ein Problem der Polizei oder der Armee ist, sondern der Gesellschaft als ganzes. Die Frage, die sich die Verantwortlichen immer stellen müssen, ist: Was hat zu der politischen Gewalt geführt? Werden politische und soziale Reformen dazu dienen, die Terroristen von ihrer Basis im Volk zu isolieren, oder werden sie bloß zeigen, daß die Regierung schwach ist? Gelingt es den Terroristen, Sympathien für ihre Sache über die Medien zu erlangen, und, wenn es so ist, ist die Notwendigkeit für Countermaßnahmen mit genug Kraft und Phantasie vertreten worden? Aus dem folgt nicht, daß eine schwere terroristische Kampagne das Produkt sozialer Mißstände ist, mit dem nur mit langfristigen Reformen umzugehen ist. Es ist richtig, daß Terroristen versuchen, die wirklichen oder eingebildeten sozialen Ungerechtigkeiten einer notwendig unvollkommenen Gesellschaft auszubeuten; das kann nicht heißen, daß es sich die Gesellschaft leisten kann, die Pistolenhelden und Bombenwerfer als Sprecher legitimer Interessenverbände zu behandeln. Die erste Aufgabe der Behörden einer Gesellschaft, die friedliche Veränderung zuläßt, muß sein, die Herrschaft des Gesetzes denen aufzuzwingen, die gegen sie Krieg führen. Anders zu handeln hieße, dem Ziel der Terroristen, eine legitime politische Macht zu sein, Glaubwürdigkeit verleihen.
Es gilt noch eine andere Gefahr zu vermeiden. Wenn es den staatlichen Behörden nicht gelingt, terroristischen Kampagnen in der Anfangsphase effektiv zu begegnen, können sie mit dem Entstehen privater Selbstschutzgruppen, die das Gesetz in die eigene Hand nehmen, rechnen. Wenn der Staat einmal sein Gewaltmonopol verloren hat, wird es sich als zunehmend schwierig erweisen, Nachfolgergruppen daran zu hindern, sich aufzudrängen. Die Regierung, die von Terrorismus bedroht ist, muß handeln gesehen werden, um das Vertrauen wiederaufzubauen und privaten Antworten die Spitze zu nehmen. Und sie muß eine phantasievolle erzieherische Kampagne aufbauen, um die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit bestimmter Countermaßnahmen zu überzeugen - die nicht jedem verständlich sein können am Anfang einer Kampagne, die später das Leben von Großstädten unterbrechen können.
Während der Druck, der von einer subversiven Bewegung ausgeübt wird, in der Tätigkeit gesehen und in einem gewissen Maß antizipiert werden kann, erfolgen terroristische Aktionen meistens ohne vorherige Warnung und gegen willkürlich und zufällig gewählte Ziele. Es ist unmöglich, jede Bank vor einem Terroristenüberfall zu schützen oder jede prominente Persönlichkeit vor Ermordung oder Kidnapping, und niemand kann die Leben unschuldiger Bürger retten, wenn eine Bombe in einem überfüllten Ladenzentrum explodiert. Nur die Terroristen selbst wissen, wann und wo der nächste Angriff laufen wird (es sei denn, ihre Organisation ist von Agenten der Sicherheitsbehörden infiltriert). Die Ziele der Counteraktion müssen deshalb sein:
- terroristische Organisationen zu infiltrieren oder sich auf anderen Wegen Informationen über ihre Pläne zu sichern;
- den Terrorismus verhindern, indem die Terroristen-Aktionszentren aufgespürt und isoliert werden, ihnen lebensnotwendige Hilfe versagt wird (d.h. Essen, Unterkunft, Geld und medizinische Hilfe) und sie so gezwungen werden, ins Offene zu treten;
- die Führer auszuschalten durch Gefangennahme und Haft. Weniger wichtige Kader können, wenn einmal identifiziert, in der Zirkulation drin bleiben, wenn über sie die Fäden zu der Spitze zu beschaffen sind. Ohne Führer neigen kleine Gruppen dazu, zu zerfallen oder in internen Streitereien sich zu zersetzen zum Wohl der Sicherheitsorgane.
Der Angriff der Counteraktion wird durch die nationalen Polizeikräfte, durch die Geheimdienste für innere und äußere Sicherheit (wo es letztere gibt) geführt werden. Aber viele andere Regierungsstellen werden darin verwickelt sein. Das schließt lokale Polizeieinheiten und Gendarmerie, Einwanderungsbehörden, Grenz- und Küstenwacht und die offiziellen Nachrichtenagenturen ein. Das Problem ist, daß diese Stellen verschiedenen Ministerien unterstehen. In einigen Ländern - wie Spanien und Italien - arbeiten die inneren oder Gegenspionage-Dienste ebenso wie die, die im Ausland arbeiten, unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums und nicht, wie in anderen Ländern, unter dem Innenministerium.
In jeder Antiterroristenkampagne ist es in höchstem Maße wünschenswert, daß es eine einzige Behörde gibt, die einem Minister oder Premierminister oder dem Staatsoberhaupt, der die Macht hat, eine akzeptierte Strategie allen damit befaßten Stellen zu empfehlen, verantwortlich ist. Wenn das politisch oder von der Verfassung her unmöglich ist, sollte es zumindest eine gemeinsame abgemachte Strategie geben.
Die meisten europäischen Länder haben verschiedene Geheimdienste: den Geheimdienst für Äußeres, den für Innere Sicherheit, Polizei-Sondereinheiten, militärische Geheimdienste. Geheimdienstmaterial dieser verschiedenen Organisationen sollte zusammengeworfen und zentral ausgewertet werden. Drei verschiedene Prozesse sind im Nachrichten-Sammeln enthalten:
1. das Herstellen detaillierter Dossiers über aktive und potentielle Terroristen und die, die ihnen Unterstützung geben können - Herstellung von Organisations-Diagrammen, um die Befehlsstrukturen von Unterorganisationen zu zeigen;
2. die Schaffung eines effizienten Netzes, so daß die Information so schnell wie möglich an die Leute in der Szene gelangt, so wie sie sie brauchen;
3. die Entwicklung des "strategischen Geheimdienstes" zum "operationellen Geheimdienst" über lokale Kontakte, die es möglich machen, zur richtigen Zeit den richtigen Mann festzunehmen. Die Entwicklung der Computerwissenschaft hat fast grenzenlose Möglichkeiten für die Anhäufung und blitzschnelle Weiterleitung von sortiertem Material an den größten Teil der Bevölkerung; das Problem staatlicher Stellen in einer freiheitlichen Demokratie ist, zu entscheiden, an welchem Punkt die Computerisierung von Informationen ein untragbarer Einbruch in die persönliche Freiheit ist. Aber es gibt keinen Zweifel, daß die Zentralisierung relevanter Informationen - und die Möglichkeit, Leute in die neue Szene einzuschleusen - die Arbeit der Sicherheitsbehörden in der Konfrontation mit einer Stadtguerillabewegung in großem Maß erleichtert.
Die Polizei (mit den Geheimdiensten) findet sich unweigerlich in der vordersten Front. Die Anzahl verfügbarer Polizei in einem Land ist fast immer weniger signifikant als ihr Vorbereitetsein, mit politischer Gewalt umzugehen, was von einer Spezialausbildung abhängt - sowohl in intellektueller wie technischer Hinsicht. In England z.B. ist das Verhältnis von Polizei zu Bevölkerung höher als in den USA oder einigen westeuropäischen Staaten, und trotzdem hat die Polizei bis vor kurzem keine Ausbildung in Counterinsurgency-Operationen.
In jeder Antiterroristenkampagne ist es wünschenswert (und sollte es möglich sein), eine nationale Spezialeinheit aufzustellen, die aus den damit befaßten Stellen zusammengestellt wird und die sich der Suche, Erforschung und Koordination von Countermaßnahmen widmet, zu denen die vorhandenen Kräfte mit ihren jeweiligen Fähigkeiten eingesetzt werden. Zusätzlich sollten die Spezialeinheiten Spezialisten wie Psychologen, Linguisten, Schlosser, Pfarrer, Analytiker für Politik, Medienleute usw. haben.
Tatsächlich haben die meisten westeuropäischen Länder bereits für die Aufstellung von Spezialeinheiten gestimmt - das sind "Feuerwehr", paramilitärische Polizeieinheiten, die dazu ausgerüstet sind, sowohl bei schweren Unruhen wie bei Stadtguerillaaktionen zu intervenieren. Die Nützlichkeit einer spezialisierten Counterterroristeneinheit wurde breit gezeigt bei den Vorfällen in den Niederlanden am 31.10.1974. Die 15 Geiseln, die von bewaffneten Kriminellen im Gefängnis von Scheveningen festgehalten wurden, wurden befreit als Ergebnis eines Kommandoangriffs der holländischen Anti-Terror-Einheit. Die holländischen Streitkräfte wandten eine Vielzahl von Talenten an: Verwirrungsaktinen (ungeheuren Lärm, flackerndes Licht, Rauchbomben und Sirenen), Gebrauch einer Hitzelanze, um in sechs Sekunden eine Stahltür zu zerschneiden, schnelle Bewegungen, Scharfschützen und gut recherchiertes Geheimdienstmaterial über arabische Terroristen, die das Kidnapping und die Kriminellen im Gefängnis organisiert hatten.
Anti-Terror-Einheiten sollten auch den Rat eines Psychologenteams 'ranziehen, das die Probleme von Verhandlungen mit Terroristen studiert hat. Das ist in den Niederlanden und Deutschland bereits die Regel, ebenso in vielen städtischen Einheiten der USA.
Öffentliches Unbehagen in einem demokratischen Land muß mit entsprechender Publizität für die Notwendigkeit von Countermaßnahmen beschwichtigt werden, so daß die psychologischen Mittel und die Taktik, die von den Terroristen angewandt wird, und ihr Ziel, die zivile Unterstützung der Regierung zu untergraben, vollkommen verstanden werden können. Das ist vor allem dann wichtig, wenn es notwendig wird, militärische Hilfe einzuberufen, die im Hinblick auf die fortgeschrittenere Bewaffnung, die den Terroristen zur Verfügung steht, notwendig sein kann. Die Terroristen haben oft die Medien zu ihrem großen Vorteil genutzt. TV-Interviewer sind bekannt, die die Terroristen in einem sympathischen Licht darstellen, und einseitige Berichterstattung kann dem offiziellen Fall schaden. Nichts dient den Terroristen besser als ein verklärtes "clandestines" Interview mit vermummten Männern, das ausdrücklich fürs TV aufgenommen wurde. Es ist die Pflicht derer, die die Öffentlichkeit gegen die Bewaffneten und Bombenleger schützen wollen, die Zusammenarbeit mit Medienleuten zu suchen mit dem Ziel einer fairen Darstellung der Notwendigkeit von Countermaßnahmen im öffentlichen Interesse. Westdeutsches und britische TV haben Programme zu Kriminalfällen, in denen die Öffentlichkeit eingeladen wird, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Das hat sich als erfolgreiches Konzept erwiesen und könnte auf Zusammenarbeit gegen den Terrorismus ausgedehnt werden. Terroristen sollten nicht davonkommen unter dem Vorwand, daß sie Sprecher legitimer Interessengruppen sind.
Der Kampf gegen den Terrorismus ist primär ein Kampf um Meinungen. Es gibt eine Menge Literatur, die für die theoretische Rechtfertigung des Terrorismus sorgt, die hinüberreicht bis zu direkter Aufhetzung zu Gewalt in der "Untergrund"-Presse. Viel effektiver jedoch sind propagandistische Versuche, die Sicherheitsbehörden wie z.B. in Nord-Irland mit Anklagen wie "Folter", Brutalitäten bei Razzien und Mord an unschuldigen Zivilpersonen zu diskreditieren ...
Die Techniken der psychologischen Kriegsführung müssen immer den Zielgruppen entsprechend gewählt werden. Argumente über die Moral der Gewalt werden vielleicht in England oder Westdeutschland schnell akzeptiert, werden aber keine Wirkung in einem katholischen Ghetto wie Ardoyne in Belfast haben, die eine Rekrutierungsquelle für Terroristen sind, oder in der Gemeinschaft arabischer Gastarbeiter in Frankfurt. Auf dieser Ebene müssen die Sicherheitsbehörden erfinderisch sein; z.B. müssen sie Rivalitäten und Korruption in der Führung der Terroristen öffentlich machen.
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Die kurze Antwort ist, daß Terroristen auf dem normalen Weg krimineller Anklagen wo immer möglich angeklagt werden sollen. Es kann jedoch die Situation entstehen, daß eine entsprechend (verschanzte) Terroristengruppe fähig ist, Zeugen, Richter und sogar Ehrenrichter zu bedrohen und ein normales Strafverfahren unmöglich zu machen. In dieser Situation muß die Sicherheitsbehörde die Macht haben, bekannte Gunmen (sehr wirkungsvoll, eine Organisation zu verbieten - Beispiel: IRA) von der Straße zu nehmen für eine begrenzte Zeit. Wenn Notstandsmaßnahmen erforderlich sind, sollte jedoch klar sein, daß sie zeitlich begrenzt sind und fallengelassen werden, wenn es die Situation erlaubt.
Eines der Hauptargumente gegen sie ist: ... das Risiko, eine nützliche Quelle für Informationen zu verlieren unter der Annahme, daß der Gefangene umgedreht werden kann. Wenn immer möglich (d.h. wenn die Terroristen unter der normalen kriminellen Anklage verurteilt worden sind), sollen die Terroristen wie normale kriminelle Gefangene gehalten werden. Besondere Vorsicht muß darauf verwandt werden, daß sich keine "Schulen für Terroristen" in den Gefängnissen bilden, wenn die Anzahl der Gefangenen steigt.
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Ihre Notwendigkeit ist klar. Internationale Koordination war bisher jedoch ungenügend, vor allem da nicht alle Länder in gleicher Weise vom Terrorismus bedroht sind. Dazu hindern Unterschiede im politischen, militärischen und rechtlichen System manchmal eine internationale Antwort.
Obwohl Verbrechen immer noch Verbrechen bleiben, selbst wenn sie politisch motiviert sind, erfordert die Koordination der polizeilichen Anstrengungen bei politisch motivierten Verbrechen neue Maschinerie. Interpol kann nicht benutzt werden, und wenn es nur wegen der Mitgliedschaft der arabischen Staaten ist. Die jeweiligen Länderpolizeien akkumulieren eine Masse von Fakten und Daten, einschließlich Statistiken über Terrorismus. Viel von dem könnte computerisiert werden. Alle europäischen Länder sollten Profile von terroristischen Gruppen und Individuen anfertigen. Diese Informationen sollen gesammelt und für alle möglichen Fälle für jede Polizeistelle, die Informationen braucht, zur Verfügung stehen.
(Quelle: New Dimension of Security in Europa, Mai 1975)
aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland
(BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte,
1. Auflage Köln Oktober 1987
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