nadir start
 
initiativ periodika Archiv adressbuch kampagnen suche aktuell
Online seit:
Tue Oct  7 23:10:45 1997
 

Auszüge aus einer Bundestagsdebatte

Vogel (SPD), Bundesminister der Justiz:
... Die Größe der Gefahr, das Potential des Terrors, die Einwirkungsmöglichkeiten der Terroristen - das alles muß ohne Übertreibung, ohne Verharmlosung, nüchtern und realistisch betrachtet werden. Zunächst haben wir es hier mit einem erheblichen kriminellen Potential zu tun. Es handelt sich um mehrere gefährliche Banden, die teils selbständig, teils ins Kooporation untereinander und mit ausländischen Terroristen der Begehung einer Vielzahl schwerer und schwerster Verbrechen fähig waren, die eine immer breiter werdende Blutspur durch unser Land gezogen haben. Bisher sind ihren Anschlägen seit dem 1. Januar 1970 21 Menschen zum Opfer gefallen; 102 weitere Menschen sind Mordversuchen nur mehr oder weniger knapp entgangen. Der harte Kern dieser Banden besteht aus etwa 100 Personen. Davon sind 56 in Haft, die übrigen in Freiheit. Sie sind schwer bewaffnet und verfügen über eine beträchtliche und leistungsfähige Logistik.
Dies, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist schon bedrohlich genug. Aber die Auswirkungen des Terrors beschränken sich nicht auf den unmittelbaren kriminellen Effekt. Insofern unterscheiden sich die terroristischen Vereinigungen von allen herkömmlichen Gangsterbanden, von denen es sicher in anderen Ländern, kriminalistisch betrachtet, noch weitaus gefährlichere gibt. Indes, die terroristischen Banden streben weiterreichende Wirkungen an und erzielen sie auch, zumindest zum Teil und zumindest für gewisse Zeit.
Wo sonst haben bandenmäßig verübte Verbrechen beispielsweise bisher ethische, gesellschaftspolitische, ja sogar theologische Diskussionen dieser Breite ausgelöst, Diskussionen etwa über legitime und illegitime Gewalt, über Bürgerkrieg und Staatsnotwehr, über die Realität des Bösen oder auch über eine Theologie der Gewalt? Haben wir es früher jemals erlebt, daß Verbrechen außerhalb der Unterwelt mit versteckter oder gar offener Zustimmung aufgenommen worden sind? Hier, meine Damen und Herren, ist es der Fall. Nicht nur, aber vor allem der Mord an Siegfried Buback hat ein solches Echo hervorgerufen. Ich denke dabei an den empörenden sogenannten Nachruf, der immer wieder, teils mit eindeutiger, teils mit halbherziger, teils aber auch ohne jede Distanzierung oder sogar mit Bekundungen der Sympathie nachgedruckt worden ist. Ich denke dabei an die Tatsache, daß dieser Nachruf von 43 Professoren, also beamteten, auf die Verfassung unseres Staates vereidigten Hochschullehrern in einem geradezu erbärmlichen Kontext unter schändlicher Vergleichung mit dem Tod eines zaristischen Polizeigouverneurs herausgegeben worden ist. Ich denke dabei schließlich an einen Schriftsteller, der sich des Ermordeten eilends bemächtigte, um ihn in kümmerlichen Versen zu diffamieren. Diese Vorgänge, meine sehr verehrten Damen und Herren, erinnern an den Beifall, mit dem zu Beginn der Weimarer Republik Verblendete die Ermordung eines Matthias Erzberger und eines Walther Rathenau aufgenommen haben, oder an die Menschenverachtung, mit der Adolf Hitler 1932 die Mörder von Potempa (1) seiner Solidarität versicherte.
Keine andere Bande, meine Damen und Herren, hat es bislang fertiggebracht, daß Medien auch in uns verbündeten Ländern zumindest partielles Verständnis für die vorgeblichen Ziele ihres Terrors äußerten und die Ursachen der Gewalttaten eher im Zustand unserer Gesellschaft oder in der Art sehen wollten, in der wir auf diese Herausforderung antworten, als in dem verbrecherischen Fanatismus der Terroristen. Dabei ist mir durchaus bewußt, daß sich diese Stimmen auch auf einzelne Äußerungen aus der Bundesrepublik stützen. Auf solche aus früheren Zeiten, die Fehleinschätzungen erkennen ließen, aber auch auf aktuelle Äußerungen, die die Relationen außer acht lassen, die mehr die Beschädigung des politischen Gegners, das Begleichen alter Rechnungen als die Abwehr gemeinsamer Gefahr zum Ziel haben. Wir spüren doch fast täglich, welchen Einfluß dies vielerorts auf das Bild nimmt, das in Europa und darüber hinaus von unserem Land entworfen wird, das sich in den Köpfen von Europäern niederschlägt und auf unser Land zurückwirkt.
Aber nicht nur nach außen erzielen die Terrorbanden Wirkungen. Auch im Inland verändern ihre Gewalttaten unser Dasein. Gerade wegen der Brutalität ihrer Verbrechen nehmen sie die Aufmerksamkeit unseres Volkes über Tage und Wochen in Anspruch. Sie beschäftigen die Exekutive, aber auch die gesetzgebenden Körperschaften in einem Maße, das mitunter Besorgnis erregt. Sie treffen das Bewußtsein und die Gefühle der Menschen in einer Stärke, die ihresgleichen sucht. Sie zielen auch ganz bewußt auf Konfliktfelder, die zwischen den Parteien unseres Landes, zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Kräften bestehen, um Gegensätze zu vertiefen, um die Polarisierung bis zu irreparablen Brüchen eskalieren zu lassen. Einige, die glauben, den Terror besonders nachdrücklich zu bekämpfen, sind dabei ihre unfreiwilligen Helfer.
Vielleicht meinen nun manche, es sei nicht zweckmäßig, dies von der Tribüne des Deutschen Bundestages auszusprechen. Es sei doch nur eine Handvoll von Verbrechern. Man dürfe sie nicht dämonisieren. Man sollte ihr Tun eher herunterspielen, wo immer möglich, mit Schweigen übergehen. Ich glaube, meine Damen und Herren, das wäre ein Irrtum. Wer eine Gefahr bannen will, muß sie zunächst erkennen und wahrheitsgemäß beschreiben. Dies habe ich soeben versucht. Eben dies halte ich auch für die Pflicht gerade des Justizministers.
Um es noch einmal mit anderen Worten zu sagen: Nicht daß Menschen getötet werden - so furchtbar das auch ist -, ist das Spezifikum des Terrors. Sein Spezifikum ist der frontale Angriff gegen unseren Staat, gegen das Vertrauen der Bürger in den Staat, gegen die Werteordnung unserer Gesellschaft und gegen den Grundkonsens der geistigen und politischen Kräfte, auf dem unsere staatliche und gesellschaftliche Ordnung ruht. Dabei nehmen die Terroristen und ihre Hintermänner bewußt in Kauf, daß dem Zerbrechen des Grundkonsens nicht sogleich der von ihnen angestrebte Zustand eines Zwangsparadieses folgt, sondern daß zunächst eine Metamorphose des Staates in Richtung auf die Praktizierung von Gegenterror einsetzt, eine Metamorphose, von der sich die Terroristen Zulauf an aktiver Unterstützung und an Sympathisanten versprechen.
Ich sage, die Terroristen zielen gegen unsere Wertordnung. Den höchsten Rang in dieser Ordnung nimmt die Menschenwürde ein, d.h. der sittliche Eigenwert jedes einzelnen Individuums als Person. Gerade diesen Wert wollen die Terroristen zerstören, indem sie Menschen zu Objekten, zu Sachen, zu Instrumenten herabwürdigen, indem sie die Vernichtung menschlichen Lebens als Kampfmittel einsetzen wie andere eine Waffe oder ein Argument. Hanns Martin Schleyer, die Passagiere der "Landshut": Sie waren für die Terroristen nicht Individuen, die einen letzten Wert darstellen, sondern beliebig austauschbare Gegenstände, mit denen sie allein unter dem Gesichtspunkt ihrer Zwecke ohne jede Bindung an Recht und Regeln verfuhren. Darin, meine Damen und Herren, liegt die eigentliche Herausforderung, darin liegt der zentrale Angriff auf die Menschenwürde und die humane Ordnung, auf die wir als Volk uns nach den bitteren Erfahrungen unserer jüngeren Geschichte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geeinigt haben.
Für die Abwehr und Überwindung einer solchen Herausforderung kann es kein einfaches Rezept geben. Jeder, der glaubt, ein Mittel reiche aus, wenn es nur entschieden genug ergriffen werde, irrt. Nur eine Vielzahl von Anstrengungen auf den verschiedensten Gebieten kann weiterhelfen. Ich sehe vor allem drei Felder, auf denen die Auseinandersetzung geführt werden muß, nämlich das Feld der moralisch-politischen Auseinandersetzung mit dem Terror, seinen Ursachen und seinem Umfeld, das Feld des Gesetzesvollzuges und das Feld der Gesetzgebung.
Die moralisch-politische Auseinandersetzung steht für mich im Vordergrund. Hier vor allem müssen wir die Überlegenheit unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung bewahren und voll zum Tragen bringen. Das heißt nicht, daß ich eine Diskussion mit den Terroristen für sinnvoll hielte. Sicher, auch als Justizminister schließe ich nicht aus, daß den einen oder den anderen der Terroristen vielleicht Zweifel an seinem Tun beschleichen, daß er zumindest einen Augenblick über die Folgen seines Tuns erschrickt. Vielleicht denkt der eine oder der andere auch an Umkehr. Dem dürfen wir uns nicht verschließen, und kein Mensch - auch kein Terrorist -, der noch für die Menschlichkeit zu retten ist, darf aufgegeben werden. Aber insgesamt versteht der harte Kern der Terroristen nur die Sprache rechtmäßig geübter staatlicher Gewalt; die Sprache, die in Mogadischu gesprochen wurde und die besagt, daß das Risiko der Gewalt nicht einseitig verteilt ist, daß das Unheil auch auf die verbrecherischen Urheber zurückfallen und zurückschlagen kann.
Ich denke vielmehr an die Suche nach und die Auseinandersetzung mit den Ursachen des Terrors, an eine unbefangene, nicht von Vorurteilen und taktischen Überlegungen beherrschte Suche und Auseinandersetzung ...
Ist der Realitätsverlust der Terroristen nicht auch durch eine maßlos und bis zum Exzeß getriebene Gesellschaftskritik verursacht worden, durch eine Kritik, die Haß gegen unseren Staat erkennen ließ und sich nicht mehr mit den wirklichen Mängeln unserer Ordnung, sondern mit einem Zerrbild beschäftigte, mit einem Zerrbild, das, wäre es Wirklichkeit ..., die Frage nach der Gewalt als dem letzten Mittel nicht völlig erscheinen ließe? (2)
Welchen Einfluß - so wird weiter zu fragen sein - hatten darüber hinaus die verschiedenen Gewalttheorien, die subtil zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen unterschieden und die Anwendung des Rechts durch den Staat durch das Begriffspaar Gewalt und Gegengewalt auf die Ebene terroristischer Aktivitäten herabzudrücken suchten? Aber haben wir nicht auch selber, und zwar wir alle, Umstände gesetzt und Entwicklungen zugelassen, die partiell Überdruß, Ekel und Morbidität verursachten und die Fragen nach dem wirklichen Sinn des Lebens verschütteten? Haben wir nicht alle zu lange das rein materielle Mehr in den Mittelpunkt unseres Tuns und Lassens gestellt? ...
Ich habe die Gefahren, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bedrohungen geschildert, denen wir uns gegenübersehen. Ich verhehle nicht, daß uns weitere Anschläge bevorstehen. Indes: In der Größe der Gefahr, in der Erfahrung gemeinsam erlebter Bedrohung liegt auch eine Chance. Wir spüren es doch, daß die Menschen beginnen, sich unter dem Eindruck der furchtbaren Ereignisse wieder Wesentlichem zuzuwenden, daß es vielen wie Schuppen von den Augen gefallen ist, daß scheinbare und wirkliche Sorgen und Nöte wieder deutlicher voneinander geschieden werden und an ihren richtigen Platz in der Rangordnung der Probleme rücken.
Wir spüren ein Zusammenrücken in unserem Volke, ein Schrumpfen von Gegensätzen, die zwar fortbestehen und auch fortbestehen müssen, aber in ihrer Bedeutung realistischer gesehen werden. Die Zusammenarbeit aller politisch verantwortlichen Kräfte in der Großen Runde hat insoweit nur nachvollzogen, was draußen in unserem Volke schon geschehen ist und was die Menschen unseres Volkes von uns erwarten, übrigens auch in Zukunft erwarten, ja, geradezu verlangen ...
Meine Damen und Herren, es ist noch etwas in Gang gekommen: ein neues Verständnis unseres Staates. Die Menschen haben in diesen Tagen und Wochen gespürt, daß der Staat mehr sein muß als eine Schönwettervereinigung zur Wohlstandsmehrung, mehr als ein Gebilde, dem man nur als Fordernder, möglichst als lautstark und rücksichtslos Fordernder entgegentritt. Sie haben begriffen, daß dieser Staat, diese Bundesrepublik Deutschland Opfer verlangen und von der ihr anvertrauten Gewalt auch Gebrauch machen muß, wenn sie fähig bleiben will, den inneren Frieden zu bewahren und Leib und Leben der Bürger zu schützen. Die Menschen haben erfahren, daß es der Staat war, der die Geiseln rettete und die Väter, Mütter und Kinder - mit zwei schmerzlichen Ausnahmen und um den Preis der Toten von Köln - zu ihren Familien zurückbrachte -, meine Damen und Herren, der Staat, jener so oft geschmähte, verächtlich als "System" abgetane, als Repressionsagentur verlästerte, aber auch wegen seiner angeblichen Schwäche und Orientierungslosigkeit belächelte und verhöhnte Staat. Diesem unserem Staat, für den wir in diesem Hause als Verfassungsorgan ein besonderes Maß an Verantwortung tragen, diesem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat unseres Grundgesetzes ist in den letzten Wochen ein Mehr an Autorität und Sympathie seiner Bürger zugewachsen, auch deshalb, weil alle Verantwortlichen in der Not gemeinsam handelten. Was dem Staat so durch gemeinsame Anstrengungen, unglückliche Umstände zugewachsen ist, das sollten wir nicht aufs Spiel setzen, weder bei der heutigen Debatte noch bei den weiteren Beratungen der vorliegenden Entwürfe. Denn: Wir werden dieses Mehr an Autorität und Zuneigung für unseren Staat in den Prüfungen, die uns mit Sicherheit noch bevorstehen, brauchen.

Dregger, CDU/CSU:
... Sollten sich in Zukunft noch einschneidendere Gesetze als erforderlich erweisen, um dem Terrorismus wirksam begegnen zu können, wäre nach meiner Auffassung daran zu denken, nicht nur materiell, sondern auch formell ein Sonderrecht zu schaffen, das verfassungsrechtlich klar abgesichert und vielleicht auch zeitlich befristet oder auch für eine zeitlich begrenzte Gefahrenlage gesondert in Kraft zu setzen ist.
So sehr wir uns davor hüten müssen, liberale Errungenschaften für alle aufzugeben, weil wenige eine besondere Gefahr für alle darstellen, so sehr müssen wir uns darum bemühen, dem Angriff der wenigen auf alle eine der Größe der Gefahr entsprechende Abwehr entgegenzustellen.
Was uns daran hindern kann, ist vor allem das, was ich als falsche Vergangenheitsbewältigung bezeichnen möchte. Wir, die wir für die Gegenwart und die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich sind, müssen uns vom Schatten Hitlers lösen. Weder die Kopie Hitlers - die niemand, der in Deutschland noch bei Sinnen ist, wiederholen möchte - noch das Gegenbild Hitlers können Maßstab unseres Handelns sein. Wir müssen uns an Erfahrungen orientieren, die über Hitler hinausweisen, und an Grundwerten, die Hitler zwar mißbrauchen, aber nicht außer Kraft setzen konnte.
Erinnern wir uns an das Schicksal der ersten deutschen Republik! In den ersten Jahren ihres Bestandes hat sie sich als entschlossen und fähig erwiesen, sich mit ihren Gegnern erfolgreich auseinanderzusetzen. Die Niederschlagung der Kommunistenaufstände in Sachsen und im Ruhrgebiet und des Hitlerputsches in München, aber auch die Verabschiedung des Gesetzes zum Schutz der Republik vom 21. Juli 1922, das den Morden an Erzberger und Rathenau auf dem Fuß folgte, haben das gezeigt. Niemand kann an der Rechtsstaatlichkeit dieses Republikschutzgesetzes zweifeln. Ich weise auf dieses Gesetz hin, nicht um die Übernahme der dort genannten Bestimmungen zu empfehlen, sondern um die Wirksamkeit entschlossenen Handelns einer demokratischen Republik in Erinnerung zu rufen. Dieses Republikschutzgesetz, mit den Stimmen auch der SPD verabschiedet, bedrohte bei einem Anschlag auf ein Regierungsmitglied nicht nur den erfolgreichen Attentäter mit dem Tode, es bedrohte auch den erfolglosen Attentäter und auch denjenigen mit dem Tode, der einer auf Attentate angelegten Vereinigung oder Verabredung angehörte, auch wenn er die Einzelheiten des Attentates nicht kannte. Mit dem Tode bedroht wurde auch, wer die terroristische Vereinigung mit Rat und Tat und insbesondere mit Geld unterstützte. Nach Verabschiedung des Republikschutzgesetzes war die damalige Attentatsserie zu Ende, wobei zu untersuchen bleibt, ob und wieweit das diesem Gesetz zu verdanken ist ...
Nun zur dritten und wichtigsten Aufgabe: zur Bekämpfung der geistigen und politischen Ursachen des Terrorismus ...
Nährboden ist - und das ist jetzt der entscheidende Punkt - die geistige Heimatlosigkeit und die sich darauf gründende Fehlleitung (3) der idealistischen Energien eines Teils der deutschen Jugend. Es ist viel zu gering angesetzt, wenn man wie Bundeskanzler Schmidt sagt, das sei nur eine besondere Form der Wohlstandskriminalität. Das sind keine Playboys; das sind Fanatiker, meine Damen und Herren.
Erinnern wir uns an die deutsche Tragödie. Es begann mit dem Mißbrauch der Grundwerte und des Geschichtsbewußtseins der Deutschen durch Hitler. Es folgten nach zwölf Jahren Hitler - davon sechs Jahre Krieg - im Osten die Vertreibung, in der Mitte die Etablierung eines kommunistischen Zwangsregimes und im Westen eine Vergangenheitsbewältigung, die sich vielfach nicht darum bemühte, die von Hitler pervertierten und mißbrauchten Grundwerte in ihrer Reinheit wiederherzustellen, sondern sich bemühte, diese Grundwerte endgültig auszulöschen. Mit den zwölf schlimmen Jahren unter Hitler wurden auch gleich die übrigen 1188 Jahre unserer 1200jährigen Geschichte unter Anklage gestellt.
Damit war das geistige Vakuum geschaffen, das neuen Irrlehren Raum bot, die als Reaktion auf die braunen Jahre diesmal nur von links kommen konnten. Die dabei angewandte geistige Indoktrination bediente sich nicht nur der Medien, insbesondere der Monopolanstalten von Rundfunk und Fernsehen, sondern auch der Einrichtungen des staatlichen Bildungswesens.
Basilius Streithofen hat sicher recht, wenn er im Bonner "General-Anzeiger" im September schreibt, Studenten hätten in die Praxis umgesetzt, was Professoren sie gelehrt hätten.
Der "Bund Freiheit der Wissenschaft", selbst von Hochschullehrern getragen, hat sicherlich recht, wenn er in seinen letzten Veröffentlichungen schreibt - ich zitiere wörtlich -:
"Nachweisbar hat der Terrorismus um Baader/Meinhof von den Hochschulen seinen Ausgang genommen."
An einer anderen Stelle heißt es:

"Es besteht die reelle Chance, mit der Lösung des Extremismusproblems an den Hochschulen auch das Ende des Terrorismus in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen, solange der gewalttätige Extremismus noch an den Hochschulen lokalisiert werden kann."
Ich glaube, auch Nipperdey hat recht, der zumindest früher Ihrer Partei angehört hat und ihr vielleicht auch jetzt noch angehört. Er sagt in der gleichen Veröffentlichung - ich zitiere wörtlich -:
"Die sinnvermittelnden Institutionen unserer Gesellschaft - Medien, Schulen, Hochschulen - sind von dem, was den Terrorismus ermöglicht, infiziert."
Meine Damen und Herren, was hier theoretisch dargelegt ist, erkennt jeder, der in unsere Hochschulen hineingeht. Zehn Jahre lang wurde in manchen Fachbereichen mancher Universitäten ein Klima geistigen und physischen Terrors geduldet. Zehn Jahre lang wurde durch die Einübung von Rechtsbrüchen als alltäglichem Verhalten das für den Terrorismus geeignete Umfeld geschaffen.
Zehn Jahre lang haben wir dagegen Front gemacht und gewarnt, und andere haben verharmlost und begünstigt, wenn sie sicherlich auch nicht das Ergebnis wollten, das wir jetzt alle beklagen und das wir schon damals voraussahen.
All das blieb nicht auf den universitären Bereich beschränkt. Konfliktbewußtsein und Konfliktpädagogik beherrschten das Feld. Rahmenrichtlinien, d.h. Lehrpläne, Lehrbücher und Lehrerbildung, wurden Ansatzpunkte der Agitation und Indoktrination. Gezüchtet wurde Systemverachtung. Die Grundwerte der Verfassung wurden nicht in den Herzen unserer Jugend verankert, sie wurden "hinterfragt". Das sozialste und freiheitlichste System nicht nur der deutschen Geschichte, ein System, das sich mit jedem anderen in der Welt messen kann und das inbesondere allen sozialistischen Systemen haushoch überlegen ist in seiner sozialen Wirklichkeit, wurde als kapitalistisch, als ungerecht und als ausbeuterisch diffamiert.
Wer jungen Menschen, die ihr Weltbild nicht aus der Erfahrung der Arbeitswelt, sondern aus Vorlesungen und Büchern gewinnen, einen derartigen teuflischen Unsinn einredet, darf sich nicht wundern, wenn einige von ihnen nachher mit dem gleichen Fanatismus morden, mit dem die Schergen Hitlers und Stalins gemordet haben. Größer noch als die moralische und rechtliche Schuld der Schießenden ist die moralische Schuld derer, die den Haß säen, aus dem Gewalt erwächst.
Was wir brauchen, sind daher nicht nur bessere Gesetze und eine bessere Vorbereitung der Sicherheitsdienste auf die Abwehr. Polizei und Justiz können die Zahl der Verbrechen einschränken; beseitigen können sie sie nicht. Notwendig ist eine Umkehr, eine geistige, moralische und eine politische Umkehr.
Notwendig ist auch eine Umkehr in der Bildungspolitik. Bildungspolitik und Unterrichtspraxis dürfen sich nicht an Karl Marx, Herbert Marcuse oder anderen Propheten orientieren, die die einen von uns als die richtigen Propheten und die anderen von uns als die falschen Propheten betrachten. Keine der verschiedenen philosophischen und politischen Richtungen in unserem Lande darf staatliche Bildungseinrichtungen zu ihrem Eigentum machen, meine Damen und Herren! Es sind unser aller Schulen. Jede Ideologisierung - in welcher Richtung auch immer - von Bildung und Ausbildung an staatlichen Monopolanstalten verletzt die Grundrechte der Eltern und Schüler und ist Verfassungsbruch, der ein Ende haben muß.
Front zu machen ist ferner gegen die Verfälschung unserer Geschichte. Meine Damen und Herren, die übrigen 1188 Jahre waren nicht weniger gut als die anderer Völker. Das müssen wir auch einmal sagen. Front zu machen ist gegen die Falschinformationen über die Gegenwart. Zu fördern ist die Einsicht in die Wirklichkeit sozialer, ökonomischer und rechtlicher Zusammenhänge. Schulen und Hochschulen müssen wieder mehr systematisches Wissen vermitteln, um kritisches Urteilen zu ermöglichen, um tatsachenbezogenes Urteilen zu ermöglichen.
Es ist doch erschreckend, festzustellen, was Abiturienten und Studenten alles nicht wissen über unsere Verfassung, über unsere Gesellschafts- und Sozialordnung, über die Voraussetzungen, über die ethischen Grundlagen ihres Funktionierens, über ihre Erfolge und Mißerfolge im Vergleich zu anderen Systemen.
Statt Tatsachenkenntnis zu vermitteln, wird ideologisiert und indoktriniert mit Bildern, Begriffen und Ideologien des 19. Jahrhunderts, die ohne Rücksicht auf die Wirklichkeit einfach auf die Gegenwart übertragen werden. Manche Fachbereiche deutscher Universitäten - ich spreche das aus, obwohl mir das Kritik einbringen wird - sind auf diese Weise zu Ordensburgen für Systemveränderer und zu Klippschulen für Halbgebildete geworden ...

(Quelle: Nr. 6, S. 4090ff)


aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte, 1. Auflage Köln Oktober 1987

[ Chronologie | Inhaltsverzeichnis | Vorwort | Impressum ]