Von Pater Lothar Groppe SJ 1
... Wohl kein Politiker oder militärischer Fachmann hält die Gefährdung des öffentlichen Lebens durch Terroristen für überwunden. Der Verfasser stimmt der These Gustav Dänikers in dessen "Antiterror-Strategie" zu, "daß der moderne Terrorismus erst in seinen Anfängen steht und daß die Weiterentwicklung terroristischer Praktiken für die westlichen Industrieländer zu einem Sicherheitsproblem erster Ordnung werden wird, wenn nicht - in letzter Minute - sinnvolle und umfassende Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Terrorismus wird deshalb als ein Problem moderner Sicherheitspolitik gesehen, als eine Bedrohung, die sich denjenigen der Massenvernichtungsmittel, des konventionellen Krieges und der politisch-psychologisch-wirtschaftlichen, der sogenannten indirekten Kampfführung als ein militanter Teil der letzteren zugesellt und höchste Aufmerksamkeit verdient." (S. 16) Selbstverständlich kann es in einer kurzen Abhandlung nicht um eine allumfassende Sicht des angesprochenen Komplexes gehen. Die Fallstudie einer Wehrethik hat eine wesentlich begrenztere Aufgabe ...
In der Fallstudie geht es um effektives, aber sittlich verantwortbares Handeln in einer schwierigen Grenzsituation: Terrorismus mit Geiselnahme.
Die Ausgangslage sieht folgendermaßen aus:
1.1. Terroristen nehmen Geiseln ...
2. Mögliche Entscheidungen des Krisenstabes ...
3. Abwägen der einzelnen Möglichkeiten unter ethischen Aspekten ...
3.2.5. Anwendung von Gegengewalt
Mehrere Möglichkeiten bieten sich an:
Repressalien gegen bereits inhaftierte Terroristen.
N.B. Die folgenden Überlegungen sind aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen (noch nicht) möglich und erscheinen auch aus ethischer Sicht zumindest nicht ganz unbedenklich. Gewissenhaftes Handeln schafft nicht selten gegenüber einem Feind, der sich nicht um Moral kümmert, eine beträchtliche Unterlegenheit. Um so mehr sind aber alle irgendwie gerechtfertigten Möglichkeiten voll auszuschöpfen. In Situationen, die den Bestand des Rechtsstaats ernsthaft zu untergraben geeignet sind, gilt das Axiom: In extremis extrema tentanda sunt. 2
a) Unter der Voraussetzung, daß sich der Staat trotz grundsätzlicher Bedenken gegen die Todesstrafe entschließen sollte, diese für Terrorismus wiedereinzuführen, wäre eventuell zu überlegen, Terroristen, die wegen Mordes zum Tode verurteilt wurden, bedingt zu begnadigen. (Hier handelt es sich um eine Rechtsfigur, die es bisher nicht gibt, schon allein deswegen nicht, weil die Todesstrafe abgeschafft ist.) Im Fall terroristischer Erpressung könnte der Staat die Vollstreckung des Todesurteils androhen, wenn die Geiseln nicht freigelassen werden. Diese Art der Repressalie schlugen u.a. auch ein britischer Abgeordneter und der Generalsekretär der Schweizerischen Gesellschaft für eine europäische Menschenrechtskonvention vor. Däniker wendet sich in seiner "Antiterror-Strategie" scharf gegen eine solche "brutale Betrachtungsweise, die derjenigen der Terroristen kaum nachsteht". (S. 166) Jedoch kann es nicht darum gehen, wie er schreibt, "gefangene Terroristen vorsorglich zum Tode zu verurteilen" (S. 165), sondern es kämen ohnehin nur "todeswürdige" Verbrechen in Frage, für die durchaus auch in Demokratien, wie den USA und Frankreich, die Todesstrafe vorgesehen ist. Gerade im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung wäre erneut die Frage aufzuwerfen, ob der Staat in Extremsituationen, in denen seine Überlebensfähigkeit schwerwiegend bedroht ist, auf die Wiedereinführung der Todesstrafe verzichten kann. Hier möchte der Verfasser Däniker voll zustimmen, wenn er schreibt: "Unvermeidlicherweise wurde aber auch die Wiedereinführung der Todesstrafe heftig diskutiert. Ihre Gegner mögen mit noch so vielen Argumenten und Statistiken aufwarten, wonach sie keinen Abschreckungswert besitze; das Volk wird sich nach jedem Abscheu erregenden Ereignis erneut mehrheitlich zu ihren Gunsten melden. Wer sich vor Augen führt, daß es terroristischen Gepflogenheiten entspricht, ihre einsitzenden Genossen auch nach Kapitalverbrechen wieder freizupressen und bei solchen Aktionen unschuldige Geiseln mit dem Tode zu bedrohen, muß sich in der Tat fragen, ob das Leben der Terroristen heute nicht höher bewertet wird als dasjenige gleichsam zwangsläufig zu erwartender Opfer." (S. 165)
b) Verweigerung der Hilfeleistung für verletzte Terroristen oder deren Einstellung, wenn sich der Terrorist bereits in Behandlung befindet. Etwa bei dem OPEC-Überfall in Wien wäre es z.B. möglich gewesen, die Terroristen mit ihrem schwerverletzten Kumpan unter entsprechenden Druck zu setzen.
c) Androhung und Durchführung verschärfter Vernehmung bereits gefangener Terroristen, die beim gleichen Überfall gefangengenommen wurden. Es wird hier vorausgesetzt, daß die Schuld der Terroristen erwiesen ist - wenn auch noch nicht gerichtlich - und sie auch wissen, wie die drohende Gefahr (versteckte Bomben) abgewendet werden kann. (Es wurden z.B. die Funksprüche der Terroristen abgehört.)
3.2.6. Sturm des Gebäudes mit dem Ziel, die Geiseln unversehrt zu befreien. Hierzu ist der Einsatz von Scharfschützen erforderlich. Er ist auch auf die Gefahr, daß er nicht zum gewünschten Erfolg führen sollte, als einziges, geeignetes und notwendiges Mittel vom sittlichen Standpunkt aus gerechtfertigt ...
4.2. Der Scharfschütze, der den gezielten Todesschuß abgeben muß, ist davon zu überzeugen, daß sein Handeln in der Situation extremer Notwehr sittlich gerechtfertigt ist. (Es kommen ohnehin nur ausgesuchte Freiwillige in Betracht, die nach den Prinzipien der französischen Antiterrorgruppen auszuwählen wären: Männer mit Kameradschaft und Disziplin, über 30 Jahre alt, verheiratet und Väter von Kindern, für die ein solcher Dienst kein "Abenteuer" darstellt.)
Der tödliche Schuß ist das einzige geeignete und notwendige Mittel zur Rettung unschuldiger Menschen. Der Einsatz von Scharfschützen ist um so mehr gerechtfertigt, als es um die Unschädlichmachung gemeingefährlicher Mörder geht, während man im Krieg Scharfschützen gegen Soldaten des Gegners einsetzt, die keineswegs Verbrecher und Mörder sind.
4.3. Die für den Einsatz verantwortlichen Stellen, die nach Ausschöpfen aller anderen Möglichkeiten - soweit hierfür noch Zeit bleibt - nicht den gezielten Todesschuß anordnen, oder, wie man ihn nach einem neuen Gesetz auch nennt, den Rettungsschuß, handeln im Grunde unsittlich, da sie das Leben von Schwerstverbrechern über das unschuldiger Menschen stellen ...
5. Zusammenfassung
Abschließend muß festgestellt werden, daß jede Möglichkeit, die Geiseln zu befreien, auszunutzen ist, auch wenn hierfür die gezielte Tötung der Terroristen notwendig ist. Eine solche Handlung wäre gerechtfertigt, um die Stabilität des Rechtsstaats nicht zu erschüttern. Ein auch nur teilweises Eingehen auf die Forderungen der Terroristen ist - wenn nicht extreme Situationen bei relativ harmlosen Forderungen vorliegen - unsittlich, da erfahrungsgemäß eine Eskalation des Terrors droht und damit eine schwere Mitschuld an allen weiteren, sich hieraus ergebenden Anschlägen verbunden ist.
Im Zuge von Terrorüberfällen getötete Geiseln sind, auch in den rechtlichen Folgen, als Kriegsopfer zu behandeln. Die Unterstützung der Terroristen durch Sympathisanten ermöglicht diesen weitgehend erst ihr verbrecherisches Treiben. Sie müßte mit wirksam abschreckenden Strafen geahndet werden, um deutlich zu machen, daß es sich nicht um Kavaliersdelikte oder Nervenkitzel der Schickeria handelt. In Frage kämen langjährige Gefängnisstrafen, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Aberkennung aller akademischen Grade und staatlichen Auszeichnungen, Verlust des Beamtenstatus, Einzug des Vermögens, das einem Fonds zur Entschädigung der Opfer zuzuführen wäre ...
Die Frage, die bisweilen von Soldaten gestellt wird, ob denn die Bekämpfung des Terrorismus - jedenfalls im Großmaßstab - etwas mit dem Soldaten zu tun habe, ist heute bereits eindeutig geklärt. Bei den Terrorüberfällen von Beilen und Assen sowie beim Unternehmen Jonathan (Entebbe) waren und in Nordirland sind noch Soldaten im Einsatz. Ohne ihren Einsatz wären der Blutzoll entschieden höher und der Erfolg wohl unmöglich gewesen ...
(Quelle: Nr. 20, 9/80, S. 448ff)
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Anmerkungen der Redaktion:
1 SJ: Societas Jesu (Gesellschaft Jesu), Bezeichnung für den katholischen Orden der Jesuiten
2 in extremis extrema tentanda sunt: In äußersten Situationen muß das Äußerste gewagt werden.