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Tue Oct  7 23:10:45 1997
 

Erklärung des Rates der EKD

Die Evangelische Kirche in Deutschland bejaht den Staat, in dem wir leben. Die durch den Terror ausgelöste allgemeine Verunsicherung kann zu maßlosem Zorn oder zu tiefer Resignation führen. In dieser Situation bekennen wir uns zum fünften Satz der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, in dem es heißt: "Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt."
Mord und erpresserische Gewalttätigkeit, die den Verlust von Menschenleben zynisch einkalkuliert, sind durch nichts, unter keinen Umständen und mit keiner wie auch immer gearteten Zielvorstellung zu rechtfertigen oder zu verharmlosen. Durch die jüngsten Terrorakte sind in der Person der Opfer Staat und Gesellschaft selbst betroffen. Wir alle sind darum verpflichtet, das uns Mögliche zur Aufklärung der Verbrechen beizutragen und einer weiteren Eskalation des Terrors entgegenzuwirken.
Nur ein starker Staat kann ein liberaler Staat sein. Stark aber ist der Staat in erster Linie durch die gemeinsamen Überzeugungen und Wertvorstellungen seiner Bürger. Die Verpflichtung auf die unserer gesellschaftlichen Ordnung vorgegebenen Werte bildet die Grundlage unserer politischen Existenz und ermöglicht den weiten Raum der Freiheit, in dem Menschenrecht und Menschenwürde beheimatet sind. Diese Grundlage der Freiheit bestimmt aber auch deren strikt zu wahrende Grenze. Dem tragen Gesetzgebung und Polizeigewalt in unserem Land angemessen Rechnung.
Wir sind uns bewußt, daß die politische Führung unseres Staates angesichts der erpresserischen Geiselnahme vor einer äußerst schwierigen Entscheidung steht. Auf der einen Seite hat der Staat die Aufgabe, Leben zu schützen. Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob die Erfüllung der Forderungen nicht zu weiteren Mordtaten führt. Auf diese Frage gibt es keine prinzipiell richtige oder falsche Antwort. Hier sind die Verantwortlichen vor letzte Gewissensentscheidungen gestellt. Wir versichern sie in dieser Situation unserer Bereitschaft, ihre Entscheidungen mit Vertrauen aufzunehmen, und rufen dazu auf, auch die Folgen gemeinsam zu tragen.
Bei vielen Bürgern ist heute das Verhältnis zu Staat und Gesellschaft gestört. Dies wird nur vordergründig durch Wohlstands- und Fortschrittsoptimismus verdeckt und verlangt nach einer geistigen und moralischen Orientierung, Begriffe wie Lebenssinn und Lebensstil sind von uns allen mit neuem Inhalt zu füllen. Persönliches Vorbild und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, werden auch der jungen Generation, die durch den Verlust verbindlicher Werte und Angst vor der Zukunft verunsichert ist, Halt und Hoffnung geben.
Das Aufkommen des Terrorismus in unserem Land weist auf Versäumnisse und Fehlentwicklungen, an denen alle Gruppen unserer Gesellschaft beteiligt sind. Auch die evangelische Kirche bekennt ihre Mithaftung am Geschehen dieser Wochen. Wir sind dem einseitig konfliktbetonten Verhalten in unserer Mitte nicht deutlich genug entgegengetreten und haben Gebot und Verheißung Gottes nicht klar genug verkündigt. Der Glaube an Gottes neuschaffende Vergebung muß von uns allen in überzeugende Taten solidarischer Mitverantwortung umgesetzt und in einem weltweiten Eintreten für Recht und Würde des Menschen verwirklicht werden.
Die Antwort der Christen auf die Herausforderung durch den Terrorismus ist das Gebet und das Tun dessen, was recht ist. Wir rufen daher alle Glieder unserer Kirche auf, in der Fürbitte nicht nachzulassen. Sie gilt den Opfern der Gewalt und den in ihrem Leben Bedrohten, daß die Barmherzigkeit Gottes sie umfange. Sie gilt den Angehörigen der Ermordeten, daß sie Trost und neue Hoffnung finden. Unsere Fürbitte umfaßt auch die Politiker, Polizisten und Beamten unseres Staates, die schwerwiegende Entscheidungen zu fällen und auszuführen haben. Sie erstreckt sich aber auch auf alle, die in Haß und Fanatismus verblendet sind, daß Gottes Menschenfreundlichkeit ihre Menschenverachtung überwindet und sie aus der Verstrickung des Bösen befreit. Die Evangelische Kirche in Deutschland weiß sich mit den Christen in aller Welt darin verbunden, Jesus Christus als Gott und Heiland aller Menschen zu bekennen. Sie ist insbesondere auch mit der europäischen Christenheit in der Gemeinschaft eines geschichtlichen Erbes vereinigt. In dieser Verbundenheit bitten wir die Mitchristen in aller Welt, um Gottes willen im Einsatz für Recht, Freiheit und Frieden zusammenzustehen. Die Erde darf nicht der Unbewohnbarkeit, die Menschen nicht dem Chaos preisgegeben werden. Der christliche Glaube verbindet nüchterne Welt- und Lebensorientierung mit der zuversichtlichen Hoffnung auf das Kommen des Reiches Gottes und dem Mut, den jeweils notwendigen Schritt entschlossen zu tun. 16. September 1977

(Quelle: Nr. 12, S. 32f)


aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte, 1. Auflage Köln Oktober 1987

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