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Tue Oct 7 23:10:45 1997
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Dieser Prozeß hier ist ein taktisches Manöver der psychologischen Kriegsführung des Bundeskriminalamtes, der Bundesanwaltschaft, der Justiz gegen uns - mit dem Zweck, das politische Interesse an unseren Prozessen in Westdeutschland und die in ihnen programmierte Vernichtungsstrategie der Bundesanwaltschaft zu verschleiern; durch Einzelverurteilung ein Bild der Zersplitterung von uns zu vermitteln; durch öffentliche Zurschaustellung einzelner von uns den politischen Zusammenhang aller Prozesse gegen die Gefangenen aus der RAF im Bewußtsein der Öffentlichkeit aufzuspalten, um die Tatsache, daß es auf dem Terrain des westdeutschen Imperialismus und in Westberlin eine revolutionäre Stadtguerilla gibt, aus dem Gedächtnis der Menschen wieder zu löschen. Wir - RAF - werden uns an diesem Prozeß nicht beteiligen.
Antiimperialistischer Kampf, wenn das nicht nur eine hohle Phrase sein soll, zielt darauf, das imperialistische Herrschaftssystem zu vernichten, zu zerstören, zu zerschlagen - politisch, ökonomisch, militärisch; die kulturellen Institutionen, durch die der Imperialismus die Homogenität der herrschenden Eliten herstellt und die Kommunikationssysteme, mit denen er sich ideologisch behauptet.
Vernichtung des Imperialismus militärisch heißt im internationalen Rahmen: der Militärbündnisse des US-Imperialismus rund um die Erde, hier: der NATO und der Bundeswehr; im nationalen Rahmen: der bewaffneten Formation des Staatsapparates, die das Gewaltmonopol der herrschenden Klasse, ihre Macht im Staat verkörpern - hier: Polizei, BGS, Geheimdienste; ökonomisch heißt: der Machtstruktur der multinationalen Konzerne; politisch heißt: der staatlichen und nichtstaatlichen Bürokratien, Organisationen und Machtapparate - Parteien, Gewerkschaften, Medien -, die das Volk beherrschen.
Antiimperialistischer Kampf hier ist nicht und kann auch nicht sein: nationaler Befreiungskampf - seine historische Perspektive nicht: Sozialismus in einem Land. Der transnationalen Organisation des Kapitals, den weltumspannenden Militärbündnissen des US-Imperialismus, der Kooperation von Polizei und Geheimdiensten, der internationalen Organisation der herrschenden Eliten im Machtbereich des US-Imperialismus entspricht auf unserer Seite, der Seite des Proletariats, der revolutionären Klassenkämpfe, der Befreiungskämpfe der Völker der Dritten Welt, der Stadtguerilla in den Metropolen des Imperialismus: der proletarische Internationalismus.
Seit der Pariser Kommune ist klar, daß ein Volk in einem imperialistischen Staat beim Versuch, sich in nationalem Rahmen zu befreien, die Rache, die bewaffnete Macht, die Todfeindschaft der Bourgeoisien aller anderen imperialistischen Staaten auf sich zieht. Wie jetzt die NATO eine Eingreifreserve für innere Unruhen aufstellt, die in Italien stationiert werden soll.
"Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren", sagt Marx. Was der Metropolenguerilla, der RAF hier, der Brigate Rosse in Italien, der United Peoples Liberation Army in den USA, die militärische Relevanz gibt, ist die Tatsache, daß sie im Rahmen der Befreiungskämpfe der Völker der Dritten Welt, im solidarischen Kampf dem Imperialismus hier, von wo aus er seine Truppen, seine Waffen, seine Ausbilder, seine Technologie, seine Kommunikationssysteme, seinen Kulturfaschismus zur Unterdrückung und Ausbeutung der Völker der Dritten Welt exportiert, in den Rücken fallen kann. Das ist die strategische Bestimmung des Metropolenguerilla: im Hinterland des Imperialismus die Guerilla, den bewaffneten, antiimperialistischen Kampf, den Volkskrieg entfesseln, in einem langwierigen Prozeß. - Denn die Weltrevolution ist ganz sicher nicht eine Sache von ein paar Tagen, Wochen, Monaten, nicht Sache von nur ein paar Volksaufständen, kein kurzer Prozeß, nicht die Machtübernahme des Staatsapparats - wie die revisionistischen Parteien und Parteiansätze sich das vorstellen bzw. behaupten, insofern sie sich überhaupt etwas vorstellen.
In den Metropolen ist der Begriff des Nationalstaats durch die Realität der herrschenden Klassen, ihre Politik und ihre Herrschaftsstruktur eine durch nichts mehr gedeckte Fiktion, die nicht mal mehr in den Sprachgrenzen eine Entsprechung hat, seit es in den reichen Ländern Westeuropas Millionen von Arbeitsemigranten gibt. Es bildet sich vielmehr durch die Internationalisierung des Kapitals, durch neue Medien, durch die gegenseitigen Abhängigkeiten der wirtschaftlichen Entwicklung, durch die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, durch die Krise auch subjektiv ein Internationalismus des Proletariats in Europa heraus - so daß an seiner Unterwerfung, Kontrolle, Institutionalisierung, Unterdrückung die Gewerkschaftsapparate schon seit Jahren arbeiten.
Der nationalstaatlichen Fiktion, an die sich die revisionistischen Gruppen mit ihrer Organisationsform klammern, entspricht ihr Legalitätsfetischismus, ihr Pazifismus, ihr Massenopportunismus. Nicht daß die Mitglieder dieser Gruppen aus dem Kleinbürgertum kommen, werfen wir ihnen vor, sondern daß sie in ihrer Politik und Organisationsstruktur die Ideologie des Kleinbürgertums reproduzieren, dem seit je der Internationalismus des Proletariats fremd ist, das sich - und das kann seiner Klassenlage und seinen Reproduktionsbedingungen nach nicht anders sein - schon immer komplementär 1 zur nationalen Bourgeoisie, zur herrschenden Klasse im Staat organisiert.
Das Argument, die Massen sind noch nicht so weit, erinnert uns, RAF und gefangene Revolutionäre in der Isolation, in den Trakts, in den künstlichen Gehirnwäschekollektiven, im Gefängnis und in der Illegalität, nur an die Argumente der Kolonialschweine in Afrika und Asien seit 70 Jahren: Die Schwarzen, die Analphabeten, die Sklaven, die Kolonisierten, die Gefolterten, die Unterdrückten, die Hungernden, die unter dem Kolonialismus, dem Imperialismus leidenden Völker wären noch nicht so weit, ihre Verwaltung, die Industrialisierung, ihr Schulwesen, ihre Zukunft als Menschen in die eigene Hand zu nehmen. Es ist das Argument von Leuten, die um eigene Machtpositionen besorgt sind, darauf aus, das Volk zu beherrschen, nicht auf Emanzipation und Befreiungskampf.
Unsere Aktion am 14. Mai 1970 ist und bleibt die exemplarische Aktion des Metropolenguerilla. In ihr sind/waren schon alle Elemente der Strategie des bewaffneten, antiimperialistischen Kampfes enthalten: Es war die Befreiung eines Gefangenen aus dem Griff des Staatsapparats. Es war eine Guerilla-Aktion, war die Aktion einer Gruppe, die zum militär-politischen Kern wurde, durch den Entschluß, die Aktion zu machen. Es war die Befreiung eines Revolutionärs, eines Kaders, der für den Aufbau der Metropolenguerilla unentbehrlich war und ist, nicht nur wie jeder Revolutionär in den Reihen der Revolution unentbehrlich ist, sondern weil er schon damals alles das, was die Guerilla, die militär-politische Offensive gegen den imperialistischen Staat erst ermöglicht, schon verkörperte: die Entschlossenheit, den Willen zu handeln, die Fähigkeit, sich selbst nur und ausschließlich über die Ziele zu bestimmen, dabei den kollektiven Lernprozeß der Gruppen offenzuhalten, von Anfang an Führung als kollektive Führung zu praktizieren, die Lernprozesse jedes einzelnen kollektiv zu vermitteln.
Die Aktion war exemplarisch, weil es im antiimperialistischen Kampf überhaupt um Gefangenenbefreiung geht, aus dem Gefängnis, das das System für alle ausgebeuteten und unterdrückten Schichten des Volkes schon immer ist und ohne historische Perspektive als Tod, Terror, Faschismus und Barbarei; aus der Gefangenschaft der totalen Entfremdung und Selbstentfremdung, aus dem politischen und existentiellen Ausnahmezustand, in dem das Volk im Griff des Imperialismus, der Konsumkultur, der Medien, der Kontrollapparate der herrschenden Klasse, in Abhängigkeit vom Markt und vom Staatsapparat zu leben gezwungen ist.
Die Guerilla - nicht nur hier, das war in Brasilien, in Uruguay, auf Kuba und für Che in Bolivien nicht anders - kommt immer aus dem Nichts, und die erste Phase ihres Aufbaus ist die schwierigste; insofern die Herkunft aus der vom Imperialismus prostituierten bürgerlichen Klasse und der von ihm kolonisierten proletarischen Klasse nichts hergibt, was in diesem Kampf zu gebrauchen wäre. Man ist eine Gruppe von Genossen, die sich entschlossen hat zu handeln, die Ebene der Lethargie, des Verbalradikalismus, der immer gegenstandsloser werdenden Strategiediskussionen zu verlassen, zu kämpfen. Aber es fehlt noch alles - nicht nur alle Mittel; es stellt sich auch jetzt erst heraus, was einer für ein Mensch ist. Es stellt sich das Metropolenindividuum heraus, das aus den Fäulnisprozessen, den tödlichen, falschen, entfremdeten Lebenszusammenhängen des Systems kommt - Fabrik, Schreibtisch, Schule, Universität, revisionistische Gruppen, Lehre und Gelegenheitsjobs. Es zeigen sich die Auswirkungen der Trennung von Berufs- und Privatleben, der Arbeitsteilung in geistige und körperliche Arbeit, der Entmündigung in hierarchisch organisierten Arbeitsprozessen, die psychischen Deformationen durch die Warengesellschaft, der in Fäulnis und Stagnation übergegangenen Metropolengesellschaft.
Aber das sind wir, da kommen wir her: die Brut aus den Vernichtungs- und Zerstörungsprozessen der Metropolengesellschaft, aus dem Krieg aller gegen alle, der Konkurrenz jeder gegen jeden, des Systems, in dem das Gesetz der Angst, des Leistungsdrucks herrscht, des einer-auf-die-Kosten-des-andern, der Spaltung des Volks in Männer und Frauen, Junge und Alte, Gesunde und Kranke, Ausländer und Deutsche und der Prestigekämpfe. Und da kommen wir her: aus der Isolation im Reihenhaus, in den Betonsilos der Vorstädte, den Zellengefängnissen, Asylen und Trakts. Aus der Gehirnwäsche durch die Medien, den Konsum, die Prügelstrafen, die Ideologie der Gewaltlosigkeit; aus der Depression, der Krankheit, der Deklassierung, aus der Beleidigung und Erniedrigung des Menschen, aller ausgebeuteten Menschen im Imperialismus. Bis wir die Not jedes einzelnen von uns als Notwendigkeit der Befreiung vom Imperialismus, als Notwendigkeit zum antiimperialistischen Kampf begriffen haben und begriffen, daß es mit der Vernichtung dieses Systems nichts zu verlieren, im bewaffneten Kampf aber alles zu gewinnen gibt: die kollektive Befreiung, Leben, Menschlichkeit, Identität; daß die Sache des Volkes, der Massen, der Fließbandarbeiter, der Lumpen, der Gefangenen, der Lehrlinge, der untersten Massen hier und der Befreiungsbewegungen der Dritten Welt unsere Sache ist. Unsere Sache: bewaffneter, antiimperialistischer Kampf die Sache der Massen und umgekehrt - auch wenn das erst in einem langwierigen Prozeß der Entwicklung der militär-politischen Offensive der Guerilla, der Entfesselung des Volkskriegs real werden kann, real werden wird.
Das ist der Unterschied zwischen wirklich revolutionärer und nur vermeintlich revolutionärer, in Wirklichkeit opportunistischer Politik: daß wir von der objektiven Lage ausgehen, den objektiven Bedingungen, von der tatsächlichen Situation des Proletariats, der Massen in den Metropolen - wozu gehört, daß das Volk durch alle Schichten und von allen Seiten im Griff und unter der Kontrolle des Systems ist. Die Opportunisten gehen vom entfremdeten Bewußtsein des Proletariats aus - wir gehen von der Tatsache der Entfremdung aus, aus der sich die Notwendigkeit der Befreiung ergibt. "Es liegt kein Grund vor", schrieb Lenin 1916 gegen das Kolonial- und Renegatenschwein Kautsky, "ernsthaft anzunehmen, daß im Kapitalismus die Mehrheit der Proletarier in Organisationen zusammengefaßt werden könnte. Zweitens - und das ist die Hauptsache - handelt es sich nicht so sehr um die Mitgliederzahl der Organisationen als vielmehr um die reale, objektive Bedeutung ihrer Politik: Vertritt diese Politik die Massen, dient sie den Massen, d.h. der Befreiung der Massen vom Kapitalismus, oder vertritt sie die Interessen der Minderheit, ihre Versöhnung mit dem Kapitalismus? - Wir können nicht und niemand kann genau ausrechnen, welcher Teil des Proletariats den Sozialchauvinisten und Opportunisten folgt und folgen wird. Das wird erst der Kampf zeigen, das wird endgültig die sozialistische Revolution entscheiden. Aber es ist unsere Pflicht, wenn wir Sozialisten bleiben wollen, tiefer, zu den untersten Massen, zu den wirklichen Massen zu gehen: Darin liegt die ganze Bedeutung des Kampfes gegen den Opportunismus und der ganze Inhalt dieses Kampfes."
Die Funktion von Führung in der Guerilla, die Funktion von Andreas in der RAF ist: Orientierung - nicht nur in jeder Situation die Hauptsachen von den Nebensachen unterscheiden, auch in jeder Situation am ganzen politischen Zusammenhang in allen Einzelheiten festhalten, über den Details, den technischen, logistischen Einzelproblemen nie das Ziel, die Revolution, im Zusammenhang Bündnispolitik nie die Klassenfrage, im taktischen Zusammenhang nie den strategischen aus den Augen verlieren, das heißt: nie dem Opportunismus verfallen. Es ist "die Kunst, Prinzipienfestigkeit mit Geschmeidigkeit im Handeln dialektisch zu verbinden, die Kunst, bei der Führung der Revolution das Entwicklungsgesetz anzuwenden, das die progressiven Veränderungen in qualitative Sprünge überführt", sagt Le Duan 2. Es ist auch die Kunst, vor "der Ungeheuerlichkeit der eigenen Zwecke nicht zurückzuschrecken", sondern sie beharrlich und unbeirrbar zu verfolgen, die Entschlossenheit, aus Fehlern zu lernen, überhaupt zu lernen. - Jede revolutionäre Organisation, jede Guerillaorganisation weiß das, daß das Prinzip Praxis die Entwicklung dieser Fähigkeiten erfordert - jede Organisation, die vom dialektischen Materialismus ausgeht, deren Ziel der Sieg im Volkskrieg ist und nicht der Aufbau einer Parteibürokratie, Partnerschaft an der Macht des Imperialismus.
Wir reden nicht von demokratischem Zentralismus, weil die Stadtguerilla in der Metropole Bundesrepublik keinen zentralistischen Apparat haben kann. Sie ist keine Partei, sondern eine politisch-militärische Organisation, die ihre Führungsfunktionen kollektiv aus jeder einzelnen Einheit, Gruppe entwickelt - mit der Tendenz, sie in den Gruppen, im kollektiven Lernprozeß aufzulösen. Das Ziel ist immer die selbständige taktische Orientierung der Kämpfer, der Guerilla, der Kader. Die Kollektivierung ist ein politischer Prozeß, der in allem läuft, in der Interaktion 3 und Kommunikation, im Lernen voneinander in allen Arbeits- und Ausbildungsprozessen. Autoritäre Führungsstrukturen haben in der Guerilla keine materielle Basis, auch weil die wirkliche, d.h. freiwillige Entwicklung der Produktivkraft jedes einzelnen Bedingung der Wirksamkeit der revolutionären Guerilla ist: mit schwachen Kräften revolutionär intervenieren, den Volkskrieg entfesseln.
Andreas steht, weil er das ist und von Anfang an war: Revolutionär - im Fadenkreuz der psychologischen Kriegsführung der Bullen gegen uns, seit 1970 vom ersten Auftreten der Stadtguerilla in der Aktion zu seiner Befreiung aus dem Gefängnis an.
Das Prinzip psychologischer Kriegsführung, um das Volk gegen die Guerilla aufzuhetzen, die Guerilla vom Volk zu isolieren, ist: die materiellen, realen Ziele der Revolution, um die es geht - Befreiung von der Herrschaft des Imperialismus, von besetzten Gebieten, von Kolonialismus und Neokolonialismus, von der Diktatur der Bourgeoisie, von Militärdiktatur, Ausbeutung, Faschismus und Imperialismus -, durch Personalisierung und Psychologisierung zu verzerren, zu mystifizieren, das Verständliche unverständlich zu machen, das Rationale als irrational erscheinen zu lassen, die Menschlichkeit der Revolutionäre als Unmenschlichkeit. Die Methode ist: Hetze, Lüge, Dreck, Rassismus, Manipulation, Mobilisierung der unbewußten Ängste des Volkes, der in Jahrzehnten und Jahrhunderten von Kolonial- und Ausbeuterherrschaft eingebrannten Reflexe von Existenzangst und Aberglauben gegenüber unbegriffenen Mächten, weil undurchschaubaren Herrschaftsstrukturen.
In dem Versuch der Bullen, durch psychologische Kriegsführung die Sache: revolutionäre Politik, bewaffneter antiimperialistischer Kampf in der Metropole Bundesrepublik und ihre Wirkung im Bewußtsein des Volkes durch Personalisierung und Psychologisierung zu vernichten, stellen sie uns dar als das, was sie sind, die Struktur der RAF als die, durch die sie herrschen - wie ihre Herrschaftsapparate organisiert sind und funktionieren: als Ku-Klux-Clan, als Mafia, als CIA und wie die Charaktermasken des Imperialismus und ihre Marionetten sich durchsetzen: mit Erpressung, Bestechung, Konkurrenz, Protektion, Brutalität, Über-Leichen-gehen.
Die Bullen setzen in ihrer psychologischen Kriegsführung gegen uns auf die Verschmelzung von Leistungsdruck und Angst, die das System jedem eingebrannt hat, der gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen, um überhaupt leben zu können, sie setzen auf die seit Jahrzehnten, Jahrhunderten gegen das Volk gerichteten Hetzsyndrome der herrschenden Klasse aus Antikommunismus, Antisemitismus, sexueller Unterdrükkung, Unterdrückung durch Religion, durch autoritäre Schulsysteme, Rassismus, auf die Gehirnwäsche durch Konsumentenkultur und imperialistische Medien, durch Reduktion und "Wirtschaftswunder".
Das ist das Schockierende an der Guerilla in ihrer ersten Phase, war das Schockierende an unserer ersten Aktion, daß Leute handeln, ohne sich von den Zwängen des Systems bestimmen zu lassen, ohne sich mit den Augen der Medien zu sehen, angstfrei, daß Leute handeln, indem sie von den wirklichen Erfahrungen, ihren eigenen und denen des Volkes, ausgehen. Denn die Guerilla geht von den Tatsachen aus, die das Volk täglich am eigenen Leib erfährt: Ausbeutung, Terror der Medien, Unsicherheit der Lebensverhältnisse trotz höchster Technisierung und größtem Reichtum in diesem Land - psychische Krankheiten, Selbstmorde, Kindesmißhandlungen, Schulelend, Wohnungsnot. Das war das Schockierende an unserer Aktion für den imperialistischen Staat: daß die RAF im Bewußtsein des Volkes begriffen wurde als das, was sie ist: die Praxis, die Sache, die sich logisch und dialektisch aus den bestehenden Verhältnissen ergibt - die Praxis, die als Ausdruck der wirklichen Verhältnisse, als Ausdruck der einzigen realen Möglichkeit, sie zu verändern, umzustürzen, dem Volk seine Würde wiedergibt, den Kämpfen, Revolutionen, Aufständen, Niederlagen und Revolten der Vergangenheit wieder Sinn - dem Volk das Bewußtsein seiner Geschichte wieder ermöglicht. Weil alle Geschichte die Geschichte von Klassenkämpfen ist, weil ein Volk, das die Dimension revolutionärer Klassenkämpfe verloren hat, im Zustand der Geschichtslosigkeit zu leben gezwungen ist, seines Selbstbewußtseins, d.h. seiner Würde beraubt ist.
An der Guerilla kann jeder für sich bestimmen, wo er steht - kann überhaupt erst mal rausfinden, wo er überhaupt steht, seinen Platz in der Klassengesellschaft, im Imperialismus rausfinden, für sich bestimmen. Denn viele denken, sie stünden auf der Seite des Volks - aber sobald es zu Zusammenstößen mit der Polizei kommt, sobald das Volk anfängt zu kämpfen, rennen sie weg, denunzieren, bremsen, stellen sich auf die Seite der Polizei. Es ist das von Marx soundsooft ausgesprochene Problem, daß einer nicht ist, was er sich selbst dünkt, sondern was er seinen tatsächlichen Funktionen, seiner Rolle in der Klassengesellschaft nach ist, das ist, als was er, wenn er nicht bewußt gegen das System handelt, d.h. sich bewaffnet und kämpft - vom System gelebt, für die Zwecke des Systems real instrumentalisiert ist.
Die Bullen versuchen in ihrer psychologischen Kriegsführung, die Tatsachen, die durch die Aktion der Guerilla vom Kopf auf die Füße gekommen sind - nämlich daß nicht das Volk vom Staat, sondern der Staat vom Volk abhängig ist, daß nicht das Volk auf die Aktiengesellschaften, die Multis, deren Fabriken angewiesen ist, sondern die Kapitalistenschweine auf's Volk, daß nicht die Polizei dazu da ist, das Volk vor Verbrechern zu schützen, sondern dazu da, die Ausbeuterordnung des Imperialismus vor'm Volk zu schützen, das Volk nicht auf die Justiz, sondern die Justiz aufs Volk, wir nicht auf die Präsenz amerikanischer Truppen und Einrichtungen hier, sondern der US-Imperialisten auf uns -, wieder auf den Kopf zu stellen. Durch Personalisierung und Psychologisierung projezieren sie auf uns, was sie sind, die Klischees der Anthropologie des Kapitalismus, die Wirklichkeit seiner Charaktermasken, seiner Richter, Staatsanwälte, seiner Gefängnispigs, der Faschisten: das Schwein, das seine Entfremdung genießt, das davon lebt, andere zu quälen, zu unterdrücken, auszunutzen, dessen Existenzbasis Karriere, Aufstieg, Treten, Leben auf Kosten anderer ist, die Ausbeutung, der Hunger, die Not, das Elend von einigen Milliarden Menschen in der Dritten Welt und hier.
Was die herrschende Klasse an uns haßt, ist, daß die Revolution trotz hundert Jahre Repression, Faschismus, Antikommunismus, imperialistischer Kriege, Völkermord wieder ihren Kopf erhebt. In der psychologischen Kriegsführung hat die Bourgeoisie, der Bullenstaat alles, was sie am Volk hassen und fürchten, auf uns und besonders Andreas gehäuft - er ist der Inbegriff des Mob, der Straße, des Feinds; hat sie in uns erkannt, was sie bedroht und stürzen wird: die Entschlossenheit zur Revolution, zur revolutionären Gewalt, zur politisch-militärischen Aktion - ihre eigene Ohnmacht, die Begrenztheit ihrer Mittel, wenn das Volk sich bewaffnet und anfängt zu kämpfen.
Nicht uns, sondern sich selbst stellt das System in seiner Hetze gegen uns dar, wie alle Hetze gegen die Guerilla Auskunft gibt über die, die sie produzieren, über ihren Schweinebauch, ihre Ziele, Ehrgeize und Ängste. Auch "selbsternannte Avantgarde" z.B. ergibt keinen Sinn. Avantgarde zu sein, ist eine Funktion, zu der man sich weder ernennen noch die man beanspruchen kann. Es ist eine Funktion, die das Volk der Guerilla in seinem eigenen Bewußtsein, im Prozeß seines eigenen Aufwachens, der Wiederentdeckung seiner eigenen Rolle in der Geschichte gibt, indem es in der Aktion der Guerilla sich selbst erkennt, die Notwendigkeit "an sich", das System zu vernichten, als Notwendigkeit "für sich" erkennt, durch die Aktion der Guerilla, die sie bereits zur Notwendigkeit für sich gemacht hat. Der Begriff "selbsternannte Avantgarde" bringt ein Prestigedenken zum Ausdruck, das in der herrschenden Klasse seinen Platz hat, auf Herrschaft aus ist - mit der Funktion der Besitzlosigkeit des Proletariats, mit Emanzipation, mit dialektischem Materialismus, mit antiimperialistischem Kampf hat das nichts zu tun.
Das ist die Dialektik der Strategie des antiimperialistischen Kampfes: daß durch die Defensive, die Reaktion des Systems, die Eskalation der Konterrevolution, die Umwandlung des politischen Ausnahmezustandes in den militärischen Ausnahmezustand der Feind sich kenntlich macht, sichtbar - und so, durch seinen eigenen Terror, die Massen gegen sich aufbringt, die Widersprüche verschärft, den revolutionären Kampf zwingend macht.
Marighela: "Das Grundprinzip der revolutionären Strategie unter den Bedingungen einer permanenten, politischen Krise ist, sowohl in der Stadt als auf dem Land ein solches Ausmaß revolutionärer Aktionen durchzuführen, daß der Feind sich gezwungen sieht, die politische Situation des Landes in eine militärische zu verwandeln, daraufhin wird die Unzufriedenheit alle Schichten ergreifen, und die Militärs werden die einzig Verantwortlichen für alle Mißgriffe sein."
Und A.P. Puyan, ein persischer Genosse: "Durch den Druck der verschärften, konterrevolutionären Gewalt auf die Widerstandskämpfer werden alle anderen beherrschten Schichten und Klassen unvermeidlich noch massiver unterdrückt werden. Dadurch verschärft die herrschende Klasse die Widersprüche zwischen den unterdrückten Klassen und sich selbst, und durch die Schaffung einer solchen Atmosphäre, in die sie zwangsläufig hineingerät, treibt sie das politische Bewußtsein der Massen sprunghaft voran."
Und Marx: "Der revolutionäre Fortschritt bricht sich Bahn in der Erzeugung einer mächtigen, geschlossenen Konterrevolution, die der Erzeugung eines Gegners, durch dessen Bekämpfung die Umsturzpartei erst zu einer wirklich revolutionären Partei heranreift."
Wenn die Bullen 1972 mit 150000 Mann die totale Mobilmachung für die Fahndung gegen die RAF gemacht haben, die Volksfahndung übers Fernsehen, Einschaltung des Bundeskanzlers, Zentralisierung der gesamten Polizeimacht beim Bundeskriminalamt - dann waren damit zu diesem Zeitpunkt durch eine zahlenmäßig kleine Gruppe von Revolutionären schon alle materiellen und personellen Kräfte dieses Staates im Einsatz: Es wurde materiell sichtbar, daß das Gewaltmonopol des Staats begrenzt ist, seine Kräfte erschöpfbar, daß der Imperialismus taktisch ein menschenfressendes Ungeheuer, daß er strategisch ein Papiertiger ist. Es wurde materiell sichtbar, daß es an uns liegt, wenn die Unterdrückung bleibt, und ebenfalls an uns, wenn sie zerbrochen wird.
Jetzt
sind die Schweine drauf, nach allem, was sie in ihrer psychologischen Kriegsführung gegen uns vorbereitet haben - Andreas zu ermorden. Wir politischen Gefangenen aus der RAF und anderen antiimperialistischen Gruppen befinden uns ab heute im Hungerstreik. Den Liquidationsfahndungen der Bullen gegen die RAF und ihrer psychologischen Kriegsführung gegen uns entspricht die Tatsache, daß sich die meisten von uns seit Jahren in Isolationshaft befinden, das heißt: Vernichtungshaft. Wir sind aber entschlossen, nicht aufzuhören zu denken und zu kämpfen - wir sind entschlossen, den Stein, den der imperialistische Staat gegen uns aufgehoben hat, ihm auf seine eigenen Füße fallen zu lassen.
Die Bullen sind drauf, Andreas - wie sie es schon beim vorigen Hungerstreik im Sommer '73 versucht haben - durch Wasserentzug zu ermorden. Damals lief das so, daß die Anwälte und die Öffentlichkeit glauben gemacht worden sind, er bekäme nach ein paar Tagen wieder zu trinken - in Wirklichkeit bekam er nichts, und das Arztschwein in Schwalmstadt sagt ihm, als er nach neun Tagen ohne Trinken schon erblindet war: "Sie sind in zehn Stunden tot, oder sie trinken Milch." Der Justizminister von Hessen kam zwischendurch in seine Zelle, um sich das anzusehen, und das hessische Knastärztekorps tagte in der Zeit in Wiesbaden im Justizministerium. Dazu gibt es einen Erlaß, daß Hungerstreiks in Hessen durch Flüssigkeitsentzug gebrochen werden sollen. Die Anzeigen gegen das Arztschwein, das den Mordversuch durchgeführt hat, sind abgewiesen, das Klageerzwingungsverfahren ist eingestellt.
Dazu ist jetzt zu sagen: Sollten die Bullen ihre Absichten und Pläne in die Tat umsetzen, indem sie Andreas das Wasser entziehen, werden alle streikenden Gefangenen aus der RAF darauf mit der Verweigerung jeglicher Flüssigkeitsaufnahme antworten. Dasselbe gilt für jeden Mordversuch durch Wasserentzug, egal wo und an welchen streikenden Gefangenen er ausgeübt wird.
(Quelle: Nr. 1, S. 62ff)
aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland
(BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte,
1. Auflage Köln Oktober 1987
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Anmerkungen der Redaktion:
1 komplementär: sich gegenseitig ergänzend
2 Le Duan: Nach 1945 u.a. Befehlshaber der Kampftruppen der Befreiungsfront in Südvietnam, seit 1951 Mitglied des Politbüros und des ZK-Sekretariats der Partei der Werktätigen Vietnams, ab 1959 ihr Generalsekretär. 1976 zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Vietnams gewählt. Le Duan starb am 10.7.1986 in Hanoi.
3 Interaktion: aufeinander bezogenes Handeln zweier oder mehrerer Personen